Aufsicht.
Aufsicht zu führen über eigene Sachen im eigenen Interesse, damit diese erhalten bleiben und nicht Schaden stiften, gehört zu der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters, von welcher im Recht so viel die Rede ist. Um über Menschen Aufsicht führen zu dürfen, muß man ein Aufsichtsrecht haben. Dasselbe setzt ein Abhängigkeitsverhältnis voraus, wie es sich findet in der Familie, im privatrechtlichen und im öffentlich-rechtlichen Dienst, in der Gemeinde, in der Kirche, in der Schule, im Staat.
Das Maß, in welchem die Aufsicht thatsächlich geübt wird, um nicht den Beaufsichtigten durch unzeitiges Mißtrauen zu verderben, die Entwicklung einer selbständigen Persönlichkeit, Bethätigung eigener Umsicht und Initiative zu verhindern, ist in Privat- wie in öffentlichen Verhältnissen Sache des Takts, der Klugheit und der Erfahrung. Das Maß, in welchem das Aufsichtsrecht des Staates ausgeübt werden darf, ist Gegenstand eines langen geschichtlichen Kampfes zwischen persönlicher Freiheit und Staatsgewalt gewesen.
Censur und Paßzwang haben überwunden, Gewissensfreiheit, Freiheit der Association, Selbstregierung der Gemeinden erkämpft werden müssen. Der Ausübung der Aufsichtspflicht setzen Sachen keine Schranken entgegen; sie ist von dem, welchen es angeht, auszuüben, soweit eine Pflicht besteht, Dritte vor Schaden zu behüten, und soweit aus den zu beaufsichtigenden Sachen ein solcher Schaden entstehen kann. Menschen sind, teils um sie selbst, teils um Dritte vor Schaden zu bewahren, zu beaufsichtigen, soweit ihnen gegenüber ein Aufsichtsrecht begründet ist.
Wer die Aufsichtspflicht nicht oder nicht recht geübt hat, hat sich nach vielfachen gesetzlichen Bestimmungen vor dem Schöffengericht, wenn Schaden entstanden ist, vor der Strafkammer des Landgerichts und vor dem Civilrichter zu verantworten. Nach dem Entwurf eines Deutschen Bürgerl. Gesetzb. §. 710 soll derjenige, welcher kraft des Gesetzes über einen andern die Aufsicht zu führen verpflichtet ist, für den Ersatz des von dem andern einem Dritten widerrechtlich zugefügten Schadens haften, wenn er seine Aufsichtspflicht verletzt hat und bei Erfüllung derselben der Schaden nicht entstanden wäre. Das entspricht dem geltenden Recht, besonders bei der Aufsicht über Kinder und Geisteskranke. (Sächs. Gesetzb. §. 779; Preuß. Allg. Landr. I, 6, §§. 57, 65; Code civil Art. 1384; Österr. Bürgerl. Gesetzb. §. 1309.)