Aufklärung
kommt mit
Unterricht (s. d.) darin überein, daß sie, wie dieser, richtige oder doch
für richtig gehaltene
Begriffe zu verbreiten sucht, unterscheidet sich aber von demselben dadurch, daß sie nicht, wie dieser,
dieselben dort erzeugt, wo überhaupt keine, sondern dort, wo (ihrer Meinung nach) unrichtige
Begriffe
vorhanden sind. Dieselbe tritt daher nicht, wie der
Unterricht, der vor sich tabula rasa findet, von vornherein belehrend,
sondern in erster
Reihe bisheriges Fürwahrhalten zerstörend (negativ, kritisch) und erst in zweiter
Reihe aufbauend (positiv,
konstruktiv), d. h.
Neues an die
Stelle des bisher Fürwahrgehaltenen setzend, auf. Je nachdem die
Begriffe,
welche die Aufklärung
zu beseitigen trachtet, wirklich unrichtig, diejenigen, die sie an deren
Stelle zu setzen sich bemüht, wirklich
richtig sind oder das Gegenteil, unterscheidet man wahre und falsche Aufklärung;
je nachdem sowohl die Beseitigung
des Alten als die Einführung des
Neuen wissenschaftlich begründet oder das eine wie das andre durch
andre als wissenschaftliche
Motive unterstützt wird, unterscheidet man wirkliche (wissenschaftliche) und seichte (populäre)
Aufklärung;
je nachdem bloß schädliche
Irrtümer
(Wahn und
Aberglaube) um ihrer schädlichen
Folgen willen entfernt oder auch harmlose,
ja wohlthätige
Illusionen
(Märchen, Volksglaube) um des
Scheins der Aufgeklärtheit willen beseitigt werden,
unterscheidet man notwendige und überflüssige Aufklärung
(»Aufkläricht«).
Insofern die Aufklärung
bisher Fürwahrgehaltenes angreift, hat sie diejenigen, welche daran festhalten
(Konservative), und zwar sowohl
die Gläubigen (aus Überzeugung) als die Gewohnheitsmenschen (aus
Trägheit) und die Stabilitätsmenschen (aus
Achtung für
den Bestand) zu natürlichen, aber, wenn die Aufklärung
die wahre ist, nicht zu fürchtenden
Gegnern, dagegen alle diejenigen, welche dasselbe verneinen, ohne ein andres an dessen
Stelle zu setzen
(Radikale), also sowohl
die Skeptiker (aus Überzeugung von der Unmöglichkeit der
Erkenntnis der
Wahrheit) als die Indifferentisten (aus Gleichgültigkeit
gegen die
Wahrheit) und die
Nihilisten (aus Überzeugung vom Nichtbestand einer
Wahrheit), zu ebensolchen,
aber, weil sie nicht bloß den
Glauben an das Bisherige, sondern auch den an
¶
mehr
das künftig Herbeizuführende vernichten, gefährlichen Bundesgenossen. Repräsentantin der Aufklärung
ist im allgemeinen die Wissenschaft,
insofern sie an die Stelle mehr oder weniger verworrener, ganz oder teilweise eingebildeter Vorstellungen von den Dingen auf
Anschauung und Erfahrung gegründete Begriffe, unter den Wissenschaften selbst aber insbesondere die Philosophie, insofern sie
durch Bearbeitung dieser an die Stelle undenkbarer oder nur in beschränktem Kreis
[* 4] gültiger notwendig
und allgemein als wahr zu denkende Begriffe setzt. Je nach dem Gegenstand der wirklichen oder vermeintlichen Irrtümer, welche
entwurzelt, und der (gleichfalls wirklichen oder nur vermeintlichen) Erkenntnisse, welche statt derer zur Herrschaft gebracht
werden sollen, unterscheidet man religiöse, moralische, politische, naturwissenschaftliche, geschichtliche
etc. Aufklärung.
Zur Verbreitung derselben haben in neuerer Zeit vornehmlich die sogen.
Deisten und Locke in England, die Herausgeber der »Encyklopädie«, Voltaire und Rousseau in Frankreich, die rationalistischen Philosophen
und Theologen der Leibniz-Wolfschen und die Führer der sogen. »Popularphilosophie«,
welche für sich den Namen »Aufklärung
sphilosophie« in Anspruch nahm,
Mendelssohn und Nicolai, sowie im höhern und höchsten Sinn Lessing und Kant in Deutschland,
[* 5] endlich die »Philosophen auf dem Thron«,
[* 6] Friedrich d. Gr., Joseph II. und Katharina II., beigetragen, daher deren Zeitalter und das 18. Jahrh. überhaupt als das Zeitalter
der Aufklärung
bezeichnet zu werden pflegt.
Vgl. Kant, Was ist die A.? (im 4. Bd. der Werke, hrsg. von Hartenstein, Leipz. 1867);
Lecky, Geschichte des Ursprunges und Einflusses der in Europa [* 7] (a. d. Engl. von Jolowicz, 2. Aufl., das. 1873, 2 Bde.);
Reuter, Geschichte der religiösen Aufklärung
im Mittelalter (Berl. 1875-1877, 2 Bde.).