Auffütterung
der
Kinder, die
Ernährung der
Neugebornen ohne Muttermilch
, wenn die Verabreichung der Mutterbrust nicht
möglich oder
nicht rätlich ist und die Verhältnisse von der
Art sind, daß eine
Amme nicht genommen
werden kann oder
mag.
Der von der
Natur vorgeschriebene Weg der
Ernährung des
Kindes durch die
Milch der eignen
Mutter gibt die
meisten
Garantien für das Gedeihen des
Kindes wie für das Wohlbefinden der
Mutter. Wie schädlich ein
Abweichen von diesem
Weg für die
Kinder ist, beweist der Umstand, daß von 100
Kindern im ersten Lebensjahr, welche von der eignen
Mutter gestillt
werden, nur 8, von solchen, welche von
Ammen gestillt werden, 29 und bei künstlicher Auffütterung
sogar bis zu 47 sterben.
Wenn man genötigt ist, die
Ernährung des
Kindes ohne
Mutter- und Ammenmilch
zu bewerkstelligen, so sind
folgende
Grundsätze festzuhalten: Das Ersatzmittel muß sich in seiner chemischen
Zusammensetzung der Muttermilch
möglichst
nähern;
die künstliche Nahrung darf durchaus nur in dünnflüssiger Form gereicht werden, sie darf nicht gären, nicht sauer werden und überhaupt keine chemische Umwandlung erleiden, welche ihren Nährwert beeinträchtigt;
ihre
Temperatur muß annähernd derjenigen der frisch entleerten Frauenmilch
entsprechen (28-35° C.).
Die einzelnen Mahlzeiten dürfen ein gewisses Maß nicht überschreiten, die Zeit der Fütterung ist streng und regelmäßig einzuhalten, bei Zubereitung der Nahrung, an den Geschirren etc. ist die sorgfältigste Reinlichkeit zu beobachten.
Was die
Wahl des
Nahrungsmittels anbelangt, so ist die Tiermilch
das nächstliegende Ersatzmittel für
die Frauenmilch.
Es kommt hier die
Milch der Eselin, der
Ziege und
Kuh in
Frage. Die
Milch der Eselin kommt in ihrer chemischen
Zusammensetzung der Frauenmilch
am nächsten und wird von kleinen
Kindern am leichtesten ertragen, aber sie ist nur selten
zu haben. Von der Ziegenmilch gilt so ziemlich das
Gleiche, sie ist aber schon konsistenter als die Eselinnenmilch
und muß daher mehr als diese mit
Wasser verdünnt werden. Am tauglichsten für die Neugebornen ist die
Milch von jüngern
Ziegen, die schon mehrmals und zuletzt vor nicht zu langer Zeit geworfen haben.
Die Ziegenmilch darf keinen widerlichen
Geruch haben; ob sie von gehörnten oder ungehörnten
Ziegen stammt, ist gleichgültig.
Als billigster und bequemster
Ersatz für die Frauenmilch ist demnächst die Kuhmilch anzusehen. Sie darf zum
Zweck der Auffütterung
natürlich
nur von gesunden und zweckmäßig gefütterten
Kühen genommen und muß durch Zusatz von
Wasser verdünnt
werden.
In den ersten vier
Wochen sollen die
Kinder eine Mischung von ⅓ guter Kuhmilch und ⅔
Wasser, im 2.-3.
Monat halb
Milch,
halb
Wasser, im 4.
Monat ¾
Milch und ¼
Wasser und erst vom 5.
Monat an unverdünnte
Milch erhalten. Es ist zweckmäßig, die
Milch nicht ausschließlich von einer
Kuh zu nehmen, sondern die
Milch von mehreren gesunden
Kühen zu mischen,
weil sie dadurch gleichmäßiger wird.
Die Kuhmilch darf nicht abgerahmt, soll aber vor dem Gebrauch abgekocht werden. Der verdünnten Kuhmilch muß außerdem etwas Milchzucker (weniger gut Rohrzucker) sowie etwas kohlensaures Natron zugesetzt werden, wodurch sie der Muttermilch ähnlicher, verdaulicher und vor dem Gerinnen mehr geschützt wird. Auf einen Tassenkopf verdünnte Milch gehört etwa ein Theelöffel Milchzucker, und eine gehäufte Messerspitze von kohlensaurem Natron reicht für ein Liter Milch aus.
Die Kinder müssen das so zubereitete Getränk aus einer Glasflasche, welche mit einem durchlöcherten Kautschukhut verschlossen ist, zu sich nehmen. Kindern, welche Kuhmilch schlecht vertragen, gibt man das Biedertsche Rahmgemenge, zu dessen Darstellung man von guter frischer Milch nach zweistündigem Stehen an einem kühlen Ort etwa 1/16 vorsichtig abschöpft, mit abgekochtem Wasser mischt, aufkocht, mit etwas Milchzucker und mit allmählich steigenden Quantitäten reiner Milch versetzt.
Da man nicht immer und überall eine stets frische, von ganz gesunden Kühen abstammende Milch haben kann, so hat man zweckmäßige Ersatzmittel herzustellen gesucht. Als solches gelten die in verschiedener Weise, am besten nur durch Erhitzen in hermetisch verschlossenen Gefäßen, vor jeder nachteiligen Veränderung gesicherte Milch und die durch Verdampfen im luftleeren Raum unter Zusatz von Zucker [* 2] eingedickte (kondensierte) Kuhmilch (Milchextrakt), welche, mit der 6-10fachen Menge warmen Wassers verdünnt, ein der frischen Milch ähnlich zusammengesetztes, nur ¶
mehr
etwas süßeres Getränk liefert. Ein andres rationelles Mittel zur Auffütterung
ist die Liebigsche Suppe, welche folgendermaßen dargestellt
wird. Man rührt 30 g nicht zu feines Weizenmehl in 300 g kochende Milch, läßt nach einigem Aufwallen bis 66° C. abkühlen
(wohl zu beachten!) und setzt einen Brei von 30 g Malzmehl, 60 g kaltem Wasser und 5,6 g Kalilösung (2
Teile doppeltkohlensaures Kali und 11 Teile Wasser) hinzu. Man läßt ½ Stunde warm stehen, kocht dann die Suppe einmal auf
und gießt sie durch ein Tuch.
Sie hält sich 24 Stunden. Die Suppe kann in einzelnen, jedesmal neu zu erwärmenden Portionen zu je 4-6 Eßlöffeln in der Saugflasche gereicht werden. Bei ganz jungen Kindern muß man diese Suppe noch zur Hälfte, später mit ⅓ Wasser verdünnen, bis die Kinder sie nach einigen Monaten unverdünnt vertragen. Diese Suppe ist auch in Extraktform in den Handel gekommen, und nach dem Prinzip derselben sind verschiedene Präparate angefertigt worden und als sogen. Suppenpulver in den Handel gekommen.
Die künstliche Auffütterung
durch stärkemehlhaltige Nahrungsmittel,
[* 4] namentlich durch das Mehl
[* 5] der verschiedenen Getreidearten, durch
Kindermehle etc. in Form von Suppen, ist für ganz kleine Kinder als irrationell zu verwerfen. Zur Verdauung des Stärkemehls
gehört Speichel, und da dieser bis etwa zur 10. Woche nur in geringer Menge abgesondert wird, so sind in
dieser Zeit die stärkemehlhaltigen Präparate zu vermeiden. Dagegen sind diese Nahrungsmittel, zumal wenn sie mit Kuhmilch
zubereitet werden, für Kinder von 3-4 und mehr Monaten ganz am Platz.
Von den unvermischten Mehlsorten ist das nicht zu feine Weizenmehl vorzuziehen, da es vermöge seiner leichtern Verdaulichkeit den größten Nährwert besitzt. Sehr beliebt und den Kindern zuträglich ist ein feiner Brei aus Zwieback und Arrowroot. Ersterer wird zuerst in frischem Wasser eingeweicht, sorgfältig ausgedrückt, dann mit Wasser oder verdünnter Milch zu einem zarten Brei, dem ein klein wenig Zucker zugesetzt wird, verkocht. Den Arrowrootbrei kocht man ebenfalls mit Milch.
Mit vier Monaten ertragen die Kinder auch schon eine magere Fleischbrühe, in welcher Mehl, Gries, Salep, Sago und dergleichen schleimgebende Pflanzenstoffe aufgekocht sind. Andre Surrogate der Milch, wie Eigelb, in Wasser gekocht, Salepschleim, überhaupt schleimige Getränke aus Hafer, [* 6] Gerste [* 7] etc., sind nur ausnahmsweise zu empfehlen in Fällen, wo man genötigt ist, verschiedenes zu versuchen, und namentlich da, wo Neigung zu Diarrhöe besteht. In solchen Fällen wendet man sich am besten an einen Arzt, da alljährlich zahlreiche neue Präparate auf den Markt gebracht werden, über deren Wert nur die Kritik eines erfahrenen Sachverständigen entscheiden kann.
Absolut verwerflich ist die Unsitte, den Kindern sogen. Lutscher (Schnuller, Schlotzer, Zulpe etc.) in den Mund zu geben. Abgesehen davon, daß manche Frauen die Masse, mit welcher sie den Zulp füllen, vorher selbst gekaut haben, und daß dieses widerliche Verfahren unter Umständen zur Übertragung von Krankheiten auf die Kinder führt: so ist dieses Beruhigungsmittel auch deshalb zu verwerfen, weil der Zulp oft stundenlang in der Mundhöhle [* 8] verbleibt, in saure Gärung übergeht, Pilzbildungen auf der Mundschleimhaut bedingt und katarrhalische Entzündung des Mundes sowie des Magens und Darmkanals herbeiführt und unterhält.
Daß bei der künstlichen Auffütterung
alle Verrichtungen des Säuglings, namentlich die Atmung, die Hautthätigkeit,
der Stuhlgang und der Schlaf, streng zu überwachen sind, versteht sich
von selbst. Besonders große Sorgfalt hat man auch
auf die Reinigung des Mundes zu verwenden, um so mehr, je kleiner die Kinder sind. Wird der Mund nach jeder Mahlzeit durch ein
reines, in Wasser getauchtes Leinwandläppchen, welches man über den Finger stülpt, sorgfältig ausgewischt, so bleibt das
Kind von den schmerzhaften Schwämmchen verschont.
Vgl. v. Ammon, [* 9] Die ersten Mutterpflichten (26. Aufl., Leipz. 1884);
Fürst, Die künstliche Ernährung des Kindes (das. 1870);
Biedert, Die Kinder
ernährung im Säuglingsalter (Stuttg. 1880).