Atschin
(Atjin, Atjeh, engl. Acheen), ein bis 1873 selbständiges Reich, jetzt niederländisches Gouvernement auf der Insel Sumatra, 51,040 qkm (928 QM.) groß, umfaßt die nordwestliche Spitze derselben und wird von dem ganz Sumatra in eine östliche und eine westliche Hälfte teilenden Kettengebirge durchzogen, das hier unter 4° 17' nördl. Br. im Abong-Abong (wahrscheinlich Vulkan) zu 3350 m Höhe ansteigt (s. Karte »Hinterindien«). [* 3] Daneben enthält das Land ansehnliche Strecken wellenförmigen oder ganz flachen, tief gelegenen Bodens, der von zahlreichen schmalen und wenig tiefen Küstenflüssen bewässert wird und sich besonders für Reisbau sowie Baumzucht und Gartenbau eignet.
Flora wie Fauna stimmen im übrigen mit denen von Sumatra überein; eine besondere Rolle unter den Bodenerzeugnissen spielen Pfeffer und Arekanüsse. Die Bevölkerung [* 4] ward 1882 auf 479,419 Seelen berechnet, worunter 474,300 Eingeborne, 196 Europäer, 3165 Chinesen, 547 Araber u. a. Die einheimische Bevölkerung ist nach dem Äußern, Kleidertracht, Charakter und Sitten von den übrigen Bewohnern Sumatras deutlich unterschieden. Von mittlerer Größe und dunkler als jene, sind sie auch thätiger und betriebsamer, gute Seeleute und militärisch geschulte Krieger, doch auch wegen ihres schlechten Charakters verrufen, sittenlos, rach- und mordsüchtig und leidenschaftliche Opiumraucher.
Ihre ethnologische
Stellung ist noch nicht sicher bestimmt; die
Sprache
[* 5] gehört (nach van den
Berg) der polynesischen
Familie
an. Die Schriftzeichen sind malaiisch. Außer mit
Landbau und
Viehzucht
[* 6] beschäftigt sich
die
Bevölkerung auch mit
Industrie
(Weberei,
[* 7] Bearbeiten von
Gold,
[* 8]
Silber,
Eisen,
[* 9]
Fischerei)
[* 10] und
Handel. Seit 1881 wird das
Gouvernement Atschin
eingeteilt
in
Groß-Atjeh (die nordwestliche
Spitze) mit dem Hauptort Kota Radja,
Nord- und Ostküste mit dem Hauptort Tilok Semawe und
Westküste mit dem Hauptort Malaboeh.
Die beiden letzten Abteilungen bestehen nur aus Niederlassungen an der
Küste. Hauptstadt des
Gouvernements ist Kota Radja
oder Atschin
, das im nordwestlichen
Ausläufer des
Landes an dem für
Boote befahrbaren Atschinfluß
, 7 km
von seinem
Hafen Oleh-leh, liegt, mit dem es seit 1876 durch
Eisenbahn verbunden ist. Diese
Eisenbahn soll weiter ins
Innere
geführt werden. Die ehemals große und blühende Stadt wurde während des
Kriegs (s. unten) fast ganz zerstört, aber wieder
aufgebaut und zwar fast durchweg aus
Holz;
[* 11] sie ist Sitz des
Gouverneurs, hat eine
Besatzung (in dem alten
Kraton, der
Citadelle der Atschinesen
) von 2000 Mann, schöne, von der holländischen
Regierung erbaute
Moschee u. a. Auch der
Handel ist wieder aufgeblüht. Östlich von Atschin
liegt die sogen. Pedir
küste
mit der Stadt
Pedir, die einen bedeutenden
Handel mit Arekanüssen treibt. - Zu Anfang des 17. Jahrh.,
als das
Reich Atschin
auf der
Höhe seiner Macht stand, erstreckte sich sein Gebiet längs der Westküste
Sumatras bis an
Benkulen
und längs der Ostküste bis Kampar, während ein Teil der angrenzenden
Binnenländer sowie ein großes Gebiet der
Halbinsel
Malakka seine Oberherrschaft anerkannten und ihm
Tribut zahlten.
Innere
Unruhen führten später eine Trennung der
Provinzen herbei. Durch den
Londoner
Vertrag vom welcher die Beziehungen
der
Engländer und
Holländer zu
Ostindien
[* 12] regelte, wurde
Sumatra den
Holländern allein überlassen, dabei aber die Souveränität
des
Reichs Atschin
gewährleistet mit der
Bedingung, daß britischen
Schiffen und
Unterthanen der freie Aufenthalt
in den Häfen von Atschin
gestattet und vom
Sultan Sicherheit gegen den herrschenden
See- und
Menschenraub garantiert werde.
Holland erneuerte noch 1857 einen
Freundschafts- und Handelsvertrag mit dem
Sultan zu dem gleichen
Zweck und ging endlich 1870
England
gegenüber die Verpflichtung ein, den Briten in jenen Gegenden die nämliche Sicherheit zu gewährleisten
wie den eignen Staatsangehörigen, erlangte aber gegen Abtretung seiner Besitzungen in
Guinea das
Recht, gegen Atschin
nach Gutdünken
zu verfahren. Als daher trotz aller
Verträge der
Sultan sich mehrmals des
Menschen- und Seeraubs schuldig machte, während
er mit dem holländischen
Generalgouverneur unterhandelte, fremde Mächte in die
Sache zu verwickeln suchte
und energische
Rüstungen
[* 13] veranstaltete, über welche er keine genügenden
Aufklärungen gab, erklärte ihm der
Generalgouverneur den
Krieg und eröffnete denselben sofort, mußte aber infolge erlittener Verluste und insbesondere wegen der Heftigkeit
des Monsuns, dessen Wüten die
Verbindung zwischen dem Land und den
Schiffen mehrere
Wochen lang unterbrach,
seine
Truppen zurückziehen.
Erst im
Dezember langte
General van
Swieten mit einem stärkern Expeditionskorps von 12,000 Mann vor Atschin
an. Die
Landung wurde
unter dem
Feuer der holländischen
Marine glücklich bewerkstelligt, Cattaperale, unterhalb der
Festung
[* 14] Nwesapi, mit geringen
Verlusten eingenommen, nach dem obern
Lauf des Atschin
flusses vorgerückt, die
Linie desselben und die festen Werke auf beiden
Flußufern besetzt und der befestigte
Palast
(Kraton) des
Sultans eingeschlossen. Derselbe wurde erstürmt. Doch
war die
¶
mehr
Behauptung des eroberten Landes wegen der verheerenden Krankheiten mit großen Schwierigkeiten und Verlusten verknüpft. Erst 1879 gelang dem General van der Heyden die völlige Unterwerfung des Landes, das nun einem Zivilgouverneur unterstellt wurde.
Vgl. Veth, Atchin en zijne betrekkingen tot Nederland (Leiden [* 16] 1873);
Gerlach, Atjih en de Atjinezen (Arnh. 1873);
Melantjong, Atjeh à vol d'oiseau (Leid. 1880);
Kielstra, Beschrijving van den Atjehoorlog (2. Aufl., Haag [* 17] 1884);
»Die holländischen Expeditionen
gegen Atschin«
(Leipz. 1875).