Atmung
oder Respiration, diejenige Verrichtung der organischen Körper, welche in einer abwechselnden Aufnahme und Ausscheidung luftförmiger Stoffe besteht. Bei den Pflanzen und den niedrigsten Tieren sowie bei den Eiern der Tiere scheint dieselbe an kein besonderes Organ gebunden zu sein, sondern an der ganzen Körperoberfläche vor sich zu gehen. Bei der großen Mehrzahl der Tiere ist aber zur Vermittelung der Respiration ein eigentümlicher Apparat vorhanden, dessen Bau und Einrichtung in den verschiedenen Tierklassen verschieden ist. (S. Lunge, [* 2] Kiemen, Tracheen.) [* 3] Fast durchgängig ist die Thätigkeit dieses Apparats mit gewissen, äußerlich mehr oder weniger sichtbaren Bewegungen bestimmter Körpergegenden (Atembewegungen) verbunden. Am deutlichsten sind diese bei denjenigen Geschöpfen, welche Lungen besitzen, also bei dem Menschen, den Säugetieren, den Vögeln, Reptilien ¶
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und Amphibien. Doch sieht man auch sehr lebhafte Atembewegungen bei vielen durch Kiemen atmenden Tieren, z. B. den Fischen und Sepien (Tintenfischen).
Beim Menschen erfolgt die Aufnahme von Luft in die Lungen oder das Einatmen (Inspiration) dadurch, daß die Brusthöhle erweitert wird, indem durch die Thätigkeit verschiedener Muskeln [* 5] (Atemmuskeln) einesteils der Boden dieser Höhle, das nach oben gewölbte Zwerchfell, sich abflacht und nach der Bauchhöhle zu hinabsteigt, andernteils die von den Rippen und den sie verbindenden Weichteilen gebildeten Seitenwände der Brusthöhle sich heben und dadurch stärker wölben.
Die Brustwandungen sind auf ihrer Innenseite von einer sog. serösen Haut, [* 6] dem Brustfell (s. Brust), ausgekleidet, welche zugleich auf die Außenseite der Lunge sich fortsetzt und auf diese Weise einen überall hermetisch geschlossenen Sack darstellt, dessen Höhle, die Pleurahöhle, etwas schlüpfrige Feuchtigkeit enthält und so das Gleiten der einander zugekehrten Flächen begünstigt. Von der Kontinuität des Rippenfells und dem hermetischen Verschluß der Pleurahöhle hängt die in mechan. Hinsicht ab. Denn da die elastischen Lungen mit ihrer Oberfläche der Innenfläche der Brustwandungen überall luftdicht anliegen, so müssen sie notwendig den Bewegungen der letztern folgen und sich bei der Erweiterung der Brusthöhle selbst mit erweitern, was eine stärkere Ausdehnung [* 7] der unzähligen kleinen Bläschen (Alveolen) bewirkt, aus denen das Lungengewebe besteht. Der durch die Verästelung der Luftröhren (Bronchien) und die Lungenbläschen hergestellte Hohlraum der Lungen steht aber durch die Luftröhre, den Kehlkopf [* 8] und die Mund- und Nasenhöhle mit der äußern Luft in direkter Verbindung sobald also dieser Hohlraum vergrößert wird, strömt die Luft von außen herein und füllt den Raum aus. Das Maß der eingeatmeten Luft entspricht also genau der Vergrößerung, welche der Brustkasten erleidet.
Indem nach einer sehr kurzen Dauer die Thätigkeit der Atemmuskeln wieder aufhört, erfolgt durch das Heraufsteigen des Zwerchfells und das Zurücksinken der seitlichen Brustwände wieder eine Verengerung der Brusthöhle, und in demselben Maße werden auch die Lungen auf ein geringeres Volumen zusammengedrückt. Infolge dieser Kompression muß eine der Verengerung der Brusthöhle entsprechende Menge von Luft wieder aus den Lungen austreten. Diesen Austritt der Luft nennt man das Ausatmen (Exspiration).
Die Lungen, mit den sie umschließenden Wandungen der Brusthöhle, verhalten sich also beim Ein- und Ausatmen gerade wie ein elastischer Sack, dessen äußere Hülle abwechselnd auseinander gezogen und zusammengedrückt wird. Die Brusthöhle dehnt sich übrigens beim Einatmen gewöhnlich nicht in allen ihren Teilen in gleichem Grade aus, sondern es herrschen in dieser Hinsicht gewisse, durch Alter und Geschlecht bedingte Verschiedenheiten. In der Kindheit erweitert sie sich besonders durch Herabsteigen des Zwerchfells, wobei der Bauch [* 9] vorgewölbt wird (Bauchatmen), bei dem Manne mehr durch Ausdehnung des untern, bei dem Weibe mehr durch Ausdehnung des obern Teils der Rippenwandung (Brustatmen). In die Luftröhre gelangt die Luft beim Einatmen aus der Nasenhöhle und kehrt durch dieselbe beim Ausatmen auch wieder zurück.
Nur in Fällen, wo sich die Lungen so stark ausdehnen, daß zur Füllung derselben die durch die Nase
[* 10] eindringende Luft
nicht
ausreicht, oder wo der Luft der Durchgang durch die Nase sehr erschwert oder ganz verschlossen ist (wie bei manchen Krankheiten
der Nase und des hintern Rachenraums), oder endlich infolge schlechter Gewohnheit, wird die Luft auch
durch den Mund ein- und ausgeführt. Dies bewirkt, wenn es längere Zeit hindurch geschieht, Trockenheit und einen weißlichen
Belag der von ihr berührten Teile der Mundhöhle, vorzüglich der Zunge. Aus der Betrachtung der Atembewegungen ergiebt sich
von selbst, dass alles, was die Erweiterung der Brusthöhle behindert, auch die Atmung
beeinträchtigen muß,
also nicht bloß Kleidungsstücke, die Brust- und Oberbauchgegend zusammenpressen, sondern auch Anfüllung des Bauchs mit Speisen
oder Ausleerungsstoffen.
Für gewöhnlich geben die Atembewegungen ohne unsern Willen vor sich, indem sie automatisch von einer ganz bestimmten stelle
des verlängerten Markes, dem Atmung
scentrum oder Lebensknoten (s. d.), aus angeregt werden. Unser Wille
hat aber auf sie insofern einen Einfluß, als wir die Thätigkeit der Muskeln, durch welche sie bewirkt werden, nach Belieben
verstärken (tiefer einatmen) oder wenigstens auf Augenblicke hemmen (den Atem anhalten), sowie auch in gewissem Grade beschleunigen
oder verlangsamen und häufiger oder seltener sich wiederholen lassen können.
Außerdem aber richtet sich die Stärke
[* 11] und Häufigkeit der Atembewegungen nach dem Atmung
sbedürfnis des Organismus, d. h.
nach dem Maße, in welchem der bei der Respiration in den Lungen stattfindende Gasaustausch für den Lebensprozeß gerade erforderlich
ist. Denn die Atmung
gehört zu den Lebensbedingungen der organischen Körper; je höher diese
organisiert sind, desto weniger können sie dasselbe auch nur auf kurze Zeit entbehren. Ein Mensch kann nicht leicht über
eine Minute unter Wasser bleiben. In manchen krankhaften Zuständen, z. B. in der Ohnmacht, ist dagegen die Atmung
oft viel länger
aufgehoben, weil in ihnen das Atmung
sbedürfnis und das Leben überhaupt auf Null gesunken ist; während
solche Krankheiten, die zunächst nur eine Beeinträchtigung des Verkehrs zwischen Luft und Blut in den Lungen herbeiführen,
bei längerer Dauer auch eine Störung in den meisten übrigen Verrichtungen des Körpers zur Folge haben. Wird das Atmung
sbedürfnis
nicht genügend befriedigt, so entsteht ein Beängstigungsgefühl.
Der chemische Prozeß, welcher bei allen Tieren in der Atmung
maßgebend ist, besteht in dem Austausche von Kohlensäure und Wasserdampf,
welche im Körper gebildet und den Atemorganen zugeführt werden, gegen Sauerstoff, welcher aus der atmosphärischen Luft
bezogen wird. Der Stickstoff der Luft spielt bei der Atmung
keine Rolle. Da die Luft aber selten mit Wasserdampf
vollständig gesättigt und selten auch so warm ist, als sie in der Lunge wird, so ist die notwendige Folge, daß beim Atmen
dem Körper Wasser entzogen wird.
Was die Zahl der abwechselnden Ein- und Ausatmungen
, die in einer bestimmten Zeit gemacht werden (die
Häufigkeit der Atemzüge oder die Respirationsfrequenz), anbelangt, so variiert dieselbe bei verschiedenen Personen selbst
im gesunden Zustande und unter sonst gleichen äußern Bedingungen, namentlich aber durch äußere Einflüsse in hohem Grade.
Erwachsene Menschen atmen in einer Minute durchschnittlich 16 bis 20mal, Kinder öfter; auf vier Pulsschläge kommt dabei
im
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Mittel ein Atemzug. Setzt man die Atmung
im Liegen als Einheit, so vermehrt Fahren im Wagen oder auf Eisenbahnen
die Frequenz um die Hälfte; Spazierengehen und Reiten im Schritt verdoppelt, Reiten im Trabe, schnelles Fußgehen vervierfacht
sie. In Krankheiten kann sie sehr bedeutende Abweichungen erleiden. Die Quantität der jedesmal ein- und
ausgeatmeten Luft läßt sich messen. Die Lunge enthält auch nach dem tiefsten Ausatmen noch eine bedeutende Quantität, 12-1600
ccm, Luft (Residualluft); die Größe der Atemzüge beträgt bei erwachsenen Menschen von mittlerer Größe in vollkommen ruhigem
Zustande ungefähr 500 ccm, während die Lungen solcher Menschen, im Zustande der größten Ausdehnung (bei
möglichst tiefem Einatmen), ungefähr 4000 ccm Luft, also zu der Residualluft noch 2400-2800 ccm Luft, aufzunehmen vermögen.
Diejenige Luftmenge, welche nach einer möglichst tiefen Einatmung
ausgeatmet werden kann, bezeichnet man als die vitale
Kapacität der Lungen. Zur Bestimmung der eingeatmeten Luftmengen (sog. Spirometrie) bedient man sich eines von Hutchinson
konstruierten gasometerartigen Apparates, des sog. Spirometers. Die Zahl sowohl als die Größe der Atemzüge sind beide während
des Schlafs verringert. In den nächsten 2-3 Stunden nach dem Essen
[* 13] sind sie größer als an den übrigen Tageszeiten. Durch
Körperbewegung werden sie gesteigert, durch Erhöhung der Luftwärme vermindert. Nach dem Genusse spirituöser
Getränke, des Kaffees und Thees nimmt wenigstens die Größe der Atemzüge merklich ab.
Die ausgeatmete Luft, der Atem oder Odem, ist wärmer als die eingeatmete, reicher an Kohlensäure und Wasserdampf und ärmer an Sauerstoff. Außerdem sind derselben oft gewisse Riechstoffe beigemischt, welche im ganz normalen Atem nicht vorkommen, sondern die Folge örtlicher Störungen oder Krankheiten des Mundes, der Nase oder der Lungen, in seltenern Fällen auch durch den Genuß riechender Substanzen und deren Aufnahme ins Blut verursacht sind, wie z. B. nach dem Genusse von Spirituosen. Überhaupt ist die Aufnahme wie Abgabe von gasförmigen Stoffen durch die Lunge eine sehr schnelle und vollständige. So riecht z. B. der Urin sogleich nach Veilchen, sobald man nur einige Minuten in einem frisch gefirnißten Zimmer geatmet und flüchtige Dämpfe von Terpentinöl auf diese Weise aufgenommen hat.
Ist die äußere Luft erheblich kälter als der Atem, so schlägt sich der reichliche Wasserdampf des letztern in Form kleiner Bläschen nieder, d. h. er bildet Dunst; auch das Anhauchen eines Spiegels zeigt den reichen Wassergehalt des Atems. Der Mensch atmet auf diese Weise täglich mehr als 330 g Wasser aus. Unendlich wichtiger ist jedoch der Unterschied der ein- und ausgeatmeten Luft in betreff des Kohlensäure- und Sauerstoffgehalts. Die atmosphärische Luft enthält im Mittel nur 4/10000 Kohlensäure, der Atem 4/100, also hundertmal mehr.
Treibt man den Atem durch ein Röhrchen in ein mit klarem Kalkwasser gefülltes Glas, [* 14] so trübt sich das Wasser allmählich, weil die Kohlensäure sich mit dem gelösten Kalk zu unlöslichem kohlensaurem Kalk verbindet. Die Größe des täglichen Gaswechsels innerhalb der Lungen ist ziemlich beträchtlich; nach Vierordt nimmt ein erwachsener Mensch in 24 Stunden etwa 744 g (516500 ccm) Sauerstoff auf und giebt dafür durchschnittlich 900 g (455500 ccm) Kohlensäure ab. Im Mittel scheidet ein 24-28 J. alter Mann (zu dieser Zeit ist die am stärksten) 44,5 g Kohlensäure in einer Stunde aus; er verbrennt also in 24 Stunden 291,6 g Kohlenstoff, etwas mehr als ein halbes Pfund, das ihm in der Nahrung ersetzt werden muß.
Die Menge des verbrauchten Kohlenstoffs hängt aber ungemein von der Nahrung ab; bei Hunger schied derselbe Mann, der bei überreichlicher Fleischnahrung 925,6 g Kohlensäure (= 252,4 g Kohlenstoff) verbrauchte, nur 662,9 g Kohlensäure (= 180,8 g Kohlenstoff) aus. Fast ebensoviel als der Atem an Kohlensäure reicher als die äußere Luft, ist er an Sauerstoff ärmer, d. h. die atmosphärische Luft verliert bei ihrem Aufenthalte in den Lungen genau ebensoviel Sauerstoff, als sie Kohlensäure gewinnt, und zwar dem Volumen nach, denn an Gewicht übertrifft die Kohlensäure den Sauerstoff.
Die Kohlensäure des Atems stammt zunächst aus dem Blute, und ebendasselbe nimmt den Sauerstoff aus der eingeatmeten Luft auf. Die zahllose Menge der Lungenbläschen, welche, wie die Beeren einer Traube, dichtgedrängt an den letzten Ästchen der vielfach verzweigten Luftröhren hängen, und deren atmende Fläche Huschke zu 2000 Quadratfuß (ungefähr 196 qm) berechnete, werden umsponnen von einem dichten Netze feinster Blutgefäßchen, durch deren zarte Wand hindurch die Kohlensäure in die Luft der Lungenbläschen, und umgekehrt der Sauerstoff der letztern ins Blut gelangt.
Vergleicht man das in die Lungen fließende Blut mit dem aus ihnen abfließenden, so findet sich dementsprechend,
daß ersteres mehr Kohlensäure, letzteres mehr Sauerstoff enthält. Zugleich bemerkt man, daß ersteres dunkelrot (venös),
letzteres hellrot (arteriell) erscheint, eine Folge der Einwirkung des Sauerstoffs auf den Farbstoff der Blutkügelchen.
Der Umstand, daß schon das in die Lungen strömende Blut reichliche Kohlensäure enthält, beweist, daß
letztere nicht erst in der Lunge gebildet wird, daß also zwar die Lunge der Ort der Ausscheidung, nicht aber der alleinige
Entstehungsort der Kohlensäure ist. Nicht unmöglich erscheint es, daß sich auch in der Lunge eine geringe Menge Kohlensäure
bildet; bei weitem der größte Teil aber entsteht teils im Blute überhaupt, teils, und zwar vorzugsweise,
in den Geweben der verschiedenen Organe (intramolekulare Atmung
).
Jede Thätigkeit der Organe ist geknüpft an einen Stoffwechsel in ihnen, bei welchem Sauerstoff verbraucht, Kohlensäure gebildet und zugleich Wärme [* 15] frei wird. Diese in den Geweben vor sich gehende Verbindung des Sauerstoffs mit dem Kohlenstoff zu Kohlensäure und mit Wasserstoff zu Wasser, also die definitive Verbrennung der organischen Substanzen, bildet das letzte Glied [* 16] in der Kette chem. Vorgänge, welche man als Stoffwechsel des Organismus zu bezeichnen pflegt, und Leben und Wachstum ist vorzugsweise mit bedingt durch diese als Oxydation bezeichneten chem. Vorgänge. Da die Gewebe [* 17] des tierischen Körpers, mit Ausnahme des Fettes, alle Stickstoff enthalten, so muß bei der Verbrennung ihres Kohlen- und Wasserstoffs zu Kohlensäure und Wasser zugleich der Stickstoff eine Umwandlung erleiden und ausgeschieden werden. Dies geschieht durch die Nieren in Form von zwei stickstoffhaltigen Substanzen, Harnstoff und Harnsäure, die sich stets im Urin finden. Das Gleiche gilt für den Phosphor und den Schwefel, die sich in manchen Geweben finden. Die ¶