Atmosphärische
Eisenbahnen, Luftdruckeisenbahnen, Bezeichnung für Eisenbahnen, bei denen der Druck der Luft die bewegende Kraft bildet. Die Stelle der Lokomotive vertreten bei ihnen eine oder mehrere feststehende Dampfmaschinen, durch die in einer Röhre mit luftdicht schließenden Kolben auf einer Seite die Luft entweder durch Auspumpen verdünnt oder durch Hineinpressen von Luft verdicktet wird. Die in beiden Fällen erzeugte Druckdifferenz bewirkt die Vorwärtsbewegung des Kolbens nach der minder dichten Luftfäule der Röhre. Besitzt die Röhre einen so großen Durchmesser, daß der zu bewegende Körper gänzlich von ihr umschlossen wird, dieser also gewissermaßen selbst die Rolle des Kolbens übernimmt, so pflegt man eine derartige Anlage eine pneumatische Eisenbahn (vom grch. pneuma, Luft, Wind) zu nennen. Liegt hingegen zwischen gewöhnlichen Eisenbahnschienen eine Röhre, in der sich ein Kolben bewegt, der vermöge eines Arms mit dem oberhalb befindlichen Wagen in Verbindung steht, so führen diese Einrichtungen den Namen Atmosphärische Eisenbahnen im engern Sinne. Um die ungehinderte Bewegung des Arms im letztern Falle zu ermöglichen, wird die Röhre mit einem Schlitze versehen, den eine Reihe hintereinander gestellter Lederklappen oder eine andere Vorrichtung möglichst luftdicht bedeckt. Während der Bewegung schiebt der Arm die Klappen beiseite, die sich hinter demselben vermöge ihrer Elasticität wieder schließen. Die erste Idee einer Atmosphärische Eisenbahnen scheint 1810 von dem dän. Ingenieur Medhurst ausgegangen zu sein; der engl. Ingenieur Ballance trat später (1818) mit demselben Gedanken hervor. Beiden Einrichtungen lag die Anordnung der pneumatischen Eisenbahnen zu Grunde. Später trennte Medhurst die Triebröhre von dem Zuge, versah dieselbe mit einem Schlitze und gab hierdurch den Atmosphärische Eisenbahnen diejenige Anordnung, die ihnen auch fernerhin eigentümlich blieb. Alle weitern Verbesserungen und Vorschläge betrafen fast ausschließlich die Durchführung des luftdichten Verschlusses für den Schlitz. Eine Zeit lang machten die den Atmosphärische Eisenbahnenden Lokomotivbahnen den Rang streitig. Viele namhafte Ingenieure beschäftigten sich mit ihrer Vervollkommnung, und bedeutende Kapitalien wurden zu ihrem Bau herangezogen. Die älteste Atmosphärische Eisenbahnen (abgesehen von einer kurzen in der Nähe von London bei Normwood-Scrubs 1839 ausgeführten Versuchslinie) wurde Anfang 1844 als Verlängerung der Lokomotivbahn Dublin-Kingstown zwischen letzterm Ort und Dalkey, (2,74 km) in Betrieb gesetzt. Es folgten die von William Cubitt erbaute Strecke von London nach Croydon und Epsom, die von
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Brunel ausgeführte Linie von Exeter nach Plymouth und die von Flachat hergestellte Strecke von Nanterre nach St. Germain. Bald wurden jedoch die großen Nachteile der Einrichtung klar, auf die schon Robert Stephenson (s. d.) 1844 hingewiesen hatte, als die Frage erörtert wurde, ob die Eisenbahn von Chester nach Holyhead pneumatisch oder mit Lokomotiven betrieben werden sollte. Die Schwierigkeit eines vollkommen luftdichten Röhrenverschlusses, die bedeutenden Reibungswiderstände des Kolbens brachten großen Kräfteverlust mit sich. Die fast unüberwindlichen Hindernisse, die sich einer zweckmäßigen Verschiebung der Züge auf den Stationen entgegenstellten, die großen Anlage-, Erhaltungs- und Betriebskosten der zur Erzeugung des pneumatischen Druckes nötigen Maschinen, endlich die geringe Zugkraft, die nur wenige Wagen zu fördern vermochte: alles dies machte dem Betriebe von Atmosphärische Eisenbahnen bald ein Ende. 1879 wurde indes die Aufmerksamkeit wieder auf den Gegenstand gelenkt durch L. Gonins «Ascenseur à l’air comprimé», bestehend aus einem in der Achse eines gewöhnlichen Eisenbahngleises gelegten gußeisernen, oben offenen Rohr, in dem der Kolben durch Preßluft bewegt wird. Später wurden die Vorschläge so verbessert, daß sie auf der Verkehrsausstellung in Liverpool im Sommer 1886 mit einem Preise ausgezeichnet wurden. Mehrere in der Schweiz angestellte Versuche hatten günstigen Erfolg.
Fruchtbarer hat sich das System der pneumatischen Bahnen erwiesen. Die Rohrpostanlagen in England, Wien, Berlin, Neuyork beruhen auf demselben. (S. Rohrpost.) Für Personenbeförderung, bei welcher der Wagen die Rolle des Kolbens spielt, wurde der erste Versuch 1864 durch den Ingenieur Rammel auf einer kurzen Versuchsstrecke in der Nähe des Krystallpalastes zu Sydenham bei London unternommen. Die Röhre ist 547 m lang, gemauert, enthält ein Gleis und kann die auf der Great-Westernbahn benutzten größten Personenwagen aufnehmen. Doch haben auch diese Bahnen eine größere Bedeutung nicht erlangt.
Vgl. Heusinger von Waldegg, Handbuch für specielle Eisenbahntechnik, Bd. 1 (Lpz. 1877); Röll, Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens (Wien 1890).
Zu den Atmosphärische Eisenbahnen gehören auch die in Nantes seit den achtziger Jahren im Betriebe befindlichen Straßenbahnen mit Preßluft (System Makersky). Die Kammern mit zusammengepreßter Luft befinden sich unter dem Fußboden des Wagens; es sind deren etwa 7-9 mit einem Inhalt von 2,17 cbm und einem Normaldruck von etwa 44 kg auf 1 qcm vorhanden. Ehe die Luft den Treibcylinder erreicht, geht sie durch einen kleinen Heißwasserbehälter, wo sie sich erhitzt und mit Wasserdämpfen sättigt, wodurch der Druck erhöht wird. Wenn der Wagen seine Runde gemacht hat, wird er an Preßluft und heißes Wasser enthaltende Röhren angeschlossen und gefüllt. Die zuerst eingerichtete (nahezu 7,5 km lange) Linie führt den Quai entlang von Doulon nach Chantenay, eine zweite wurde innerhalb der letzten Jahre angelegt, eine dritte ist im Bau. Auch in Paris ist die Anordnung mit Erfolg angewendet worden, ebenso in Limoges, Bern und Luzern. Der Kohlenverbrauch soll sich für 1 km auf nur 2,5 kg und die Ausgaben für die Dampfmaschine von 8 bis 10 Pferdekräften auf nur 4 M. täglich stellen. Bei einer in neuerer Zeit von Pardy in San Francisco erfundenen und zur Anwendung gebrachten Betriebsweise ist längs der ganzen Straßenbahnlinie ein mit Preßluft gefülltes Leitungsrohr verlegt, aus dessen in kurzen Abständen angebrachten Auslaßventilen die Triebmaschine des Wagens gespeist wird. Die Luftpumpe, verbunden mit einem zur Druckausgleichung dienenden Sammler für die Preßluft, befindet sich am Ende der Linie. Die Höhe des Luftdruckes beträgt 7 Atmosphären. Die Auslaß- oder Speiseventile liegen an Straßenkreuzungen oder solchen Stellen, wo die Reisenden ab und zu gehen, so daß die Füllung der Triebmaschine vor sich geht, während der Wagen ohnehin halten muß. (S. Straßenbahnen.)