Atheïsmus
(griech. athĕos, »ohne Gott«),
im
Sinn einer dualistischen, d. h. Gott und die
Welt als zwei verschiedene
Existenzen auffassenden, Weltanschauung (wie es die
theologische ist) die metaphysische
Lehre,
[* 2] welche die eine derselben, nämlich die
Existenz des Göttlichen, leugnet
(Welt ohne
Gott), während der
Akosmismus (griech. kosmos,
»Welt«) umgekehrt die andre derselben, nämlich die
Existenz der
Welt, verneint
(Gott ohne
Welt), der
Theismus oder
Deismus aber im
Gegensatz zu beiden vorgenannten beide zugleich behauptet (Gott und
Welt).
Im
Sinn einer monistischen, d. h. Gott und
Welt als ihrem
Wesen nach als eins seiend auffassenden, Weltanschauung
dagegen, welche als solche entweder
Pantheismus (Gott
Eins mit dem
All) oder
Kosmotheismus (die
Welt
Eins
mit Gott) ist, bedeutet
Atheïsmus
als Aufhebung
Gottes zugleich die der
Welt, also den reinen
Nihilismus.
Während der
Theismus der jüdisch-christlichen Schöpfungslehre den Atheïsmus
bekämpft,
weil er sich keine
Welt ohne
Gott (als Schöpfer derselben) denken kann, thut dasselbe der indische
Brahmanismus, weil ihm zufolge nur Gott allein wahres
Sein, die
Welt, die der Atheïsmus
stehen läßt, dagegen als
Werk der Traumgöttin
Maja nur eine täuschende Scheinexistenz besitzt.
Der
Pantheismus aber einesteils der griechischen und der neuern
Philosophie verwirft den Atheïsmus
, weil dieser
als
Welt und Gott zugleich aufhebender
Nihilismus sich selbst aufhebt.
Gleichwohl wird der
Pantheismus, obwohl
er den in seinem
Sinn von sich ausschließt, von den theistischen und akosmistischen
Theologen des in ihrem
Sinn angeklagt. Für die dualistische Weltansicht ist die von der
Welt abgesonderte
Existenz der
Gottheit wesentlich; die Aufhebung derselben, wie sie die monistische Weltansicht dadurch vollzieht, daß sie Gott und
die
Welt als
Eins setzt, hebt für die
Bekenner der erstern das Göttliche selbst auf. Das ist der
Grund, warum diesen (von ihrem
Standpunkt aus mit
Recht) der
Pantheismus und
Kosmotheismus für Atheïsmus
gilt, während diese beiden (von ihrem
Standpunkt aus gleichfalls mit
Recht) sich gegen diese Bezeichnung sträuben.
Der
Grund, weshalb letztere nicht
Atheisten heißen wollen, ist jedoch ein ganz andrer als derjenige, um deswillen der dualistische
Theolog sie mit diesem
Namen belegt.
Letzterer sucht seinen Gegner durch jenen
Ausdruck gehässig zu machen;
der
Pantheist mag nicht
Atheist heißen,
weil er nicht
Nihilist sein mag. Der
Pantheismus bekämpft den Atheïsmus
aus einem
Gesichtspunkt,
welcher jenem, aus welchem die dualistische
Theologie (sie sei polytheistisch, monotheistisch oder akosmistisch) dies thut,
gerade entgegengesetzt ist: jener, weil der Atheïsmus
die
Welt, dieser,
weil er die
Gottheit zum
Nichts mache.
Der Atheïsmus
betont die
Realität des einen der beiden
Gegensätze der dualistischen Weltanschauung, die der
Welt, um so stärker,
je ausschließlicher er sie als die einzige
Realität hinstellt, die es überhaupt gebe. Derselbe verträgt sich daher vorzüglich
gut mit der ausschließlich auf die
Welt als solche gerichteten
Naturforschung, da er dieselbe vor jeder
Gefahr des
Eingriffs einer außer der
Welt gelegenen Macht von vornherein sicherstellt. Durch die
Ausschließung derselben schafft
er
Raum für die ausnahmslose Geltung unwandelbarer
Naturgesetze, die darum nicht eben bloß
Gesetze für physische Vorgänge
sein müssen, sondern dies auch für psychische sein können, so daß der Atheïsmus
nicht eben
Materialismus sein muß, sondern auch mit einem psychologischen
Mechanismus und
Determinismus verbunden sein kann.
Durch
die
Einwendungen gegen den
Materialismus ist daher der Atheïsmus
sowenig widerlegt, wie durch die Widerlegung der »einzig
möglichen Beweisgründe für das Dasein
Gottes«, wie
Kant sie gegeben hat, begründet. Solange derselbe
als reines Ergebnis metaphysischen
Denkens auf streng wissenschaftlichem
Feld sich hält, muß es als ein unbilliges
Verfahren
bezeichnet werden, denselben, statt mit
Gründen, dadurch zu bekämpfen, daß seine
Folgen als gefährlich für die
Religion
und
Moral hingestellt werden.
Allerdings wird durch die Leugnung der Realität der Gottesidee der religiösen Verehrung ein existierendes Objekt und dem menschlichen Handeln das aus der Furcht vor einem rächenden, der Hoffnung auf einen lohnenden Gott entspringende Motiv entzogen. Anzuerkennen ist aber, daß der Würde der Gottesidee dadurch nichts entzogen wird, und daß sie als Inbegriff aller denkbaren Vollkommenheit nach wie vor das nachahmungswürdige Vorbild menschlichen Handelns und das (obgleich selbstgeschaffene) Objekt verehrender Huldigung ausmachen kann.
Ebenso läßt sich sagen, daß die Beseitigung des von den Folgen der Handlung entlehnten Motivs der Belohnung und Strafe die Möglichkeit echt sittlichen Thuns nicht mindert, sondern steigert, indem nur dasjenige Thun für wahrhaft sittlich gelten kann, bei dem jeder Verdacht selbstsüchtiger Beweggründe entfernt und der Wille von der Stimme des sittlichen Urteils über Lobens- und Tadelnswürdigkeit der Handlung allein abhängig gemacht wird. In diesem Sinn hat Kant das sittliche Handeln von der Rücksicht auf die Folgen, also auch von dem Glauben an die Existenz des Vergelters, unabhängig erklärt.
Daß der Atheïsmus
weder jede Art religiösen Kultes noch moralisches
Handeln unmöglich macht, beweist das
Beispiel
des
Buddhismus in
Indien und
China.
[* 3] Was dem
Theismus und
Brahmanismus Unglaube heißt, ist dort zum religiösen
Glauben geworden.
Schließt der Atheïsmus
nicht notwendig nachteilige
Folgen für die
Sittlichkeit des
Handelns, so schließt das
Bekenntnis
desselben (der religiöse Unglaube) ebensowenig notwendig das Vorhandensein unsittlicher Triebfedern für dasselbe ein.
Der religiöse Unglaube ist, wie sein Zwillingsbruder, der religiöse
Glaube, ein Gemütszustand, welcher dem einzelnen nur
insoweit zur
Last fällt, als er auf dem
Willen desselben beruht, und nur so weit eine
Schuld begründet, als die
Motive
desselben verwerflich sind. Der unwillkürliche Unglaube (negativer Atheïsmus;
alle
Kinder werden als
Atheisten geboren; Unwissenheit;
Überlieferung) ebensowenig wie der auf (vielleicht unvollkommener und unvollständiger, aber) redlicher Forschung aus
wissenschaftlichen
Gründen beruhende (theoretischer Atheïsmus
) können keinerlei sittlichen
Tadel rechtfertigen und dürfen in den
Augen nicht ketzerrichterlicher Gläubigen höchstens als mitleidswerter, aber verzeihlicher, letzterer
sogar als achtungswürdiger
Irrtum gelten.
Dagegen trifft den vorsätzlichen, aus egoistischen
Beweggründen (z. B. um sich von der
Furcht vor möglicher
Vergeltung zu
befreien und seinen bösen
Gelüsten ungestört nachhängen zu können) handelnden Gottesleugner (praktischer Atheïsmus
) gerechte
Verurteilung nicht um seines Atheïsmus
, sondern um seines
Egoismus willen, der sich zur interesselosen Untersuchung
entweder nicht erheben mag, oder, wenn er sich dazu erhoben hat, ein ihm unliebsames
Resultat sich geflissentlich ableugnet.
Vgl. Noack, Die Freidenker in der Religion (Bern [* 4] 1853-55, 3 Bde.);
Farrar, History of free thought (Lond. 1863);
Lange, Geschichte des Materialismus (4. Aufl., Iserl. 1881);
Blackie, Natural history of atheism (Edinb. 1877). ¶
Im Das Lexikon des Zeitungslesers, 1951
Atheismus.
Weltauffassung, welche die Existenz Gottes leugnet.