Askēse
(griech. Askesis; Ascese), eigentlich Übung;
insbesondere die enthaltsame, mäßige Lebensweise der griechischen Athleten zur Aneignung und Erhaltung der körperlichen Kraft [* 2] und Gewandtheit während der Vorbereitung auf die Kampfspiele;
auf das sittliche Gebiet übertragen, das zur Erlangung höherer Vollkommenheit auf Entsinnlichung gerichtete Handeln, sowohl die freiwillige Enthaltung von sinnlichen Genüssen als die Ertötung der sinnlichen Empfindungen und des Fleisches überhaupt;
im weitern Sinn alles Handeln, welches die Erwerbung sittlicher Fertigkeit rein als solcher zum Zweck hat.
Die Asketik bildet als
Theorie der Askese
einen Teil der
Ethik. Da das asketische
Handeln seinem
Begriff nach ein lediglich formales,
inhaltloses ist, so ist für dasselbe bei wahrhafter und vollkommener
Sittlichkeit kein
Raum mehr, und es kann für den gereiften
Christen nur noch insofern und insoweit
Pflicht werden, als er sich noch unfrei und von der
Sinnlichkeit
gebunden fühlt. Bei fortschreitender
Sittlichkeit wird statt einzelner asketischer Handlungsweisen (Tugendmittel) immer mehr
nur eine asketische
Tendenz die sittliche Pflichterfüllung begleiten.
Als Tugendmittel, durch deren
Gebrauch die Askese
die Erlangung der religiösen und sittlichen Vollkommenheit anstrebt, gelten,
was die religiöse Seite betrifft:
1) die Andacht, welche die Meditation und die Kontemplation in sich schließt, und der sich als Hilfsmittel die asketische oder Erbauungslitteratur darbietet, wie auch die religiöse Kunst ihr dienen will;
2) die Bibelforschung;
3) das Gebet, teils als freies, teils als Formulargebet;
4) die gemeinschaftliche Gottesverehrung in den verschiedenen Arten des öffentlichen und des Hausgottesdienstes und der gottesdienstlichen Vereinigungen, Erbauungsstunden und Konventikel;
5) der Gebrauch der Sakramente. Auf der sittlichen Seite stehen:
1) die Selbstprüfung und Selbstbeurteilung, gefördert durch Einsamkeit;
2) der gesellige
Umgang, der bei vorsichtigem
Gebrauch ebenso die eignen Fehler erkennen und überwinden lehrt, als er uns
das sittliche
Vermögen andrer zur Nacheiferung reizend hinstellt. Herkömmlicherweise freilich sind es
besonders drei Grundformen, in welchen sich die in den
Dienst der sittlichen
Arbeit zu stellen unternimmt: a) die formale Übung
der Willenskraft zur Beherrschung unwillkürlicher
Empfindungen, z. B. des
Ekels oder des Abscheus; b) das Entsagen, dessen
bekannteste und natürlichste Art das
Fasten ist, ein längeres oder kürzeres Entbehren von
Speise und
Trank, oder ein freiwilliges
Verzichten auf bestimmte
Güter; dahin gehören die
Ehelosigkeit
(Cölibat), die freiwillige
Armut
und der
Gehorsam, das
Verzichten auf die eigne Willensbestimmung, in der katholischen
Kirche als
Consilia evangelica empfohlen;
c) die eigentliche Selbstpeinigung. Das Mönchtum, in welchem die
katholische Kirche eine höhere
Stufe
des sittlichen
Lebens sieht, ist nichts andres als die durchgeführte entwickelte und organisierte in diesem engern
Sinn, und
das
Wort Askese
, asketisches
Leben, gilt hier als gleichbedeutend mit
Mönchs- und Klosterleben.
Die Rolle, welche die in der Geschichte der Religion spielt, entspricht genau der positiven oder negativen Wertung des Lebens, der optimistisch oder pessimistisch gerichteten Grundanschauung, von welcher die einzelnen Religionen beherrscht werden (s. Kasten). Wo das Irdische aufgefaßt wird als der reine, unvermittelte Gegensatz des Göttlichen und die Existenz selbst schon als eine Schranke erscheint (wie im Buddhismus und Brahmanismus), wird der Schmerz gesucht, um durch ihn dahin zu gelangen, an der Existenz wenigstens keinen Genuß mehr zu finden.
Und nicht minder resultiert, wo der
Gegensatz zwischen Gott und
Natur dualistisch gespannt wird, so daß das
Materielle das
Böse, die
Welt das Werk des bösen
Geistes wird (wie im Manichäismus, Gnostizismus), Askese
als die unmittelbarste
religiöse und sittliche
Pflicht, als die Art und
Weise nämlich, wie der
Mensch sich seinerseits an dem
Kampf gegen das
Böse
beteiligt und dessen Herrschaft vernichtet. Dagegen ist die Bedeutung der Askese
eine sehr beschränkte im
Mosaismus, insofern
sie hier nur formale, symbolische Bedeutung hat und dem
Gedanken der levitischen Reinheit, der priesterlichen
Aussonderung, der
Scheidung des
Eigentums
Gottes von der
Welt dient.
Das Nasiräat insonderheit ist nur
Steigerung und Verallgemeinerung der priesterlichen Reinheit. Überhaupt nicht religiöser
Art endlich ist der Ursprung der asketischen
Tendenz in manchen philosophischen
Systemen, z. B. in dem
der
Cyniker, die aus der Verbildung die Rückkehr zu der Einfachheit der
Natur suchen. Die
Pythagoreische in der unmittelbar
vorchristlichen Zeit war ohne
Zweifel schon für das
Judentum, wo ihr im
Essäismus ein Seitengänger erstand, von Bedeutung.
Unter religiösen
Gesichtspunkt trat die philosophische Askese
des
Altertums wieder im
Christentum, so daß
das kirchliche
Leben selbst in der römisch-katholischen
Kirche einen wesentlich asketischen
Charakter angenommen hat. Insonderheit
in der abendländischen
Kirche hat sich die Askese
entwickelt teils im
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Zusammenhang mit der Bußdisziplin als Genugthuung für begangene Sünden, teils aus der Lehre [* 4] von einer höhern, nicht allen erreichbaren Vollkommenheit, die durch die Befolgung der Consilia evangelica erzielt werden soll und in dem levitischer Reinheit bedürftigen Mönch- und Priestertum sich darstellt. In der evangelischen Kirche trägt die reformierte Konfession einen asketischen Zug, der ihrem gesetzlichen Wesen und der Spannung des Gegensatzes zwischen der Welt und den Auserwählten entspricht; in der lutherischen Kirche tritt die asketische Richtung hervor im Pietismus als ein Sich zurückziehen vom weltlichen Treiben, das als profan erscheint.
Nur allzu reich ist die Geschichte der Kirche wie der einzelnen Konfessionen, [* 5] Sekten und asketischen Institute an Beispielen davon, daß strenge in antinomistisches und libertinistisches Treiben umschlägt; es erklärt sich dies dadurch, daß durch gewisse Selbstpeinigungen das Gefühl erregt und die Phantasie erhitzt wird, während über dem Wahn erreichter Vollkommenheit die Wachsamkeit und Selbstbeobachtung sich mindern, überhaupt aber das sittliche Urteil über den relativen Wert der Güter der Welt da, wo letztere absolut verurteilt werden, sich trüben und gelegentliche gewaltsame Reaktionen befördert werden müssen.
Vgl. Zöckler, Kritische Geschichte der Askese
(Frankf. 1863).