Ascese
(grch. áskēsis),
Übung, besonders von der Lebensart und den
Übungen der
Athleten (s. d.) gebraucht, daher
Ascet ein so Geübter, ein
Athlet. Auf sittliche
Beziehungen angewendet bedeutet Ascese
die
Übung in der Beherrschung der
Begierden
und Leidenschaften,
Ascet jemanden, der enthaltsam lebt. Die Ascese
findet sich bei vielen Völkern und in
den verschiedensten Religionsformen und philos.
Systemen; sie geht von der einfachen freiwilligen Enthaltsamkeit von sinnlichen
Genüssen bis zur furchtbarsten gewaltsamen Selbstpeinigung (Kasteiung), so im
Altertum bei babylonischen, syr. und phrygischen
Kulten, bei ind. Sekten. Der
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Grund der ascetischen Ethik ist die Anschauung, daß Geist und Materie in schroffem Gegensatze stehen und die Materie als das unreine hindernde Element überwunden, womöglich vernichtet werden muß.
Nach der Anschauung der Inder ist die Ascese
, hauptsächlich in der Form der gesteigerten Selbstpeinigung, ein Mittel die Erfüllung
aller Wünsche, den Besitz übernatürlicher Kräfte, selbst göttliche Macht zu erlangen. Der brahmanischen
Philosophie gilt die Ascese
als die wirksamste Förderung der Konzentration des Geistes und der dadurch zu erstrebenden höchsten
Erkenntnis. Von den für heterodox geltenden Religionen, Buddhismus und Dschainismus, hat jener die Fruchtlosigkeit aller
Kasteiungen erkannt, wogegen dieser der Ascese
großen Wert beimißt.
Zur Ascese
sind auch zu rechnen die Speiseverbote, Fasten, Reinigkeits- und Enthaltsamkeitsvorschriften der Juden, die den religiösen
Sinn haben, daß Israel als das Eigentumsvolk Gottes sich vom Unreinen, wodurch das Bundesverhältnis mit Gott gestört werden
kann, fernhalten muß. Erst im spätern Judentume machten unter fremden Einflüssen teilweise auch dualistische
Anschauungen von der Unreinheit der Materie sich geltend, so namentlich bei den Therapeuten (s. d.) und wie es scheint auch
bei den Essenern (s. d.). Um die Zeit von Christi Geburt finden sich ähnliche Anschauungen auch in der griech. Welt, besonders
da, wo Griechen und Orientalen in nähere Berührung traten.
Das Christentum fand diese Lebensanschauung also bereits vor. In dem Evangelium Jesu findet sie sich nicht,
aber die Erwartung des baldigen Anbruchs der messianischen Zeit, der harte Druck der Verfolgungszeiten führte zur Weltflucht.
Auch der aus dem Judentume herübergenommene Gegensatz von Fleisch und Geist mußte einer dualistischen Ascese
die Wege bereiten,
die denn auch bald unter heidnisch-orient. Einflüssen in der ältesten Kirche Eingang fand. Dennoch hat diese dualistische
Lebensanschauung nur die Kreise
[* 3] der Gnostiker (s. Gnosis) und auch diese nur teilweise beherrscht, während schon das
kath. Christentum des 2. Jahrh. durch die Unterscheidung einer höhern und einer niedern Sittlichkeit
mit der Welt ein Abkommen traf und die ascetische Zeitrichtung in eine geordnete Bahn lenkte.
Wirkliche Ascetik tritt dagegen in der namentlich bei den Montanisten (s. d.) gesteigerten
Fastenstrenge und in noch höherm Grade in der früh verbreiteten Ansicht von der besondern Verdienstlichkeit des ehelosen
Lebens hervor (s. Cölibat). Ausfluß
[* 4] ascetischer Stimmungen ist auch das Auftreten der Anachoreten (s. d.)
und des Mönchswesens seit Ende des 3. Jahrh. Die Kirche kam einer weitverbreiteten Zeitrichtung entgegen, indem sie die klösterliche
Weltflucht zu einer geordneten Institution erhob und mit dem Ruhme höherer Heiligkeit auszeichnete. Im Mittelalter kamen
als Übungen kirchlicher Zucht allerlei Kasteiungen des Leibes auch in bürgerlichen Kreisen auf und wurden
von der Kirche eifrig empfohlen. Je mehr aber die Meinung überhandnahm, daß die äußere Ascese
als solche Gott wohlgefällig
sei, desto stärker zeigte sich dieser Veräußerlichung der Sittlichkeit gegenüber die Opposition, bald im Namen einer wirklichen,
aber ernst gemeinten ascetischen Lebensansicht, wie seit dem 11. Jahrh.
bei den Katharern, Waldensern u. a., bald im Namen einer innerlichen Frömmigkeit, wie bei den Vorläufern der Reformation, bald
endlich im Namen einer aufgeklärten Weltbildung,
wie bei den ital. und deutschen Humanisten seit dem 14. und 15. Jahrh. Der
Protestantismus hat die höhere Verdienstlichkeit der ascetischen Übungen bestritten, in ihnen eine Verdunkelung,
ja Verleugnung der Lehre
[* 5] von der Rechtfertigung des Sünders allein aus der Gnade durch den Glauben erblickt und so auch dem
Mönchstume und allen äußern kirchlich gebotenen Werken ein Ende gemacht. Dennoch sind auch den prot. Kirchengemeinschaften
ascetische Anschauungen nicht völlig fremd geblieben, so den Pietisten (s. d.). -
Vgl. Zöckler, Kritische
Geschichte der Ascese
(Frankf. 1863).