Arzt
(vom grch. archiatros, s. Archiater; lat. Medicus) darf sich innerhalb des Deutschen Reichs seit der Gewerbeordnung vom nur derjenige nennen, der nach Ablegung einer staatlichen Prüfung in allen Zweigen der Heilkunst eine staatliche Approbation erlangt hat (§. 29). Die Ausübung der Heilkunde ist vollständig freigegeben und ohne Befähigungsnachweis jedermann erlaubt; die frühern Gesetze gegen Kurpfuscherei (Medikasterei) sind aufgehoben, und wer ärztliche Praxis ausübt, unterliegt nur noch dem allgemeinen Strafgesetze, welches fahrlässige Körperverletzung und Tötung mit Strafe bedroht.
Der
Staat beschränkt sich darauf, durch die
Approbation diejenigen namhaft zu machen, die eine tüchtige mediz. Ausbildung
genossen haben. So sind auch gewisse
Beschränkungen gefallen, die früher den Ärzten
hinsichtlich der
Wahl des Ortes, an dem sie praktizieren wollten, sowie hinsichtlich ihrer Honorierung auferlegt waren; auch für die
Ärzte
gilt jetzt innerhalb des ganzen
Deutschen
Reichs der Grundsatz der Freizügigkeit, und die Honorierung ihrer Leistungen
bleibt der freien Vereinbarung überlassen. Nur als Norm für streitige Fälle in
Mangel einer solchen
Vereinbarung sind gewisse
Taxen von den Zentralbehörden festgesetzt worden. In dieser
Weise ist auch der allgemeine Zwang
zu ärztlicher Hilfeleistung durch die Gewerbeordnung (§. 144) aufgehoben, welcher früher den Medizinalpersonen unter Androhung
von
Strafen aufgelegt war; doch hat natürlich auch der Arzt
wie jeder andere
Staatsbürger bei Unglücksfällen
u. dgl. der
Aufforderung der Polizeiorgane zur Hilfeleistung nachzukommen, sofern ihm dies ohne erhebliche eigene Gefahr möglich
ist
(Strafgesetzb. §. 360, 10).
Einer staatlichen
Approbation, welche auf
Grund eines Nachweises der Befähigung erteilt wird, bedürfen nach der
Deutschen
Gewerbeordnung (§. 29) alle diejenigen
Personen,
welche sich als Ärzte
(Wund- und Augenärzte,
Geburtshelfer,
Zahn- und Tierärzte) oder mit gleichbedeutenden
Titeln bezeichnen oder seitens des
Staates oder einer Gemeinde als solche anerkannt
oder mit amtlichen Funktionen betraut werden sollen. Die nähern Bestimmungen über die der
Approbation vorausgehende Prüfung
der Ärzte
sind durch eine
Bekanntmachung des
Bundes- (Reichs-)Kanzlers vom (Bundesgesetzblatt S. 635 fg.)
veröffentlicht worden.
Hiernach sind zur Erteilung der Approbation nur die Zentralbehörden derjenigen Bundesstaaten befugt, welche eine oder mehrere Landesuniversitäten besitzen. Die vorausgehende Prüfung in allen Fächern der Heilkunst kann entweder vor der mediz. Ober-Examinationskommission in Berlin [* 2] oder vor einer bei jeder Universität bestehenden Examinationskommission abgelegt werden. Für die ärztliche Staatsprüfung sind von dem Kandidaten vorzulegen: das Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums, die Abgangszeugnisse von der Universität nach einem Studium von im ganzen neun Semestern auf einer Universität des Deutschen Reichs, das Zeugnis über Ablegung der naturwissenschaftlichen Vorprüfung (Tentamen physicum) an einer deutschen Universität, der Nachweis von klinischen Übungen, ein kurzer Lebenslauf.
Die Vorprüfung wird von einer besondern aus Mitgliedern der mediz. und philos. Fakultät gebildeten Kommission abgenommen, frühestens nach Abschluß des 4. Semesters und richtet sich auf Anatomie, Physiologie, Physik, Chemie, Botanik, Zoologie (Verordnung des Bundesrates vom Die Entbindung von den vorgeschriebenen ärztlichen Prüfungen auf Grund besonderer wissenschaftlicher Leistungen ist nur dann zulässig, wenn der Nachsuchende nachweist, daß ihm von seiten eines Staates oder einer Gemeinde amtliche Funktionen übertragen werden sollen.
Die
Approbation hat Wirkung für das ganze
Deutsche Reich;
[* 3] eine staatliche Anstellung von Ärzten
erfolgt im allgemeinen nicht,
sondern nur zu besondern Funktionen (Polizeiärzte, Militärärzte, Kreisphysikus u. s. w.).
Bezüglich der Ausübung ärztlicher Praxis in den Grenzbezirken bestehen besondere
Staatsverträge mit
Belgien,
[* 4]
Holland, Luxemburg,
der
Schweiz,
[* 5]
Österreich-Ungarn.
[* 6] Die
Approbation kann von der Verwaltungsbehörde wieder zurückgenommen werden, wenn dieselbe
auf
Grund unrichtiger Nachweise erteilt wurde oder wenn dem Inhaber die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt wurden; doch
gilt im letztern Falle die Entziehung der
Approbation
nur für die
Dauer des Ehrverlustes.
Wer, ohne hierzu approbiert zu sein, sich als Arzt
(Wund-,
Augen-,Zahn-, Tierarzt
,
Geburtshelfer) bezeichnet oder sich einen
ähnlichen
Titel beilegt, durch welchen der
Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson,
wird mit einer Geldbuße bis zu 300 M. und im Unvermögensfalle mit Haft bestraft. (Gewerbeordnung vom
§. 29 und 147,3). Ärzte
allein dürfen impfen, ihre Forderungen haben ein
Vorrecht im Konkurs (Konkursordn. §. 54),
und sie
können die
Berufung zum Schöffenamt und folgeweis zum Geschworenenamt ablehnen.
Der einheitlichen Regelung des ärztlichen Prüfungswesens, welche durch die Gewerbeordnung veranlaßt
wurde, ist es im wesentlichen zu verdanken, daß jetzt alle deutschen Ärzte
einen und denselben Bildungsgang durchmachen
und eine und dieselbe Prüfung bestehen müssen, so daß es nun nicht mehr wie früher sog.
Ärzte
zweiter
Klasse (Medicinae practici)
¶
mehr
und besondere Wundärzte giebt. Andererseits spaltet sich die ärztliche Thätigkeit wissenschaftlich und praktisch immer
mehr in einzelne Zweige und so treten unter den Ärzten
sog. Specialärzte auf, welche sich
vorzugsweise nur mit einer besondern Klasse von Krankheiten befassen. Eine solche Beschränkung des ärztlichen Forschens und
Handelns würde, wenn sie schon dem Studierenden der Medizin gestattet wäre, zu Einseitigkeit und schablonenmäßigem
Handeln führen, während sie, wenn jeder zuvor die gesamte Heilkunde studiert und einigermaßen geübt hat, als großer
Fortschritt für die Wissenschaft und als eine, für die leidenden sehr wohlthätige Einrichtung zu betrachten ist. So giebt
es gegenwärtig, außer den Ärzten
im allgemeinen, besondere Chirurgen, Geburtshelfer, Frauen-, Augen-,
Ohren-, Kehlkopfärzte u. s. w. Auch die Zahnheilkunde erhebt sich immer mehr zu einer
streng wissenschaftlichen Disciplin.
Für die notorisch armen Kranken sorgen Staat und Gemeinde durch die Anstellung von Armenärzten und durch die verschiedenartigsten Wohlthätigkeitsanstalten (s. Armenarzt und Armenwesen); den arbeitenden Klassen ist seit dem Erlaß des Krankenversicherungsgesetzes vom in Krankheitsfällen die erforderliche ärztliche Hilfe durch die Anstellung zahlreicher Kassenärzte gewährleistet (s. Krankenversicherungsgesetz). In der neuern Zeit werden in der Schweiz, in Frankreich, in Rußland und Amerika [* 8] auch weibliche Arzte ausgebildet; in Amerika ist die Zahl derselben bereits auf mehr als 500 gestiegen. Auf den schweiz. und amerik. Universitäten wird den weiblichen Ärzten selbst der Doktorgrad verliehen. Über die Vorteile und Nachteile der Ausübung des ärztlichen Berufs durch Frauen gehen die Meinungen auseinander (s. Frauenstudium und Gynäkologie).
Die Nachteile, welche dem ärztlichen Stande aus der Freigebung der ärztlichen Praxis erwuchsen, haben die deutschen Ärzte zur Gründung zahlreicher ärztlicher Standes- oder Bezirksvereine veranlaßt, welche die gemeinsamen Berufsinteressen vertreten, sowie die Konsolidierung und Hebung [* 9] des ärztlichen Standes erstreben sollen. Derartige Vereine giebt es in Baden [* 10] 14, in Bayern [* 11] 62, in Sachsen [* 12] 24, in Württemberg [* 13] 8, in Hessen [* 14] 18, in Braunschweig [* 15] 4, in Preußen [* 16] 131, in Mecklenburg [* 17] 6, in Thüringen 11, in Anhalt [* 18] 3, in Oldenburg, [* 19] Lippe [* 20] und Elsaß-Lothringen [* 21] je 2, in Lübeck, [* 22] Bremen [* 23] und Hamburg [* 24] je 1. Aus den ärztlichen Bezirksvereinen wird in Sachsen, Bayern, Württemberg, Hessen und Braunschweig die offizielle Vertretung des ärztlichen Standes gewählt. So bilden in Sachsen innerhalb jeder Kreishauptmannschaft die Bezirksvereine einen log.
Kreisverein und wählen Abgeordnete und einen Kreisvereinsausschuß, welche als außerordentliche Mitglieder des Landes-Medizinalkollegiums an den alljährlichen Plenarversammlungen desselben mit Stimmrecht teilnehmen. Ebenso wählen in Bayern innerhalb jedes Regierungsbezirks die ärztlichen Bezirksvereine Delegierte zu den acht Ärztekammern des Königreichs, welche alljährlich am Sitze der Regierung unter Anwesenheit eines Regierungskommissars zu Beratungen zusammentreten und anch an den alljährlichen Plenarsitzungen des Ober-Medizinalausschusses teilnehmen. In Preußen besteht in jeder Provinz als offizielle Vertretung des ärztlichen Standes eine Ärztekammer, deren Mitglieder durch sämtliche Ärzte des Wahlbezirks gewählt und deren Abgeordnete zu den Sitzungen der Provinzial-Medizinalkollegien und der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen mit beratender Stimme zugezogen werden.
Die Vertretung der Gesamtheit der deutschen Ärzte hat der von Herm. Eberhard Richter 1872 begründete Deutsche Ärztevereinsbund übernommen, welcher die zerstreuten ärztlichen Vereine Deutschlands [* 25] zu gegenseitiger Anregung und gemeinsamer Beteiligung auf dem Gebiete der wissenschaftlichen und praktischen, auch socialen Beziehungen des ärztlichen Standes zu vereinigen bezweckt. 1890 gehörten demselben 225 ärztliche Vereine mit 11 006 Mitgliedern an. Alljährlich findet durch Zusammentritt von Abgeordneten der einzelnen Vereine ein Ärztetag statt, über dessen Verhandlungen das Organ des Vereinsbundes, das «Ärztliche Vereinsblatt für Deutschland» [* 26] (Lpz. 1872 fg.) ausführlich berichtet.
Außer den eben erwähnten ärztlichen Standes- oder Bezirksvereinen giebt es in Deutschland noch 82 ärztliche Vereine, welche rein wissenschaftliche Zwecke verfolgen, ferner 14 Vereine für öffentliche Gesundheitspflege und 11 militärärztliche Vereine: für die Unterstützung der invaliden Ärzte und der Witwen und Waisen von Ärzten wirken 46 ärztliche Unterstützungskassen, unter denen die «Centralhilfskasse für die Ärzte Deutschlands» hervorzuheben ist.
Über das Geschichtliche s. Medizin.
Vgl. Bolz, Der ärztliche Beruf (Berl. 1870): Marx, Ärztlicher Katechismus (Stuttg. 1876);
von Ziemssen, Der und die Aufgaben des ärztlichen Berufs (Lpz. 1888);
Wiener, Handbuch der Medizinalgesetzgebung des Deutschen Reichs (2 Bde., Stuttg. 1883 -85);
Graf, Das ärztliche Vereinswesen in Deutschland und der Deutsche Ärztevereinsbund (Lpz. 1890);
Guttstadt, Deutschlands Gesundheitswesen (2 Bde., ebd. 1890-01).