Arndt
,
Ernst
Mor., deutscher Patriot und Dichter, wurde in Schoritz auf der damals noch schwed.
Insel
Rügen geboren. Sein
Vater wurde von
Graf Malte Putbus, dessen Leibeigener er war, freigegeben und erwarb als Verwalter
und
Pachter eine geachtete
Stellung. Nach häuslicher Vorbereitung besuchte Arndt
1787-89 das
Stralsunder Gymnasium,
war bis 1791 im Elternhause und studierte 1791-94 in Greifswald
[* 2] und in
Jena
[* 3]
Theologie, daneben Geschichte,
Sprachen, auch Naturwissenschaften.
Nach einer längern Fußreise Herbst 1794 heimgekehrt, ward er 1796 Hauslehrer bei Kosegarten in
Altenkirchen, widmete sich
aber bald ausschließlich histor. und litterar.
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Studien. Im Frühjahr 1798 ging er nach Österreich, [* 5] besuchte Wien, [* 6] Ungarn, [* 7] zog über die Alpen, [* 8] war einen Sommer in Paris [* 9] und kehrte im Herbst 1799 zurück. Seine Erfahrungen sind in einigen von scharfem Blick und klarem Urteile zeugenden Reisewerken (5 Bde., Lpz. 1802; Gesamtausg., 4 Bde., 1803) niedergelegt. Ostern 1800 ward er Privatdocent der Geschichte und Philologie in Greifswald, 1806 außerord. Professor daselbst. Außer Gedichten schrieb er eine kleine Dissertation gegen Rousseaus «Contrat social» («Ein menschliches Wort über die Freiheit der alten Republiken», Greifsw. 1800),
die viel Aufsehen machte, ferner «Germanien
[* 10] und
Europa»
[* 11] (1803) und «Fragmente über Menschenbildung» (1805). Der
kraftvolle Freimut, mit dem in dem «Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern
[* 12] und Rügen» (1803) die Greuel der
Leibeigenschaft aufdeckte, deren sittliches Unrecht und polit. Verkehrtheit nachwies, zog ihm eine Denunziation adliger
Gutsbesitzer beim König von Schweden
[* 13] zu; auf A.s Verantwortung erklärte dieser: «Wenn dem so ist, so
hat der Mann recht», und hob 1806 die Leibeigenschaft auf. Weder der eingeborene Trieb noch der Drang der Zeit ließen Arndt
die
Ruhe zur stillen Thätigkeit des Docenten. Vom Herbst 1803 bis 1804 lebte er in Schweden, worüber seine «Reise durch Schweden»
(4 Bde., Berl. 1806) berichtet. Als
dann 1805 Österreich, 1806 Preußen
[* 14] durch Napoleon I. niedergeworfen und das Deutsche Reich
[* 15] aufgelöst
worden war, pflanzte in seinem «Geist der Zeit» (Altona
[* 16] 1807; 6. Aufl. 1877) die Fahne auf, die er seitdem emporhielt und mahnte
in feuriger Rede das deutsche Volk, den Erbfeind zu bekämpfen bis zur Vernichtung.
Vor Napoleons Verfolgung flüchtete er nach Schweden. Nachdem er hier in der Staatskanzlei drei Jahre zugebracht hatte, kehrte er, 1808 durch die Franzosen seiner Professur enthoben, heimlich nach Deutschland [* 17] zurück und gelangte nicht ohne Gefahr nach Berlin. [* 18] Ostern 1810, nachdem Schweden Frieden geschlossen hatte, nahm er wieder seine Professur in Greifswald ein, mußte aber nach der Besetzung von Schwedisch-Pommern durch die Franzosen wieder fliehen und ging, in Berlin und Breslau [* 19] in engere Verbindung mit den preuß. Patrioten getreten, Aug. 1812 nach Petersburg. [* 20] Dorthin hatte ihn Stein berufen, um sich zur Organisation des Kampfes gegen Napoleon seiner litterar. Mitwirkung zu bedienen. Rasch war das innige Verhältnis zwischen beiden geknüpft, von dem A.s Schrift «Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn H. K. F. vom Stein» (Berl. 1858: 3. Ausg. 1870) ein lebendiges Bild giebt.
Als Napoleon auf der Flucht war, eilte Arndt
mit Stein nach Deutschland und begeisterte das sich zum Kampf erhebende
Volk durch Gedichte und Flugschriften mit gewaltig zündenden Worten zu Schlachten
[* 21] und Siegen.
[* 22] Viele seiner Lieder, wie «Was
ist des Deutschen Vaterland?», «Der Gott, der Eisen
[* 23] wachsen ließ», «Was blasen die Trompeten? Husaren heraus!»,
«Sind wir vereint zur guten Stunde», leben als echte Zeugnisse großer Thaten im Volksmunde fort. Seine
Flugschriften, wie «Landwehr und Landsturm», «Soldatenkatechismus»,»Der
Rhein, Deutschlands
[* 24] Strom, aber nicht Deutschlands Grenze", die letzte im frischen Eindrucke der Leipziger Schlacht geschrieben,
haben in vielen Herzen vaterländische Begeisterung geweckt. Sein «Entwurf einer teutschen Gesellschaft» (1814) regte in Westdeutschland
die Bildung patriotischer Vereine an (s. Deutsche Gesellschaften).
Mit
den Verbündeten kam Arndt
nach Frankfurt,
[* 25] wo er den Winter über beschäftigt ward. Im Sommer 1814 durchwanderte
er die Rheinlande und lebte den Winter in Berlin. Er war, schon ehe seine Heimat an Preußen fiel, im Herzen Preuße geworden,
weil er beim preuß. Staate die Fähigkeit erkannt hatte, für die Ideen zu kämpfen, die seine Seele bewegten.
Der Krieg rief ihn im Frühjahre 1815 an den Rhein, wo er in Köln
[* 26] eine polit. Zeitschrift, «Der
Wächter», herausgab. 1817 ging er nach Bonn,
[* 27] um an der neuen Universität eine Professur der Geschichte zu übernehmen, und
heiratete Nanna Maria Schleiermacher (gest. die Schwester des
berühmten Theologen.
Doch ward er bald wieder vom Katheder verdrängt. Die Ungunst, die auf alle Träger
[* 28] der deutsch-nationalen Bewegung fiel, traf
auch ihn. Nach Kotzebues Ermordung wurde in die Verfolgungen wegen demagogischer Umtriebe hineingezogen und vom
Amte suspendiert. Er schrieb darüber: «Ein abgenötigtes Wort aus meiner Sache u. s. w.»
(Altenburg
[* 29] und Lpz. 1821). Nach jahrelangen Schikanen einer tendenziösen Kriminaluntersuchung
konnte er doch kein Urteil erlangen; man nahm ihm zwar den Gehalt nicht, aber die Wirksamkeit als Lehrer. In dem «Notgedrungenen
Bericht aus seinem Leben u. s. w.» (2 Tle., Lpz. 1847) erzählt Arndt
ausführlich seine damaligen Erlebnisse.
Noch während des Krieges hatte er am «Geist der Zeit» (Bd. 2-4, 1813-18) fortgearbeitet,
in Breslau 1813 «Ansichten und Aussichten der teutschen Geschichte», Bd. 1 (Lpz.
1814),
geschrieben. Jetzt folgten u. a. «Nebenstunden, eine Beschreibung der schottländ. Inseln und der Orkaden» (Lpz. 1826),
«Schwed. Geschichten unter Gustav III. und Gustav IV. Adolf» (ebd. 1839),
«Versuch in vergleichenden Völkergeschichten» (2. Aufl., ebd. 1844) und die kernhaften «Erinnerungen aus dem äußern Leben» (3. Aufl., ebd. 1842; auch in Reclams «Universalbibliothek»). Die Julirevolution rief die kleinen Schriften «Die Frage über die Niederlande» [* 30] (Lpz. 1831) und «Belgien [* 31] und was daran hängt» (ebd. 1834) hervor; sie sind mit andern Aufsätzen in den «Schriften für und an seine lieben Deutschen» (4 Bde., ebd. 1845-55) zusammengestellt. Auch seine «Gedichte» (Rost. 1804; Greifsw. 1811; 2 Bde., Frankf. 1818; vollständige Sammlung letzter Hand, [* 32] Berl. 1860; 2. Aufl. 1865) fanden zahlreiche Freunde, und das Weinlied «Aus Feuer ward der Geist geschaffen» ist auch jetzt noch nicht vergessen.
Friedrich Wilhelm IV. setzte beim Regierungsantritt 1840 Arndt
wieder in seine Professur ein; unter großem Jubel
und Zudrang eröffnete er seine Vorlesungen aufs neue und wurde für das nächste Jahr zum Rektor gewählt. Im April 1848 wählte
ihn der 15. rhein. Wahlbezirk zum Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung. Seine Thätigkeit hier
zeichnete sich durch Unabhängigkeit, Festigkeit
[* 33] und Besonnenheit aus. Er gehörte zur Deputation, die Friedrich Wilhelm IV.
die Kaiserkrone anbot, und trat, als der König sie ausschlug, mit der Mehrzahl der Gagernschen Partei aus der Nationalversammlung.
In welchem Geist er die ganze Bewegung auffaßte, zeigen die Schriften: «Von dem verjüngten oder vielmehr
zu verjüngenden Deutschland. Ein Büchlein für den lieben Bürgers- und Bauersmann» (Bonn 1848),
«Reden und Glossen» (Lpz. 1849),
«Blätter der Erinnerung meistens um und aus der Paulskirche» (ebd. 1849). Zurückgekehrt nach Bonn, schrieb Arndt
einen 5. Teil
zum «Geist
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der Zeit: "Pro populo Germanico" (Berl. 1854). Diese, wie fast alle seine Prosaschriften, sogar
die umfänglichern und die geschichtlichen Darstellungen, sind aus dem Stegreif geschrieben. Überhaupt war Arndt
kein Gelehrter
und verdankte die gewaltige Wirkung andern Eigenschaften. An seinem 90. Geburtstage ward er mit Huldigungen aller Art geehrt,
starb aber bald darauf Eine Erzstatue (von Afinger) wurde ihm 1865 auf dem Plateau des Alten
Zoll bei Bonn, ein 21 m hoher Gedenkturm 1873 auf dem Rugard auf Rügen errichtet. A.s «Briefe an eine Freundin (Charlotte von
Kathen)» gab Langenberg (Berl. 1878), seine Briefe an Johanna Motherby Meisner (Lpz. 1893) heraus; letzterer
veranstaltet auch eine erste einheitliche Ausgabe von A.s Hauptschriften (Bd. 1‒5, Lpz.
1892‒95).
Aus der umfangreichen Litteratur über Arndt
sind hervorzuheben: Labes, E. M. Arndt. Ein Büchlein für das deutsche Volk, nebst ungedruckten
Briefen A.s (Jena 1860);
Rehbein und Keil, E. M. Arndt.
Ein Buch für das deutsche Volk (Lahr
[* 35] 1861);
Schenkel,
E. M. Arndt
, ein polit. und religiöser deutscher Charakter (2. Aufl., Elberf.
1869);
W. Baur, E. M. A.s Leben, Thaten und Meinungen (5. Aufl., Hamb. 1882);
von Noorden, E. M. und Preußens [* 36] deutscher Beruf (in den «Histor. Vorträgen», Lpz. 1884);
Nover, E. M. Arndt
(Hamb. 1891);
Thiele, E. M. Arndt
(Gütersloh 1894).