Titel
Armenwesen.
Als arm bezeichnet man denjenigen, der nicht so viel an wirtschaftlichen Gütern besitzt, als zur Deckung des zur Lebenserhaltung notwendigsten Bedarfs erforderlich ist. Das Maß dieser notwendigsten Güter bestimmt sich entweder durch die menschliche Natur (Nahrung, Kleidung, Wohnung), oder durch außerhalb des Individuums liegende Anschauungen sozialer Art; so kann man z. B. heute die elementare Bildung zu solchen notwendigen Lebensgütern zählen. Es dürfte wohl mit jeder Gesittung oder Kultur von jeher die Neigung vorhanden gewesen sein, den Mitmenschen solche fehlende notwendigste Güter aus freiem Antrieb zukommen zu lassen.; die Anschauung von einer Pflichtmäßigkeit einer solchen Überführung der notwendigsten Lebensgüter von den sie Besitzenden zu den sie Entbehrenden oder Armen entstand aber in ausgesprochenerm Maße erst durch die christliche Religion.
Seit der Christianisierung Europas bildete die Sorge für die Armen eine wesentliche Aufgabe der Klöster und Stifte, und mit Entstehung der Städte entstand fast gleichzeitig eine auf religiösem Motiv beruhende Fürsorge für die verarmten Gemeindegenossen, welcher die zahlreichen Bürger-, Geistspitäler u. dgl. ihre Entstehung verdanken. Nach der Kirchenspaltung war es insbesondere die helvetische Konfession, welche diesen Inhalt der katholischen Religion als wesentlichen Bestandteil übernahm.
Bis heute noch lebt dieses Prinzip der religiösen Pflichtmäßigkeit der Fürsorge für die Armen, allerdings wesentlich an Intensität und Umfang geschwächt, fort. Neben dasselbe und vielfach an dessen Stelle trat, vornehmlich in der sogen. Aufklärungszeit, das humanitäre Prinzip, welches die Pflichtmäßigkeit der Sorge für die Armen in dem Gedanken der allgemeinen Menschlichkeit begründet findet. Dessen Bedeutung war verhältnismäßig ziemlich gering und seine praktische Ausführung infolge der Verschwommenheit des Begriffs eine meist unmögliche; wir sehen es heute noch vorwiegend z. B. in den freimaurerischen humanitären Vereinigungen und Anstalten und dann in den nichtkonfessionellen Vereinen zur Abhilfe gegen die Armut nachwirken. Im laufenden Jahrhundert macht sich ein neues Prinzip der Pflichtmäßigkeit der Fürsorge für die Armen geltend.
Dieses beruht einerseits aus der Erkenntnis des sozialen Zusammenhanges der Menschen in Volk, Staat, Gemeinde und der Bedingtheit der Existenz dieser Verbande durch die Individuen, deren Erhaltung somit durch die erstern zur Notwendigkeit wird, und anderseits in der Erkenntnis des Umstandes, daß die Armut in erster Linie eine Folge der gegenwärtigen wirtschaftlichen Organisation der menschlichen Gesellschaft ist und demgemäß, falls diese Einrichtung der Gesellschaft als berechtigt angesehen wird, aus derselben heraus ihre Abhilfe finden muß; dieses Prinzip läßt sich als das sozial-ökonomische bezeichnen.
Allerdings wird die Wirksamkeit dieses modernen Prinzips vornehmlich von dem religiösen, dann aber auch von dem humanitären gestützt, begleitet und durchkreuzt. Die wirtschaftliche Organisation der Gesellschaft sieht ihre letzte Wurzel darin, daß jedes Individuum sich die Lebensgüter selbst zu beschaffen habe, wozu im allgemeinsten Sinne die Arbeit dient. Die Fürsorge für die Armen muß daher zunächst dahin gerichtet sein, die Individuen in stand zu setzen, entlohnte Arbeit, die Grundbedingung der Existenzmöglichkeit, in zureichendem Maße vorzufinden und erst in zweiter Linie, falls dies infolge von in der Gesellschaft oder im Individuum liegenden Gründen unmöglich ist, die Erhaltung der Individuen schlechthin vorzunehmen.
Dieser Gedanke, der sich in der heutigen bürgerlichen und in der jüdisch-konfessionellen Armenfürsorge in ausgesprochenem Maße vorfindet, hat in der christlichen Anschauung keine zureichende Ausgestaltung erfahren, und es ist dies einer der Hauptumstände, welche dieselbe auf dem Gebiet der Armenfürsorge zu Falle brachten. Im allgemeinen handelt es sich dabei um Zuführung von so viel entlohnter Arbeit, resp. Lebensgütern, daß die dringendsten Bedürfnisse befriedigt werden können. Die Gesellschaft sieht hierin eine Notwendigkeit, woraus sich für die öffentlich rechtliche Organisation derselben, den Staat und den Inbegriff seiner Organe, eine administrative Pflicht ergibt. Derselben steht jedoch ein Recht des Individuums nicht gegenüber. Damit ist unleugbar eine Lücke der öffentlichen Organisation gegeben, welche zu überbrücken erst versucht werden müßte.
Man nennt nun den Inbegriff aller derjenigen von der öffentlich organisierten Gesellschaft ergriffenen Maßregeln, welche auf die Aufhebung der Armut abzielen, die Armenverwaltung; dieselbe ist ein Teil der innern Verwaltung und zwar derjenigen, welche sich auf das gesellschaftliche Leben, die Klassenbewegung, bezieht. Der Inbegriff der auf die
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Armenverwaltung gerichteten staatlichen und Selbstverwaltungsgesetze, Verordnungen und Statuten bildet das Armenrecht. Innerhalb des Gebietes der Armenverwaltung ist das Gebiet der Armenpolizei zu unterscheiden, welche in einem zweifachen besteht. Erstlich in der Vorbeugung gegen Verarmung durch gewisse Beschränkungen der persönlichen Freiheit (bezüglich Freizügigkeit, Eheschließungen, Hasardspiel, Genuß geistiger Getränke etc.) und zweitens in der Beseitigung solcher Armutserscheinungen, welche eine Gefahr oder einen Nachteil für die Gesellschaft darstellen (Bettelei, Landstreichertum etc.). Mit der Armenpolizei begann die öffentliche Armenverwaltung, und die Zeit seit Mitte des 16. Jahrh. bis tief in das 19. Jahrh. hinein ist z. B. mit sogen. Bettlerordnungen reichlich gesegnet. Es ist jedoch leicht ersichtlich, daß eine einfach vorbeugende und negativ-repressive Thätigkeit, welch letztere vornehmlich in der Polizeipraxis der Abschiebung bis heute sehr verbreitet ist, nicht zureichen konnte, und zwar dies selbst dann nicht, wenn man die außerordentlich ausgebreitete konfessionelle Fürsorge für die Armen zu jener Zeit mit in Betracht zieht.
Die Armenverwaltung mußte einen positiven Inhalt bekommen, und denselben kann man am besten als Armenpflege bezeichnen, welche nun mit der Armenpolizei das Gebiet der Armenverwaltung erschöpft. Die Armenpflege beugt nicht vor, sondern beschäftigt sich mit der vorhandenen Armut, und sie will nicht die Gesellschaft durch Beseitigung der Armutssymptome schützen, sondern sie will die Armut aus der Gesellschaft durch Beseitigung der Verarmungsursachen entfernen.
Die Armenpflege hat also im Gegensatz zur Armenpolizei einen wesentlich positiven Inhalt; ihr gegenüber ist die Armenpolizei heute weit in den Hintergrund getreten. Allerdings ist die Stellung der Armenverwaltung zur Polizei und Pflege in den verschiedenen Staaten sehr verschieden. Während die Armenpolizei wohl überall als notwendiges Element der Verwaltung angesehen wird, ist dies bezüglich der Armenpflege nicht so allgemein der Fall. Man spricht hier von einer fakultativen und einer obligatorischen Armenpflege, was ziemlich, wenn auch nicht vollkommen, zutreffend ist.
Eine fakultative Armenpflege besitzen jene Staaten, welche keine Verpflichtung von öffentlichen Verbanden zur Versorgung etc. kennen, sondern diese von Stiftungen und ähnlichem abhängig machen (Frankreich); allerdings gilt dies nicht bezüglich aller Zweige der Armenpflege. In den Ländern der obligatorischen Armenpflege (England, Deutschland, Österreich) besteht eine Verpflichtung öffentlicher Verbände, als Gemeinden, Genossenschaften etc., zur Fürsorge für die Armen wohl als administrative Pflicht, wenn auch eine Geltendmachung derselben seitens des Bedürfenden kaum einen Erfolg haben dürfte. Im letzten Effekt dürften beide Systeme übereinstimmen, indem eben immer nur jene Mittel aufgewendet werden, welche nicht etwa den Bedürfnissen der Armenpflege, sondern den Finanzen der Verbande entsprechen.
Wenn aber nun die Armenpflege doch schon ihre Stellung in der öffentlichen Verwaltung gefunden hat, so geht lange noch nicht alle Armenpflege von der öffentlichen Gewalt aus. Es wird vielmehr von der Gesellschaft selbst, unmittelbar, d. h. ohne Vermittelung ihrer öffentlichen Organisation, für die Armen Sorge getragen. Geschieht dies aus rein religiösen oder humanitären Motiven an sich, so spricht man von wohlthätigkeit, welcher planmäßiges Vorgehen nicht wesentlich innewohnen muß.
Dagegen kann auch die unmittelbare Fürsorge der Gesellschaft dieselben Grundsätze befolgen wie die öffentliche, und man spricht dann von einer öffentlichen und von einer privaten Armenpflege, wodurch der letztgenannte Ausdruck doppeldeutig wird. Was nun die Subjekte der Armenpflege und zwar zunächst der öffentlichen Armenpflege anbelangt, so wird die letztere nur zum geringsten Teile und meist nur in Zwergstaaten von der Staatsgewalt im engern Sinne, vielmehr fast ausschließlich von den Organen der Selbstverwaltung, früher geradezu nur den Gemeinden, jetzt auch von größern Verbanden ausgeübt; dabei übernehmen die größern Verbande (meist Provinzen, selten Bezirke) gewöhnlich die kostspieligern Arten der Armenkranken-Versorgung u. dgl., die subsidiarische Beihilfe, Dotationen und ähnliches, während der ordentliche Gang der Verwaltung ganz auf den Schultern der Gemeinden liegt.
Die private Armenpflege geht von religiösen Organen, von privaten Vereinigungen und endlich von Einzelpersonen aus. Die letztgenannte Form stellt sich meist als das planlose Almosen dar, welches als Ausfluß religiöser oder humanitärer »Wohlthätigkeit« nicht selten mit der planmäßigen sozial-ökonomischen Armenpflege in direktem Gegensatz steht und die letztere sehr behindert. Von enormer Wichtigkeit ist dagegen jene Spendung von Mitteln, welche seitens der Einzelpersonen nicht direkt an den Bedürftigen, sondern an die Organe der Armenpflege erfolgt und deren Thätigkeit häufig überhaupt erst möglich macht.
Die Armenpflege der kirchlichen Organe ist heute sehr eingeschränkt, da in mehreren katholischen Staaten (z. B. Frankreich, Österreich) deren diesbezügliche Thätigkeit durch das Eingreifen der öffentlichen Gewalt fast ganz beseitigt wurde und eine solche in andern Staaten allmählich außer Übung kam oder, wie in den Gegenden augsburgischen Bekenntnisses, nie recht in Übung stand. Was die weiten Gebiete der griechisch-orthodoxen Religion anbelangt, so entbehren diese der Armenpflege überhaupt fast ganz und auch vollkommen einer kirchlichen Organisierung derselben.
Somit stellt sich als der einzig belangreiche Zweig der privaten Armenpflege die Vereinsarmenpflege heraus, welche im 19. Jahrh. zu einer großen Blüte anwuchs, nachdem die kirchliche Vereinsthätigkeit, die Brüderschaften und ähnliches mit Ende des 18. Jahrh. ihre Bedeutung allmählich eingebüßt hatten. Die dem Zwecke der Armenpflege gewidmeten Vereine scheiden sich in konfessionelle und bürgerliche oder weltliche. Unter den konfessionellen ragen vornehmlich die katholischen Vinzenzius-Vereine hervor, welche eine großartige, in einem Einheitspunkt zusammenlaufende Organisation besitzen; ferner sind verschiedene konfessionelle Frauenvereine, die protestantischen Gustav-Adolf-Vereine und die zahlreichen jüdisch-konfessionellen Vereine zu nennen.
Überhaupt entstanden die Vereine auf dem Boden der Armenpflege zuerst als konfessionelle, und ziemlich spät, meist erst in der zweiten Hälfte des laufenden Jahrhunderts, folgten ihnen, sie vielfach ablösend, die bürgerlichen oder nichtkonfessionellen. Die bedeutendste Rolle unter diesen letztern spielen die Vereine gegen Verarmung und Bettelei, welche nach dem Muster des Berliner Vereins sich allmählich, vornehmlich über die deutschen und deutsch-österreichischen Länder verbreiteten. Sie stehen vollkommen auf sozial-ökonomischem Boden und operieren mit allen Mitteln der rationellen Pflegethätigkeit. Auch auf dem Boden der bürgerlichen Vereine sind, wie auf dem
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konfessionellen, die Frauenvereine stark emporgeblüht. Dabei aber hat sich dann in den bürgerlichen Vereinen eine Spaltung in diejenigen vollzogen, welche dem Armenpflegezweck schlechthin dienen, die sogen. allgemeinen, und in jene, welche nur speziellen Zweigen desselben gewidmet sind; zu diesen letztern gehören vornehmlich die Armenpflegevereine für Zwecke der Schule und Erziehung (Schul-, Kinderfreunde, Beteilungen mit Büchern, Kleidung, Schulspeiseanstalten, Krippen, Besserung verwahrloster Armenkinder etc.), dann die Weihnachtsbaum-Vereine, die Volksküchen-Vereine, die Vereine für Thee- und Suppenanstalten, ferner für Wärmestuben, die Asylvereine für Obdachlose, für Werkhäuser, die Vereine für Arbeitsvermittelung.
Eine ganz besondere Stellung nimmt der Deutsche Verein für Armenpflege und Wohlthätigkeit ein, der sich mit der Ausgestaltung der Armenpflegemethoden befaßt und seine Thätigkeit in jährlichen, von Ort zu Ort wechselnden Zusammenkünften der Mitglieder sowie durch Veröffentlichung von einschlägigen Schriften, Diskussionen, Referaten, Statistiken etc. ausübt. Nun ist es begreiflich, daß ein Nebeneinandergehen von öffentlicher und privater, vornehmlich also Vereinsarmenpflege nicht ungeregelt erfolgen dürfe, soll der Zweck der Armenverwaltung auf die beste Art erreicht werden.
Die Beziehungen, welche sich aus der Erwägung dieses Umstandes ergeben, führen zunächst zu den ganz freien Vereinen, bei denen das bemerkte Moment nicht beachtet wird, und welche demgemäß ganz unabhängig, oft durchaus nicht zur Förderung des Zweckes, neben der öffentlichen Armenpflege einherschreiten; dann zu den mit öffentlichen Elementen versetzten Vereinen, bei welchen die Verknüpfung der privaten mit der öffentlichen Armenpflege als notwendig erkannt und in verschieden intensivem Maße auch durchgeführt ist. Es muß nun als einer der wesentlichsten Fortschritte in der Armenpflege bezeichnet werden, daß die Spaltung in zwei ganz unabhängige Durchführungsgebiete fallen gelassen werde. Dies kann natürlich nur so erfolgen, daß die Vereine ihren Zweck nur im Rahmen der öffentlichen Armenpflege, in steter Fühlung und Unterordnung unter die letztere, zur Durchführung bringen. In dieser Hinsicht ist allerdings noch sehr viel zu thun.
Die gegenwärtige Armenpflege wird in methodischer Beziehung von Prinzipien regiert, von welchen keines übersehen werden darf, soll der Erfolg mit den geringsten Mitteln und größtem Nutzen erreicht werden. Das erste ergibt sich schon aus dem sozial-ökonomischen Charakter des heutigen Armutsbegriffs und verlangt, daß jeder Arme zunächst in stand gesetzt werde, durch Arbeit selbst seine Existenz zu wahren; nur im Falle der Arbeitsunmöglichkeit erfolgt die Erhaltung durch die organisierte Gesellschaft.
Das zweite Prinzip steht in vollkommenem Gegensatz zu der echt individualistischen Auffassung des Almosens, welches nur einzelne Arme kennt, und besteht in der Wahrung der Familie. Jede rationelle Armenpflege muß den einzelnen, der ihr Anlaß zum Einschreiten gibt, aus dem Rahmen seiner Familie heraus beurteilen; danach ist immer das Familienhaupt (Vater, Witwe) das nächstliegende Angriffsobjekt, und daraus ergibt sich auch rein der Begriff der Waisenpflege.
Das dritte Prinzip, dasjenige der Individualisierung, verlangt, daß jeder Einzelfall einer Verarmung mit seinen Ursachen und allen Begleitumständen klargestellt werde, und daß das Eingreifen der Pflege sich genau an diese Eigenart des Falles anschließe; es ist gerade dieses mit dem kritiklosen Almosengeben gleichfalls in vollstem Widerspruch stehende Prinzip, dem die Armenpflege heute ihre größten Erfolge verdankt. Übrigens ist klar, daß mit der Notwendigkeit der Individualisierung der so enorm zahlreichen Armutsfälle nicht nur eine kolossale Anzahl von Pflegepersonen, sondern auch eine ungemeine Verfeinerung des Vorgangs bedingt ist.
Der vierte und letzte Grundsatz endlich ist jener der Konzentration, d. h. jeder Armenpflegevorgang muß mit allen übrigen im Zusammenhang stehen und alle von einem gemeinschaftlichen Punkte aus ihre Leitung empfangen. Die beiden Vorteile, welche sich aus einer konzentrierten Armenpflege ergeben, sind einerseits Geld- und Kraftersparnis und anderseits, was noch wichtiger ist, Vermeidung von vervielfachter Beteiligung und damit vollständige Verhinderung der Professionsbettelei.
Die Forderung nach Konzentration kommt vornehmlich rücksichtlich der Scheidung in die öffentliche und private Armenpflege und innerhalb aller der an einem Orte (z. B. Großstadt) wirkenden Organe der letztern untereinander in Betracht. Sie hat ihren bisher besten Ausdruck in der auch bereits anderwärts nachgeahmten Zentralstelle des Verbandes der Wohlthätigkeitsvereine in Dresden (gegründet 1883) gefunden, ersetzt aber natürlich nicht eine Organisation, welche etwa in der stärkern oder schwächern Verschmelzung aller Armenpflegeorgane zu einem einheitlichen Organ bestehen würde.
Gehen wir nun auf den technischen Prozeß der Armenpflege selbst ein, so begegnet uns zunächst der durchgreifende Unterschied zwischen der offenen und geschlossenen Durchführung der Armenpflege. Die letztere erfolgt in Anstalten, wie z. B. Armen-, Waisen-, Krankenhäusern, Naturalverpflegestationen u. dgl., während der Arme bei der erstern in seinem eignen Heim verbleibt. Die Vorzüge oder Nachteile jeder der beiden Arten sind bei den einzelnen Gebieten der Armenpflege verschieden und die ganze Frage nach der Zweckmäßigkeit des einen oder des andern noch nicht entschieden.
Was die Geldbeteilung und Naturalverpflegung anbelangt, so hat die erstere mit der offenen Durchführung sowie die Naturalverpflegung mit der geschlossenen engere Fühlung, obgleich damit keine Übereinstimmung der Gebiete gesagt ist. Bis heute wurde die Geldbeteilung in Gemäßheit des geldwirtschaftlichen Charakters unserer Zeit auffallend und nicht zum Vorteil der Durchführung bevorzugt; erst in der allerjüngsten Zeit beginnt die Naturalbeteilung, welche in den ersten Tagen der Armenpflege die vorwaltende war, wieder ihren wohlverdienten Platz einzunehmen.
Der Haupterfolg, der mit ihr zu erzielen ist, ist die Vermeidung von leichtfertiger Verwendung der Geldspenden, aber auch die Erzielung einer größern Billigkeit bei der Massenanschaffung oder Selbsterzeugung durch die Gemeinden. Der Gegensatz von vorübergehender und dauernder Verpflegung findet sich nahezu in allen Armenordnungen in irgend einer Weise ausgeprägt. Für gewöhnlich stehen den Pfründen u. dgl. sogen. außerordentliche Unterstützungen etc. gegenüber. In jüngster Zeit beginnt man aber (ob ganz mit Recht, ist noch zu entscheiden) an der Berechtigung einer solchen Zweiteilung zu zweifeln, indem man von dauernder Verpflegung überhaupt absehen will und jede Armenpflege als eine vorübergehende Hilfe ansieht; in ältern Systemen steht dagegen dieser Gegensatz in voller Kraft. Die Scheidung in volle und teilweise Verpflegung kann unter Umständen von Bedeutung werden, ebenso
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wenn es sich um die endgültige administrative Verpflichtung der öffentlichen Organe handelt, der Gegensatz von provisorischer und definitiver Pflege, der speziell für die gegenseitige Stellung und Verrechnung der Gemeinden in Deutschland und Österreich von großer Wichtigkeit ist. Was die viel gebrauchte Unterscheidung in die städtische und ländliche Armenpflege anbetrifft, so verdient dieselbe deshalb Beachtung, weil mit Rücksicht auf die eigenartige Gestaltung des Armenwesens in den Städten, besonders den Großstädten, einerseits gegenüber den Landorten nicht nur eine quantitativ erhöhte, sondern auch qualitativ ganz eigenartige Thätigkeit erforderlich wird.
Was nun endlich die einzelnen Bethätigungsgebiete der Armenpflege anbelangt, so haben sich hier im Laufe der Zeit einige empirisch herausgebildet, ohne daß etwa mit denselben der Kreis der Armenpflege geschlossen sein müßte oder daß nach allgemeiner Anschauung alle erforderlich wären. Insbesondere sind dies die folgenden: Die wichtigste Stelle nimmt die vollständige oder teilweise permanente oder vorübergehende Fürsorge für verarmte Personen, resp. Familien ein, welche man als Armen-Versorgung, Verpflegung, Beteilung etc. mit Pfründen und Unterstützungen etc. bezeichnet.
Für die Minderjährigen oder überhaupt noch Alters wegen unselbständigen Personen nimmt diese Fürsorge die Gestalt der Waisenpflege an. Die Fürsorge für wegen und während einer Krankheit Arme bezeichnet man als Armenkrankenpflege, an welche sich dann die Armenbegräbnisbesorgung anschließt. Eine besondere Ausgestaltung hat die Fürsorge für wandernde Arme in letzter Zeit erhalten, welche in den Zehrgeldern und noch mehr in den Naturalverpflegestationen ihre beste Ausbildung gefunden hat. Eine ganz selbständige Beachtung verdient dann die Hilfe in außerordentlichen Notfällen, welche bei infolge von Elementarereignissen etc. eintretender Massenverarmung notwendig wird und gegenwärtig noch ganz im argen liegt. Kleine Spezialgebiete endlich treten in großer Mannigfaltigkeit auf, wie z. B. Fürsorge für arme Schulkinder, Weihnachtsbeteilungen, Rettungsanstalten, Speise- und Wärmanstalten etc.
Die Armenverwaltung im Deutschen Reich und in Österreich.
Deutsches Reich. Die Länder des Deutschen Reichs bilden (abgesehen von Bauern und Elsaß-Lothringen, wovon später zu sprechen ist) vom Standpunkt der Armenverwaltung ein einheitliches Gebiet, in welchem die Regelung derselben zum größten Teil durch das nach preußischem Vorbild verfaßte Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom erfolgte. Durch dasselbe wurde in Anlehnung an lange bestehende Einrichtungen eine obligatorische Armenpflege der territorialen öffentlichen Verbände eingeführt, welch letztere sich zum Teil in die Aufgaben der Pflege teilen, zum Teil sich bei der Durchführung unterstützen.
Die bezüglichen Organe, welche durch dasselbe eingeführt wurden, sind die Ortsarmenverbände, die Landarmenverbände und die Bundesstaaten als Armenverbände. Von diesen bestehen die ersten aus einer oder mehreren Gemeinden; die zweiten sind in den einzelnen Bundesstaaten verschiedenartig angeordnet und fallen mit den (kleinern) Staaten, den Provinzen (im allgemeinen Preußen), kleinern Distrikten oder endlich dem Gebiet einiger größerer Städte zusammen.
Die Bundesstaaten selbst kommen nur in Ausnahmefällen (bei Überweisungen aus dem Ausland oder bei Ausländern) in Betracht. Die Fürsorgepflicht scheidet sich in die vorläufige und in die endgültige. Zur vorläufigen Fürsorge ist jener Ortsarmenverband verpflichtet, in welchem sich der Hilfsbedürftige bei Eintritt der Hilfsbedürftigkeit gerade aufhält. Dies bildet eine administrative Pflicht der Verbande gegen den Staat und kommt dabei eine etwanige sonstige Beziehung des Bedürftigen zum Ortsarmenverband oder des Verbandes zu einem andern gar nicht in Betracht.
Diese Momente werden erst bei der endgültigen Fürsorgepflicht von Belang. Die endgültige Pflicht der Fürsorge richtet sich nun nach dem Unterstützungswohnsitz. Jeder Ortsarmenverband ist verpflichtet, für jene Hilfsbedürftigen endgültig Sorge zu tragen, welche in demselben den Unterstützungswohnsitz erworben haben. Dieser letztere wird entweder selbständig durch gewöhnlichen ununterbrochenen Aufenthalt in der Dauer von 2 Jahren, oder abgeleitet durch Familienzugehörigkeit erworben; ebenso geht auch der Unterstützungswohnsitz durch zweijährige ununterbrochene eigentliche Abwesenheit oder durch Erwerbung eines neuen Unterstützungswohnsitzes verloren.
Hat ein Hilfsbedürftiger keinen Unterstützungswohnsitz, oder läßt sich ein solcher nicht nachweisen, so tritt der Landarmenverband des Aufenthaltsortes in die Pflicht ein. Überdies liegt den Landarmenverbänden auch ob, solche Ortsarmenverbände zu unterstützen, deren Kräfte für die Armenpflege nicht ausreichen, und ferner steht ihnen die Übernahme kostspieliger Zweige der Armenpflege, von Siechen-, Blinden-, Irren-, Taubstummenhäusern etc. entweder frei oder zu. Es ist begreiflich, daß eine solche Scheidung in vorläufige und endgültige Fürsorge und Abgrenzung der Pflichten der Orts- und Landverbände eine sehr komplizierte Geschäftsführung, insbesondere auch hinsichtlich der einzelnen Ortsverbände untereinander, herbeiführen muß, wofür sehr ausführliche Vorschriften erforderlich sind; auch sind Durchführungen der Angelegenheiten im Streitweg sehr häufig.
Dieser Umstand sowie die Frage, ob gerade ein zweijähriger Termin angemessen, ferner, ob nicht das Eintreten größerer Verbände in erhöhtem Maße zweckmäßig sei, bilden neben der Frage über die Berechtigung des Instituts der Landarmenverbände die Angelpunkte der Reformbewegung auf diesem Gebiet der Verwaltung. Die Gesetzgebung steht dem Reiche zu, während von den Ländern Ausführungsgesetze erlassen werden. Die Organisation der Ortsarmenverbände ist sehr verschieden, wenn man auch durchgreifend die sogen. Armenkommissionen antrifft, welche in einigen Ländern geradezu vorgeschrieben sind. In Bayern besteht immer noch die Fürsorgepflicht der Heimatsgemeinde, zu welcher die Zugehörigkeit eine viel festere ist als bei dem Unterstützungswohnsitz.
Dabei aber besteht auch das Verhältnis einer vorläufigen und endgültigen Fürsorgepflicht, und liegt die Sorge für Heimatlose und Nichtbayern endgültig dem Staat ob. Die Distrikts- und Kreisarmenpflege besteht einerseits in der Unterstützung schwächerer Gemeinden und anderseits in der Errichtung kostspieliger Anstalten, wie solche soeben aufgezählt wurden. Die Schwäche dieses bayrischen Systems besteht vornehmlich darin, daß die Heimatsgemeinden oft für Personen aufzukommen haben, deren Zugehörigkeit sozial eigentlich gar nicht mehr besteht. Man könnte das bayrische System als ein Mittelding zwischen dem deutschen und dem westösterreichischen Pflegesystem bezeichnen, während endlich die Verhältnisse in Elsaß-Lothringen mit
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denjenigen in Frankreich übereinstimmen. Auch diese Spaltung des deutschen Armenpflegegebiets ist ein der Abhilfe bedürftiger Punkt. Dieser feinern Ausbildung eigentlicher Armenpflege gegenüber ist die Armenpolizei verhältnismäßig in den Hintergrund gedrängt worden und gipfelt zumeist in einigen Paragraphen der Strafgesetzbücher, welche sich mit Bettel, Landstreichertum, Verbot von Sammlungen u. dgl. befassen. Die materiell einschneidendste Maßregel vorbeugender Natur ist die Berechtigung der Gemeinden, die Erwerbung des Unterstützungswohnsitzes durch wirtschaftlich haltlose Personen zu verhindern. Die strafgesetzlichen Bestimmungen über Spiel, Trunk u. dgl. sind von minderer Bedeutung. Auf eine spezielle Gestaltung des Finanzwesens nimmt die Armenverwaltung so gut wie gar keinen Einfluß, denn die geringfügigen Bestimmungen über die Verwendungen von gewissen, luxussteuerartigen Charakter tragenden Abgaben (Hundesteuer etc.) sind für die Struktur des Budgets von wenig Belang.
Österreich. Die westlichen Länder Österreichs (ohne den Osten und Süden) tragen vom Standpunkt der Armenpflege aus übereinstimmenden Charakter, trotzdem deren gesetzliche Regelung in die Kompetenz der einzelnen Landtage fällt. Es ist eben die Nachwirkung der gleichmäßigen historischen Ausgestaltung, welche auf die zu Ende des vorigen Jahrhunderts unter Joseph II. nach Graf Bouquoys Beispiel allgemein errichteten Pfarrarmeninstitute zurückgeht.
Mit Beginn der konstitutionellen Zeit, etwa zu Beginn der 70er Jahre, erschienen in fast allen Ländern Gesetze, welche diese Pfarrarmeninstitute aufhoben und die Armenpflege den Gemeinden unterstellten, und in der Gegenwart erfährt diese Gemeindearmenpflege durch zahlreiche Landesgesetze ihre in wesentlicher Übereinstimmung mit den deutschen Erfahrungen stehende Ausbildung. Im übrigen ist nur noch das Heimatsgesetz vom als reichsgesetzliche Grundlage zu erwähnen.
Die Fürsorgepflicht ist ebenso wie im Deutschen Reiche und in Fortsetzung derselben geschichtlichen Entwickelung gleichfalls eine für gewisse territoriale Verbände obligatorische. Diese Verbande sind in erster Linie die Gemeinden und nur in sehr zurücktretendem Maße die Länder oder Bezirke. Die Fürsorge steht ebenso wie auch in Bayern der Heimatsgemeinde zu, falls nicht Stiftungen u. dgl. in erster Linie in Betracht kommen; nur im Falle außerordentlichen und plötzlichen Bedürfnisses muß die Gemeinde die dringlichste Hilfe auch den Gemeindefremden angedeihen lassen, wofür sie dann bei der Heimatsgemeinde Kostenersatz beanspruchen kann.
Wenn man nun bedenkt, daß besonders in größern Gemeinden der Prozentsatz der Zuständigen unter den Anwesenden ein geringer ist (⅓-½), und daß anderseits die Heimatsgemeinde den sozialen Zusammenhang mit ihren auswärts befindlichen Angehörigen zumeist ganz verloren hat, so ergibt sich diese Armenpflicht der Heimatsgemeinden als ein wesentlich reformbedürftiger Punkt. Die Bezirke üben nur in einigen Ländern und zwar meist nur eine fakultative Armenpflege aus, welche wenig erheblich genannt werden kann.
Wichtiger ist dagegen die Stellung der Länder. In erster Linie sind die Lander (neben wenigen Beispielen von Bezirken) jene Verbande, von denen, wie dies auch im Deutschen Reiche vielfach der Fall ist, die größern und kostspieligern Anstalten, wie Siechen-, Blinden-, Taubstummen-, Heil-, Verpflegungs-, Besserungs-, Arbeits-, Rettungsanstalten, erhalten werden, wobei die Gemeinden für ihre untergebrachten Zuständigen zu Beiträgen verpflichtet sind. Daneben besteht noch eine, jedoch verschiedenartig angeordnete Verpflichtung der Länder zur Bestreitung von gewissen uneinbringlichen Krankenverpflegekosten ganz oder zum Teil, von uneinbringlichen Heilkosten der Ausländer und Heimatlosen, von Armenkosten für zwangsweise an Gemeinden heimatsrechtlich Zugewiesene etc. Überdies unterstützen die Länder und Bezirke häufig die Gemeinden bei Aufbringung der Mittel für die Armenpflege, wobei sich der Staat nur im Falle außerordentlicher, durch Elementarereignisse verursachter Massenverarmung durch größere Spenden beteiligt.
Ein Landarmenverband nach deutschem Muster wurde mit Landesgesetz vom in Niederösterreich errichtet und sorgt vornehmlich für die von der Heimatsgemeinde lange (10 Jahre) abwesenden, verarmten landesangehörigen Personen. Was die andern Gebiete Österreichs anbelangt, so stimmen die Verhältnisse in den südlichen Ländern im wesentlichen mit dem italienischen System der Armenverwaltung überein, und es mußte sich auch die Armengesetzgebung der Länder an die überkommenen Einrichtungen der Brüderschaften in Istrien und der Commissioni di pubblica beneficenza in Dalmatien anschließen, um wirkungsvoll sein zu können; insoweit sie dies nicht that, blieb sie meist nur auf dem Papier.
In den östlichen Ländern fehlte es von jeher an indigenen Organisationen, namentlich ganz in der Bukowina, da die griechisch-orthodoxe Kirche der Verbindung mit der Armenpflege ganz entbehrt, aber auch in Galizien, wo die katholischen Einrichtungen einer Armenpflege aus verschiedenen Gründen, zumeist wegen der allgemeinen Armut des Landes und seines administrativen Verfalls, entweder ganz verfielen oder überhaupt nie Eingang gefunden hatten. In diesen Ländern bestehen daher auch gar keine Landesgesetze für Armenpflege, sondern gelten nur neben den alten, auf Grundlage des frühern Systems erschienenen Verordnungen die wenigen Bestimmungen der Gemeindeordnungen.
Vom Standpunkt der Armenpolizei kommt sowohl die Reichs- als auch die Landesgesetzgebung in Betracht. Erstere, neben den auch in deutschem Rechte zu findenden allgemein strafgesetzlichen Bestimmungen, durch das sogen. Vagabundengesetz vom Die Zwangsarbeitsanstalten, welche durch dieses Gesetz in besonderer Weise erforderlich geworden sind, fallen in die Sphäre der Wirksamkeit der Länder, obgleich aus Staatsmitteln erhebliche Kostenbeiträge geleistet werden.
Auch die Errichtung der Naturalverpflegestationen ist Sache der Länder, und zwar besteht eine derartige Institution nach preußischem Muster bereits in Niederösterreich (1886), Mähren (1888), Steiermark (1888), Oberösterreich (1889), Kärnten. Sonst existieren selbstverständlich noch polizeiliche Bestimmungen über Bettelei u. dgl. Bezüglich des Finanzwesens auf dem Gebiet der Armenverwaltung sind nur jene Bestimmungen zu erwähnen, welche schon seit langer Zeit rücksichtlich der Einnahmen der Pfarrarmeninstitute, resp. jetzt der Lokalarmenfonds gelten. Diese sind in erster Linie die Erträgnisse der lokalen Armenstiftungen und Zweckvermögen, dann, ähnlich wie in den deutschen Ländern, einige kleinere Abgaben (Bürgerrechtstaxen, Hundesteuer etc.), ferner leider die Einnahmen aus einer großen Menge von Geldstrafen etc. Im Vergleich zu dem Gesamterfordernis spielen aber auch hier die Spezialeinnahmen keine Rolle. Überhaupt müßte man entweder die gesamten Erfordernisse der
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Armenverwaltung auf Spezialeinnahmen basieren, oder die Armenpflege als ungeschiedenen Teil der Verwaltung betrachten und ihr Erfordernis in den öffentlichen Budgets ungeschieden aufgehen lassen.
Die kommunale Armenpflege.
Aus der vorstehenden Übersicht ergibt sich, daß zwar auch die größern territorialen Verbände, als Provinzen, Landarmenverbände etc., mit der eigentlichen Verwaltung des Armenwesens beschäftigt sind, doch kommen sie nur bezüglich ganz spezieller und auch im allgemeinen weniger relevanter Zweige in Betracht. Die eigentliche Armenpflege lastet, und zwar infolge teils der politisch-rechtlichen Entwickelung, teils der Ausgestaltung von Wirtschaft und Verkehr, doch immer auf den Gemeinden und zwar ganz vornehmlich auf den städtischen, während in den Landgemeinden, wo überhaupt die ganze Angelegenheit weniger Beachtung erheischt, überdies noch von größern Verbänden erhaltene Institutionen, als Naturalverpflegestationen, Arbeiterkolonien etc., in Betracht kommen.
Dazu kommt, daß gerade in den städtischen Gemeinden wegen der Eigenart der sozialen Verhältnisse, z. B. der ökonomischen Bedingungen, das Armutsproblem eine ganz exzeptionelle Bedeutung erhält. Aus diesen Gründen hat auch die sogen. kommunale Armenpflege, unter welcher man gewöhnlich die Armenpflege der größern städtischen Gemeinden versteht, eine besondere Ausbildung erfahren, und geradezu zu einer befriedigenden Lösung des Problems rücksichtlich einer gewissen Größenkategorie von Städten geführt.
Aus den Überresten der Gemeindeverwaltung zur Zeit des absolutistischen Staates, dann infolge der Übernahme der Armenpflege aus den Händen kirchlicher und halbkirchlicher Organe ergab sich für die öffentliche Armenpflege der Städte Deutschlands und Österreichs bei Erlangung der modernen Selbstverwaltungsbefugnis in den ersten und spätern Dezennien des laufenden Jahrhunderts eine im allgemeinen und wesentlichen bis heute beibehaltene Gestaltung, welche man als die magistrale bezeichnen kann.
Damit ist gesagt, daß die Armenpflege den Typus der Gemeindeverwaltung überhaupt trug, den büreaukratischen, schriftlichen Charakter, daß sie von den bestellten Verwaltungspersonen der Gemeinde ausging und im großen und ganzen nur jenem alten reichsrechtlichen Grundsatz gerecht wurde, welcher die Versorgung der Armen durch die Heimatsgemeinden verlangte, was durch eine Beteilung derselben mit Geldbeträgen erfolgte, ohne daß auf das Wesen der Sache weiter eingegangen wurde.
Für gewöhnlich führte eine Armenkommission mit dem Armenbüreau die Geschäfte, wobei bezüglich der erstern die ehrenamtlichen Dienste herangezogen wurden, welchen Charakter auch die Stellung der sogen. Armenpfleger oder Armenväter (Armenräte) an sich trug. Doch blieb unter diesem System die Thätigkeit dieser ehrenamtlichen Hilfspersonen nicht nur rücksichtlich der Zahl der letztern, sondern auch rücksichtlich deren Befugnissen unzulänglich. Es ist begreiflich, daß die Gemeinden besonders mit Hinsicht auf ihr enormes Anwachsen im 19. Jahrh. mit diesem administrativen Zustand ein Auskommen nicht finden konnten, daß die Gemeindearmenpflege geradezu unzulänglich wurde, und es dort, wo diese Verhältnisse noch bestehen, auch heute thatsächlich ist.
Das Problem der Reform der kommunalen Armenpflege bestand also darin, die magistrale Armenpflege den mittlerweile enorm angewachsenen Bedürfnissen der Pflegethätigkeit gemäß umzuwandeln, resp. fortzubilden. In diesem Zustand der Reform befinden sich nun die Städte Deutschlands seit einigen Dezennien, wobei aber die Bewegung eigentlich erst in dem letzten Jahrzehnt lebhaft geworden ist; in den österreichischen Städten kann man erst von einem Beginn der Bewegung seit einigen Jahren sprechen. In dem letztgenannten Staate ist noch fast alles, in Deutschland auch noch sehr viel zu thun.
Das Reformproblem zerfällt in zwei Teile. Zunächst handelt es sich in organischer Hinsicht darum, die mit der Pflege betrauten Organe, Körperschaften und Personen in derartiger Weise zu gestalten, daß sie nicht nur zureichen, sondern auch genügend wirksam ihre Thätigkeit ausüben können, wobei besonders zu beachten ist, daß die mannigfachen Subjekte der Armenpflege, als Gemeinde, Kirche, Vereine etc., in die entsprechende gegenseitige Beziehung gebracht werden.
Zweitens ist es erforderlich, den Gang der Pflegethätigkeit in methodischer Hinsicht in wirksamster Weise durchzubilden, so daß nicht nur der größte Effekt mit den geringsten Mitteln erreicht, sondern auch die Stellung des Armenproblems zur gesellschaftlichen Verwaltung überhaupt richtig aufgefaßt werde. Es ist nun im allgemeinen zu sagen, daß die richtige oder beste Lösung nach beiden Richtungen in verschiedener Weise erfolgen könne, und daß überdies spezielle Kommunalverhältnisse auch eine besondere Art der Lösung bedingen können, daß also von einer an sich besten oder allgemein mustergültigen Anordnung nicht gesprochen werden kann. Was die methodische Seite anbelangt, so ist deren Lösung mustergültig von dem Elberfelder System der Armenpflege erfolgt, während bezüglich der organischen Seite noch andre, auf österreichischem Boden emporgewachsene Systeme zu nennen sind.
Das Elberfelder System der städtischen Armenpflege verdankt seine Begründung dem Oberbürgermeister Daniel von der Heydt und geht in das Jahr 1853 zurück. Die Grundsätze dieses Systems sind in Kürze die folgenden: Jeder Armenpflegefall wird individualisiert, d. h. nach allen seinen Eigentümlichkeiten ermittelt und für sich behandelt;
dabei bildet die Familie stets den Angriffspunkt.
Die Armenväter sind unbedingt zur persönlichen Überwachung sowie zur fortgesetzten Kontrolle und persönlichen Übermittelung der Spenden verpflichtet. Diese Spenden werden durch die Armenpfleger, resp. deren Kollegium unmittelbar bewilligt, so daß das vorgesetzte Verwaltungskollegium nur kontrollierende Funktionen ausübt. Die Zahl der je einem Armenpfleger zugewiesenen Pflegeposten ist so klein zu bemessen, daß die Beschäftigung mit jedem Einzelfall gründlich erfolgen kann; in der Regel entfallen auf je einen Armenpfleger höchstens vier Pflegeposten.
Die Bewilligungen sind keine dauernden, sondern erfolgen stets nur für kurze Termine (14 Tage); dabei sind die Portionen so zu bemessen, daß nur der notwendigste Unterhalt, dieser aber auch effektiv ganz bestritten werden kann. Der Bewilligung von Unterstützungen geht in allen Fällen zuerst die Zuweisung von Arbeit voraus, wenn eine solche nach der Individualität des Hilfsbedürftigen möglich ist. Die Organe bestehen in einer kontrollierenden und normierenden Armenkommission, dann aus den einzelnen sehr zahlreichen Pflegern und endlich aus den Bezirksversammlungen derselben. Die Anforderungen, welche dieses Armenpflegesystem an das Ehrenamt stellt, sind höchst bedeutende. Das Geldbedürfnis für Anschaffung des zum Unterhalt unabweislich Notwendigen, d. h. Nahrung, Kleidung, Obdach und Hausrat, wird in den Städten Elberfelder Systems im allgemeinen auf folgende Summen pro Woche veranschlagt:
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3 Mark - Pf. für das Familienhaupt,
2 Mark - Pf. für die beim Mann lebende Ehefrau,
2 Mark - Pf. für ein Kind von 15 Jahren und darüber,
1 Mark 80. Pf. für ein Kind von 10-15 Jahren,
1 Mark 30. Pf. für ein Kind von 5-10 Jahren,
1 Mark 10. Pf. für ein Kind von 1-5 Jahren,
- Mark 80. Pf. für ein Kind von weniger als einem Jahr,
demnach z. B. auf 12 Mk. für eine aus den genannten Personen bestehende Familie und auf 3 Mk. für eine einzelstehende Person. Nach der ganzen Anordnung des Systems ist ein bedeutender Apparat von Personen, Instruktionen und Formularen, dann Arbeitsvermittelung, Armenküchen, Vorsorge für ärztliche Materialien, Naturalien überhaupt: als Bekleidungs- und Bettwerksgegenstände, Hausrat etc., erforderlich. Dafür ist allerdings zu sagen, daß der Erfolg bei Befolgung dieses Systems nicht ausbleiben kann.
Deshalb ist es als sehr erfreulich zu bezeichnen, daß sich der Kreis der Städte, welche dieses System acceptieren, immer mehr erweitert; bis jetzt sind bereits zu nennen, der Größe nach gereiht: Dresden (eingeführt 1880), Leipzig (1881), Frankfurt a. M. (1883), Bremen (1875), Düsseldorf (1883), Barmen (1862), Krefeld (1862), Dortmund (1874), Essen (1864), Kiel (1871), Potsdam (1882), Duisburg (1862), Darmstadt (1876), Rostock (1881), Zwickau (1883), Elbing (1875), Halberstadt (1863), Hildesheim (1882), Stralsund (1882), Gotha (1884), Guben (1882), Landsberg (1878), Mülheim (1880), Meerane (1881), Greifswald (1885), Oldenburg (1877), Lüneburg (1882), Quedlinburg (1884), Siegen (1877), Kolberg (1885), Luckenwalde (1886), Eilenburg (1883), Neuwied (1870), Ruhrort (1867). Die größte dieser Städte umfaßt ¼ Mill. und die kleinste ca. 10,000 Einw., und nahezu überall hat sich das System vortrefflich bewährt.
Seit 1889 hat es nun auch in Österreich, und zwar speziell in den deutschen Städten Böhmens, Eingang gefunden, zuerst in Trautenau, dann noch in Reichenberg, Pilsen, Warnsdorf etc. Speziell in Trautenau fanden die Prinzipien sinngemäße Anwendung auf die Weihnachtsbescherungen, welche hier auch nach dem Grundsatz der Individualisierung der Fälle erfolgen; eine eigenartige Einrichtung hat dann hier auch das Arbeitshaus gefunden, indem der Verdienst von dessen Insassen den letztern nicht in Geld ausgezahlt, sondern von der Armenverwaltung zur Verbesserung der Existenz in Naturalien verwendet wird.
Wenn nun auch, wie bemerkt, in methodischer Beziehung das Elberfelder System eine endgültige Lösung der Frage nach der Gestaltung der Armenpflege enthält, so läßt sich doch in organischer Beziehung eine andre Gestaltung als ebenso berechtigt denken. Die Schwierigkeit, welche hier zu überwinden ist, ist die Spaltung in die öffentliche (städtische) und Vereinsarmenpflege. Schon im Elberfelder System ist dieser Punkt in trefflicher Weise zum Ausbau der Struktur verwendet worden, indem sich die privaten Kräfte in einem Hauptverein, dem Elberfelder Frauenverein, konzentrieren, der in engster Fühlung und Unterordnung unter die städtische Armenpflege seine Thätigkeit ausübt.
Gerade rücksichtlich dieser Spaltung von öffentlicher und privater Armenpflege liegen in den österreichischen Städten zwei Beispiele vor, welche eine durchgreifende Lösung dieses immerhin sehr hemmenden Umstandes versuchen. Das erste besteht in dem sogen. Gablonzer System. In der Stadt Gablonz in Nordböhmen wird der Versuch gemacht, die gesamte Armenpflege durch den Verein gegen Verarmung und Bettelei durchführen zu lassen, dem die Stadtverwaltung verschiedene Attribute ihrer öffentlichen Funktion zur Verfügung stellt, indem sie sich selbst der eigentlichen Armenpflegethätigkeit enthält. Der Bedarf dieses Vereins, damit der gesamten Armenpflege, wird einfach als Steuer umgelegt. In den südlichen Städten, welche mit italienischen Einrichtungen Verwandtschaft zeigen, entfällt häufig diese Spaltung in die öffentliche und private Armenpflege ganz, indem dieselbe ausschließlich von der Congregazione di carità oder von der Commissione di beneficenza ausgeübt wird.
Was nun die Frage anbelangt, nach welcher Richtung die organische Reform der Armenpflege der noch im Zustand sogen. magistraler Verwaltung dieses Zweiges befindlichen Städte erfolgen soll, muß unterschieden werden, welche Ausdehnung die Städte besitzen. Die Elberfelder Armenpflege paßt für den Hauptstamm der Städte von der Untergrenze von 10-15,000 Einw. bis zu den Städten mit 100,000 Einw. Für die kleinern Städte dürfte die doch immer komplizierte Gestalt des Elberfelder Systems bei der Geringfügigkeit der Verhältnisse weniger erforderlich sein, vornehmlich wenn die industrielle Entwickelung wenig intensiv ist.
Dagegen dürfte in organischer Beziehung die Gablonzer Einrichtung eher anzuempfehlen sein. In den Großstädten aber, besonders in den Millionenstädten, ist vorläufig die Einführung des Elberfelder Systems als kaum möglich anzusehen; hier sind eben die Verhältnisse so ungemein kompliziert, daß die Lösung des Problems der Armenpflegeorganisierung immer lückenhaft bleiben wird, ebenso wie dies bei andern Zweigen der Kommunalverwaltung der Fall ist. Jede der wahren Großstädte bildet eine Individualität für sich, und für gewöhnlich ist auch eine ganz individuelle Gestalt der Armenpflege mit der Großstadt selbst emporgewachsen. Dagegen ist der Hauptkern des Elberfelder Systems in methodischer Beziehung, die Individualisation nebst der Konzentrierung, absolut nirgends zu entbehren.
Armenstatistik.
Auf dem Gebiet der Armenpflege kämpft die Statistik mit so bedeutenden Schwierigkeiten, daß deren Überwindung bisher noch nirgends gelungen ist. Verhältnismäßig noch am besten ist die Erhebung der Verarmungsverhältnisse im Deutschen Reiche und zwar für das Jahr 1885 erfolgt. Den Weg hatte der oben genannte deutsche Verein für Armenpflege und Wohlthätigkeit gewiesen, dessen Vorschläge in statistischer Hinsicht sehr weitgehende Berücksichtigung fanden.
Von demselben Verein stammt bekanntlich auch die Anregung zu der statistischen Erhebung Böhmerts über die Armenverhältnisse in den deutschen Städten. Auf diesen Quellen fußen die folgenden tabellarischen Übersichten, welche die Hauptresultate zur Darstellung bringen sollen. Aus der Tabelle I ergibt sich, daß die Armenziffer für die Gebiete ganzer Staaten (resp. Provinzen) des Deutschen Reiches wohl in den Grenzen von ca. 1,8 bis 9,7 Proz. schwankt, sich jedoch weitaus am häufigsten in den Grenzen von 3-4 Proz. bewegt.
Hohe Zahlen (über 6 Proz.) weisen die Städte Berlin, Lübeck, Bremen und Hamburg, dann aber auch noch Mecklenburg-Strelitz auf. Erheblich unter dem Durchschnitt stehen die Zahlen für einige kleinere Länder. Die Gesamtziffer der Armen im Deutschen Reiche beträgt 887,000 Parteien oder über 1½ Mill. Einzelpersonen, und der Gesamtaufwand pro Jahr 90 Mill. Mk., somit im Durchschnitt 50-60 Mk. für je einen Armen und je ein Jahr. Wenn auch der auf den Kopf enthaltende Jahresbetrag recht bescheiden ist, so müssen doch die Gesamtziffern als höchst
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bedeutende bezeichnet werden und auf die Wichtigkeit dieses Verwaltungsgebiets klar hinweisen.
Vergleichen wir mit den Ziffern der Tabelle I jene, welche die Böhmertsche Armenerhebung über die deutschen Städte für 1883 ergeben hat, so fällt sofort der Umstand auf, daß die Armenziffern in den Städten im Verhältnis zur Bevölkerung erheblich höher sind; die Hauptmenge bewegt sich nicht mehr in den Grenzen von 3-4 Proz., sondern etwa in jenen von 6-8 Proz.; im allgemeinen kann somit gesagt werden, daß die Zahl der Armen in den Städten etwa doppelt so groß sei als im Gesamtorganismus eines Landes, oder da die absoluten Ziffern im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung doch weniger in Betracht kommen, mindestens doppelt so groß sei als auf dem flachen Lande. Die Städte sind in der Tabelle II der Größe nach gereiht; es geht dabei nicht an, einen strengen Zusammenhang der Größe der Stadt mit der Armenziffer anzunehmen, so daß etwa beide parallel wachsen und sinken, dennoch ist unverkennbar, daß die Armenziffer in den größern Städten im allgemeinen höher steht als in den kleinern.
I. Hauptergebnisse der Armenstatistik im Deutschen Reich für das Jahr 1885.
Staaten und Provinzen | Unterstützte pro Jahr | Jahresaufwand der Armenverbände | |||
---|---|---|---|---|---|
Parteien in Tausenden | Personen in Tausenden | auf 100 Einw. | in Mill. Mark | für je eine unterstützte Person in Mark | |
Prov. Ostpreußen | 45 | 78 | 4.01 | 2.9 | 35.9 |
- Westpreußen | 31 | 53 | 3.87 | 3.0 | 44.7 |
Stadt Berlin | 55 | 87 | 6.63 | 7.3 | 91.5 |
Prov. Brandenburg | 37 | 63 | 2.65 | 4.1 | 59.4 |
Pommern | 28 | 50 | 3.34 | 2.7 | 51.6 |
Posen | 27 | 51 | 2.97 | 1.9 | 35.2 |
Schlesien | 75 | 128 | 3.12 | 4.7 | 34.1 |
Sachsen | 33 | 58 | 2.40 | 2.4 | 41.0 |
Schles.-Holst. | 25 | 43 | 3.73 | 3.2 | 73.2 |
Hannover | 31 | 54 | 2.46 | 3.8 | 67.5 |
Westfalen | 32 | 65 | 2.92 | 3.6 | 53.9 |
Hessen-Nassau | 26 | 44 | 2.75 | 3.0 | 68.4 |
Rheinland | 83 | 177 | 4.07 | 10.8 | 61.4 |
Königreich Preußen: | 528 | 953 | 3.37 | 53.4 | 54.8 |
Hohenzollern | 1.1 | 2 | 3.01 | 0.1 | 38.7 |
Königreich Sachsen | 53 | 88 | 2.78 | 5.4 | 60.2 |
Württemberg | 38 | 63 | 3.17 | 3.5 | 53.2 |
Baden | 40 | 68 | 4.27 | 3.5 | 49.0 |
Hessen | 16 | 30 | 3.16 | 1.4 | 46.9 |
Mecklenburg-Schwerin | 15 | 23 | 4.04 | 1.3 | 55.3 |
Sachsen-Weimar | 4 | 7 | 2.17 | 0.3 | 51.3 |
Mecklenburg-Strelitz | 4 | 8 | 8.12 | 0.2 | 24.6 |
Oldenburg | 8 | 12 | 3.73 | 0.9 | 62.0 |
Braunschweig | 8 | 14 | 3.90 | 0.5 | 38.2 |
Sachsen-Meiningen | 3 | 5 | 2.16 | 0.2 | 38.7 |
Sachsen-Altenburg | 2 | 3 | 1.81 | 0.2 | 43.8 |
Sachsen-Koburg-Gotha | 4 | 4 | 2.29 | 0.2 | 37.7 |
Anhalt | 0.8 | 8 | 3.12 | 0.5 | 50.3 |
Schwarzbg.-Sondersh. | 0.8 | 1.4 | 1.88 | 0.1 | 41.9 |
Schwarzbg.-Rudolstadt | 0.8 | 1.6 | 1.87 | 0.1 | 34.7 |
Waldeck | 1 | 1.6 | 2.90 | 0.0 | 17.9 |
Reuß ältere Linie | 0.7 | 1.3 | 2.40 | 0.1 | 30.7 |
Reuß jüngere Linie | 1.5 | 2.5 | 2.32 | 0.1 | 45.9 |
Schaumburg - Lippe | 0.3 | 0.6 | 1.77 | 0.0 | 42.1 |
Lippe | 2 | 4 | 2.94 | 0.1 | 31.3 |
Lübeck | 2 | 4 | 6.17 | 0.2 | 34.2 |
Bremen | 5 | 11 | 6.84 | 0.6 | 50.2 |
Hamburg | 23 | 50 | 9.66 | 3.0 | 60.4 |
Zusammen: | 762 | 1367 | 3.43 | 75.9 | 54.0 |
Bayern | 86 | 152 | 2.80 | 10.1 | 64.1 |
Elsaß-Lothringen | 39 | 73 | 4.70 | 4.3 | 53.3 |
Deutsches Reich: | 887 | 1592 | 3.40 | 90.3 | 55.0 |
II. Die Armenziffern für die deutschen Städte.
Ortsarmenverbände (* Nur offene Pflege.) | Einw. (1880) in Tausenden | Unterstützte Personen überhaupt | Unterstützte Personen auf 100 E. |
---|---|---|---|
Berlin | 1122 | 68754 | 6,12* |
Dresden | 221 | 12311 | 5.58 |
Leipzig | 149 | 8846 | 5.93 |
Königsberg i. Pr | 141 | 11783 | 8.36 |
Frankfurt M | 137 | 9707 | 7.09 |
Stuttgart | 117 | 6021 | 5.13 |
Bremen | 112 | 8490 | 7.55 |
Straßburg i. E | 104 | 10645 | 10,19* |
Magdeburg | 98 | 5042 | 5.17 |
Barmen | 96 | 6990 | 7.29 |
Düsseldorf | 95 | 4224 | 4.42 |
Elberfeld | 94 | 7221 | 7.72 |
Krefeld | 74 | 3797 | 3.79 |
Halle armenwesen S. | 71 | 4782 | 6.69 |
Dortmund | 67 | 3892 | 5.84 |
Posen | 66 | 7031 | 10.70 |
Kassel | 58 | 3240 | 5.56 |
Essen | 57 | 4115 | 7.23 |
Erfurt | 53 | 3359 | 6.31 |
Lübeck | 51 | 3479 | 6.81 |
Potsdam | 48 | 2126 | 4,39* |
Kiel. | 44 | 2606 | 5.98 |
Duisburg | 41 | 2347 | 5.69 |
Darmstadt | 41 | 891 | 2.18 |
Rostock | 37 | 2244 | 6.07 |
Elbing | 36 | 2361 | 6.59 |
Zwickau | 35 | 1230 | 3.51 |
Halberstadt | 31 | 819 | 2,62* |
Stralsund | 29 | 1457 | 4.94 |
Brandenburg armenwesen H. | 29 | 1552 | 5.34 |
Gotha | 27 | 1273 | 4.80 |
Hagen i. W. | 26 | 1800 | 6.84 |
Hildesheim | 26 | 1759 | 6.79 |
Guben | 26 | 1411 | 5.46 |
Trier | 24 | 751 | 3.10 |
Landsberg armenwesen W | 24 | 900 | 3.81 |
Dessau | 23 | 1556 | 6.69 |
Hanau | 23 | 1565 | 6.78 |
Meerane | 22 | 567 | 2.54 |
Schweidnitz | 22 | 364 | 1.64 |
Mülheim armenwesen R. | 22 | 650 | 2.93 |
Tilsit | 21 | 1532 | 7.16 |
Mülheim armenwesen Rh | 20 | 1256 | 6.15 |
Weimar | 20 | 763 | 3.83 |
Greifswald | 20 | 1518 | 7.62 |
Weißenfels | 20 | 513 | 2.61 |
Lüneburg | 19 | 1223 | 6.43 |
Glogau | 19 | 1270 | 6.82 |
Bernburg | 19 | 958 | 5.15 |
Quedlinburg | 18 | 1495 | 8.11 |
Oldenburg | 18 | 414 | 2.25 |
Naumburg armenwesen S | 18 | 731 | 4.09 |
Solingen | 17 | 611 | 3.61 |
Reichenbach i. V | 16 | 551 | 3.34 |
Köthen | 16 | 1079 | 6.68 |
Ludwigsburg i. W. | 16 | 388 | 2.41 |
Koburg | 16 | 464 | 2.94 |
Wismar | 15 | 1335 | 8.60 |
Gleiwitz | 15 | 901 | 5.98 |
Siegen | 15 | 585 | 3.88 |
Luckenwalde | 15 | 459 | 3.12 |
Stendal | 14 | 556 | 3.86 |
Bremerhaven | 14 | 578 | 4.06 |
Hörde i. W. | 12 | 557 | 4.46 |
Anklam | 12 | 486 | 3.93 |
Schönbach | 12 | 574 | 4.65 |
Baden | 12 | 864 | 7.25 |
Neumünster | 12 | 617 | 5.31 |
Sagan | 11 | 216 | 1.90 |
Meiningen | 11 | 492 | 4.38 |
Burtscheid | 11 | 438 | 3.99 |
Eilenburg | 11 | 517 | 4.85 |
Jena | 10 | 341 | 3.90 |
Neuwied | 10 | 619 | 6.41 |
Ruhrort | 9 | 427 | 4.68 |
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Die wichtigste Frage, welche die Armenstatistik außer der fundamentalen und so schwierigen nach der Zahl der Armen zu beantworten hat, ist die ebenso schwierig zu stellende wie zu beantwortende nach den Ursachen, welche zur Verarmung geführt haben (Tabelle III). Das Schema, welches die deutsche Reichsstatistik diesbezüglich angenommen hat, ist zwar ziemlich kurz, liefert aber doch höchst charakteristische Ergebnisse. Sie lehrt, daß, wenn man die Ziffern für das ganze Reich beachtet, die Hauptursachen der Verarmung Verwaisung, Verwitwung und Krankheiten nebst Altersschwäche sind; auf alle andern Ursachen entfallen nicht einmal ganz ein Viertel aller Fälle.
Wenn es gelingt, mittels der Unfall-, Kranken- und Altersversicherung diesem Hauptstamm der Verarmungsursachen, diesen drei Vierteln aller Fälle beizukommen, dann wird die Armut in dem heutigen Sinne bedeutend zurückgedämmt werden. Ferner wird die Form der Armenpflege eine wesentlich andre werden, indem an Stelle der heutigen Pflegeorgane die Einrichtung des Hilfskassenwesens tritt. Ob dabei die Armut im eigentlichen Sinn, d. h. das Angewiesensein auf das denkbar niedrigste Existenzminimum beim Mangel an selbst unumgänglich notwendigen Gütern, geringer wird, das allerdings hängt von den Leistungen des Hilfskassenwesens ab, und es müßten, um diesen Effekt zu erreichen, die auszuzahlenden Quoten höher sein, als sie es jetzt sind. Auf jeden Fall aber wird eine größere Ordnung in das Gebiet der Armenverwaltung hineingetragen und überdies auch in gewissen Grenzen eine Eindämmung der Verarmung herbeigeführt werden.
III. Die Verarmungsursachen im Deutschen Reich und in den Städten (1885, resp. 1883).
Verarmungsursachen | Deutsches Reich (ohne Bayern u. Els.-Lothr.) 77 Städte (nach Böhmert) | ||||
---|---|---|---|---|---|
Zahl der Unterstützten überhaupt | auf jede Ursache entfallen Prozente | Auf 1000 Einw. entfallen Ursachen | Zahl der Unterstützten überhaupt | auf jede Ursache entfallen Prozente und zwar bei den Selbstunterstützten | |
Eigne Verletzung | 29330 | 2.1 | 0.7 | 1948 | 1.1 |
Verletzung des Ernährers durch Unfall | 2623 | 0.2 | 0.1 | 109 | 0.0 |
Tod des Ernährers durch Unfall | 11801 | 0.9 | 0.3 | ↗ | 0.0 |
Tod des Ernährers nicht durch Unfall | 239644 | 17.5 | 6.0 | 5337 | 5.6 |
Krankheit der Unterstützten nicht durch Unfall | 388363 | 28.4 | 9.7 | 75714 | 45.7 |
Körperl. od. geistige Gebrechen der Unterstützten nicht durch Unfall | 167947 | 12.3 | 4.2 | 7338 | 5.9 |
Altersschwäche | 204078 | 14.9 | 5.1 | 16956 | 15.7 |
Große Kinderzahl | 96832 | 7.1 | 2.4 | 25173 | 5.0 |
Arbeitslosigkeit | 74077 | 5.4 | 1.9 | 30874 | 12.5 |
Trunk | 28638 | 2.1 | 0.7 | 2611 | 1.3 |
Arbeitsscheu | 16336 | 1.2 | 0.4 | 1978 | 1.4 |
Andre bestimmt angegebene Ursachen | 106309 | 7.8 | 2.7 | 11339 | 5.8 |
Nicht angegebene Ursachen | 1369 | 0.1 | 0.3 | 109 | ↗ |
Gehen wir auch rücksichtlich der Verarmungsursachen auf den Unterschied von Stadt und Land ein, so sehen wir, daß dieser ebenso charakteristisch wie erheblich ist. In der Stadt ist die Erkrankungsziffer weit größer und die Krankheit weit mehr Verarmungsursache, ebenso wie die Altersschwäche früher eintritt und verderblicher wirkt; alles Folgen der größern Abnutzung und hygienisch ungünstigern Position der Arbeiter in den Städten, endlich aber auch ihrer isoliertern Stellung. Auch die Arbeitslosigkeit tritt weit häufiger auf und ist nicht selten Ursache momentan eintretender Verarmung, und zwar dies um so mehr, je mehr der Arbeitslohn nur ein Fortfristen des Lebens von Tag zu Tag ermöglicht, ohne das Zurücklegen eines Notpfennigs zu gestatten.
IV. Die offene u. geschlossene Pflege im Deutschen Reich 1885 (ohne Bayern und Elsaß-Lothringen).
Gattung der Armenverbände | Offene Pflege | Geschlossene Pflege | ||
---|---|---|---|---|
Personen in Tausenden | Anteil in Prozenten | Personen in Tausenden | Anteil in Prozenten | |
Städtische Gemeinden | 626 | 78.9 | 167 | 21.1 |
Ländliche Gemeinden | 332 | 80.5 | 81 | 19.5 |
Gutsbezirke | 50 | 92.1 | 4 | 7.9 |
Gemischte Bezirke | 55 | 79.6 | 14 | 20.4 |
Ortsarmenverbände zus.: | 1063 | 80.0 | 266 | 20.0 |
Landarmenverbände zus. | 16 | 41.3 | 22 | 58.7 |
Totalsumme: | 1079 | 78.9 | 288 | 21.1 |
Was endlich den Unterschied von offener und geschlossener Pflege anbelangt, so läßt sich sagen, daß im Deutschen Reich etwa ein Fünftel aller verarmten Personen in Anstalten untergebracht werden, während vier Fünftel ihre Versorgung in offener Pflege finden. In dieser letzten Ziffer sind aber auch alle jene zahlreichen Fälle enthalten, in welchen die Beteilung nur einen vorübergehenden Charakter hat. Das Detail ist aus der nebenstehenden Tabelle IV zu entnehmen.
Litteratur. Sammelwerke: Emminghaus, Das Armenwesen und die Armengesetzgebung in den europäischen Staaten (Berl. 1870);
die bezüglichen Abschnitte in Schönbergs »Handbuch der politischen Ökonomie« und im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften« (Jena).
Einzelne Länder: »Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege u. Wohlthätigkeit«, 1886 ff.;
E. Münsterberg, Die deutsche Armengesetzgebung und das Material zu ihrer Reform (in Schmollers »Forschungen«, Leipz. 1887);
Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts (Berl. 1873);
Böhmert, Das in 77 deutschen Städten (Dresd. 1886);
Mischler, Die Armenpflege in den österreichischen Städten und ihre Reform (Wien 1890);
Derselbe, Das Gablonzer System der Armenpflege (in »Deutsche Worte« 1890);
Reitzenstein, Die Armengesetzgebung Frankreichs (Leipz. 1881);
Kries, Die englische Armenpflege (Berl. 1863);
Aschrott, Das englische (in Schmollers »Forschungen«, Leipz. 1885);
Niederer, Das der Schweiz (Zürich 1870);
Tourbié, Dänisches Armenrecht (Berl. 1888).
Statistik: Statistik des Deutschen Reichs, Erhebung für 1885, und zahlreiche Erhebungen in den Einzelstaaten. Italien: »Atti della Commissione Reale per l'inchiesta sulle opere pie I-VIII« (Rom 1886-89);
»Statistique de la France, etc.« Geschichte:
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Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege (2. Aufl., Freiburg 1884); Uhlhorn, Die christliche Liebesthätigkeit (Stuttg. 1882-90,3 Bde.).