Armenkolonien
gehören zu denjenigen Einrichtungen, die man zur Abhilfe der überhandnehmenden Armut vorgeschlagen hat. Dieselben stellen sich die Aufgabe, Arme aus den großen Städten und Industriebezirken auf das Land in abgesonderte Dörfer zu versetzen und dort mit der Urbarmachung und Bebauung des Landes zu beschäftigen. Die Anstalten solcher Art haben indes, wo man ihre Begründung versucht, nur geringe oder keine Ergebnisse geliefert. Zunächst bedarf es zu einer derartigen Kolonisation ausgedehnter Grundstücke, die, wenn auch nicht bereits urbar, doch bebauungsfähig sein müssen, Haben diese Grundstücke schon an sich einen bedeutenden Preis, so erhöhen sich die Kosten der Kolonisation noch dadurch, daß für die Kolonisten Wohnungen und Stallungen hergestellt, Mobilien- und Inventarienstücke angekauft und Betriebsmittel angewiesen werden müssen, daß ferner den Kolonisten mindestens bis dahin, wo sie ihre Erzeugnisse absetzen können, der Unterhalt vollständig gewährt werden muß.
Weder der Staat, noch die Gemeinden, noch die Privatwohlthätigkeit, noch alle drei vereinigt sind daher im stande, vorausgesetzt auch, daß sich ganz geeignete Grundstücke leicht auffinden lassen, ausgedehnte Kolonisationen ganz mittelloser Personen durchzuführen. Sehr schwierig ist sodann die Wahl der Kolonisten. Zuvörderst können erwerbsunfähige Personen gar nicht berücksichtigt werden, und von den erwerbsfähigen sind nur wenige geeignet, unter Aufgebung ihres frühern Erwerbszweigs sich einem neuen, ihnen bisher fremden, dem Ackerbau zu widmen.
Gerade aber diese tüchtigern und gewandtern Arbeiter finden auch sonst ihr Brot [* 2] und bedürfen am wenigsten einer Hilfe. Außerdem läßt sich das Verhältnis der Kolonisten zu den Koloniegründern (Staat, Gemeinde, Privatverein) sehr schwer feststellen. Freie Eigentümer können sie, will man ihnen die Grundstücke nicht geradezu schenken, erst nach einer langen Reihe von Jahren werden, vorausgesetzt noch, daß sehr günstige Umstände eintreten. In der Regel sehen sich die Koloniegründer genötigt, eine schwierige, unangenehme Verwaltung zu führen und unausgesetzt große Opfer zu bringen, die zu dem erzielten Erfolge in keinem Verhältnis stehen.
Von volkswirtschaftlichem Nutzen kann bei der Urbarmachung unbebauter Grundstücke nur dann die Rede sein, wenn der Aufwand
an
Kapital und
Arbeit im Verhältnis zur Wertserhöhung dieser Grundstücke steht. Die ersten Versuche mit Errichtung von Armenkolonien
machten
im
Kleinen der
Freiherr von Voght in Flottbeck bei
Hamburg
[* 3] und der
Herzog von Larochefoucauld zu Liancourt
in
Frankreich. Im großen gelangte der
Gedanke zuerst in
Holland durch den
General
van den
Bosch (s. d.) zur Ausführung.
Derselbe gründete unter dem Schutze des Prinzen
Friedrich und vermittelst eines großen Privatvereins, des Maatschappij
van
Weldadigheed (Wohlthätigkeitsverein), 1818 die
Ackerbaukolonie Frederiksoord in der
Provinz Drenthe für verarmte
Familien. Dieser folgte die Herstellung noch einiger ähnlicher Anstalten für Bettler, Waisenkinder u. s. w.
Von
Holland aus fand die Sache Nachahmung in
Belgien
[* 4] (Wortel, Mexplus, Rezkevoorsel),
Frankreich, England u. s. w. Die meisten
dieser
Anlagen gingen jedoch schon nach einigen Jahren wieder ein oder mußten vollständig umgestaltet werden. Unverhältnismäßig
große Opfer haben alle gekostet, während der angestrebte Zweck nur in sehr geringem
Maße erreicht wurde.
Nicht zu verwechseln mit den Armenkolonien
sind die
Arbeiterkolonien (s. d.). -
Vgl. von Buol-Bernburg, Die holländischen Armenkolonien
u. s. w.
(Wien
[* 5] 1853);
Th. Graß, Die holländischen Armenkolonien
(Dorp. 1845).