Ariosto
,
Lodovico, ital. Dichter, geb. im Sept. 1474 zu
Reggio in der Emilia, wo sein
Vater, Niccolò degli Ariosti, einer altadligen Familie angehörig, Kommandant der Citadelle
war. Ariosto
studierte seit 1489 die
Rechte; mit 20 Jahren erhielt er vom
Vater die Erlaubnis, sich ganz den
schönen Wissenschaften zuzuwenden. Unter Leitung des trefflichen Gregorio von
Spoleto machte er schnelle Fortschritte, wie
schon 1496 die Ode an Philiroe und andere lat.
Poesien zeigten, die aufs glücklichste die Alten nachahmen. 1502 war er
Kapitän
der
Burg von
Canossa und feierte die
Hochzeit des Prinzen Alfonso von
Este mit Lucrezia
Borgia durch ein lat.
Epithalam. 1503 trat er in den Dienst des Kardinals Ippolito von
Este,
Bruders Alfonsos.
Seit 1506 dichtete Ariosto
fast nur noch italienisch. Damals beschäftigte ihn bereits die große ritterlich-romantische
Dichtung
«Orlando Furioso». Für die Theatervorstellungen am
Hofe von Ferrara
[* 2] verfaßte er die Komödien
«La Cassaria» (1508) und «I
Suppositi» (1509),
in der ersten durchaus, in der zweiten weniger abhängig von Plautus und Terenz. Es folgten die Lustspiele «Il Negromante» (1520),
für Papst Leo X. «La Lena» (1528 oder 1529) und «Gli Studenti», das er unvollendet ließ und sein Bruder Gabriele ergänzte; diese sind in reimlosen Elfsilbern (sdruccioli) geschrieben, und in dieser Form arbeitete er auch die anfangs in Prosa geschriebenen ersten zwei Komödien um. Das unstete Leben, zu dem ihn der Kardinal zwang, die vielen Reisen und Gesandtschaften mißfielen ihm auf die Dauer, und 1518 trat er in den Dienst des Herzogs Alfonso von Ferrara. Aber Geldverlegenheit bestimmte ihn 1522, das wenig passende herzogl. Kommissariat in der Garsagnana anzunehmen. Dies eben wieder gewonnene Bergland verwaltete er mit Eifer, konnte aber, inmitten zahlloser Banditen und des Zwistes des Adels, die Ordnung nicht herstellen. 1525 kehrte er nach Ferrara zurück und baute sich dort ein Häuschen ¶
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mit Garten, [* 4] das man noch heute sieht. In den J. 1517-31 entstanden seine Satiren in Terzinen (deutsch von Ahlwardt, Berl. 1794); es sind poet. Episteln an Freunde und Verwandte, Herzensergüsse über die eigene Lage, Urteile über Zeit und Dinge, Lehren [* 5] einer liebenswürdig weltklugen Moral glücklicher Genügsamkeit, gewürzt mit Geschichtchen aller Art. Sie spiegeln treu das Wesen A.s ab, der kein Mann der That, aber eine Natur war, die durch Herzensgüte und bescheidene Rechtschaffenheit erobert. 1516 erschien «Orlando Furioso» in 40 Gesängen, 1521 gab der Autor die 2. Auflage heraus; doch ward das Gedicht vor- und nachher ohne seine Erlaubnis gedruckt.
Der Beifall war unermeßlich, später erweiterte Ariosto
das Gedicht auf 46 Gesänge und gab ihm die Gestalt, in der es heute allgemein
gelesen wird; so war es fertig gedruckt. Seitdem kränkelnd, starb in Ferrara Er ward in der Benediktinerkirche
bestattet, 1573 nach der neuen Kirche gleichen Namens versetzt, wo ihm 1612 sein gleichnamiger Nachkomme
ein glänzendes Grabmal errichtete; dieses ließ 1801 der franz. General Miollis mit den Gebeinen in die Bibliothek von Ferrara
übertragen. 1874 gestaltete sich die 400jährige Feier seiner Geburt zu einem glänzenden Feste.
Der «Orlando Furioso» bildet die Fortsetzung von Bojardos (s. d.) «Orlando Innamorato» und behandelt den Gegenstand ähnlich. Die große gemeinsame Handlung, der Kampf Karls d. Gr. gegen den Sarazenenkönig Agramonte, der in Frankreich eingebrochen ist, bildet nur scheinbar den Kern, um den sich die zerstreute Handlung hin und wieder sammelt. Im Vordergründe stehen die Abenteuer der einzelnen Helden, in denen sich die Kraft [* 6] und Empfindung der Persönlichkeit zu entfalten vermag.
Die mannigfach bewegte und beständig wechselnde Welt des Rittertums ist zum Tummelplatz der Phantasie geworden, die sich
in freiem, leichtem Spiele ergeht. In der Verschlingung dieser Episoden, im rechtzeitigen Abreißen und Wiederanspinnen des
Fadens zeigt Ariosto
die höchste Kunst. Bojardo ist er weit überlegen in der anmutigen Feinheit der Darstellung
und in der psychol. Entwicklung. Die Poesie ist hier nicht getragen von bedeutenden Gedanken und Fragen des wirklichen Lebens;
sie ergötzt die Einbildungskraft.
Der Dichter selbst glaubt nicht ernstlich an die Wesen der mittelalterlichen Rittersage; daher mischt sich, wie
bei Bojardo, in die Erzählung eine feine Ironie, welche die Fabelwelt zerstört. (Vgl. Samosch, Ariosto
als Satiriker, Mind.
1891.) In Ariosto
hat das Kunstideal der Renaissance deutlichsten Ausdruck gefunden. Die Form der Oktave handhabt er mit unvergleichlichem
Geschick und hat die Sprache
[* 7] überhaupt völlig in der Gewalt. Neueste Ausgaben von Gioberti (zuletzt 2 Bde.,
Mail. 1870), Casella (2 Bde., Flor.
1877), Prachtausgabe mit Zeichnungen von Doré und Vorrede Carduccis (Mail. 1880); zahlreiche Übersetzungen (auch lat., span.,
russ. und in ital. Mundarten), deutsch u. a.
von Gries (Jena
[* 8] 1804-9; 4. Aufl., Lpz. 1851-52; neue Ausg.
von Fleischer, 3 Bde., Stuttg. 1888;
Auszug 2 Bde., ebd. 1881), am besten von Gildemeister (4 Bde., Berl. 1882).
Die übrigen Werte A.s erschienen als «Opere minori in verso e in prosa di L. Ariosto»
, hg. von Polidori (2 Bde., Flor.
1857),
eine Gesamtausgabe zuerst Venedig
[* 9] 1730 (2 Bde.). «Lettere
di L. Ariosto»
gab mit einer biogr. Einleitung Cappelli heraus (3. Ausg.,
Mail. 1887).
Biographien A.s schrieben: Barbieri (Ferrara 1773; mit Auszug aus den drei ältern des 16. Jahrh.);
Barussaldi (La
vita de M. L. Ariosto
, ebd. 1803; Flor. 1807);
Fernow (A.s, des Göttlichen, Lebenslauf, Zür. 1809).
Vgl. ferner Campori, Notizie
per la vita di L. Ariosto
(Mod. 1871);
Carducci, Delle poesia latine di L. Ariosto
(2. Aufl., Bologna 1876);
Rajna, Le [* 10] fonti dell' Orlando Furioso (Flor. 1876);
Ferrazzi, Bibliografia Ariostesca (Bassano 1881).