Ariosto
,
Ludovico, einer der drei großen epischen Dichter
Italiens,
[* 2] geb. zu
Reggio, war der Sohn
Niccolò
Ariostos
,
Kommandanten der dortigen
Citadelle.
Schon als
Knabe legte er Proben seiner
Neigung und außergewöhnlichen Begabung
für die
Dichtkunst ab, indem er als Zögling auf dem
Kollegium zu
Ferrara
[* 3] kleine
Dramen nach antiken
Stoffen
abfaßte, die er mit
Hilfe seiner
Geschwister aufführte. Nach dem
Wunsch seines
Vaters widmete er sich der
Rechtswissenschaft,
jedoch mit solchem Widerwillen, daß er nach fünfjährigem
Studium nur sehr geringe Fortschritte gemacht hatte und sein
Vater
ihm daher die
Freiheit ließ, sich seinen Lebensberuf selbst zu wählen.
Nachdem er schon in Ferrara einen guten Grund in den alten Sprachen gelegt hatte, warf er sich jetzt unter der Leitung des tüchtigen Philologen Gregorio von Spoleto mit solchem Eifer auf das Studium des Lateinischen, daß er sehr bald viele seiner gelehrten Zeitgenossen im richtigen Verständnis der römischen Dichter übertraf. Inzwischen starb sein Vater (1500), und die ihm nunmehr obliegende Sorge für seine Familie unterbrach vielfach seine litterarischen Beschäftigungen, ohne ihn jedoch denselben zu entfremden.
Vielmehr fallen in diese Zeit die meisten seiner kleinern italienischen Gedichte, mehrere seiner lateinischen und die beiden Lustspiele: »La Cassaria« und »I Suppositi«, ersteres dem Plautus nachgeahmt und eins der ersten regelmäßigen Lustspiele der neuern Litteratur. Diese Arbeiten machten ihn dem Kardinal Hippolyt von Este, einem Beschützer der schönen Künste, bekannt, der ihn 1503 unter die Edelleute seines Hofs aufnahm und sich seiner zu verschiedenen schwierigen diplomatischen Missionen in Angelegenheiten seines Bruders, des Herzogs Alfons von Ferrara, bediente.
Unter anderm sandte er ihn zweimal in geheimer
Botschaft an den
Papst
Julius II., einmal 1509, um denselben um
Hilfe für
Alfons
gegen die
Republik
Venedig
[* 4] zu bitten, das zweite
Mal 1510, um den erzürnten
Papst über
Alfons' Festhalten an
dem
Bündnis mit
Frankreich zu beruhigen. Beider Aufträge entledigte sich der Dichter mit
Mut und Gewandtheit. Ariosto
blieb 15 Jahre
im
Dienste
[* 5] des
Kardinals und vollendete während dieser Zeit sein berühmtes romantisches
Epos
»Orlando furioso«, welches von
vornherein bestimmt war, das
Haus
Este in der
Person eines der vornehmsten
Helden des Gedichts,
den der Dichter
zum Stammvater des
Hauses macht, zu verherrlichen. Das Werk erschien in seiner ersten Gestalt, dem
Kardinal selbst dediziert, 1516.
¶
mehr
Die mehr als kühle Aufnahme, die dasselbe von seiten des Kardinals fand, verletzte den Dichter, und als einige Zeit darauf
Ariosto
seiner geschwächten Gesundheit wegen es ablehnte, seinem Gebieter nach Ungarn
[* 7] zu folgen, trat zwischen beiden eine Entfremdung
ein, die allmählich bei dem Kardinal in offene Abneigung überging. Doch scheint Ariosto
noch bis zu des Kardinals
Tod (1520) in dessen Diensten geblieben zu sein, um dann sofort in die des regierenden Herzogs Alfons zu treten.
Dieser würdigte ihn seines besondern Vertrauens und verwandte ihn vielfach zu Geschäften, ohne ihn jedoch entsprechend zu belohnen und seine beschränkten Verhältnisse zu verbessern. Auch von der mühevollen Verwaltung des durch Faktions- und Banditenwesen zerrütteten Distrikts Garfagnana, zu dessen Statthalter Alfons ihn 1522 machte, kehrte er nach dreijährigem für ihn höchst unangenehmen Aufenthalt zwar mit dem Bewußtsein erfolgreicher Wirksamkeit, aber nicht wohlhabender als vorher nach Ferrara zurück.
Hier eröffnete sich ihm wenigstens ein seinen Neigungen entsprechendes Feld der Thätigkeit in der Liebhaberei des Herzogs für das in Italien [* 8] eben auflebende Theaterwesen. Er verbesserte seine schon früher geschriebenen vier Lustspiele, arbeitete zwei derselben, »La Lena« und »Il Negromante«, die in Prosa geschrieben waren, in Versen um und leitete die Aufführungen derselben, für deren Glanz der Herzog keine Kosten scheute. Außerdem übersetzte er mehrere Stücke des Plautus und Terenz, die jedoch ungedruckt geblieben, und einige spanische Ritterromane, die ganz verloren sind.
Endlich legte er die letzte Hand [* 9] an sein großes Gedicht, welches, durch sechs Gesänge vermehrt, in endgültiger Gestalt 1532 zu Ferrara in Folio erschien. Mitten in diesen Beschäftigungen überraschten ihn die ersten Anzeichen einer Krankheit, welcher er erlag. Er ward in der Benediktinerkirche zu Ferrara begraben, wo ihm 40 Jahre später einer seiner Verehrer ein Denkmal und 1612 einer seiner Nachkommen ein noch prächtigeres setzen ließ, welches noch heute zu sehen ist.
Von Charakter war Ariosto
rechtschaffen, sanft, bescheiden und hilfreich, wo er konnte, dazu liebenswürdig
im Umgang und einfach in seinen Sitten. Sein unvergänglicher Dichterruhm, der ihm bei seinen Landsleuten den Beinamen il Divino
(der Göttliche) eingetragen hat, beruht vorzugsweise auf seinem großen romantischen Heldengedicht »Orlando furioso«, welches
in seinen 46 Gesängen die Liebe Orlandos zu der schönen Angelika und seinen hieraus entspringenden Wahnsinn
zum Hauptinhalt hat.
Das Gedicht ist eigentlich eine Fortsetzung des »Orlando innamorato« des Bojardo (s. d.) und zu seinem vollen Verständnis die Kenntnis dieses letztern, wenn auch nicht schlechterdings notwendig, doch sehr förderlich. Ein streng regelmäßiges Epos ist der »Orlando« nicht. Vielmehr wird der eigentliche Faden [* 10] der Erzählung fort und fort durch eine Reihe scheinbar nur lose zusammenhängender, dennoch aber aufs kunstreichste miteinander verbundener Episoden, die vom Dichter jeden Augenblick abgerissen und wieder angeknüpft werden, unterbrochen.
Gerade in diesem bunten Wechsel aber liegt der eigentümlichste Reiz des Gedichts, da er dem Dichter Gelegenheit gibt, den ganzen Umfang seines Genius zu entfalten. Reichtum der Phantasie, eine Fülle immer neuer Erfindungen, Glanz, Mannigfaltigkeit und Naturwahrheit der Schilderungen, ein stets wohlthuender Wechsel von Scherz und Ernst, die Schönheit und stete Angemessenheit seiner Gleichnisse, die anmutigste Erzählungsweise und ein Versbau von wunderbarer Leichtigkeit und Harmonie sichern dem »Orlando furioso« den ersten Platz unter den romantischen Heldengedichten und haben ihm zu allen Zeiten die ungeteilte Bewunderung der ganzen gebildeten Welt erworben.
Eine Art Fortsetzung des Gedichts, über deren Plan sich jedoch mit Sicherheit nicht urteilen läßt, bilden die sogen. »Cinque
canti«, welche den Ausgaben des »Orlando« in der Regel angehängt sind. Von Ariostos
übrigen Werken sind
besonders seine sieben in Briefform und in Terzinen geschriebenen und mancherlei autobiographische Mitteilungen enthaltenden
Satiren zu erwähnen. Sie sind ganz im Horazischen Geist und gehören zu den vorzüglichsten der italienischen Litteratur.
Von seinen Lustspielen gilt die »Cassaria«, eine Nachahmung der »Aulularia« des Plautus, für das beste. Auch »I Suppositi«, »La Lena« und »Il Negromante« sind in der Manier der römischen Komiker gearbeitet, stehen aber dem erstgenannten bei weitem nach. Ein fünftes, »La Scolastica«, wurde erst nach seinem Tod von seinem Bruder Gabriel vollendet. Unter seinen vermischten Gedichten sind besonders die Elegien als die ersten von Bedeutung in der italienischen Litteratur bemerkenswert.
Seine lateinischen Gedichte zeichnen sich durch große Reinheit der Sprache
[* 11] aus. Im J. 1845 wurden Bruchstücke eines zweiten,
angeblich von Ariosto
herrührenden Epos: »Rinaldo ardito«, von Giampieri zu Argenta bei Ferrara aufgefunden und in Florenz
[* 12] 1846 herausgegeben;
doch ist die Echtheit derselben zweifelhaft.
Ausgaben von Ariostos
Werken erschienen Venedig 1730, 1741,
1766, 1772. Vom »Orlando furioso« erschienen nach der erwähnten ersten Ausgabe (Ferrara 1532) mehr als 100 Ausgaben; unter den
zahlreichen neuern sind besonders die von Baskerville gedruckte (Birmingh. 1773, 4 Bde.),
die von Morali (Mail. 1818), von Molini (Flor. 1821-22, 5 Bde.; 1823-24, 3 Bde.),
Panizzi (Lond. 1834, 4 Bde.), Gioberti (Flor. 1846, 2 Bde.; zuletzt Mail. 1870, 2 Bde.), Camerini (das.
1870) hervorzuheben.
Die Schauspiele erschienen zusammen Florenz 1724, Venedig 1736; die kleinen Gedichte zuerst daselbst 1546; die lateinischen
Gedichte daselbst 1553. Deutsche
[* 13] Übersetzungen des »Rasenden
Roland« lieferten Heinse (in Prosa, Hannov. 1782-85, 4 Tle.), Lütkemüller (Zür. 1797, 2 Bde.),
Gries (Jena
[* 14] 1804 bis 1809; 4. Aufl., Leipz. 1851, 5 Bde.;
Auszug in 2 Bdn., das. 1881),
Streckfuß (Halle
[* 15] 1818-26, 6 Bde.; neue Ausg.
1849), H. Kurz (Stuttg. 1855, 3 Bde.),
Gildemeister (Berl. 1882, 4 Bde.).
Die Satiren sind übersetzt von Ahlwardt (Berl. 1794). Ariostos
Biographen sind: Pigna, Garafolo, Fornari, Barbieri, Barotti,
Boruffaldi. Mit kritischer Benutzung dieser frühern bearbeitete Fernow »Ariostos
Leben« (Zürich
[* 16] 1809).
Vgl. G. P. Bolza, Manuale Ariostesco (Vened. 1866);
G. Campori, Notizie per la vita di L. Ariosto
, tratte da documenti inediti (2. Aufl., Modena 1871);