Argonauten
die Teilnehmer jenes Zugs hellenischer Helden, der unternommen ward, um von Kolchis das Goldene Vlies zu holen (80 Jahre vor dem Trojanischen Krieg oder um 1350 v. Chr. gesetzt). Iason (s. d.), des Äson Sohn, erhielt von seinem Oheim Pelias, dem Herrscher von Iolkos in Thessalien, auf Heras Veranlassung den Auftrag, das Goldene Vlies (vgl. Chrysomallos) des Widders, auf welchem Phrixos und Helle (s. d.) entflohen waren, aus dem Areshain in Kolchis zu holen, wo es, von Phrixos in einer Eiche aufgehängt, von einem Drachen bewacht ward. Zu dieser Fahrt ließ Iason von Argos, dem Sohn des Phrixos, die 50ruderige Argo bauen.
Das Schiff [* 2] war so groß, wie noch keins gesehen worden, und von einer Holzart, welche im Meer nicht fault; Athene [* 3] selbst hatte den Bau geleitet und an dem Schiff ein Stück dodonäisches Eichenholz angebracht, welches die Gabe zu sprechen und Orakel zu erteilen besaß. Iason forderte hierauf die berühmtesten Helden Griechenlands zur Teilnahme an dem Unternehmen auf. Von diesen Helden, welche sehr verschieden und in sehr verschiedener Zahl genannt werden, sind als die bekanntesten zu nennen: Admetos, Amphiaraos, Amphion, [* 4] Ankäos, Argos (der Erbauer des Schiffs), Herakles, [* 5] Iason, Idas, Idmon, Kalais, Kastor, Kepheus, Laertes, Lynkeus, Meleagros, [* 6] Mopsos, Nestor, Oileus, Orpheus, [* 7] Peleus, Philammon, Polydeukes (Pollux), Polyphemos, Telamon, Theseus, Tiphys, Tydeus, Zetes.
Als sie alle versammelt waren, wurden die Plätze verlost. Iason ward Befehlshaber, Tiphys (und nach dessen Tod Ankäos) Steuermann, Lynkeus machte den Lotsen, Zetes und Kalais beaufsichtigten die Ruderer. Im Vorderteil des Schiffs saß Herakles, im Hintergrund Peleus, der Vater des Achilleus, und Telamon, der Vater des Aias. Iolkos war der Sammelplatz. Bald hatte das Schiff den Hafen von Iolkos hinter sich; Orpheus belebte den Mut mit Harfenspiel und Gesang. Zuerst stieg man am Pelion aus und besuchte Cheiron; dann ging die Fahrt um Chalkidike nach Samothrake.
Von hier wurde das Schiff an die ilische Küste verschlagen und von da nach der Insel Lemnos, wo die Frauen ihre Männer wegen Untreue ermordet hatten und als Amazonen lebten. Sie gewährten den Fremden gastliche Aufnahme, und die Helden würden in der Umarmung dieser Weiber Kolchis vergessen haben, wenn nicht Herakles, der mit einigen Genossen auf dem Schiff zurückgeblieben war, die Säumigen gemahnt hätte. Iason riß sich von Hypsipyle los und bestieg zuerst das Schiff.
Thrakische
Winde
[* 8] trieben es in die
Nähe der phrygischen
Küste nach
Kyzikos, wo die sechsarmigen
Giganten und die friedlichen
Dolionen nebeneinander wohnten.
Letztere nahmen die Argonauten
gastlich auf und unterrichteten sie über den Weg,
den sie zu nehmen hätten. Inzwischen waren aber von der andern Seite der
Insel die »Sechsarmigen« hervorgebrochen und hatten
den
Hafen mit Felsblöcken gesperrt.
Herakles, der auch diesmal nicht vom
Schiff wich, erschoß ihrer viele mit
Pfeilen,
Gleiches
thaten seine zurückkehrenden Genossen.
Rasch wurden darauf die
Anker
[* 9] gelichtet; aber in der
Nacht trieb ein heftiger
Sturm die Argonauten
noch einmal dem
Lande der Dolionen zu, ohne daß sie es erkannten. Ebensowenig erkannten die Dolionen ihre Gastfreunde wieder. König
Kyzikos, der die Ankommenden für
Räuber hielt, begann den
Kampf und wurde von
Iason mit dem
Speer durchbohrt;
die Dolionen flohen. Am
Morgen wurde der
Irrtum offenbar.
Drei
Tage lang trauerten
Hellenen und Dolionen und stellten den
Gefallenen
zu
Ehren Trauerkampfspiele an.
Iason errichtete zur Sühne der
Rhea
[* 10] einen
Altar
[* 11] nebst
¶
mehr
Bildsäule auf dem Berg Dindymos. Doch zürnte sie, und der Sturm hielt die Argonauten
zwölf Tage zurück. Nach mühevoller Fahrt landeten
sie endlich zwischen der Propontis und dem Schwarzen Meer bei der Stadt Kios (später Prusias), wo sie von den Mysiern freundlich
empfangen wurden. Während die Genossen beim Mahl saßen, begab sich Herakles in den Wald, um sich ein neues
Ruder zu holen. Inzwischen war sein Liebling Hylas ausgegangen, um Wasser zu schöpfen, und wurde von den Nymphen in die Flut
hinabgezogen.
Polyphemos hörte seinen Hilferuf, fand ihn jedoch nicht mehr. Während er noch mit Herakles aus war, den Verlornen
zu suchen, segelten die Argonauten
ab. Zu spät vermißten sie die tapfern Gefährten; nun erhob sich Streit darüber, ob sie die
beiden treulos verlassen sollten. Telamon drängte zürnend zur Rückkehr, aber der Meergott Glaukos mahnte zur Weiterfahrt.
Am andern Morgen landeten die Argonauten
an einer Landzunge im Bebrykenland (Bithynien). Der König Amykos hatte
allen Fremden auferlegt, sich mit ihm im Faustkampf zu messen; verächtlich forderte er die Helden heraus, worauf Pollux ihn
tötete.
Dann aber entspann sich ein blutiger Kampf zwischen den Argonauten
und den Bebryken, in welchem die letztern in die Flucht geschlagen
wurden. Die Helden warfen sich auf die Herden der Besiegten und machten reiche Beute. Weiter fahrend, wurden
sie an die thrakische Küste nach Salmydessos verschlagen, wo Phineus, weil er die von Apollon
[* 13] ihm verliehene Wahrsagergabe mißbrauchte,
mit Blindheit geschlagen, von den Harpyien
[* 14] gequält wurde, die ihm seine Speise raubten oder ungenießbar machten.
Den abgemagerten Greis retteten Zetes und Kalais, denen Zeus
[* 15] unermüdliche Fittiche verlieh. Sie hatten
die Ungeheuer erreicht, als Iris erschien und den großen Göttereid schwur, daß die Raubvögel
[* 16] Agenors Sohn nicht mehr beunruhigen
sollten. Dafür verkündete Phineus den Argonauten
, was von ihrem Schicksal die Götter zu enthüllen gestatteten, und zeigte ihnen
den Weg durch die am Eingang ins Schwarze Meer stehenden Symplegaden oder Kyaneischen Felsen, welche alles
Durchpassierende leicht zerquetschten.
Zuerst wurden die Argonauten
durch 40tägige Nordwestwinde aufgehalten, bis Opfer und Gebet halfen. Im besten Segeln begriffen, vernahmen
sie das Krachen der Symplegaden. Mit Hilfe der Athene kam jedoch das Schiff glücklich durch; nur die äußersten
Bretter des Hinterteils wurden zermalmt. Seitdem standen die Felsen still. Auf der Fahrt durchs Schwarze Meer kamen die Helden
zu den Mariandynern, deren König Lykos sie als die Besieger seines Feindes Amykos freundlich aufnahm.
Während sie hier in Ehren und Freuden lebten, wurde Idmon von einem Eber getötet, Tiphys einer Krankheit
Raub. Nach zwölf Tagen kamen sie an die Mündung des Kallichoros, wo sie den ihnen erscheinenden Geist des Helden Sthenelos,
der mit Herakles in den Amazonenkrieg gezogen und hier gefallen war, mit einem Trankopfer ehrten. Weiter fahrend, gelangten
sie an die 96 schlangenartig sich windenden Mündungen des Thermodon. An dem breitesten Ausfluß
[* 17] wohnten
die Amazonen, von denen ein günstiger Westwind die Argonauten
fern hielt.
Nach eintägiger Fahrt kamen sie an das Land der Chalyber, dann noch zu mancherlei Völkern und zur Insel Dia (Aresinsel), wo die stymphalischen Raubvögel hausten, welche ihre ehernen Federn als Pfeile abschossen, vor denen sich die Helden durch Helme und [* 18] Schilde retteten. Auch trafen sie hier die vier Kinder des Phrixos, welche, nach ihres Vaters Tod von ihrem Großvater Äetes, dem Beherrscher des kolchischen Landes, ausgesandt, um die Schätze, die jener in Orchomenos gelassen, abzuholen, durch einen Sturm an diese unwirtliche Küste verschlagen worden waren.
Iason nahm die ihm verwandten Jünglinge mit sich. Nach einer Tagesfahrt sahen die Argonauten
die Spitzen des Kaukasus emporragen und
vernahmen des Prometheus Stöhnen und den Flügelschlag des Adlers, der in dessen Leber wühlte. Nun gelangten sie ans Ziel, an den
Fluß Phasis, in den sie das Schiff ruderten. Links schaute man den ragenden Kaukasus und die Hauptstadt Kyta,
rechts, als Schauplatz der Dinge, die da kommen sollten, Feld und Hain des Ares.
[* 19] Am andern Morgen begab sich Iason mit Telamon und
den Kindern des Phrixos zum König Äetes, um das Goldene Vlies zu begehren.
Äetes versprach es auszuliefern, wenn Iason die feuerschnaubenden, erzfüßigen Stiere, die ihm Hephästos [* 20] geschenkt, anschirre, mit ihnen vier Morgen der Aresflur pflüge und darein die von Phrixos mitgebrachten Drachenzähne säe. Iason verzweifelte an dem Gelingen des Unternehmens. Aber Medea, des Äetes Tochter, eine Zauberin und von Liebe zu Iason entbrannt, brachte ihm eine Salbe, mit deren Hilfe er ohne Gefahr die Stiere jochen und das Feld umackern konnte.
Iason vollbrachte beides, säete die Drachenzähne und veranlaßte nach Medeas Rat die aus der Drachensaat entstandenen Giganten durch einen unter sie geworfenen Stein, einander selbst anzugreifen, so daß er sie nun leicht besiegen konnte. So waren des Äetes Bedingungen erfüllt, und Iason forderte das Vlies. Äetes verweigerte es aber und gedachte über Nacht die Fremden zu erschlagen. Da entdeckte Medea dem Iason ihres Vaters Plan und half ihm bei Nacht das Vlies entführen, nachdem er geschworen, sie zur Gemahlin zu nehmen. Eine siebenfache Mauer umschloß den Hain, und unter der Eiche lag das wachehaltende Ungeheuer, mit den Augen funkelnd und sich zischend den Nahenden entgegenwälzend. Medeas Zauberformeln und ein Zauberöl schläferten jedoch den Drachen ein, Iason ergriff das Vlies und fuhr nun mit seiner Doppelbeute der Mündung des Flusses zu.
Über die Heimfahrt der Argonauten
weichen die Sagen sehr voneinander ab. Die einen lassen sie auf demselben Weg,
den sie gekommen, andre durch den Phasis in den Okeanos, um Asien
[* 21] herum, durch den Nil und teils zu Lande, wo sie das Schiff auf
den Achseln trugen, teils zu Wasser über Libyen (Afrika)
[* 22] durch den See Triton
[* 23] in das Mittelländische Meer
gelangen. Zufolge Apollonios (»Argonautica«) wollten die Argonauten
nach Phineus' Rat nicht auf demselben Weg zurückkehren, sondern
durch den Pontus Euxinus in den Ister (Donau) fahren; die Kolchier folgten ihnen aber und schnitten ihnen den Ausweg ab. Da
sie sich zum Kampf mit deren Anführer Absyrtos, dem Sohn des Äetes, zu ungleich fühlten, knüpfte Iason
Unterhandlungen mit diesem an, ermordete ihn aber meuchlings.
Nach andrer Sage hatte Medea das Kind Absyrtos mit sich genommen, tötete es, als Äetes kam, und warf die Stücke des Leichnams
in das Meer. Äetes sammelte diese und begrub sie bei Tomi, und Iason und Medea entkamen inzwischen. Darauf
gelangten die Argonauten
aus dem Ister in den Adriatischen Meerbusen und gelangten nach Elektris, einer Insel an der Mündung des Eridanos
(Po?), fuhren dann zum Lande der Hylleer in Illyrien, weiter an den Libyrnischen Inseln, an Korkyra, Melite und Kalypsos Insel vorbei.
Auf des Zeus Befehl wurden sie wegen der Ermordung des Absyrtos von Stürmen nach Elektris zurückgeworfen,
wo ihnen das redende Brett der Argo verkündete, daß sie die Heimkehr nicht
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mehr
erlangen würden, wofern sie sich nicht durch Kirke vom Morde des Absyrtos entsündigen ließen. Sie schifften nun den Eridanos hinauf, in den Rhodanos, fuhren mit Hilfe der Dioskuren [* 25] bei den Kelten und Ligurern vorbei zu den Stöchadischen Inseln, von da zur Insel Äthalia (Elba), dann ins Ausonische und Tyrrhenische Meer und nach Aiäa, dem Wohnsitz der Kirke, der Schwester des Äetes, die sie entsühnte, ohne sie zu erkennen, dann aber, als sie hörte, Medea sei bei ihnen, sie vertrieb.
Hera
[* 26] begünstigte die weitere Fahrt. Orpheus' Gegengesang brachte sie glücklich bei den Sirenen vorbei, Thetis und die Nereiden
durch Skylla und Charybdis (Meerenge von Messina),
[* 27] und so kamen sie fröhlich zu dem glücklichen Volk der
Phäaken, dessen König Alkinoos sie gastlich aufnahm. Letzterer, von den einholenden Kolchiern, welche eine Schlacht oder die
Medea forderten, wie von den verfolgten Argonauten
als Schiedsrichter anerkannt, wollte nur die Jungfrau Medea den Kolchiern zusprechen.
Seine Gattin Arete aber wußte Iasons und Medeas eheliche Verbindung zu bewirken, und die Kolchier mußten
verzichten. So zum letztenmal geschützt und reichbeschenkt, segelten die Argonauten
an den Echinadischen Inseln vorbei. Schon sahen
sie den Peloponnes, da verschlug sie ein Sturm in die Syrte. Libysche Nymphen und Poseidon
[* 28] retteten sie, und sie
trugen ihre Argo zwölf Tage und zwölf Nächte bis an den Tritonischen See. Hier fand Mopsos den Tod, Triton aber zeigte ihnen
den Weg in das Mittelländische Meer.
Glücklich erreichten sie Karpathos; aber bei Kreta würde der Riese Talos die Argo, ohne Medeas Zauber, mit seinen Felswürfen versenkt haben. Bei den Sporadischen Inseln rettete sie Apollon aus dem Sturm. Endlich landeten sie auf der Insel Ägina und gelangten in die Heimat. Nach Ovid lebte Äson noch bei Iasons Rückkehr und ward von Medea verjüngt. Iasons Mutter hatte dem Pelias geflucht und sich getötet; auch ihren Sohn Promachos hatte Pelias ermordet. Nun kam Iason und überreichte das Goldene Vlies.
Nachdem er die Argo dem Poseidon geweiht, forderte er Medea zur Rache an Pelias auf. Diese beredete dessen Töchter, ihren Vater zu zerstücken und zu kochen, um ihn so zu verjüngen, wie Medea einen Widder jung gekocht hatte. Akastos aber, Pelias' Sohn, bestattete ihn und vertrieb Iason und Medea aus Iolkos. Sie gingen nach Korinth [* 29] und lebten daselbst glücklich zehn Jahre lang, bis der König Kreon seine Tochter dem Iason verlobte und dieser Medea verstieß. Über die Rache der letztern s. Medea.
Die Argonautensage
, in welcher mythische und geschichtliche Elemente zusammengewoben sind, ist vielfach
poetisch bearbeitet worden, sowohl als Epos wie auch als Tragödie, z. B. von Eumelos, Peisandros, Äschylos, Sophokles u. a.
Was wir besitzen, sind die griechischen Epen des Apollonios und des sogen. Orpheus und das lateinische Heldengedicht des Valerius Flaccus.
Eine ziemlich ausführliche Geschichte dieses Zugs gibt auch Pindar in dem vierten pythischen Siegeslied.
Auch Künstler machten den Argonautenzug
zum Gegenstand ihrer Darstellungen, so Lykios in einem plastischen Bildwerk, worüber
nichts Näheres bekannt ist; der Maler Mikon stellte die Rückkehr der Argonauten
im Tempel
[* 30] der Dioskuren zu Athen
[* 31] dar. Auch das vom Redner
Hortensius um 144,000 Sesterzien angekaufte Gemälde des Kydias behandelt die Argonautensage (vielleicht
dasselbe, welches später im Porticus Neptuni oder Argonautarum zu Rom
[* 32] aufgestellt war). Unter den noch vorhandenen Kunstwerken
ist die Darstellung der Besiegung des Amykos
durch Polydeukes auf der sogen. Ficoronischen Ciste (s. d.) in Rom als das schönste
uns erhaltene Werk der zeichnenden Kunst der Alten zu nennen. Auch auf Vasenbildern ist der Mythus mehrfach
behandelt. Von neuern Darstellungen verdienen Erwähnung: der Argonautenzug von Carstens (hrsg. von Riegel, Leipz. 1884, 24 Tafeln)
und der Szenen daraus enthaltende Fries von Schwanthaler in der Residenz zu München.
[* 33]
Vgl. Vater, Der Argonautenzug (1845), und Stender, De Argonautarum expeditione (Kiel [* 34] 1874).