Titel
Aretino
,
1) Pietro, ital. Dichter, geb. zu
Arezzo, genoß als natürlicher Sohn eines
Edelmanns, Luigi Bacci, eine höchst mangelhafte
Erziehung, zeigte aber frühzeitig
ein bedeutendes
Talent für satirische Gedichte, deren eins (ein beißendes
Sonett auf den Ablaßhandel) seine
Verbannung aus
der Vaterstadt zur
Folge hatte. Aretino
ging nach
Perugia, wo er kurze Zeit das Buchbinderhandwerk trieb, sodann (1517) nach
Rom.
[* 3] Hier fand er am päpstlichen
Hof
[* 4] eine kleine
Anstellung und für seinen Hang zu witzigen und unzüchtigen
Gedichten volle
Nahrung.
Schon war er in ganz Italien [* 5] deshalb gefürchtet, als er sich durch 16 schamlose Sonette (»Sonetti lussuriosi«),
die er als
eine Art
Kommentar zu ebensoviel obscönen
Zeichnungen von
Giulio Romano verfertigt hatte, auch die
Verbannung aus
Rom zuzog (1524).
Aretino
fand bald einen neuen
Gönner an
Joh. von
Medici in
Florenz
[* 6] und begleitete diesen nach
Mailand
[* 7] zu
Franz
I. von
Frankreich, der großes
Gefallen an seinem
Witz fand und seine Rückkehr nach
Rom vermittelte.
Dort wurde er infolge eines
Liebeshandels von einem Nebenbuhler meuchlings überfallen und gefährlich verwundet, und da er nach seiner
Genesung keine
Genugthuung vom
Papst erhalten konnte, verließ er
Rom abermals und kehrte zu
Johann von
Medici zurück, der, in
einem
Treffen verwundet, in Aretinos
Armen starb. Aretino
wandte sich nun (1527) nach
Venedig,
[* 8] um hier, wo er alle
Freiheit für seine
Ausschweifungen wie für seine satirische
Feder fand; nur von dem
Ertrag der letztern zu leben.
Sein
Ziel war jetzt,
Geld zu gewinnen, und bei der Leichtigkeit, mit welcher er arbeitete, und der Schlauheit, womit er die
Großen auszubeuten verstand, gelangte er bald zu großem Wohlstand. Selbst
Kaiser
Karl V. und König
Franz I. beschenkten ihn
mit goldenen
Ketten. Der erstere bot ihm sogar die Ritterwürde an, die Aretino
aber ausschlug. Während
Clemens
VII. in der
Engelsburg gefangen saß, wurde er von in
Schmähschriften aufs heftigste angegriffen. Nach des
Papstes
Befreiung
aber vermittelte dessen Majordomus Vasone eine Aussöhnung, und
Clemens verzieh dem reuigen Satiriker. Ungeachtet der
Fruchtbarkeit
seines
Geistes konnte jedoch Aretino
nicht alle seine zahlreichen
Arbeiten allein vollbringen, zumal es ihm
für manche fast ganz an gelehrten Kenntnissen fehlte. Er nahm deshalb
¶
mehr
in der Person des berüchtigten Niccolò Franco (s. d.), seines Geistesverwandten, der ihm aber an Wissen weit überlegen war, einen Hilfsarbeiter zu sich, der ihn mit seinem Rat und seiner Feder unterstützte. Inzwischen hatten seine bessern Schriften ihm eine große Anzahl von Bewunderern erworben, man nannte ihn »den Göttlichen« (il Divino), und nicht nur aus allen Teilen Italiens, [* 10] sondern selbst aus dem Ausland empfing er Besuche. Stets darauf bedacht, sich auf gutem Fuß mit dem römischen Stuhl zu erhalten, verfaßte er abwechselnd mit den obscönsten Schriften auch Erbauungsbücher, wie: »L'umanità di Cristo«, »La vita di Maria Vergine«, eine Übersetzung einiger Psalmen u. a. Als Julius III. den päpstlichen Stuhl bestieg, gratulierte ihm in einem Sonett, wofür er mit 1000 Goldkronen und dem Orden [* 11] des heil. Petrus belohnt wurde.
Als ihn drei Jahre später der Herzog von Urbino dem Papst selbst vorstellte, nahm ihn dieser sehr ehrenvoll auf, schlug ihm
jedoch den Wunsch, Kardinal zu werden, lachend ab. Sehr verstimmt kehrte Aretino
nach Venedig zurück, um es
nicht wieder zu verlassen. Er starb daselbst 1557, indem er vor Lachen über ein leichtsinniges Abenteuer einer seiner ebenso
zügellosen Schwestern vom Stuhl fiel und den Hals brach. Aretino
war unstreitig ein Mann von bedeutendem Talent,
den nur seine Unwissenheit und Sittenlosigkeit hinderten, sich einen ehrenvollen Platz in der Litteratur seines Vaterlands
zu erwerben, während sein Name jetzt nur mit Verachtung genannt wird.
Von seinen zahlreichen Werken sind seine fünf Komödien in Prosa: »Il Marescalco«, »La Cortigiana«, »L'Ipocrito«, »La Talanta«, »Il Filosofo« (Vened. 1553-1560 u. öfter),
welche durch Witz, Originalität und dramatische Lebendigkeit zu den besten der italienischen Litteratur gehören,
sowie die Tragödie »Orazia« in Versen (das. 1546-49) die einzigen, welche ihm Ehre machen. Die meisten übrigen sind von der
krassesten Obscönität. Am bekanntesten darunter sind die berüchtigten, dem König Franz I. gewidmeten »Ragionamenti« (1535-38, 3 Tle.,
u. öfter; ins Französische übersetzt unter dem Titel: »Les dialogues du divin P. Aretino«
, Par. 1879),
ein drastisches Gemälde der sittlichen Verderbnis in den höhern Ständen Italiens und deshalb von unzweifelhaftem sitten- und kulturgeschichtlichen Wert. Wichtig für die Zeitgeschichte sind auch seine »Lettere familiari« (Vened. 1538-57; Par. 1609, 6 Bde.). Sein Leben hat Mazzuchelli beschrieben (Pad. 1741). Vgl. Franc. de Sanctis, Pietro (in der »Nuova antologia«, 1870);
Chasles, L'Arétin, sa vie et ses écrits (Par. 1873);
Sinigaglia, Saggio di uno studio su P. Aretino
(Neapel
[* 12] 1882);
Samosch, Pietro Aretino
(Berl.
1881).