Archäologie
(grch.) oder Altertumskunde, im allgemeinen die Kunde der Geschichte, Sitten, Gebräuche, Gesetze, Mythen u. s. w. eines Volks des Altertums. Schon Dionysius von Halikarnaß und Josephus haben in diesem Sinne ihre Werke über die Geschichte Roms und des jüd. Volks, «Archeologia Romana» und «Archeologia Judaica» überschrieben. Im neuern Sprachgebrauch wird das Wort gewöhnlich in beschränkterm Sinne nur auf die Wissenschaft von den alten Denkmalen, die nicht als Schriftwerke, sondern in festem Material von Stein, Erz u. s. w., auf uns gekommen sind, angewendet.
Namentlich seit K. O.
Müller wird der
Name Archäologie
fast überall nur im engern
Sinne von Kunstarchäologie
gebraucht. Der eigentliche
Begründer der modernen Archäologie
ist
Winckelmann. Vor ihm hatte man sich in
Bezug auf die alte Kunst entweder
mit der rein künstlerischen
Auffassung und Nachahmung begnügt, wie dies vor allem bei den
Humanisten und Künstlern der ital.
Renaissancezeit der Fall war, oder man verhielt sich zu ihr rein antiquarisch, d. h. man betrachtete,
namentlich in dein Zeitraume von 1500 bis 1750, die alten Kunstdenkmale vorzugsweise wie die
Inschriften
als Handhaben und Hilfsmittel antiquarischer und insbesondere mytholog.
Gelehrsamkeit. Die von
Winckelmann geschaffene Grundlage hat die Archäologie
nicht wieder verlassen. Nach
Winckelmann sind die bedeutendsten
Archäologen: Visconti, Fiorelli,
de Rossi in
Italien,
[* 2] de Witte, Lenormant, Froehner, Rayet in
Frankreich,
Zoega
in
Dänemark,
[* 3] Newton, Murray in England, J. H.
Meyer, K. Archäologie
Böttiger, F. G.
Welcker, K. O.
Müller, E. Gerhard, der sich namentlich
durch Gründung des Archäologi
schen
Instituts in
Rom
[* 4] ein wesentliches Verdienst erworben hat, ferner Roß, O.
Jahn,
Brunn, Friederichs,
Curtius, Michaelis, Conze,
Kekulé in
Deutschland.
[* 5] - Die jüngste Zeit hat besonders durch die großen
Ausgrabungen in
Troja,
[* 6] Tirvas und Mykenä,
[* 7] in Olympia, Pergamon
[* 8] und
Athen
[* 9] der
¶
mehr
kunstgeschichtlichen Forschung wieder bedeutende Aufgaben gestellt; eine lebendigere Anschauung wurde gewonnen, und die Periodisierung der griech. Kunstgeschichte baut sich auf neuen Grundlagen auf.
Größere Abbildungswerke über das Gesamtgebiet der griech. Kunst, mit Ausschluß der modernen, sind nicht vorhanden. Eine Auswahl enthält Menge, «Einführung in die antike Kunst» (Lpz. 1880, zusammengestellt aus den «Kunsthistor. Bilderbogen»); Baumeister, «Denkmäler des klassischen Altertums» (3 Bde., Münch. 1885-88). Das Gesamtgebiet der griech. und der griech.-röm. Kunst mit Ausschluß der Architektur begreift der jetzt freilich auch in seinem ersten kuustgeschichtlichen Teile veraltete Atlas [* 11] der «Denkmäler der alten Kunst» von K. O. Müller, fortgesetzt von Wieseler (2 Bde., Gött. 1834-46; 2. und 3. Bearbeitung 1854-81). Die bis dahin bekannten, überwiegend der griech.-röm. Kunst angehörenden statuarischen Werke faßt Clarac, «Mesée de sculpture» (6 Bde. Text u. 6 Bde. Atlas, Par. 1826-53),
zusammen; eine Auswahl hervorragender Stücke in guten Reproduktionen giebt Rayet, «Monuments de l'art antique» (2 Bde., Par. 1884). Ein großes Tafelwerk, welches alle wichtigern Werke der Plastik in Lichtdruck wiedergeben soll, wird von Brugmann und Brunn (München) [* 12] veröffentlicht. Abbildungswerke der gemalten Thongefäße s. Vasen, [* 13] der erhaltenen Wandgemälde von Pompeji [* 14] und Herculanum s. unter diesen Artikeln; über die in und bei Rom gefundenen Wandgemälde vgl. die Werke von Bartoli und Bellori, Raoul-Rochette, Peintures antiques inédites (Par. 1836); Wörmann, Die antiken Odysseelandschaften (Münch. 1876), und besonders Mau, Geschichte der dekorativen Wandmalerei (Berl. 1882).
Das beste Handbuch der Archäologie
ist noch immer das von K. O. Müller (3. Aufl.von Welcker, Bresl. 1848); das «Handbuch der der Kunst»
von Stark (1. und 2. Lfg., Lpz. 1878-80) ist durch den Tod des Verfassers auf die Einleitung: «Systematik
und Geschichte der der Kunst», beschränkt geblieben.
Vgl. ferner: H. Brunn, Geschichte der griech. Künstler (2. Aufl., 2 Bde., Stuttg. 1888 -89);
Overbeck, Geschichte der griech. Plastik (4. Aufl., 2 Bde., Lpz. 1892 - 93);
ders., Griech. Kunstmythologie (Bd. 1-3, ebd. 1881-87);
ders., Atlas der griech. Kunstmythologie (Lfg. 1-5, ebd. 1872-87);
Perrot und Chipiez, Historie de l'art dans l'antiquité (Bd. 1-6, Par. 1881-93);
von Sybel, Weltgeschichte der Kunst (Marb. 1888);
Collignon, Handbuch der griechischen Archäologie
, deutsch von
Friesenhahn (Lpz. 1893).
Die wichtigsten Zeitschriften sind die Veröffentlichungen des (deutschen) Archäologischen Instituts (s. d.), das von der franz. Schule in Athen herausgegebene Bulletin de correspondance hellénique, das Journal of Hellenic studies, das American Journal of archaeology, die Revue archéologique, die Gazette achéologique, die Comptes rendus de la commission impériale archéologique (Petersburg), [* 15] das Bullettino della commissione municipale archeologica (Rom).
Nach Vorgang und Vorbild der klassischen Archäologie
hat sich die christliche oder kirchliche Archäologie zu
einer eigenen Wissenschaft ausgebildet, als deren eigentlicher Schöpfer der Engländer Bingham («Origines
ecclesiasticae or the antiquities of the Christian Church, 10 Bde., Lond.
1710-22; lateinisch von Grischovius, Halle
[* 16] 1724 -30) betrachtet werden kann. In Deutschland hat im Anfange
des 19. Jahrh.
besonders Augusti (sein Hauptwerk "Denkwürdigkeiten aus der christlichen Archäologie"
, 12 Bde.,
Lpz. 1817-31) die christliche Archäologie
gefördert; doch gab ihr erst die wiedererblühende
Katakombenforschung eine festere Basis und größere Bereicherung. Sie umfaßt die altchristl. und die mittelalterliche Zeit
und wird am zweckmäßigsten gegliedert in der kirchlichen Verfassung, des kirchlichen Kultus, des christl.
Lebens und der christl. Kunst. Davon ist zu unterscheiden die der christl.
oder kirchlichen Kunst (s. Altchristliche Kunst), die sich ausschließlich auf die Kunstdenkmäler
richtet und sie nach Inhalt und Bedeutung verständlich zu machen sucht. -
Vgl. die Schriften von Otte (s. d.);
ferner Vict. Schultze, der christl. Kirche (im «Handbuch der theol. Wissenschaften», hg. von Zöckler, Bd. 2, 3. Aufl., Münch. 1889);
Kraus, Über Begriff, Umfang, Geschichte der christlichen und die Bedeutung der monumentalen Studien für die histor.
Theologie (Freiburg [* 17] 1879); ders., Realencyklopädie der christl. Altertümer (2 Bde., Freib. i. Br.1880-86).-
Über biblische s. Biblische Altertumskunde.
Außerhalb Deutschlands
[* 18] wird Archäologie
oder Archäographie häufiger in dem allgemeinen Sinne von Altertumskunde gebraucht. So giebt
es in Rußland archäologische Gesellschaften (in Petersburg, Moskau,
[* 19] Odessa,
[* 20] Kasan,
[* 21] Tiflis u. a.) zur Erforschung der Altertümer
Rußlands. Den gleichen Zweck verfolgen die archäologischen Kongresse daselbst (acht seit 1869). Die archäographischen
Kommissionen (in Petersburg, Wilna,
[* 22] Tiflis, Kiew)
[* 23] durchforschen die Bibliotheken und Archive Rußlands und veröffentlichen Urkunden.
Das Archäologische Institut in Petersburg hat nur den Zweck, Archivare auszubilden.