Unterrichtsanstalten, in welchen den
Schülern nicht sowohl bildende Kenntnisse als nützliche gewerbliche
Fertigkeiten beigebracht werden.
Schon im vorigen
Jahrhundert brach sich vielfach die Überzeugung
Bahn, daß beide
Arten des
Unterrichts in der
Volksschule zu verbinden seien, da diese vorwiegend die
Jugend der arbeitenden
Klassen
vorzubilden habe, für deren glückliches Fortkommen neben einem bescheidenen
Maß geistiger
Bildung ganz besonders die Geschicklichkeit
der
Hände von Bedeutung zu sein schien. An vielen
Orten suchte man auch durch die
Handarbeiten den
Schülern einen kleinenVerdienst
zu sichern, um
so den Schulbesuch zu befördern und ärmere Eltern für den
Ausfall an häuslicher
Arbeit zu entschädigen.
Ein allgemeiner deutscher
Verein zur Beförderung des
Handfertigkeitsunterrichts wurde 1881 unter Vorsitz von ArbeitsschulenLammers in
Bremen
[* 17] begründet. Derselbe hielt seine vierte Jahresversammlung 1884 in
Osnabrück, wo von verschiedenen Seiten über erfreulichen
Fortgang der
Sache berichtet werden konnte.
Vgl.
Clauson-Kaas, Die Arbeitsschule neben der Lernschule (im »Arbeiterfreund«,
Berl. 1876, Heft 2 u. 3);
Unter dieser Überschrift ist bisher (vgl. Bd. 1 u.
17) über das Streben, auch bei den Knaben den Unterricht in gewissen Handfertigkeiten allgemein einzuführen, und namentlich
über die Fortschritte des deutschen Vereins für erziehliche Knabenhandarbeit berichtet worden. Der Verein
und mit ihm die Sache, die er vertritt, haben aus den letzten Jahren bedeutende Erfolge zu verzeichnen. Die Frage des Handarbeitsunterrichts
für die männliche Jugend beschäftigt immer weitere Kreise.
[* 19] In Frankreich ist dieser Unterricht durch Erlaß des Unterrichtsministers
vom allgemein und pflichtig in sämtlichen Volks- und Bürgerschulen sowie demgemäß in den
Lehrerbildungsanstalten eingeführt worden.
Nach neuern amtlichen Berichten sind thatsächlich 180 Normalschulen (Seminare) und 220 höhere Volksschulen in Frankreich mit
eignen wohlbesetzten Werkstätten ausgerüstet, während in 12,000 Volksschulen die Handarbeit der Knaben mit einfachern Mitteln
betrieben wird. Amtliche Einfügung dieses neuen Zweiges in den Lehrplan der öffentlichen Volksschule ist
ferner vom Jahre 1891 an durch ein neues Schulgesetz in Norwegen festgesetzt worden. In den übrigen Ländern der gebildeten
Welt steht wenigstens dieser Gegenstand überall mit im Vordergrund der öffentlichen Interessen und wird gleicherweise vom
pädagogischen wie vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus immer mehr gewürdigt. Das deutsche Handfertigkeitsseminar
zu Leipzig, dessen verdienter Leiter, Dr. W.Götze, jetzt ganz in den Dienst des
¶
mehr
Vereins übergetreten ist, entfaltet rege Thätigkeit und hat in den letzten beiden Jahren je drei Lehrkurse (Ostern, Juli,
August) von 4-8 Wochen unter zahlreicher Beteiligung von Lehrern aller Stufen abgehalten. Gleichzeitig wird aus Schweden berichtet,
daß das dortige Slöjdseminar zu Nääs bei Gotenburg geradezu großartige Ausdehnung
[* 21] angenommen hat. Es enthält
außer der Wohnung des bekannten Vorstehers Otto Solomon (Björkenääs) Werkstätten für etwa 100 Zöglinge mit den entsprechenden
Räumen für Vorträge, gesellige Zusammenkünfte, Wohnung etc. In dem Jahrzehnt von 1879 bis 1889 sind dort gegen 1100 Lehrer
aller Schularten für den Handfertigkeitsunterricht ausgebildet; davon etwa 900 aus Schweden, von den übrigen
die Mehrzahl aus England und Finnland.
Namentlich englische Lehrer strömen in Scharen herbei, so daß z. B. im letzten Jahre von 130 englischen Bewerbern über 100 zurückgewiesen
werden mußten. Auch die Regierungen haben in Deutschland angefangen, der BewegungAufmerksamkeit zuzuwenden. Bereits 1886 bewilligte
der Landtag im KönigreichSachsen
[* 22] 5000 Mk. jährlich zur Förderung des Arbeitsunterrichts. Im März 1889 ging
auch im preußischen Landtag die Forderung von 14,000 Mk. für den neuen Staatshaushaltsetat anstandslos durch, wovon 5000 Mk.
dem Verein überwiesen sind, denen der Reichskanzler aus Reichsmitteln den gleichen Betrag hinzugefügt hat. Unter den günstigsten
Anzeichen konnten so der neunte Kongreß für erziehliche Knabenarbeit in Hamburg
[* 23] und der zehnte
zu Straßburg
[* 24] abgehalten werden.
Unter den Lehr- und Erziehungsanstalten, an denen der Arbeitsunterricht für die männliche Jugend eingeführt ist, befinden
sich 12 Lehrerseminare, 13 Volks- und Privatschulen, 14 Waisenhäuser, 45 Knabenhorte. Im ganzen sollen 1889 in Deutschland wenigstens 180 Schülerwerkstätten
an 107 Orten mit 5500 Zöglingen bestanden haben. Lehrend waren in diesen Werkstätten etc. 199 Lehrer
und 48 Handwerker thätig. Mit den Kongressen für erziehliche Knabenarbeit waren auch Ausstellungen von Schüler- und Lehrerarbeiten
verbunden, die neben manchen erfreulichen Erzeugnissen aber doch zeigten, was auch die Verhandlungen ergaben, daß die Ansichten
über die Ziele, welche auf diesem Gebiet zu erstreben sind, noch recht weit auseinander gehen.
Neben wahren Kunstprodukten, deren Herstellung den damit beschäftigten Knaben schwerlich erfrischende Erholung gegenüber
der eigentlichen Schularbeit gewährt hat, sah man auch sehr einfache und rohe Arbeiten, die für die ästhetische Bildung
keinen rechten Wert haben. Der Berichterstatter der »Deutschen Schulzeitung« über die StraßburgerAusstellung
empfiehlt als besonders glücklich den Lehrgang des Gymnasiallehrers Fischer zu Zabern
[* 27] i.
Els., der in naturgemäßer Folge vom
Leichtern zum Schwerern fortschreitet und die Handfertigkeitsübungen thunlichst eng an das Zeichnen schließt.
Auch der Beschluß des zehnten Kongresses, daß der Handarbeitsunterricht »in den städtischen
Volksschulen wie an den höhern Lehranstalten, besonders aber in den Lehrerbildungsanstalten überall da, wo die Voraussetzungen
gegeben sind, wahlfrei einzuführen sei«, kam nicht ohne lebhaften Widerspruch solcher Schulmänner zu stande, die von der
»wahlfreien« Einführung entweder Mißerfolg oder Überbürdung, diese
namentlich an den Lehrerseminaren, befürchteten.