Arbeiterwohl.
Die Vereine für in Deutschland [* 2] dürften ihre Vorläufer in den Gewerbevereinen haben, welche in den 30er Jahren entstanden und mit Rücksicht auf die emporblühende Industrie an erster Stelle die Heranbildung ihrer Mitglieder bezweckten. Als im Laufe der Zeit die soziale Frage, d. h. der Inbegriff aller Bestrebungen der wirtschaftlich schwachen Volksklassen nach Verbesserung ihrer Lage, an Bedeutung zunahm, bildeten sich Vereine von Angehörigen der besitzenden Klassen, um »auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung das Wohl der arbeitenden Klassen in wirtschaftlicher, sittlicher und religiöser Richtung zu fördern, für ein gutes Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu wirken und alle ein solches Verhältnis störenden und den Frieden gefährdenden Bestrebungen zu bekämpfen« (Statuten des Bergischen Vereins für Gemeinwohl).
Als den ersten gemeinnützigen
Verein dieser Art müssen wir die im J. 1827 begründete
Industrielle
Gesellschaft von
Mülhausen
[* 3] i. E. bezeichnen, welche allerdings im Anfang hauptsächlich bezweckte, ihre Mitglieder mit den technischen Fortschritten
fortlaufend bekannt zu machen, später aber durch zahlreiche Einrichtungen für das
Wohl der
Arbeiter auf sozialpolitischen
Gebiete thätig wurde. Im J. 1844 entstand der Zentralverein für das
Wohl der arbeitenden
Klassen in
Berlin,
[* 4] zunächst für
Preußen,
[* 5] 1872 für ganz
Deutschland bestimmt. Im
Laufe der Jahre bildeten sich dann folgende
Vereine mit gleichen
oder ähnlichen
Grundsätzen: der
Verein für Volkswohl in
Halle
[* 6] arbeiterwohl
S. (1874), der
Verein zur
Förderung des
Wohles der
Arbeiter:
»Concordia« (in
Mainz
[* 7] 1879),
Dortmunder Wohlthätigkeitsverein (1879), Arbeiterwohl
,
Verband
[* 8] katholischer
Industrieller und Arbeiterfreunde (1881 in
M'Gladbach),
Verein für Volkswohl in
Leipzig
[* 9]
¶
mehr
(1882), Verein der Anhaltischen Arbeitgeber (in Dessau [* 11] 1887), Verein für das Wohl der Arbeiterbevölkerung in Duisburg [* 12] (1888), Bergischer Verein für Gemeinwohl (in Elberfeld [* 13] 1886), Verein der Arbeitgeber des Amtsbezirks Mittweida (1885), Linksrheinischer Verein für Gemeinwohl (in M'Gladbach 1888), Verein Volkswohl in Dresden [* 14] (1888), Verein für Volkswohl für Schönebeck und Umgegend (1890), Gemeinnütziger Verein an der Saar (Verein gegen Wucher), Verein Vaterland zu Quedlinburg, [* 15] Arbeitgeber-Verband Hamburg-Altona, [* 16] Fabrikanten-Verein für Hannover-Linden, Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen in Stuttgart [* 17] u. a.
Den mehr oder minder gemeinsamen Zweck suchen die Vereine für Arbeiterwohl
durch die sogen. Wohlfahrtseinrichtungen (s. d.) zu erreichen,
die von dem einen Verein in diesem, von dem andern in jenem Umfang programmmäßig gefördert werden. Als
die hauptsächlichsten Bestrebungen dieser Art nennen wir die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse (Baugesellschaften) und
Einrichtungen zur Pflege und Sicherung der Gesundheit der Arbeiter (Erholungsgärten, Genesungshäuser, Ferienkolonien, Kindergärten),
die Sorge für weitere Ausbildung der Arbeiter (Schriftliche Lehrverträge, Fortbildungs- und Fachschulen,
Einrichtungen zur Erlernung der Haushaltung und weiblicher Handarbeiten, Frauenvereine, Vorträge, Volksbibliotheken, Lesezirkel-
u. -Zimmer), die Beförderung des Sparsinnes (Sparprämien, Pfennigsparkassen), der Kranken-, Sterbe-, Invaliden- und Witwenkassen
und aller auf eigner Mitwirkung der Arbeiter beruhenden Wohlfahrtseinrichtungen.
Hierhin gehört ferner die Bekämpfung der Trunksucht und Pflege edler geselliger Vergnügungen (gesellige Vereine,
Volksbelustigungen, Gesellschaftsabende), die Anbahnung von gewerblichen Schiedsgerichten und Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern
und Arbeitern über die Regelung des Arbeitsverhältnisses (Ältesten-Kollegien), endlich Arbeitsnachweis, direkte materielle
Unterstützungen oder Vorkehrungen zu billiger Beschaffung der notwendigsten Lebensmittel für die Arbeiter und ihre Familien
(Masseneinkäufe, Volksküchen, Kaffeehallen) u. a. Außerdem richten die Vereine für Arbeiterwohl
gewöhnlich ihre
Thätigkeit auf den Schutz des Familienlebens durch Beschränkung der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit, der Frauen- und Kinderarbeit,
soweit solche sittliche und wirtschaftliche Gefahren in sich bergen, sowie auf die Unterstützung und Förderung schon vorhandener
oder neu hervortretender Bestrebungen zur Hebung
[* 18] der Sittlichkeit, der Religiosität und der Vaterlandsliebe.
Was die Mitgliedschaft zu den Vereinen für Arbeiterwohl
angeht, so nehmen einige Vereine nur Arbeitgeber auf, andre
stellen einem jeden unbescholtenen Bürger den Beitritt frei, erschweren den letztern für die Arbeiterklasse aber durch einen
hohen Beitrag, noch andre Vereine endlich drücken schon durch den minimalen Beitrag die Absicht aus, neben den Arbeitgebern
eine möglichst große Anzahl von Arbeitern als Mitglieder heranzuziehen und auf diese Weise den Klassenunterschied
nach Möglichkeit zu überbrücken.
Während von den meisten Vereinen ein bestimmter Beitrag (meistens in einem Mindestbetrag festgesetzt) erhoben wird, richtet
sich der Beitrag der Mitglieder der reinen Arbeitgebervereine gewöhnlich nach der Zahl der von ihnen beschäftigten Arbeiter.
Die Vereine für Arbeiterwohl
sind konfessionslos, mit Ausnahme des Verbandes katholischer Industrieller und Arbeiterfreunde: »Arbeiterwohl«
,
auf der einen Seite, und der evangelischen Vereine für
innere Mission, sofern wir dieselben auf Grund ihrer Bestrebungen in
neuerer Zeit zu dieser Kategorie rechnen können, auf der andern Seite.
Von verschiedenen Vereinen wird ein Vereinsorgan zum Austausch der Meinungen und zur Anregung der einzelnen Mitglieder benutzt, bez. herausgegeben, so vom Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen »Der Arbeiterfreund« (Berlin) und die Zeitschrift »Volkswohl« (Herausgeber beider Schriften V. Böhmert in Dresden),
vom Verband Concordia die Zeitschrift »Concordia« (Mainz),
vom Verband Arbeiterwohl
die Zeitschrift »Arbeiterwohl«
(Herausgeber Franz Hitze in M'Gladbach),
vom Bergischen und Linksrheinischen Verein für Gemeinwohl gemeinsam die Zeitschrift »Gemeinwohl« (Elberfeld, Herausgeber R. Stegemann in Lennep), [* 19]
vom Verein der Anhaltischen Arbeitgeber die »Deutsche [* 20] Arbeiter-Zeitung« (Berlin),
vom Verein Volkswohl in Dresden das »Monatsblatt«. Bemerkenswert ist, daß auf Anregung des Anhaltischen Vereins verschiedene größere Etablissements in dem Bezirke desselben für ihre Arbeiter eine eigne Zeitung gegründet haben.
Die Thätigkeit der Vereine für Arbeiterwohl
ist eine sehr segensreiche gewesen, wovon die zahlreichen Wohlfahrtseinrichtungen in den
verschiedenen Bezirken den besten Beweis liefern. Mit sachlichem Interesse haben alle Mitglieder an diesen Schöpfungen mitgearbeitet,
obwohl viele Schwierigkeiten, namentlich die Agitation der gegnerisch gesinnten Sozialdemokraten, ihrem
Wirken sich gegenüberstellten. Die Streikbewegung der letzten Jahre hat indessen dieser Vereinsthätigkeit viel Abbruch
gethan und war die Veranlassung zur Gründung einer Anzahl von reinen Arbeitervereinen, welche zwar auch das Wohl der arbeitenden
Klassen zu fördern bestrebt sind, an erster Stelle aber der für Wirtschaft und Moral schädlichen Streikbewegung
einen Damm entgegensetzen wollen.