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ansieht. Und in den Verhandlungen der Gewerkschaften tritt weniger die Lohnfrage in den Vordergrund, als daß man sich angelegen sein läßt, für hygieinische Verbesserungen, Unterstützung in Fällen von Arbeitslosigkeit und andere im Nahmen der heutigen Gesellschaftsverfassung erreichbare Reformen einzutreten, über das Fortschreiten der Arbeiterorganisationen s. Gewerkvereine. Einigungsämter. Wie immer man über die Gunst der Lage für die heutige Arbeiterwelt und ihre Berechtigung zur Selbsthilfe denken mag, sicher ist, daß auch die Gesellschaft und der Staat Pflichten gegenüber den Arbeitern haben.
Sofern es sich um einen gesetzlichen Schutz der Schwächern und die Bewachung über die Durchführung desselben dreht, war davon bereits bei der Fabrikgesetzgebung und Fabrikinspektion die Rede. Es giebt indes noch andere Institutionen, deren segensreiche Wirksamkeit heute kaum noch bestritten wird, deren allgemeine Ausbreitung jedoch offenbar nur mit Hilfe des Staates geschehen kann. Dahin gehören die Einigungsämter. Immer mehr bricht sich neuerdings die Überzeugung Bahn, daß für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital derartige Einrichtungen nötig sind.
Zum Teil liegt darin wohl die stillschweigende Anerkennung jenes Grundsatzes der Gleichberechtigung von Arbeitern und Unternehmern. Zugleich aber bringt die praktische Erwägung, daß es mit ihrer Hilfe möglich scheint, Unbesonnenheiten und Maßlosigkeiten zu vermeiden und doch die Interessen des Kapitals wahrzunehmen, die Unternehmer darauf, sich der Gründung von Einigungsämtern nicht entgegen zu stellen, sondern sie sogar zu empfehlen. Charakteristisch ist dabei der in fast allen Ländern hervortretende Zug, das bisherige Einigungsverfahren in gesetzliche Wege zu lenken, womöglich die der Einigung widerstrebende Partei zu zwingen, sich einem Schiedssprüche zu unterwerfen.
Dieser soll jedoch nicht von dem gewöhnlichen Gericht, sondern von einem ad hoc zusammentretenden Forum [* 3] gefällt werden. Im Deutschen Reich können die Gewerbegerichte gleichzeitig als Einigungsämter funktionieren. 1893 ist das auch zum erstenmal vorgekommen und seitdem mit einem gewissen Erfolg wiederholt worden. In Leipzig, [* 4] Bremen, [* 5] Kiel, [* 6] Danzig, [* 7] Königsberg, [* 8] Berlin [* 9] scheint die Anrufung des Gewerbegerichts bei Streiks die Regel werden zu wollen. Ein förmliches Gesetz über Einigungsämter hat Frankreich bekommen.
Dasselbe hat neben den Conseils de prud'hommes keine permanenten Ausschüsse für ein Einigungsverfahren geschaffen, sondern dem jeweiligen Friedensrichter die Vermittlerrolle zugedacht. An ihn kann sich eine der streitenden Parteien, die den Wunsch friedlicher Verständigung hegt, wenden, worauf er verpflichtet ist, innerhalb 24 Stunden die gegnerische Partei zu benachrichtigen. Nimmt diese den Antrag an, so beruft er unverzüglich die beiderseitigen Vertreter zu einer Konferenz, die er leitet, auf der er jedoch nur eine beratende Stimme besitzt.
Findet eine Verständigung statt, so nimmt der Friedensrichter ein Protokoll auf, das er von beiden Parteien unterzeichnen läßt. Im andern Falle wählen beide Parteien entweder einen gemeinsamen Schiedsrichter oder jede je einen, die sich alsdann auf einen Dritten, den Unparteiischen, einigen müssen. Ist es bereits zum Ausbruch eines Streiks gekommen, so ist der Friedensrichter von Amts wegen gehalten, ein Schiedsgericht vorzuschlagen, und die Parteien haben sich im Laufe von drei Tagen zu erklären, ob sie es annehmen wollen oder nicht.
Auf Grundlage dieses Gesetzes hat sich 1893 in 104 Fällen ein Einigungsverfahren abgespielt, 1835 in 84 Fällen, von denen bereits 72 zur Arbeitseinstellung geführt hatten. In England wurden durch Intervention von Schiedsgerichten 1892: 24, 1893: 25, 1894: 39 Streiks oder Lockouts beigelegt. Die Distriktseinigungs- und Schiedsgerichtsämter kamen 1893 nur dreimal, im folgenden Jahre gar nicht zur Bethätigung hinsichtlich der Beilegung von Streiks, haben aber zur Verhütung der letztern eine segensreiche präventive Thätigkeit ausgeübt.
Ein neues, im März 1895 erlassenes Gesetz hat die Initiative zur Errichtung von Einigungsämtern, die seither ganz in den Händen von Privatpersonen lag, dem Handelsamte (Board of trade) übertragen. Dasselbe ist ermächtigt, bei Ausbruch von Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern 1) die Ursachen und Umstände derselben zu ermitteln und über sie zu berichten, 2) die Parteien aufzufordern, Vertreter zu wählen, die unter dem Vorsitz eines entweder in beiderseitiger Übereinstimmung gewählten oder vom Handelsamt ernannten Präsidenten eine friedliche Beilegung versuchen.
Italien [* 10] hat in dem Gesetze vom über die Probi-viri auch Einigungsämter bekommen, da jedes Kollegium aus einem Uffizio di conciliazione und dem Gewerbegericht (giuria) besteht. Das erstere entspricht zunächst dem Bureau particulier der franz. Conseils de prud'hommes, kann aber auch zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, die sich auf das Arbeits- und Lohnverhältnis beziehen, angegangen werden. In Belgien [* 11] hat wenigstens die Stadt Verviers beschlossen, ein kommunales Einigungsamt zu errichten, bestehend aus 6 Mitgliedern des Gemeinderats, und Unternehmer und Arbeiter TTTTT gleichen Teilen aufweisend. In Dänemark [* 12] und Osterreich ist man im Stadium des Entwurfs stecken geblieben.
Dafür aber haben in letzterm Lande wenigstens im J. 1894 Gewerbeinspektoren und Gewerbebehörden bei der Beilegung von Arbeitseinstellungen vermittelt. Von 159 Streiks des genannten Jahres wurden 52 durch die erstern, 19 durch die letztern beendet, d. h. beinahe 50 Proz. aller Ausstände. Bei alledem wäre es doch sehr wünschenswert, den 1894 dem Abgeordnetenhause vorgelegten Entwurf, wonach Einigungsämter dazu bestimmt wurden, «eine gütliche Verstündigung über die Bedingungen der Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen», Gesetz werden zu sehen.
Gewerbegerichte. Eine sehr erfreuliche Entwicklung haben in Deutschland [* 13] die Gewerbegerichte auf Grundlage des Gesetzes von 1890 genommen. Man zählte 1892: 154, 1893: 207, 1895: 272 Gewerbegerichte. An Streitigkeiten waren anhängig 1892: 20015, 1893: 37386 zwischen Unternehmern und Arbeitern, und 136 und 221 zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers. Erledigt wurden 1893 durch TTTTT Vergleich 14865, Verzicht 374, Zurücknahme der Klage 6346, Anerkenntnis 727, Versäumnisurteil 3766, durch sonstige Endurteile 8579, im ganzen 34657 Klagen. Neben den Gewerbegerichten kommen noch in Betracht die 10 rhein. Gewerbegerichte, 5 Bergschiedsgerichte in Sachsen, [* 14] je 1 Gewerbegericht in Hamburg, [* 15] Bremen, Lübeck [* 16] und 5 Gewerbegerichte in Elsaß-Lothringen. [* 17] Deutet ¶
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schon diese Statistik den großen Nutzen der neuen Institute an, so findet auch die Rechtsprechung allgemein Anklang. So schnell, billig und bequem wie beim Gewerbegericht können weder Amtsgericht noch Gemeindevorsteher die Klagen erledigen. Auch ist die Haltung der Beisitzer, der man mit einiger Besorgnis glaubte entgegenblicken zu müssen, durchaus zufriedenstellend. Einerseits sind die Beisitzer von dem Bestreben beseelt, vorhandene Streitfälle in Güte auszugleichen, andererseits erkennen sie da, wo richterliche Entscheidung nötig ist, das Gesetz als Richtschnur willig an, selbst wenn die Entscheidungen ungünstig und hart für die Arbeiter ausfallen.
In den Kreisen der Unternehmer kann man sich noch nicht durchweg mit den neuen Schöpfungen einverstanden erklären. Von hier aus ist petitioniert worden, gegen die Urteile der Gewerbegerichte Berufung zuzulassen, und die vorläufige Vollstreckbarkeit der Urteile aufzuheben. Beides würde eine Verschlechterung und Verlangsamung des Verfahrens bedeuten. Nicht nur, daß die Gewerbegerichte ihren Hauptzweck vollständig erfüllen, bewähren sie sich auch in den ihnen zugedachten Nebenfunktionen, namentlich üben sie eine heilsame Thätigkeit als begutachtende Behörden aus und zeigen sich als Institutionen, die auf socialem Gebiete wichtige Aufgaben zu lösen vermögen. - Für Bergwerksarbeiter sind in Preußen, [* 19] Sachsen und Braunschweig [* 20] besondere Berggewerbegerichte ins Leben gerufen worden. Außerhalb Deutschlands [* 21] ist es in Italien nach zehnjährigen Verhandlungen zum Erlaß eines Gesetzes gekommen, der Gewerbegerichte unter dem Namen der Collegi dei Probi-viri schafft. Dasselbe verwertet franz. und deutsche Erfahrungen. - In Belgien, wo nach Art der franz. Probi-viri gebildete Gewerbegerichte bestehen, waren 1890: 25 Conseils thätig, vor denen 4531 Streitfälle anhängig gemacht waren. Der größte Teil derselben (3399) wurde durch Vergleich erledigt. - In Frankreich hat sich die Deputiertenkammer 1892 für ein neues Gesetz, betreffend die Probi-viri, entschieden, aber der Entwurf hat den Beifall des Senats noch nicht gefunden.
Die wesentlichsten Reformen, die geplant werden, betreffen folgende Punkte: Probi-viri sind auch für Handel, Landwirtschaft und Bergbau [* 22] zu wählen;
die Wählbarkeit beginnt mit dem 25., das Wahlrecht nach dem 21. Lebensjahre;
Unternehmer und Arbeiter bleiben auch in den nächsten 10 Jahren, nachdem sie aufgehört haben, in ihrem Berufe praktisch thätig zu sein, wählbar und wahlberechtigt;
Frauen im Alter von 21 J., die in dem betreffenden Gerichtsbezirk länger als 6 Monate gewohnt haben, sind wahlberechtigt;
die Entscheidung der TTTTT ist bei Streitgegenständen bis zur Werthöhe von 500 Frs. endgültig.
Von allen diesen Reformen will der Senat nichts wissen, mit Ausnahme der Bergschiedsgerichte. - In der Schweiz [* 23] hat das roman. Gebiet bereits seit einiger Zeit Gewerbegerichte nach franz. Muster. Auf derselben Grundlage sind 1889 in Basel, [* 24] 1895 in Bern, [* 25] 1896 in Zürich [* 26] Gewerbegerichte eröffnet worden. Im Aargau und in Solothurn [* 27] trägt man sich mit Projekten dazu. - Der in Österreich [* 28] 1891 im Abgeordnetenhause eingebrachte Antrag auf Einführung von Gewerbegerichten, unter Berücksichtigung des deutschen Verfahrens, ist noch nicht Gesetz geworden.
Arbeitsämter. Eine dritte Einrichtung in der Reihe der hierher gehörenden Maßregeln sind die Arbeitsämter, d. h. Anstalten zur Pflege der Statistik der Arbeiterverhältnisse. Man hält es neuerdings fast in allen Kulturstaaten für unumgänglich nötig, derartige arbeitsstatist. Amter ins Leben zu rufen, die sich mit der Ermittelung der thatsächlichen wirtschaftlichen und socialen Verhältnisse der Arbeiter befassen sollen. Daten über Arbeitslohn, Arbeitsdauer, Verhältnisse der Arbeiter zu den Unternehmern, Streiks, Ergebnisse des Arbeiterschutzes, Wohnungszustände u. s. w. werden von ihnen gesammelt.
Diesem Bedürfnis entspricht im DeutschenReichdie seit 1892 bestehende Reichskommission für Arbeiterstatistik (s. d., Bd. 13). Sie hat indes nur die Aufgabe, auf Anordnung des Bundesrats oder des Reichskanzlers die Vornahme staust. Erhebungen, ihre Durchführung und Verarbeitung zu begutachten sowie Vorschläge zu solchen Erhebungen auszuarbeiten. Die eigentlich statist. Arbeiten liegen ihr nicht ob, werden vielmehr im Reichsstatistischen Amt ausgeführt.
Dazu kommt, daß sich die gesetzliche Thätigkeit der Kommission nicht auf die ganze Arbeiterstatistik erstreckt, sondern daß sie nur bei Ausführung der Bestimmungen der Gewerbeordnung, insbesondere der Novelle von 1891, mitwirken soll. Wird dieses Gebiet sich auch nicht leicht erschöpfen lassen, so erscheint eine weitere Ausdehnung [* 29] der Arbeiterstatistik doch wünschenswert. Sie kann entweder im Anschluß an das Reichsversicherungsamt oder an die statist.
Centralstelle des Deutschen Reichs erfolgen. Richtiger wäre wohl bei der innigen Verbindung der Arbeiterstatistik mit allen andern Statistiken, die im statist. Amt bereits gepflegt werden das letztere. Unabhängig davon hat der deutsche Arbeiterstand angefangen, sein Bedürfnis nach einem Institut zur Auskunftserteilung in Sachen der socialen Gesetzgebung und zur Anfertigung von Statistiken auf dem Wege der Selbsthilfe zu befriedigen. Am ist in Nürnberg [* 30] das erste deutsche Arbeitersekretariat eröffnet worden, ein zweites wird für Frankfurt [* 31] a. M. geplant. - Viel ist für die Pflege der Arbeiterstatistik in außerdeutschen Ländern während der letzten Jahre geschehen. In England ist sie 1893 einem neugegründeten Departement des Handelsamtes übertragen worden, das mit mehrern Oberbeamten, 20 Hilfskräften und 30 Lokalkorrespondenten in verschiedenen Teilen des Landes besetzt ist und eine eifrige Thätigkeit entwickelt. Es giebt die monatlich erscheinende «Labour Gazette» heraus, von der jede Nummer einen Penny kostet und die ein sehr reiches Material zur Kenntnis der Arbeiterverhältnisse zusammenstellt.
Frankreichs hat seit dem Gesetz vom ein «Office du travail», das über ein Budget von 152000 Frs. verfügt, sehr wertvolle Publikationen redigiert hat und seit 1894 monatlich nach engl. Muster ein «TTTTT» herausgiebt. In Belgien wurde nach einem Wahlsiege der Socialdemokratie das Arbeitsamt gegründet bei dem Ministerium für Landwirtschaft, Gewerbe und öffentliche Arbeiten. Ihm ist eine dreifache Aufgabe zugewiesen:
1) Ermittelungen anzustellen über den. Stand und die Entwicklung der Arbeit nach den verschiedensten Richtungen;
2) bei der Schöpfung, neuer und Verbesserung bestehender Gesetze mitzuwirken;
3) die Ausführung der Arbeiterschutzgesetze zu überwachen. Seit Mai 1895 ist das genannte Ministerium in ein Ministerium für Ackerbau, Gesundheitspflege und öffentliche Arbeiten, und ein zweites für Gewerbe, Bergbau, Arbeiterfürsorge ¶
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teilt worden. Letzteres heißt kurzweg das «Arbeitsministerium», und bei ihm findet sich das Arbeitsamt. In Spanien [* 33] ist durch ein Dekret vom eine besondere Abteilung für Arbeiterstatistik im Ministerium des Innern, und in Dänemark unter der Bezeichnung eines staatlichen statist. Bureaus ein Arbeitsamt ins Leben getreten. Für das schweizerische Arbeitersekretariat ist der von der Bundesregierung bewilligte Zuschuß auf jährlich 20000 Frs. erhöht worden. In Österreich wird seit 1894 ein arbeitsstatist.
Amt als besondere Abteilung im Handelsministerium geplant. Arbeitsnachweis. Viertens zählt hierher die Reform des Arbeitsnachweises. Gerade auf diesem Gebiete wird in den letzten Jahren ein so reger Reformeifer zur Schau getragen, wie auf wenig andern. Man ist sich darüber klar geworden, ein wie großes sociales Übel die Arbeitslosigkeit ist, und hofft deren verhängnisvollen Folgen durch eine zweckmäßigere Regelung des Arbeitsnachweises begegnen zu können.
Die bisherige ungeregelte Arbeitsvermittelung, das persönliche Umschauen, das Inserieren, die privaten Stellenvermittler, die Wohlthätigkeitsanstalten stellen sich als ungenügend heraus. Arbeitermangel und Arbeiterüberfluß liegen oft nebeneinander; kostspielige und verzögernde Zwischeninstanzen erschweren dem Arbeiter die Erfüllung seines Wunsches, jederzeit Beschäftigung und zwar in der für ihn zweckmäßigsten und lohnendsten Weise zu haben.
Demnach erscheint es als ein erfreulicher Fortschritt, daß man sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten übrigen Industriestaaten bestrebt zeigt, von seiten des Staates oder der Gemeinden Anstalten zu begründen, die den gefühlten Übelständen abhelfen, und vor allen Dingen dem Gedanken der Centralisation des Arbeitsnachweises mehr Anerkennung zu verschaffen. (S. Arbeitsnachweis.) Arbeiterversicherung. Ein besonders wichtiges Kapitel für sich bildet die Arbeiterversicherung.
In der Praxis sind da manche Mängel und zahlreiche Wünsche nach Reform der betreffenden Gesetze hervorgetreten. Vor allem wurde eine vereinfachende Verschmelzung der drei Organisationen: Krankenkassen, Unfallberufsgenossenschaften, Invalidenversicherungsanstalten, die Errichtung gemeinschaftlicher territorialer Hilfsorgane, sog. Arbeiterversicherungsämter, befürwortet, worunter Behörden zu versieben sind, die zu gleichen Teilen aus Vertretern der Unternehmer und der Arbeiter beständen, und die für den Distrikt (in Preußen z. B. für den Kreis) [* 34] die Erledigung der lokalen Hilfsgeschäfte haben würden: also die Gewährung der Krankenfürsorge, Kontrolle über die Verwendung der Beitragsmarken, Ausstellung der Quittungskarten, Entgegennahme der Anträge auf Rentenbewilligung, Vorbereitung und Prüfung dieser Anträge u. dgl. m. Gegenstände der Beschwerden sind ferner die Verschiedenheit der Prämienzahlung in Form von Kassenbeiträgen, Umlagen und Markenkleben, die Übelstände, die namentlich mit dem letztern Verfahren verbunden sind, die ungleichmäßige Entwicklung der Beteiligung der Arbeiter an der Verwaltung der Versicherungsorgane, die Unzulänglichkeit der Altersrenten, die zu hohe Altersgrenze für den Bezug der Rente, das umständliche Verfahren bei der Erhebung des Rentenanspruchs, der Mangel einer Fürsorge in der Zeit von der Beendigung der Krankenkassenunterstützung dis zum Eintritt der Invalidenversicherung.
Zur Beratung über diese Punkte, namentlich über die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit einer Zusammenlegung der einzelnen Versicherungszweige war vom 4. bis im Reichsamt des Innern eine Konferenz versammelt. An ihr nahmen etwa 70 Personen teil, lediglich Sachverständige, vorzugsweise Mitglieder des Bundesrats, Beamte der Reichsverwaltung und der Versicherungsanstalten sowie Abgeordnete. Eine Einigung über die beste Art der Reorganisation wurde noch nicht erzielt.
Als Gesamtergebnis der Debatten läßt sich etwa zusammenfassen, daß die Berufsgenossenschaften allgemeine Anerkennung fanden, die heutige Form der Invalidenversicherung allgemeine Mißbilligung erfuhr, und daß es an der Verwaltung der Krankenkassen im einzelnen viel auszusetzen gab. Berührt ist ferner die Reform der Arbeiterversicherung bei der zweiten Lesung des Etats des Reichsamtes 25. und wo man sowohl eine Novelle zum Unfallversicherungsgesetz als eine Reform der Invaliditätsversicherung forderte. In letzterer Hinsicht wurde von einer Seite die Herabsetzung der Altersgrenze für die Bewilligung der Altersrente auf das 60. Lebensjahr, von anderer Seite eine Einbeziehung der Witwen- und Waisenfürsorge befürwortet. Es ist indes zur Zeit kaum Aussicht vorhanden, daß darauf eingegangen werden kann.
Denn der Mehrbedarf, der bis zum J. 1900 erforderlich wäre, wenn vom ab die Altersrente bereits beim 60. Lebensjahre gewährt werden sollte, ist nach Angabe des Ministers 755 Mill. M. Zur Gewährung einer Witwenrente von 60 M. und einer Waisenrente von 36 M. jährlich würden die den Versicherungsanstalten zur Verfügung stehenden Mittel für die nächsten vier Jahre ausreichen, aber diese wären dann nach Ablauf [* 35] der vier Jahre aufgezehrt, und vom J. 1900 ab müßte eine neue Rechnung mit erheblich höhern Beträgen beginnen.
Die hauptsächlichsten Mängel der Krankenversicherung wurden durch das Gesetz vom beseitigt; für den Plan der Umgestaltung der Unfallversicherung durch Einführung örtlich abgegrenzter Unfallversicherungsgenossenschaften auch für die Industrie fand die Regierung 1894/95 nicht die Zustimmung des Reichstags. Im Aug. 1896 hat dieselbe einen weitern Entwurf zur Abänderung der Arbeiterversicherungsgesetze veröffentlicht, der sich im wesentlichen darauf beschränkt, die Änderungen des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes herbeizuführen, welche sich in der Praxis als dringlich erwiesen haben.
Die Frage der Vereinigung der verschiedenen Versicherungszweige erschien der Reichsregierung noch nicht spruchreif. Sie beschränkt sich darauf, diesem Gedanken durch Maßnahmen entgegenzukommen, welche ein engeres Zusammenarbeiten der getrennten Versicherungszweige sicherstellen. Die Erleichterungen, welche der neue Entwurf hinsichtlich der Invaliditäts- und Altersversicherung bietet, sind hauptsächlich Beitragsmarken für längere Zeiträume, Anlegung von Sammelmarken, Besorgung der Quittungskarten durch die Arbeiter, behördliches Markeneinkleben bei öffentlichen Betrieben, Förderung der Einziehung der Beiträge durch besondere Hebestellen. Dazu kommt als principielle Änderung eine Umgestaltung der Verteilung der Rentenlast, welche durch die Verschiedenheit der Vermögenslage der einzelnen Versicherungsanstalten veranlaßt ist, und die somit eine bessere Ausgleichung der Lasten zwischen den besser und schlechter gestellten Anstalten bezweckt. Ein Viertel der von ihr ¶