Araukaner
(Aucaes, »Rebellen«, während der einheimische Name Moluche, »Krieger«, ist), ein indian. Volksstamm im südlichen Chile, [* 2] welcher wahrscheinlich trotz der großen Verschiedenheit der Sprachen mit den Indianern der Pampas und den Patagoniern eine Völkerfamilie bildet. Sie unterscheiden sich von den Indianern des tropischen Südamerika [* 3] durch größere physische und moralische Kraft, [* 4] sind von hellbrauner Farbe und haben lange, starke und schwarze Haare [* 5] und einen geraden und kräftigen Wuchs.
Ihre mittlere Größe beträgt nach d'Orbigny 1,6 m. Sie zerfallen in drei Stämme: Picunche (»Nordmänner«) im NW., Pehuenche (»Fichtenmänner«),
die Küstenbewohner von
Santiago de Chile bis gegen
Valdivia, und Huilliche (»Südmänner«)
im S. des
Landes. Die Araukaner
sind nicht ohne eine gewisse
Bildung, haben feste
Wohnsitze und waren seit alter Zeit
Ackerbauer,
welche, wie die
Peruaner,
Mais,
Bohnen,
Quinoa,
Kartoffeln etc. kultivierten. Seit der Einführung der
Pferde
[* 6] sind sie ein kühnes
Reitervolk geworden, das in der Handhabung seiner langen
Lanzen, des
Lasso (Fangschlinge) und der
Bolas (Eisenkugeln, die an
langen
Riemen geschleudert werden) ungemeine Geschicklichkeit besitzt.
Auch zu einer geordneten
Staatsverfassung zu gelangen, haben sie
Versuche gemacht (s. unten); dagegen sind
alle Bemühungen der katholischen
Missionen, sie für das
Christentum zu gewinnen, fruchtlos geblieben. Was sie aber hauptsächlich
auszeichnet, ist ihre
Kraft und
Tapferkeit: die Araukaner
sind ohne
Zweifel das tapferste
Volk
Südamerikas, das sich ebenso wie von
dem
Joch der
Inkas auch von dem der
Spanier freizuhalten gewußt hat. Seit letztere unter
Don
Pedro de
Valdivia
zuerst nach Südchile vordrangen (1558), hat zwischen ihnen und den Araukanern
mit geringen
Unterbrechungen der
Krieg nicht
aufgehört, der in dem großen
Epos »Araucania« des spanischen Dichters
Ercilla sogar eine poetische Verherrlichung fand.
Die Unabhängigkeit der Araukaner
wurde 1773 wiederholt von seiten der
Spanier anerkannt, dabei aber ihr Land
auf die
Strecke zwischen dem
Biobio im N. und dem
Calle-Calle im S. (östlich bis an den
Fuß der
Kordilleren) beschränkt. In der
Folge drang dann von N. nach S. die
Zivilisation und
Kolonisation immer weiter ins Araukanerland
vor; mehrere
Stämme wurden durch den Einfluß des
Verkehrs ganz in den
Kreis
[* 7] des chilenischen Staatslebens gezogen, und heute umfaßt das
Gebiet der noch unabhängigen Araukaner
bloß noch den nördlichen Teil der
Provinz
Valdivia und den südlichen der
Provinz
Arauco,
eine
Strecke
Landes von
ca. 1½ Breitengraden mit schwankenden, doch im allgemeinen immer enger werdenden
Grenzen.
[* 8]
Über die Zahl des infolge innerer
Fehden und durch seine Beteiligung an den Revolutionskämpfen sehr zurückgekommenen
Volks
sind die Angaben verschieden. Während dieselbe in der Mitte des 18. Jahrh. noch zu 150,000
angegeben ward, soll sie jetzt nur 50,000, nach Rosales gar nur 10,000 betragen. Die freien Araukaner
teilen
ihr Land in vier zwischen den
Anden und der Meeresküste sich parallel hinziehende
Provinzen, die wieder in verschiedene
Distrikte
zerfallen, deren jeder von einem
Stamm mit erblichem Häuptling bewohnt wird.
Sämtliche Häuptlinge (Apo-uelmes) üben
Justiz, empfangen aber keinen
Tribut, sie sind voneinander unabhängig
und stehen in politischer Beziehung einander
gleich. Über ihnen steht der Toqui, das von ihnen erwählte Oberhaupt der
Provinz.
Die vier Toquis zusammen bilden den Friedensrat oder die eigentliche
Landesregierung, an deren
Spitze der gewählte Großtoqui
steht. Zu Kriegszeiten herrscht ein
Kriegsrat mit unbegrenzter Macht. Eigentliche
Gesetze haben die Araukaner
nicht,
doch werden alte
Gebräuche und
Traditionen heilig gehalten. S. Tafel
»Amerikan.
Völker«,
[* 9] Fig. 32.
In jüngster Zeit hat das Land die
Aufmerksamkeit durch das Auftreten eines französischen Abenteurers daselbst auf sich gezogen,
der es über
Nacht in ein »konstitutionelles
Königreich« umwandelte. Derselbe, ein
Advokat,
Namens
Tonneins, geboren um 1820 in
Chourgnac bei
Périgueux, hatte sich, vor den chilenischen Behörden flüchtig, in das Gebiet der unabhängigen Araukaner
begeben,
hier durch
Ausdauer und Entschlossenheit das Vertrauen der
Stämme und die
Freundschaft mehrerer Toquis gewonnen und war bei
Ausbruch eines
Kriegs mit
Chile selbst zum Großtoqui erwählt worden. So im
Besitz der
Regierung, umgab er
sich mit einem
Ministerium, erließ
Gesetze und eine
Konstitution nach französischem Zuschnitt und ließ sich selbst als
Orélie
Antoine I. zum König der Araukaner
erklären (1861). Ein neues
Frankreich sollte hier entstehen.
Auf einer Rundreise jedoch, die er durch die
Provinzen machte, um die einzelnen
Stämme zum
Kampf gegen
Chile anzufeuern, wußten sich die Chilenen durch einen
Überfall seiner
Person zu bemächtigen, ließen ihn für
verrückt erklären und übergaben ihn dem französischen
Konsul in
Concepcion, der den Abenteurer nach
Frankreich zurück expedierte.
Hier erließ er einen fulminanten
Protest an die europäischen Mächte, der aber spurlos verhallte. Die
Araukaner
kehrten rasch zu ihrer alten
Verfassung zurück und wählten einen neuen Großtoqui, der sofort den
Krieg gegen
Chile wieder
aufnahm und die Ansiedelungen am Renaico und
Biobio mit
Mord und
Raub verheerte. Von den Chilenen wiederholt, besonders 1868 und
1869, geschlagen, mußte er sich endlich zum
Friedensschluß verstehen und hatte seine vollständige
Unterwerfung erklärt, als »König Orelio«, den man verschollen geglaubt,
von Argentinien her durch einen der südlichen Andenpässe mit einer
Schar von
Gauchos und einer Anzahl französischer Landsleute
nach Araukanien zurückkam und von
Mula aus sein
Reich wieder einrichtete.
Der
Friede mit
Chile wurde widerrufen, der
Krieg begann aufs neue, doch mit keinem günstigern Erfolg für
die Araukaner
als zuvor. Orelio begab sich nach
Frankreich zurück, um
Napoleon III. für seine
Pläne zu gewinnen, sah sich aber durch
den deutsch-französischen
Krieg und seine
Folgen um alle
Hoffnungen betrogen. Er gründete in
Montpellier
[* 10] ein
Blatt
[* 11] für seine
Interessen, geriet aber bald in
Not und
Elend und starb in Tourtoirac
(Dordogne).
Vgl. seine Schriften: »Orélie Antoine I, roi d'Araucanie et de Patagonie: son avènement au trône et sa captivité au Chili« (1863) und »L'Araucanie« (Bord. 1878);