Aralsee
(d. h. Inselsee), das Blaue Meer der Russen, der Aral-Dengis (Inselmeer) der Kirgisen, im Altertume See Oxiana, im Mittelalter Meer von Khowaresm oder Khuarism genannt, nächst dem Kaspischen Meere der größte Steppensee Asiens, und nächst diesem und dem Oberen See in Nordamerika der größte See der Erde, liegt in der Aralo-kaspischen Senke (s. Kaspisches Meer) und ist umgeben von den Steppen und Wüsten Chiwas, des Kirgisenlandes und des 65-218 m hohen Turkmenen-Isthmus oder des Plateaus Ust-urt, welches ihn von dem Kaspisee trennt. Der See ist 373,3 km lang, 309,4 km breit, bedeckt ohne die Inseln (2517 qkm) 65 252 qkm und liegt 75 m über dem Spiegel des Kaspischen Meers, 49 m über dem Meeresniveau. (S. Karte: Russisch-Centralasien und Turkestan.) Der Boden des Aralsee besteht in seinem nordwestl. Teile aus Schlamm, im südöstlichen aus Sand. Eine
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Abnahme des Wassers durch stärkere Verdampfung als Zuströmung ist unbestreitbar, daher auch im Laufe der Zeit eine veränderte Küstengestaltung. Die ehemals vorhandene nordwestl. Bai ist verschwunden, und die nordöstl. Sary-Tschaganak, d. h. Gelbe Bai, soll vormals bis zum Hügel Sary-Bulak gereicht haben. Andererseits wird ein 4‒5 Jahre währender Wechsel des Steigens und Sinkens für den Spiegel des Sees behauptet. Die Tiefe beträgt in der Mitte etwa 20 m, nimmt in der Nähe der Inseln und des nördlichen, besonders aber des östl. und südl. Gestades allmählich ab, während sie am westl. Ufer wieder 67 m erreicht.
Klippen finden sich nur bei einigen Inseln und bei der Halbinsel Kulandi im NW.; Sandbänke im offenen Meere nirgends, sondern nur um die sandigen und niedrigen Gestade und die Inseln, die 2517 qkm einnehmen. Gute Ankerplätze fehlen fast gänzlich, namentlich am südl. und westl. Ufer; vollständig geschützte Häfen finden sich nur drei. Das Wasser des Sees ist salzig (1,08 Proz.), bedeutend weniger als das des Oceans, infolge des großen Süßwasserzuflusses, den er durch seine mächtigen Zuflüsse, den Syr (s. d.) im NO. und den Amu (s. d.) im S., erhält. Ob der Amu einen Abfluß in den Kaspisee gehabt und der Aralsee selbst ehemals in Verbindung mit demselben gestanden, bleibt fraglich.
Unter den zahlreichen Inseln ist die größte die 1848 entdeckte Nikolai-Insel (unter 45° nördl. Br.), die zur Gruppe der Zareninseln gehört. Nördlicher liegt die Insel Basar-kilmes und jenseit des 46.° nördl. Br. die ebenfalls große Insel Kug-aral. Zwischen dieser und dem kleinern, vor der Mündung des Syr gelegenen Eilande Koß-aral führt eine Verengung des Sees aus dessen südl. Teile, dem «Großen Meere» (Ulu-Dengis),
in das nur etwa 5500 qkm große nördl. Bassin des «Kleinen Meers» (Kitschkine-Dengis), das stellenweise bis 23 m tief ist und mehrfach weit in das Land einschneidet. Die Ufer des Aralsee bilden eine im Sommer unbewohnbare Wüste, während man im Winter kirgis. Nomaden am nördl. und östl. Ufer sowie auf den benachbarten Inseln findet. Süßwasserbrunnen sind nur spärlich vorhanden. Der See hat von Fischen: Störe, Brachsen, Karpfen, Wels u. a.; Robben, die im Kaspisee häufig sind, gar nicht.
Der Aralsee gehört zu den stürmischsten Gewässern. Gleichmäßige Winde giebt es auf ihm nicht. Meist herrschen gänzliche Windstille oder sehr starke Winde, nicht selten furchtbare Stürme; diese und das überhaupt sehr unruhige Wasser mögen Grund sein, daß man zuweilen schwimmende Inseln, wohl losgerissene Uferstrecken, voller Schilf und Tamarisken, vorfindet. Die Nordostwinde herrschen vor. Zur Beschiffung des Sees erwiesen sich Segelfahrzeuge als unzureichend; man bedient sich eiserner Dampfboote von geringem Tiefgange. Die bewaffnete Flotte, die hier unterhalten wurde, ist aufgehoben.
Der Aralsee ist jetzt ein russ. See. Schon Peter d. Gr. zog ihn in seine Pläne zu einer Handelsverbindung mit Centralasien und Indien, die jedoch nicht zur Ausführung kamen. Zur Kenntnis des und seiner Umgebung trug wesentlich eine Reihe von Reisen und Expeditionen nach dem See und nach Chiwa bei: so die Reise Murawjews 1819, Negris und Meyendorffs 1820‒21, Bergs 1825‒26, des Akademikers Helmersen 1833‒35, die berühmte Expedition Perowskijs 1839, die Reise Shemtschushnikows 1840, Antows 1840‒41, die Rekognoscierungen Blarambergs und Romanows 1841, der die unter Nikiforow nach Buchara und Chiwa geschickte Expedition begleitete; ferner die neue Expedition Danilewskijs 1842‒43, die Untersuchungen von Schulz und Lemm 1843. Schon 1847 errichteten die Russen in der Gegend Raïm, 60‒65 km von der Mündung des Syr, am rechten Ufer dieses Flusses, das Fort Raïmskoe, und 1848 untersuchte eine Expedition unter Butjakow die Ufer des Sees, außer den östlichen, und die Inseln.
Während man seit 1849 in den Erforschungen fortfuhr, besetzte man mehrere Inseln militärisch, legte Schanzwerke und Werftplätze an, schaffte Kolonisten herbei und traf alle Anstalten zur Herstellung einer aralischen Flotte. Makschejew, Butjakows Begleiter, veröffentlichte eine vollständige Beschreibung des Sees in den «Memoiren» der Geographischen Gesellschaft zu Petersburg (Heft 5, 1851, mit einer Karte des von Chanykow),
wovon K. Ritter einen Auszug in den «Monatsberichten» der Berliner Gesellschaft für Erdkunde (1852) mitteilte. Durch den 1873 mit Chiwa abgeschlossenen Frieden wurde die Herrschaft Rußlands über den ganzen See ausgedehnt, da Chiwa alle Besitzungen am rechten (östlichen) Ufer des Amu-darja bis zur Mündung in den Aralsee an Rußland abtrat. –
Vgl. Lerch, Chiwa. Seine histor.und geogr. Verhältnisse (Petersb. 1873);
Rösler, Die Aralseefrage (Wien 1873).