Titel
Aquitanien
,
ursprünglich Name des südwestlichen Teils von Gallien (s. Karte »Germanien [* 2] und Gallien«),
insbesondere des von iberischen Stämmen bewohnten Landes zwischen den Pyrenäen und der Garonne; dann (seit Augustus) Name einer römischen Provinz, welche das Land von den Pyrenäen bis zum Liger (Loire) und vom Atlantischen Ozean bis zu den Cevennen umfaßte. Diese 275,300 qkm (5000 QM.) große, über ein Drittel des heutigen Frankreich umfassende Provinz ward im 4. Jahrh. wieder in drei andre zerteilt:
1) Aquitania prima, der nordöstliche Teil, mit den spätern Landschaften Berry, Bourbonnais, Auvergne, Velay, Gévaudan, Rouergue, Albigeois, Quercy und Marche;
2) Aquitanien
secunda, der Nordwesten, mit der Hauptstadt
Burdigala
(Bordeaux)
[* 3] und den spätern
Landschaften
Bordelais,
Poitou,
Saintonge,
Angoumois und dem westlichen
Guienne;
3) Aquitanien
tertia oder Novempopulana, der südlichste Teil an den
Pyrenäen, entsprechend den spätern
Landschaften
Bigorre, Cominge,
Armagnac,
Béarn,
Pays des Basques,
Gascogne u. a.
Die ältesten Einwohner Aquitaniens
waren Iberer, unter denen sich keltische
Stämme, namentlich die
Bituriger, niederließen.
Den
Römern wurde Aquitanien
57
v. Chr. durch
Cäsars
Legaten
Crassus unterworfen. Das Land umfaßte damals bloß den südwestlichsten,
überwiegend von Iberern bewohnten Teil
Galliens (das spätere Vasconia oder
Gascogne). Bei der neuen Provinzeinteilung
unter
Octavianus 37
v. Chr. wurde Aquitanien
nach N. und O. bis zur
Loire erweitert. In der
Völkerwanderung ließen sich die Westgoten
unter
Athaulf in Aquitanien
nieder und stifteten unter
Wallia,
Athaulfs Nachfolger, ein
Reich mit der Hauptstadt
Toulouse.
[* 4]
Durch die
Schlacht bei Voullon (507) ward mit ganz Südgallien auch Aquitanien
ein Teil des fränkischen
Reichs. Doch blieb die
Bevölkerung
[* 5] auch unter germanischer Herrschaft romanisch. Unter den
Merowingern bildete Aquitanien
ein nur dem
Namen nach von dem
Frankenreich abhängiges Herzogtum. Seit 720 machten die Araber wiederholt Einfälle in Aquitanien;
Herzog
Eudes suchte
vor den Arabern schließlich bei
Karl
Martell Zuflucht, und dieser rettete Aquitanien
732 durch den
Sieg bei
Poitiers.
Nach blutigen
Kämpfen zwischen den
Karolingern und den
Herzögen
Hunold und Waifar, die auch unter dem Frankenkönig
Pippin fortdauerten,
ward Aquitanien
771 durch
Karl d. Gr. zu einer
Provinz des
fränkischen
Reichs gemacht und von
Grafen regiert, bis es von
Karl d. Gr.
zum
Königreich erhoben und seinem Sohn
Ludwig dem
Frommen verliehen wurde, wodurch sich aber in der
Verwaltung des
Landes oder
in dessen
Stellung zum
Reich nichts änderte. Im J. 814 übergab
Ludwig Aquitanien
nebst der spanischen
Mark zur
Verwaltung seinem Sohn
Pippin, welcher 817, als
Ludwig sein
Reich teilte, zum König von Aquitanien
ernannt wurde.
Als
Ludwig der
Fromme Aquitanien
seinem jüngsten Sohn,
Karl, zuwies, konnte dessen
Anerkennung nicht allgemein durchgesetzt werden.
In dem
Vertrag von
Verdun
[* 6] (843) wurde Aquitanien
zwar zu
Karls des
Kahlen
Anteil geschlagen, das Land blieb aber der Schauplatz blutiger
Kämpfe zwischen Kronprätendenten. Die meisten erklärten sich für
Pippin II., den Sohn des genannten
Pippin, und
Karl sah sich 845 genötigt, demselben die Herrschaft über Aquitanien
mit Ausnahme von
Poitou,
Saintonge und
Angoumois zu
überlassen.
Mit Pippin unzufrieden, wählten jedoch die meisten Großen Aquitaniens bald den kaum vertriebenen Karl abermals zum König (849). Pippin selbst wurde einige Jahre darauf von dem Grafen Sancius von Vaskonien gefangen, an Karl ausgeliefert und nach dem Medarduskloster zu Soissons in Gewahrsam gebracht. Karl ließ nun 855 seinen Sohn Karl, noch einen Knaben, zum König wählen, der im folgenden Jahr (856) durch Pippin verdrängt, nach dessen bald erfolgtem Sturz aber restituiert ward.
Nach seinem Tod 867 folgte als König von Aquitanien sein Bruder Ludwig der Stammler, und als dieser nach Karl dem Kahlen (877) den westfränkischen Thron [* 7] bestieg, blieb Aquitanien mit Frankreich vereinigt, ward jedoch von neuem an einen Vasallen, Rainulf, Grafen von Poitiers, mit dem Herzogstitel verliehen. Dieser nahm, als Odo, Graf von Paris [* 8] und Herzog von Francien, zum König in Westfranken erwählt wurde, den Königstitel an. Aquitanien umfaßte unter seinem Nachfolger Wilhelm Werghaupt (Tête d'étoupes) um 950 die Grafschaften Gascogne, Armagnac, Fézensac, Périgord, Poitou, Angoulême und La Marche, während das Gebiet der obern Garonne 929 an den Grafen Raimund Pons von Toulouse verliehen worden war. Die Rivalität der beiden Häuser Poitou und Toulouse zerrütteten das Land und schwächten seine politische Macht und Selbständigkeit. In diesen Zeiten verschwand der Name Aquitanien und blieb nur dem Besitz der Familie Poitou in der korrumpierten Form Guienne (s. d.).