(griech.), dem Ursprung oder
Inhalt nach »verborgene«, auch im Unterschied zu den öffentlich vorzulesenden
geheim gehaltene
Bücher. Als sich ein christlicher
Kanon bildete, verstand man unter Apokryphen teils solche
Bücher, welche, von Häretikern
hervorgebracht, bei diesen als kanonisch galten oder in den
Kanon der
Kirche eingeschwärzt werden sollten,
teils aber auch solche, welche, von der
Kirche früher günstiger beurteilt, schließlich, weil ihnen wesentliche Merkmale
der
Kanonizität abzugehen schienen, doch noch ausgeschieden wurden. Die Apokryphen des Alten
Testaments haben, teils ursprünglich
griechisch geschrieben, teils aus dem
Hebräischen übersetzt, in der
SeptuagintaAufnahme gefunden, während
sie im hebräischen
Kanon fehlen, daher sie auch in der alten
Kirche zunächst nur
¶
Wie die sämtlichen genannten Bücher von unschätzbarer Wichtigkeit sind für die Kenntnis des unmittelbar
vor- und nachchristlichen Judentums, so die neutestamentlichen Apokryphen für die Kenntnis teils der Degeneration der christlichen
Litteratur, teils der Entwickelung altkirchlicher Traditionen und Dogmen. Eine Masse von neutestamentlichen Apokryphen, wie z. B. das
Hebräerevangelium, ist verloren gegangen. Die erhaltenen apokryphischen Evangelien, Apostelgeschichten, Briefe
und Apokalypsen haben Thilo (Leipz. 1832), Tischendorf (das. 1851, 1853, 1866), Wright (Lond. 1871) u. a. herausgegeben.
Vgl.
auch Lipsius, Die apokryphischen Apostelgeschichten und Apostellegenden (Braunschw. 1883, 2 Bde.);
Alle diese Schriften fanden in den hebr. Kanon der palästinensischen Juden keine Aufnahme, teils weil sie von vornherein sich
hierzu wegen ihrer Abfassung in grieck. Sprache
[* 4] nicht eigneten, teils weil ihr junger Ursprung bekannt war. So ist das ursprünglich
hebr. Spruchbuch des Jesus Sirach nicht aufgenommen, weil es unter dem Namen seines Verfassers umlief,
wohl aber die jüngere Danielapokalypse, weil sie sich auf einen berühmten Namen zurückführt.
Da die christl. Kirche das Alte Testament in der Form der griech.-alexandrinischen Bibel übernommen hat, so benutzten die ältesten
kirchlichen Schriftsteller diese Apokryphen ebenso wie die kanonischen Bücher des Alten Testaments als heilige
Schriften (s. Bibel). Unsicherheit entstand über ihre dogmatische Bedeutung erst, als man sich dessen bewußt wurde, daß
sie im palästinisch-hebr. Kanon fehlen. In der griech.-morgenländischen Kirche werden sie schon im 3. Jahrh. als zum Lesen
nützliche kirchliche Vorlesebücher bezeichnet. Ähnlich urteilten im Abendlande noch Rufin und Hieronymus (Ende des 4. und
Anfang des 5. Jahrh.), wogegen sich die afrik. Kirche anf einer Synode zu Hippo 393 für die Aufnahme der in den alttestamentlichen
Kanon entschied. Diese Entscheidung fand allmählich auch im übrigen Abendlande Nachahmung, doch schwankt das Urteil das ganze
Mittelalter hindurch,
¶
mehr
und erst die Kirchenversammlung zu Trient
[* 6] hat in ihrer vierten Session die Gleichstellung der in der lat. Kirchenbibel
(der sog. Vulgata) enthaltenen Apokryphen (außer dem 3. und 4. Esrabuche) mit den übrigen Schriften des Alten Testaments ausgesprochen; 1672 hat
sich auf der Synode zu Jerusalem
[* 7] die griech. Kirche für die Inspiration der Apokryphen entschieden. Dagegen achtete
Luther, obwohl er die Apokryphen mit wenigen Ausnahmen ins Deutsche
[* 8] übersetzte und als Anhang zum Alten Testament herausgab, diese
für Bücher, «so der Heiligen Schrift nicht gleichzuhalten und doch nützlich und gut zu lesen sind». Es ist das eine Halbheit,
die sich daraus erklärt, daß Luther den specifisch kath. Kanonsbegriff nicht überwunden hat.
Luth. Theologen haben mehrfach versucht, die Apokryphen als religiös und ethisch minderwertig gegenüber dem Alten
Testament hinzustellen; doch ist leicht nachzuweisen, daß hierin viele Stellen des kanonischen Alten Testaments noch tiefer
stehen. Für die evang. Kirche handelt es sich lediglich um die Frage, inwiefern die Apokryphen des Alten Testaments
das Wort Gottes für die christl. Gemeinde enthalten. Das richtet sich lediglich nach Inhalt und Wirkungen. Eine katholisierende
Verkennung dieses Standpunktes ist daher die bei reform. Theologen namentlich Englands zu treffende
absolute Verwerfung der Apokryphen, weshalb die Englische
[* 9] Bibelgesellschaft nur Bibeln ohne die Apokryphen verbreitet. -
Vgl. Zöckler, Die Apokryphen des Alten Testaments (Münch. 1891).
Von weit geringerer Bedeutung als die Apokryphen des Alten Testaments sind die des NeuenTestaments. Unter diesem Namen faßt man eine
Menge untergeschobener Evangelien, Apostelgeschichten, Apokalypsen und Briefe zusammen, die zum Teil bis ins 2. Jahrh.
hinaufreichen, sich aber durch Abenteuerlichkeit des Inhalts und abgeschmackte Übertreibung der Wundergeschichten von den
neutestamentlichen Schriften unvorteilhaft unterscheiden;
hg. u. a. von Tischendorf: «Evangelia apocrypha» (2. Aufl.,
Lpz. 1876);
ferner von Lipsius und Bonnet:
«Acta apostolorum apocrypha» (ebd. 1891).
Die apokryphischen Evangelien behandeln meist die Kindheitsgeschichten
Jesu (so das sog. Protevangelium Jacobi, der falsche Matthäus, das Evangelium desThomas u. a.); die früher unter dem Namen
Evangelium des Nikodemus bekannten Pilatusakten (aus der Mitte des 4. Jahrh.) erzählen die Passions-
und Auferstehungsgeschichte Jesu mit fabelhaften Zusätzen. Außerdem giebt es eine ganze Reihe apokrypher
Apostelgeschichten, wie die Akten des Paulus und Petrus, Andreas, Matthäus,Thomas, Philippus, Johannes und Bartholomäus.
Diese stammen zum Teil aus judenchristlichen, zum Teil aus gnostischen Quellen, und wurden im Interesse des kath. Volks vielfach
überarbeitet. Ein beliebtes Lesebuch der lat. Kirche waren seit den ZeitenGregors von Tours
[* 10] die aus jenen
apokryphen Apostelgeschichten hervorgegangenen, unter dem Namen des Abdias gedruckten «Virtutes» und «Passiones
apostolorum». Erst neuerdings wurden interessante Bruchstücke der Petrusapokalypse (s. d.) und des Petrusevangeliums (s. d.)
aufgefunden. -
Vgl. Rud. Hofmann, Das Leben Jesu nach den Apokryphen erzählt (Lpz. 1851);
Stichart, Die kirchliche Legende über
die heiligen Apostel (ebd. 1861);
Lipsius,
Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden (3 Bde.
und Ergänzungsheft, Braunschw. 1888-90).
Über eine Reihe anderer altchristl. Schriften, die in verschiedenen Gegenden längere Zeit hindurch im kirchlichen Gebrauche
waren, sich zum Teil auch in alten Bibelhandschriften finden, aber, weil nicht von Aposteln herrührend, aus dem neutestamentlichen
Kanon ausgeschieden wurden, s. Bibel.