Aphrodite
,
[* 2] die griech. Göttin der Liebe. Der
Name ist schon bei Hesiod als «Schaumgeborene» (freilich nicht richtig)
erklärt, die Göttin wird bisweilen auch
Aphrogeneia, d. h. Schaumgeborene, genannt. Obgleich frühzeitig in das griech.
Göttersystem eingereiht und zum
Teil durch Vermischung mit einheimischen Göttergestalten ganz in hellenischem
Geiste umgebildet
und neugeschaffen, ist Aphrodite
doch im wesentlichen asiat. Ursprungs. Sie ist die weibliche
Hauptgöttin der Semiten,
Astarte (s. d.), deren Kult durch die Phönizier nach
Kypros (Cypern)
[* 3] und
Kythera
(Cerigo) gebracht
wurde, daher diese
Inseln als
Geburts- und Wohnstätten der Aphrodite
galten und die Göttin mit dem
Namen
Kypris
oder Kythereia bezeichnet wurde. Nach einer Sage ist sie aus dem Schaume des
Meers, der sich um das abgeschnittene Zeugungsglied
des
Uranos bildete, hervorgegangen (s.
Anadyomene), nach einer andern war sie Tochter des Zeus
[* 4] und der Dione.
Zum Gemahl gab ihr der
Mythus den
Hephaistos,
[* 5] dem sie aber mehrfach untreu wurde. Am berühmtesten ist ihre Liebschaft mit
Ares,
[* 6] dem sie nach der thebanischen Sage die
Harmonia
(Vereinigung), nach Hesiod den Deimos
¶
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(Schrecken) und Phobos (Furcht) gebar. Außerdem kennt die spätere Sage als ihre begünstigten Liebhaber den Hermes, [* 8] dem sie den Hermaphroditos, den Dionysos, [* 9] dem sie den Priapos, und den Anchises, dem sie den Äneas gebar. Semit. Ursprungs ist die Sage von ihrer Liebe zu dem schönen Jüngling Adonis (s. d.). Dem troischen Paris [* 10] verschaffte sie zum Dank, daß er ihr den Preis der Schönheit zuerkannt hatte, die Helena zur Gemahlin, und stand auch im Trojanischen Kriege auf der Seite der Trojaner.
An den ältesten Stätten ihres Kultes, wie in Paphos, Amathus und Idalion auf Cypern (nach welchen Orten sie auch Paphia,
Amathusia und Idalia genannt wird), auf Kythera, in Sparta, Elis, Athen
[* 11] und anderwärts wurde sie unter dem
Beinamen Urania, d. b. als Himmelsgöttin (wie die phöniz. Astarte) verehrt. Die philos. Spekulation deutete dann diesen Beinamen
ethisch und stellte die Aphrodite
Urania als die Göttin der himmlischen, reinen und keuschen Liebe der
Aphrodite
Pandemos gegenüber (der ursprünglichen Bedeutung des Beinamens nach Göttin der Vereinigung eines Volks zu einem
Ganzen), als der Göttin der sinnlichen Liebe, ja der Prostitution (der lat. Venus vulgivaga).
Allgemein aber wurde bei den Griechen Aphrodite
als die Göttin der Liebe, des Reizes und
der Anmut aufgefaßt; daher außer ihrem steten Begleiter, dem Eros,
[* 12] auch Peitho, die Göttin der Überredung, und die Chariten
[* 13] häufig mit ihr verbunden werden. Was die ursprüngliche Bedeutung der Aphrodite
betrifft, so ist es wahrscheinlich,
daß sie eine Mondgöttin war, da sie ebenso wie die semit. Astarte zahlreiche deutliche Beziehungen zum
Monde besitzt.
Vgl. Roscher, Nektar und Ambrosia (Lpz. 1883);
ders., Selene [* 14] und Verwandtes (Studien zur griech. Mythologie und Kulturgeschichte, Heft 4, ebd. 1890). -
Die Römer
[* 15] haben die griechische Aphrodite
mit der altiralischen Venus (s. d.) identifiziert.
Die griech. Kunst stellte in älterer Zeit Aphrodite
meist ganz bekleidet dar.
Auch die Kunst des 5. Jahrh. scheint die Bekleidung noch festgehalten zu haben. Spätere Nachbildungen einer Schöpfung aus
der zweiten Hälfte des 5. Jahrh. zeigen den Leib der Göttin bis auf die eine Brust bekleidet. Die attische Kunst des 4. Jahrh.
wagte es dann, die Göttin auch in
halber und in völliger, anfangs regelmäßig durch das Bad
[* 16] motivierter Nacktheit darzustellen. Die Kunst
der besten Zeit und auch spätere Werke desselben Geistes Pflegen aber auch in den Darstellungen der ganz oder teilweise entblößt
dargestellten Göttin Schöndeit und Anmut mit göttlicher Würde zu verbinden, wie dies in der schönsten erhaltenen Statue,
der gegenwärtig im Louvre in Paris befindlichen Marmorstatue von der Insel Melos, der sog. Venus von Milo
(s. Tafel: Aphrodite
von Melos [Venus von Milo]), der Fall ist.
Dasselbe gilt auch von den besten Nachbildungen der berühmtesten
Statue der Göttin, der knidischen Aphrodite
des Praxiteles (s.
beistehende
[* 7]
Fig. 1: die vatikanische Kopie der von Knidos). Eine Umbildung in der Richtung auf das überwiegen
des Anmutigen und Reizenden über den göttlich erhabenen Ausdruck zeigt schon eine andre Kopie der knidischen in München
[* 17] (s.
nebenstehende
[* 7]
Fig. 2); weniger gilt dies von der in der Haltung abweichenden sog.
kapitolinischen Venus (in Rom),
[* 18] in vollstem Maße aber von der sog. mediceischen Venus (in Florenz).
[* 19] Andere
Darstellungsweisen, worin die Göttin ganz unbekleidet erscheint, sind die Aphrodite
Anadyomene (s. d.), die sich die Sandale
lösende und die im Bade kauernde Aphrodite
(z. B. im Louvre). Das sinnlich Reizende ist besonders
stark ausgeprägt in der teilweise bekleideten Aphrodite
Kallipygos (in Neapel).
[* 20] -
Vgl. Bernoulli, Aphrodite
(Lpz. 1874).