Anwachsung
srecht,
Accrescenzrecht, jus accrescendi. Anwachsung
bezeichnet auf dem Gebiete des
Rechts in Übertragung
des lat. Wortes accrescere nicht nur den Zuwachs zum Hauptgegenstande eines
Rechts, sondern vor allem die Erweiterung des
Anteiles eines Mitberechtigten um den Anteil eines ausscheidenden bisherigen Mitberechtigten, sofern
diese Erweiterung ohne Rechtsgeschäft zwischen den Beteiligten eintritt. In diesem
Sinne kommt der
Ausdruck in der Rechtssprache
vor und zwar nicht ausschließlich auf dem Gebiete des
Erbrechts.
Hierher gehört insbesondere der
Fall, daß ein Mitberechtigter seinen Anteil ohne Übertragung auf einen
andern aufgiebt (s.
Aufgeben). Im engern
Sinne ist das Anwachsung
srecht ein auf dem Gebiete des
Erbrechts gebräuchlicher
Begriff. Es wird
damit ein entsprechender Vorgang zwischen
Miterben oder Vermächtnisnehmern bezeichnet. Zwischen
Miterben findet Anwachsung
sowohl bei der Erbfolge auf
Grund einer letztwilligen
Verfügung als im Falle der gesetzlichen Erbfolge statt.
Wird einer der
Miterben, dem die Erbschaft ebenfalls angefallen ist, nicht
Erbe, so kann die Anwachsung
nach Gemeinem
Recht
weder von dem
Erblasser verboten noch seitens der
Erben vermieden werden; sie wird in der Regel nur ausgeschlossen, wenn entweder
ein Ersatzerbe (Substitut) berufen ist, oder wenn ein Fall vorliegt, in welchem das
Recht aus der
Berufung
auf den
Erben des
Berufenen übergeht (Fall der
Transmission).
[* 2] Die auf den anwachsenden Erbteil gelegten Lasten gehen mit über,
wenn nicht die Last dem Wegfallenden für seine
Person auferlegt ist.
Bei der gesetzlichen Erbfolge gelangt der Bruchteil, welcher frei wird, wenn Miterben vorhanden sind, nicht an Erben der folgenden Grade und Klasse; derselbe kommt zunächst den Erben in demselben Stamme oder derselben Linie zu statten (also z. B., wenn ein kinderloser Enkel wegfällt, dessen Geschwistern) und erst, wenn auch diese sämtlich wegfallen, den übrigen Erben (z. B., wenn alle kinderlosen Enkel eines Kindes wegfallen, den übrigen Kindern des Erblassers).
Bei der Erbfolge aus letztwilliger
Verfügung tritt das Anwachsung
srecht stets schon deshalb ein, weil die gesetzlichen
Erben ausgeschlossen
sind, sobald der
Erblasser einen
Erben einsetzt. Hat der
Erblasser einige seiner
Erben zusammenberufen (konjungiert), indem er
sie zu einem und demselben Erbteil beruft (re conjuncti, z. B. auf den
Rest setze ich zum
Erben ein den X, denselben Rest soll auch der Y erben) oder indem er sie zugleich in einer Satzverbindung
berufen hat (re et verbis conjuncti, z. B. die Hälfte sollen meines
Bruders
Söhne
A und B erben), so tritt, wenn einer der
Zusammenberufenen wegfällt, zunächst die Anwachsung
nur zu Gunsten des andern der Zusammenberufenen
ein.
Eine nur der Kürze wegen gewählte Gesamtbezeichnung (sog. verbis conjunctio) soll nicht die
gleiche Wirkung haben. Obschon bei dem Vermächtnisse nur eine Sondernachfolge in Frage steht und deshalb das Anwachsungsrecht
nicht
ohne weiteres sich ergiebt, vielmehr dazu in dem Willen des
Erblassers ein
Anhalt
[* 3] gesucht werden muß,
so wird dennoch im Falle der
Verbindung mehrerer, und zwar sowohl im Falle der sachlichen
Verbindung (re conjuncti) als im
Falle der sachlichen
Verbindung und der Zuwendung in demselben
Satze (re et verbis conjuncti), ein Anwachsungsrecht
angenommen, während
eine Wortverbindung (verbis tantum conjunctio) nicht genügt. Abweichend von der Regel tritt Anwachsung
bei dem Nießbrauchvermächtnisse selbst dann ein, wenn der nachher Weggefallene den Nießbrauch bereits erworben hatte.
Ob diese
Sätze für die dem röm.
Rechte unbekannten Erbverträge Geltung haben, ist nicht unbestritten.
Die neuern Gesetzgebungen haben die Lehre [* 4] mehr vereinfacht, aber dennoch in gewisser Beschränkung ¶
mehr
festgehalten, Preuß. Allg. Landr. I, 12, §§. 281 fg., §§. 366 fg., §§. 645 fg. (hier kann der Erblasser die Anwachsung verbieten, das Erledigte fällt alsdann an die gesetzlichen Erben), Sachs. Bürgerl. Gesetzb. §§. 2269 fg., 2431 fg., 2507, 2511 (unter eingesetzten Erben tritt Anwachsung nur ein, wenn mehrere ohne Angabe, wie viel ein jeder erhalten soll, eingesetzt sind), Code civil Art. 786, 1044, 1045 (weniger vollständige Regelung), Österr. Bürgerl. Gesetzb. §§. 506-563, 689. Betreffs des Deutschen Entwurfs vgl. dessen §§. 1797 fg., Motive V, 69 fg., und §§. 1870 fg., Motive V, 184 fg.