Antinomie
(griech., »Gesetzeswiderstreit«), Widerspruch der Gesetze, die Kollision zwischen verschiedenen Gesetzen in einem und demselben Gesetzbuch; in der philosophischen Sprache seit Kant der Widerstreit, in welchen die theoretische Vernunft mit dem Verstand gerät, sobald der Gegenstand der von der Vernunft mit Notwendigkeit gebildeten Idee einer Welt als wirklich existierend gedacht wird. Sobald dies geschieht, muß demselben von je zwei einander entgegengesetzten Eigenschaften, z. B. Begrenztheit und Unbegrenztheit im Raum, Anfang und Anfangslosigkeit in der Zeit etc., notwendig je eine zukommen, die andre nicht. Es zeigt sich aber (nach Kant), daß sich sowohl das eine als das andre mit gleich starken Gründen beweisen läßt. Kant löst die Schwierigkeit, indem er bemerkt, daß obige Forderung des Verstandes nur von Dingen gelte, die als existierend gedacht werden. Man braucht daher die Welt nur nicht als existierend zu denken, d. h. dieselbe als eine bloße Idee der Vernunft anzusehen, und die Schwierigkeit hört auf. Von einem nicht als existierend gedachten Ding, d. h. von einer bloßen, wenngleich notwendigen Imagination, läßt sich das Entgegengesetzte (die Antinomie) ohne Anstand zugleich behaupten, bei einer bloß eingebildeten Welt kommt es auf einen Widerspruch mehr oder weniger nicht an. Allerdings ist durch die Forderung, die von der Vernunft mit Notwendigkeit gebildete Idee der Welt für eine bloße Einbildung der Vernunft gelten zu lassen, die Aussicht auf eine Erkenntnis der Welt durch die Vernunft abgeschnitten, das Denken vom Sein durch eine breite Kluft getrennt, an deren Überbrückung die Nachfolger Kants, die idealistischen (Fichte, Schelling, Hegel) durch Beseitigung des Seins, die realistischen (Jacobi, Schopenhauer) durch Beseitigung des Denkens (und dessen Ersatz durch die Unmittelbarkeit des Gefühls und des Willens), fruchtlos gearbeitet haben, während andre (z. B. Herbart) auf dem Kantischen Standpunkt der qualitativen Unerkennbarkeit des Seins beharrten und nur in Bezug auf die mathematischen Relationen desselben (Raum, Zeit, Zahl) über Kants Subjektivismus der reinen Anschauungsformen hinausgegangen sind.