Titel
Anthropologie
(grch.), die
Lehre
[* 2] vom
Menschen in ihrem ganzen
Umfange gefaßt, schließt in weiterm
Sinne die gesamte
Naturgeschichte
des
Menschen, die
Anatomie und
Physiologie sowie die
Psychologie ein; sie hat zugleich, insofern
nicht nur das Individuum, sondern die Menschheit ihr Objekt ist, das gesamte Kulturleben der
Völker zum Gegenstände. Doch
pflegt der
Begriff in der Regel enger gefaßt zu werden, und die
Aufgaben der in diesem engern
Sinne sind:
1) Kenntnis der naturhistorischen Charaktere der verschiedenen Völker und Stämme: Rasseneigentümlichkeiten, deren wichtigste im Schädel- und Skelettbau, in den Proportionen der Gliedmaßen, in Farbe und Beschaffenheit der Haut, [* 3] Haare [* 4] und Regenbogenhaut des Auges gelegen sind (s. Menschenrassen). [* 5]
2) Das in dieser
Richtung Gewonnene ist unerläßliche Vorbedingung für eine zweite
Aufgabe, die nach
R.
Wagners Vorgang als historische Anthropologie
bezeichnet werden kann: Ergründung des ethnolog. Zusammenhangs,
der zwischen den Völkern des
Altertums unter sich und den jetzt lebenden Völkern besteht. Die historische Anthropologie
unterliegt
großen Schwierigkeiten. Infolge der wiederholten, zum
Teil in die graue Vorzeit fallenden, geschichtlich nur
unsicher oder gar nicht verbürgten Wanderungen der
Völker, durch ihr abwechselndes Verschwinden und späteres Wiederauftauchen
an entfernten Orten und unter veränderter Gestalt findet sich hier ein so kompliziertes Durcheinanderwirken der Erscheinungen,
es gilt so verdeckte und oft verwischte
Beziehungen aufzudecken, daß die Ergebnisse der Untersuchung oft unsicher sind.
Die Hilfsmittel sind hier neben der naturhistor. Kenntnis verlebenden Völker die Geschichtsforschung, namentlich die Urgeschichte (s. d.). Ein wichtiges, doch oftmals trügerisches Zeichen für die Abstammung und den Zusammenhang der verschiedenen Völker ist die Sprache [* 6] (s. Sprachwissenschaft). Gleichheit oder Verwandtschaft derselben berechtigt keineswegs ohne weiteres zum Schlüsse auf gleiche Abstammung. Es ist eine oft wiederkehrende Erscheinung, daß besiegte Völker die Sprache der Sieger oder auch die Sieger die Sprache der Besiegten annahmen.
3) Eine dritte Hauptrichtung der Anthropologie
beschäftigt sich mit der Untersuchung nach der Herkunft und
Stellung des
Menschen in der Natur, d. h. mit seinen
Beziehungen zu den nächstverwandten
Tieren; ferner mit
der Frage, ob ein genetischer Zusammenhang zwischen diesen und den
Menschen bestehe und welcher Art dieser sei (s.
Mensch,
naturgeschich
tlich). -
Über die sog. psychische s.
Psychologie und
Völkerpsychologie.
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mehr
Nachdem die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. durch Peter Camper, Sömmerring und ganz vorzüglich durch Blumenbach begründet
worden war, in der Folge durch Morton, Retzius, Meigs, C. G. Carus, van der Hoeven, Huschke, Virchow u. a., sowie namentlich
auch durch die in Paris
[* 8] und London
[* 9] bestehenden anthropol. und ethnolog. Gesellschaften manche Bereicherung
gewonnen hatte, begann um das J. 1860 in Deutschland
[* 10] eine erhöhte Thätigkeit in diesem Fache. 1869 wurde die Berliner
[* 11] Gesellschaft
für Anthropologie
, Ethnologie und Urgeschichte begründet und schon 1870 folgte die Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Anthropologie
, Ethnologie
und Urgeschichte, welche durch ihre alljährlich abgehaltenen Wanderversammlungen das Interesse für
die Anthropologie
über das ganze Deutschland ausgebreitet und eine große Anzahl von höchst rührigen Lokalvereinen ins Leben gerufen
hat.
Als Organ der Berliner Gesellschaft erscheint seit 1869 die von Anthropologie
Bastian und R. Hartmann begründete Zeitschrift für Ethnologie,
als Organ der Deutschen Gesellschaft wurde das bereits 1861 von Ecker und Lindenschmit begründete Archiv
für Anthropologie
(jetzt hg. von Lindenschmit und Ranke) übernommen. Der internationale Verkehr der Anthropologen wird durch die in
ungefähr zweijährigen Zwischenräumen stattfindende Abhaltung eines Congrès international d'Anthropologie
et d'Archéologie
préhistoriques unterhalten.
Eine Übersicht über das gesamte Gebiet der Anthropologie
giebt Joh. Ranke, «Der
Mensch» (2 Bde., 2. Aufl.,
Lpz. 1893 - 94). Weitere Litteratur s. Mensch, Ethnographie, Ethnologie, Urgeschichte, Psychologie, Völkerpsychologie.