Ansteckung
oder
Kontagion, die Übertragung einer
Krankheit von einem Individuum auf ein anderes;
daher heißen ansteckende oder kontagiöse
Krankheiten solche, welche sich auf diese Art weiter verbreiten. Die Ansteckung
wird durch
einen besondern, im kranken Körper erzeugten
Stoff vermittelt, welcher auf den Gesunden übertragen wird, über dessen Natur
man aber lange Zeit hindurch im Zweifel war. Erst die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben mit Sicherheit
ergeben,
daß der Ansteckung
sstoff oder das
Kontagium in den weitaus meisten Fällen aus kleinsten lebenden Mikroorganismen
(Spaltpilzen oder
Bakterien) besteht, durch deren
Aufnahme in das
Blut die charakteristischen
Symptome der betreffenden ansteckenden
Krankheit hervorgerufen werden (s.
Kontagium).
Die kontagiösen
Krankheiten unterscheiden sich von den sog. miasmatischen
dadurch, daß
bei erstern der die
Krankheit hervorrufende Giftstoff nur in einem kranken Individuum erzeugt und nur von Individuum zu Individuum
übertragen wird, während der Giftstoff der letztern,
Miasma genannt, im
Boden erzeugt und durch die Luft verbreitet wird,
so daß es zur Erkrankung nicht nötig ist, einem
Kranken nahe gekommen zu sein oder ihn berührt zu haben,
indem der bloße Aufenthalt in der miasmatischen
Atmosphäre zur Erwerbung der
Krankheit genügt. Zu jenen erstern, rein kontagiösen
Krankheiten gehören
Masern,
Scharlach,
Pocken, Keuchhusten, Ziegenpeter,
Syphilis; zu letztern, rein miasmatischen
das
Wechselfieber
(Malaria). Es giebt nun aber drittens noch
Krankheiten, welche sich ebensowohl von
Person zu
Person als auch
durch die mit dem Giftstoff geschwängerte
Atmosphäre zu verbreiten vermögen, die also gleichsam den Übergang zwischen
den rein kontagiösen
und rein miasmatischen
Krankheiten bilden, und die man deshalb
miasmatisch-kontagiöse nennt.
Dahin gehören
Typhus,
Cholera,
Gelbfieber,
Pest, Hospitalbrand,
Ruhr,
Influenza u.a. Einzelne rechnen auch
Masern,
Pocken und
Scharlach hinzu; aber es steht fest, daß wenigstens in den weitaus meisten Fällen diese
Krankheiten nur durch Übertragung
von
Person zu
Person sich verbreiten, und nur in solchen Fällen, in denen durch gleichzeitige Erkrankung vieler in einem Hause
oder an einem Orte und durch besondere Heftigkeit der
Krankheit sich das
Kontagium vielleicht übermäßig
reichlich entwickelt und in der Luft anhäuft, mag vielleicht der Aufenthalt in einer solchen
Atmosphäre zur Ansteckung
hinreichen.
Was hier vermutungsweise von
Masern,
Scharlach und
Pocken gesagt ist, gilt aber vollständig von den oben erwähnten miasmatisc
h-kontagiösen
Krankheiten. Kommt z. B. der
Typhus vereinzelt vor, so steckt er nicht leicht an, höchstens bei unmittelbarem
Verkehr, ist also dann höchstens rein kontagiös; häufen sich aber die
Kranken in einem und demselben Raum, so kann schon
ein einmaliger Besuch des
Lokals, selbst wenn die
Kranken sich nicht mehr in demselben aufhalten, die Ansteckung
zur Folge haben.
Oder wird die
Cholera durch einen
Kranken in einen seither gesunden Ort verschleppt, so erkrankt zuerst
die nächste Umgebung des
Kranken; sind aber erst mehrere
Kranke in einem Hause oder viele an einem Orte, so erkranken auch
solche, die nicht in die Nähe eines
Kranken gekommen sind.
Alle drei erwähnten Gruppen von
Krankheiten,
die durch
Aufnahme eines specifischen, in der
Atmosphäre oder an
Kranken haftenden Giftstoffs erworben werden, nennt man
Infektionskrankheiten,
d. h. ansteckende
Krankheiten im weitern
Sinne. Der
Moment der Ansteckung
wird selten beachtet,
weil er meist nicht von subjektiven Erscheinungen
begleitet ist. Deshalb ist auch der Zeitraum zwischen der und dem ersten
Ausbruch der Krankheitserscheinungen
(Stadium der Inkubation oder Latenz) noch nicht für alle
Infektionskrankheiten sicher bekannt, übrigens ist dieser Zeitraum
bei den einzelnen
Krankheiten von verschiedener
¶
mehr
Dauer. Zur Verhütung der Ansteckung
dienen energische Desinfektionsmaßregeln (s. Desinfektion),
[* 3] in einzelnen Fällen auch Schutzimpfungen
(s. Impfung).
[* 4]
Außer den schon erwähnten Krankheiten sind noch einige Gruppen von Krankheiten anzuführen, die den eigentlichen Infektionskrankheiten
wirklich oder scheinbar nahe stehen. Die sog. purulent- (eiterig-) kontagiösen
Krankheiten sind allerdings ansteckend im
engern Sinne, aber sie führen nicht zu allgemeiner Erkrankung des ganzen Organismus, sondern nur zu örtlichen
Störungen, und die Ansteckung
erfolgt nur dann, wenn der Eiter der erkrankten Stelle, welcher Träger
[* 5] des Kontagiums ist, auf bestimmte
Organe des Gesunden gebracht wird, so z. B. die sog. Ägyptische Augenentzündung, die Augenentzündung der Neugeborenen, der
Tripper.
Hierbei kann die Ansteckung
, eben der rein örtlichen Natur der Krankheit wegen, auch an einer und derselben Person von einem Teile
auf einen andern erfolgen. Die krankhaften Zustände, welche durch tierische oder pflanzliche Schmarotzer hervorgerufen und
von Person zu Person übertragen werden, rechnet man nicht zu den Infektionskrankheiten, sondern umfaßt
sie unter dem Namen der Invasionskrankheiten: Krätze, Bandwurm,
[* 6] Trichinen, Soor, Favus u. s. w. Die Krankheiten, welche von Tieren
auf Menschen durch Ansteckung
übertragen werden (Hundswut, Rotz, Milzbrand), heißen Zoonosen.
Endlich ist noch zu erwähnen, daß unter Laien vielfach Krankheiten darum für ansteckend gehalten werden, weil sie aus angeerbter
Anlage mehrere Glieder
[* 7] einer Familie zugleich befallen. In diesen Fällen handelt es sich aber nicht um
eine Ansteckung
, sondern um die Vererbung einer Krankheitsanlage der Eltern auf die Kinder. (S. Erbliche Krankheiten.) Im bildlichen
Sinne kann man auch dann von einer Ansteckung
sprechen, wenn eine Krankheitserscheinung durch Nachahmung erworben
wird, was besonders bei Kindern und nervenschwachen Frauen nicht selten vorkommt, wie z. B. Husten, Krämpfe,
Veitstanz u. s. w.; schon das Gähnen ist hierfür ein Beispiel. Auch exaltierte geistige Zustände wirken öfters gewissermaßen
ansteckend, insbesondere der religiöse Fanatismus (die Flagellanten im Mittelalter). Über das Wesen, die Entstehung und Fortpflanzung
der vorerwähnten Krankheitsgifte sowie über Ort und Art der Ansteckung
mit denselben s.
Kontagium und Miasma; über die Ausbreitung ansteckender Krankheiten s. Epidemie. - Litteratur s. unter Kontagium.