im eigentlichen Sinn eine durch den Gesichtssinn erlangte Vorstellung von einem Gegenstand, im weitern Sinn
jede nicht durch Verstandesbegriffe vermittelte, sondern unmittelbar auf
den Gegenstand bezogene Vorstellung. Sie
ist unter allen Vorstellungen die klarste und lebendigste, doch ist der Kreis, in welchem sie herrscht, beschränkt, sie selbst
immer individuell, an das gerade Gegebene gebunden, daher unfähig, über die Grenzen der unmittelbaren Wahrnehmbarkeit hinauszugehen,
und mithin der Einseitigkeit ausgesetzt.
Die Anschauung muß sich mit der Abstraktion verbinden, um allgemeine Vorstellungen zu erzeugen; erst aus diesem
Weg kommt aus der Anschauung die Erkenntnis, zunächst nur die des einzelnen Gegenstandes, dann aber auch bei weiterer Arbeit die des
Generellen, zu stande. Die Anschauung gibt das Material für das Denken, das Denken selbst erst die Erkenntnis; der Anschauende ist noch
im Gegenstand verloren, durch das Denken bemeistert er sich seiner und macht ihn im Wissen zu seinem Eigentum.
Kant (und nach ihm Schopenhauer) unterschied zwischen reinen a priori) und empirischen a posteriori) Anschauungen und verstand
unter jenen solche, welche der Geist, frei von allem konkreten Gehalt, nur als reine Form schaut, d. h.
Zeit und Raum und die in diese Kategorien fallenden Gegenstände der reinen Mathematik, unter diesen dagegen die Bilder, welche
die Betrachtung bestimmter Gegenstände in uns hervorbringt.
Die meisten neuern philosophischen Schulen haben die Anschauung als die Bedingung aller Erkenntnis ihren Systemen zu Grunde gelegt, die
idealistischen eine apriorische (reine), die realistischen eine aposteriorische (sinnliche). Fichte verstand
unter intellektueller Anschauung die ursprüngliche Anschauung des Ichs oder das unmittelbare Bewußtsein;
Schelling einen unbedingten Erkenntnisakt,
in welchem das Subjektive und Objektive zusammenfallen soll, und welcher nach ihm der Anfangspunkt aller philosophischen Erkenntnis
ist;
Hegel vermittelte ein absolutes Wissen durch notwendige Gedankenbewegung;
Herbart und Beneke dagegen
kennen nur die empirische Anschauung als Grundlage der Erfahrung. So viel ist gewiß, daß eine intellektuelle Anschauung als ein durch das
Denken nicht vermittelter, mithin zufälliger und verlierbarer Zustand des Subjekts, in welchem man das Absolute in seiner ungetrübten
Einheit unmittelbar ergreifen soll, eine willkürliche Voraussetzung ist, welche ebensowenig auf
sicherm Boden ruht wie jenes unmittelbare Anschauen Gottes, von dem die Mystik so oft geträumt hat. -
Künstlerische Anschauung ist die Art und Weise, wie der praktische Künstler oder auch der an Kunstwerken gebildete Geist des Kunstfreundes
die Dinge nach dem Maßstab und den Gesetzen betrachtet, welche sich aus der ästhetischen und historischen
Wesenheit der Kunst als durchgehende Norm ergeben.
eigentlich die Vorstellung des Gesichtssinns, namentlich sofern sie im einzelnen deutliche und im ganzen
wohlabgegrenzte Bilder liefert; dann aber die Auffassung der Sinnenbilder überhaupt. Die Anschauung ist, im Unterschied vom allgemeinen
und abstrakten Begriff (s. d.), einzeln und konkret, zugleich aber in
bestimmter Beziehung zum Begriff zu denken. So giebt der Begriff vom Dreieck nur die allgemeinen Merkmale, die jedem Dreieck
wesentlich zukommen, wogegen die Anschauung das im Begriff allgemein Gedachte am einzelnen Beispiele in concreto darstellt. In diesem
Sinne fordert Kant, daß man sich seine Begriffe anschaulich und andererseits seine Anschauung verständlich mache.
Am bestimmtesten gestaltet sich dieser Gegensatz in seiner Beziehung auf das Grundproblem der Erkenntnistheorie, die Frage
nach dem Ursprung des Gegenstandes in der Erkenntnis.
Ist derselbe einerseits, sofern darin eine Einheit des Mannigfaltigen gedacht wird, der Ausdruck der synthetischen Einheit
des Begriffs, so bezieht sich diese andererseits stets auf einen sinnlich gegebenen Stoff (das Mannigfaltige
selbst). Sofern auf der erstern alles Verstehen beruht, nannte Kant diesen Faktor der gegenständlichen Erkenntnis Verstand;
sofern aber der Anteil der Sinnlichkeit es allein ermöglicht, dem Begriff die entsprechende in concreto und damit erst seine
wirkliche Anwendung zu geben, nannte er diesen zweiten Faktor schlechtweg Anschauung (obwohl zu den bestimmten
Anschauung die begriffliche Funktion unerläßlich ist). Nach dieser Gegenüberstellung des anschaulichen und
mehr
begrifflichen Faktors der gegenständlichen Erkenntnis ist Anschauung eigentlich nicht mehr eine fertige Bewußtseinsgestalt,
sondern ein bloß in der abstrakten Zerlegung der Erkenntnisbedingungen isolierbarer Bestandteil des bestimmten Bewußtseins
eines Gegenstandes, und in dieser engern Bedeutung von der Anschauung im ursprünglichen und gewöhnlichen Sinne wohl zu unterscheiden.
Der Gegenstand ist für die so verstandene Anschauung erst unbestimmter (noch zu bestimmender)
Gegenstand; nennt ihn Kant «gegeben», so ist er doch nicht ein schon erkannter,
worauf der Begriff dann bloß weiter zu bauen hätte; er ist gegeben eigentlich nur im Sinne der gestellten Aufgabe (der Erscheinung
den Gegenstand zu bestimmen).
Daher deckt sich bei Kant der «unbestimmte» Gegenstand
der Anschauung mit der «Erscheinung». Weiter unterscheidet Kant
an der Anschauung selbst einen reinen und empirischen Bestandteil. Das Reine oder die Form der Anschauung (d. h. das Gesetzmäßige an ihr,
welches den Grundcharakter der Anschauung überhaupt bestimmt) ist die Ordnungsweise des Mannigfaltigen in Raum und
Zeit, während das bestimmte Gegebensein eines Anschaulichen (hier und jetzt) im Raume und in der Zeit
(genauer: was ein Hier und Jetzt in Raum und Zeit bestimmbar macht, nämlich die Empfindung) die Materie oder das Empirische
der Anschauung heißt.
Kant nennt dann auch Raum und Zeit selbst «reine Anschauung», was
aber nicht darüber täuschen darf, daß eine gesonderte (also empfindungsfreie) von Raum und Zeit, ohne
Etwas in beiden, nicht möglich ist, und daß andererseits die bloße Form oder Gesetzlichkeit des räumlich-zeitlichen Anschauens
nicht selbst ein Gegenstand der Anschauung, sondern nur des Begriffs ist. (Über sinnliche und intellektuelle Anschauung sowie über den
Unterschied zwischen äußerer und innerer s. Intellektuell, Sinnlichkeit und Sinn.) - In unbestimmtester Bedeutung versteht
man unter Anschauung dasselbe wie Ansicht, d. h. die subjektive Auffassung von irgend einer Sache. So spricht man von Weltanschauung,
Lebensanschauung u.s.w. und meint damit, die Gesamtvorstellung von Welt und Leben, die der Einzelne sich
gebildet hat.