(lat.
Adaptatio), die Fähigkeit der lebenden
Wesen, ihren Körperbau und ihre Lebensthätigkeiten veränderten
Bedingungen der Lebensweise,
Ernährung, des
Klimas, der Bodenbeschaffenheit, des Zusammenlebens mit andern
Tieren etc. anzubequemen,
mag dies nun
in direkter oder indirekter
Weise, durch in dem
Organismus selbst liegende
Kräfte oder durch
Mitwirkung äußerer
Faktoren zu stande kommen. Unter direkter Anpassung versteht man die unmittelbar durch die veränderte Lebensweise
selbst herbeigeführte zweckentsprechende Veränderung der
Organisation, namentlich die sogen. funktionelle Anpassung, welche in der
bekannten
Thatsache ausgedrückt ist, daß ein stärker in Anspruch genommenes
Organ gekräftigt, ein außer
Gebrauch gesetztes
bis zur Verkümmerung geschwächt wird.
Man hatte sich diese
Thatsache, auf welcher unter anderm die gymnastische
Erziehung der
Jugend und die Möglichkeit der Erwerbung
vieler körperlicher Fertigkeiten beruhen, früher dadurch zu erklären gesucht, daß man annahm, den mehr in Anspruch genommenen
Organen fließe ein stärkerer Nahrungsstrom zu; allein
Roux hat in neuerer Zeit zu zeigen gesucht, daß
diese Auffassung nicht erschöpfend und besser so umzugestalten ist, daß jedes
Organ wesentlich nur in seiner
Funktion lebt,
daher durch stärkere Inanspruchnahme (soweit dieselbe, ohne die
Harmonie des Ganzen zu stören, ausgedehnt werden kann) intensiver
lebt und besser assimiliert, während unbenutzte
Organe ein Scheinleben führen, schwächer assimilieren
und endlich zu
Grunde gehen. Da dieser
Prozeß sich bis in die kleinsten aufbauenden Teilchen fortsetzt, so wird dadurch verständlich,
wie unter Umständen die gesamte Elementarstruktur eines
Organs durch funktionelle Anpassung verändert werden kann, wenn z. B. in
einem
Knochen
[* 2] die bis ins einzelne den mechanischen
Gesetzen entsprechende statische
Struktur desselben
infolge eines nicht völlig regelrecht geheilten
Bruches später in einer etwas veränderten
Druck- oder Zurichtung
in Anspruch
genommen wird. Es verschwinden sodann ziemlich schnell diejenigen tragenden Knochenbälkchen, welche infolge der veränderten
Bedingungen nicht mehr in Anspruch genommen werden, und es bilden sich an ihrer
Stelle neue unter dem Einfluß
des veränderten
Bedarfs. Da somit bei der funktionellen AnpassungNeubildung und Ausmerzung von Elementarteilen
Hand
[* 3] in
Hand gehen,
so nennt
Roux das
Prinzip, nach welchem sie wirkt, einen
»Kampf der Teile im
Organismus«, was so zu verstehen ist, daß ein
Kampf
um den
Raum und das Baumaterial dabei stattfindet.
Durch diesen
Prozeß erklärt sich die der
Funktion entsprechende höchste Zweckmäßigkeit der
Anordnung aller Teile in jedem
Organ.
Lamarck hatte geglaubt, mit diesem
Prinzip der funktionellen Anpassung die Veränderungen der lebenden
Wesen in der Zeit überhaupt
erklären zu können; allein
Darwin zeigte, daß man eine große
Reihe von Abänderungen der Lebewesen
nur durch die
Annahme einer indirekten Anpassung unter dem Einfluß der natürlichen
Zuchtwahl erklären könne, sofern von den nach
den verschiedensten
Richtungen sich verändernden Organismen einzelne den in einer bestimmten Art, z. B.
durch
Auswanderung oder Klimawechsel, veränderten Lebensbedingungen besser standhalten können als andre, z. B.
weiß gewordene
Tiere den Verhältnissen der
Polarländer und gelb gewordene denen der
Wüste, sofern die
einen dort, die andern hier von ihren Feinden weniger gut aus der
Ferne erkannt werden können, während die anders gefärbten
der Ausrottung verfallen (s.
Darwinismus).
Ebenso widerstehen bestimmte
Abarten besser als andre der
Kälte,
Hitze, Nässe, Trockenheit und der besondern
Nahrung bestimmter Gebiete und überleben dieselben. Diese indirekte Anpassung durch die natürliche
Zuchtwahl wird dann durch eine
Reihe von
Generationen fortschreiten, bis das vollkommenste
Maß der Anpassung an die Lebensbedingungen der neuen Umgebung etc. nach
allen in Betracht kommenden
Richtungen, z. B. auch eine relative
Immunität gegen die herrschenden lokalenKrankheiten,
erreicht ist, wobei die Organisationshöhe des
Körpers vor- und zurückschreiten kann.
Die Anpassung an eine sitzende Lebensweise ist z. B. für die
Tiere fast immer eine rückschrittliche, weil mit dem Verlust der Bewegungsorgane
verknüpft, und noch mehr ist dies der
Fall bei einer von
Pflanzen und
Tieren an eine schmarotzende Lebensweise
(s.
Entartung). Beide
Arten der Anpassung, die direkte wie die indirekte, wirken im
Lauf der
Generationen akkumulativ, solange die höchste
mit den andern
Bedingungen verträgliche Zweckmäßigkeit nicht erreicht ist, da das Erreichte vererbt wird und die erzeugenden
Bedingungen fortwirken (progressive Anpassung). Mitunter kann die Anpassung auf das eineGeschlecht, dem dieselbe allein
nützlich ist, beschränkt sein (geschlechtliche Anpassung), z. B. die Pollensammelapparate
mancher
Bienen.
So viel auch in den letzten Jahren gegen die Erblichkeit durch äußere Umstände und Lebensverhältnisse
veranlaßter Änderungen von Gestalt und Entwickelung der Organismen gelehrt und geschrieben worden ist,
bleibt die Thatsache der erblichen in so vielen gleichmäßigen Wirkungen (z. B. in der Übereinstimmung der Organisation der¶
mehr
festwachsenden Tiere, der Höhlenbewohner und Tiefseetiere, der Wüstenpflanzen und -Tiere, der Schmarotzerpflanzen
[* 5] und Tiere)
so augenfällig erkennbar, daß schon dadurch jene Theorie in eine sehr schwierige Lage gerät (vgl. Erblichkeit). »Über den
Einfluß der festsitzenden Lebensweise auf die Tiere und über den Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung
oder Knospung« hat ArnoldLang (Jena
[* 6] 1888) eine größere Abhandlung veröffentlicht, die manche neue Gedanken
und Thatsachen bringt.
Da man alle festgewachsenen Tiere von frei lebenden Ahnen ableitet, wie ja auch der junge Keim und bei vielen selbst die ersten
Larvenstadien freilebend sind, so muß ein gewisser Vorteil mit der Anheftung für diese Tiere verbunden
sein, der hauptsächlich in der Sicherung ihres Aufenthalts an der nahrungsreichern Küste und in der Tiefsee, wo ein beständiger
Nahrungsregen von oben herab stattfindet, bestehen mag, sofern Sturm und Wogen ihre fortreißende Gewalt an ihnen verlieren.
Die gleichmäßigen Veränderungen bestehen dabei hauptsächlich in folgenden Punkten:
1) Verlust der Bewegungsorgane, die nun überflüssig werden. Hier ist besonders das Verhalten
der Muscheln lehrreich, die sich sonst ihres muskulösen Fußes als eines oft sehr mächtig ausgebildeten, weit vorstreckbaren
Kriechwerkzeugs bedienen. Beiden sich festsetzenden Muscheln wird dieses große keilförmige Organ alsbald sehr viel kleiner,
z. B. bei den Miesmuscheln, die sich mit dem sonst nur der zeitweiligen Anheftung dienenden Sekret der
Fußdrüse, dem sogen. Byssus, dauernd festheften.
Ganz rudimentär geworden ist der Fuß bei den Austern, die seiner nie mehr bedürfen, während die jungen Rankenfüßer ihre
Beine, die ihnen zum Schwimmen dienten, zu ganz andern Organen umbilden, wenn sie vor Anker
[* 11] gegangen sind.
Dafür entwickelt sich bei einer großen Anzahl dieser Tiere ein für viele derselben völlig neues Organ, der muskulöse,
biegsame Stiel, der dem bewegten Element zähen Widerstand zu leisten im stande ist und bei manchen Rankenfüßern auch dem
nachbarlichen geschlechtlichen Verkehr dienen soll.
Bei den letztern wie auch bei den Röhrenwürmern, vielen Korallen und Moostierchen kommt die Entwickelung
eines starken Außenskeletts oder einer Röhre, in die sich die fluchtlosen Tiere in der Gefahr zurückziehen können, hinzu,
um ihre Sicherheit zu erhöhen, und die Umbiegung des Verdauungsrohrs, so daß die Auswurfsöffnung neben dem Munde aus der
Panzeröffnung hervortritt, ist eine weitere Folge dieser Umhüllung. Bei den Tunikaten
[* 12] oder Manteltieren
enthält der Mantel bedeutende Anteile einer sehr widerstandsfähigen Cellulose, die freilich nach neuerlicher Entdeckung von
Ambronn auch in den Körperbedeckungen vieler Krebse und Insekten
[* 13] gefunden wurde
und also im Tierreich häufiger vorkommt, als
man bisher glaubte.
Die meisten dieser Tiere sind Hermaphroditen, doch finden sich bei manchen von ihnen, namentlich bei den Rankenfüßern, höchst
komplizierte geschlechtliche Verhältnisse, bei denen zwerghafte Männchen, die fast nur aus einem in der Jugendzeit frei
beweglichen Geschlechtsapparat mit rudimentären Gliedmaßen bestehen, sich an dem festgewachsenen, 100mal größern Weibchen
festklammern und von demselben mit ernährt werden. Fast allen diesen festwachsenden Tieren ist ein großes
Sprossungs- und Wiederergänzungs- (Regenerations-) Vermögen für verlorne Gliedmaßen eigen, was als eine natürliche Kompensation
für ihre Unfähigkeit, zu fliehen, erscheint.
Lang bringt diese Vorgänge in Zusammenhang und hält die bei vielen dieser Tiere vorkommende Kolonienbildung durch Sprossung
für eine Folge der starken Regenerationsfähigkeit, sofern erstere der bessern Ernährung des Stockes dient.
Da diese Tiere nämlich ihre Nahrung nicht im weitern Umkreis suchen können, aber an Orten, wo Nährstoffe für ein festsitzendes
Tier vorhanden ist, auch viele ihren Tisch gedeckt finden, und ein entschiedener Vorteil darin liegt, wenn bei
solcher zufälligen Nahrungszuführung viele Mundöffnungen für ein gemeinsames Zirkulations- u. Verdauungssystem vorhanden
sind, so stärken und breiten sich diese Kolonien beständig durch ungeschlechtliche Sprossung aus Knospen
[* 15] am Stielgrund aus,
während die im Generationswechsel entstehenden und sich ablösenden Geschlechtstiere für Anlage neuer Kolonien an entferntern
Orten sorgen.
Ja, da solche Stock- und Kolonienbildung eigentlich nur für festwachsende Tiere von Vorteil und Bedeutung
ist, so hält Lang auch die schwimmenden Kolonien gewisser Korallen (Seefedern), Manteltiere (Feuerwalzen), Moostiere (Cristatella-Arten)
u. a. für von neuem flott gewordene, ursprünglich festgewachsene Kolonien. Ein besonderes Interesse knüpft sich natürlich
an solche Fälle, bei denen man den Einfluß eines bestimmten Wechsels der Lebensbedingungen auf einen
Organismus direkt verfolgen und denselben vielleicht durch eignes Zuthun in einen andern verwandeln kann. Aber solche
Fälle sind nur sparsam bekannt, und darum hatte die von Schmankewitsch entdeckte Wandlung eines kleinen Kiemenfußkrebses
(Artemia salina),
¶
mehr
der im Meer lebt und an der Bildung des Meerschaums an der kyprischen Küste, aus welchem die kyprische Göttin hervorgestiegen
sein soll, den hauptsächlichsten Anteil nimmt, bei erhöhtem Salzgehalt aber allmählich alle Schwanzborsten und Schwanzlappen
einbüßt und in eine kleinere, unter anderm Namen schon früher bekannte Art (Anpassung Milhausenii) der Salzseen
übergeht, durch allmähliche Aussüßung des Lebenselements aber den gewöhnlichen Süßwasserkiemenfüßern (Branchipus-Arten)
ähnlich wird, immer ein großes Interesse erweckt.
Denn durch bloße allmähliche Vermehrung oder Verminderung des Salzgehalts ließ sich eine und dieselbe Tierart in drei verschiedene
Formen überführen, die bisher nicht nur als verschiedenen Arten, sondern sogar verschiedenen Gattungen
angehörig betrachtet worden waren. Eine Umwandlungsfähigkeit von ähnlicher, in andrer Richtung noch größerer Bedeutsamkeit
hat Boas kürzlich bei einer Garneelen- oder Granatart (Palaemonetes variansLeach.), welche im südlichen Europa
[* 17] ausschließlich
im Süßwasser (in Seen, Teichen und Bächen), im Norden
[* 18] aber im See- und Brackwasser lebt, nachgewiesen. Bei dieser Krebsart, die
dem bekannten vielgenossenen Ostseegranat (fälschlich Krabbe
[* 19] genannt) in Gestalt und Größe nahekommt, wird weniger die äußere
Gestalt, die nur geringe und nicht einmal beständige Unterschiede zeigt, als vielmehr die gesamte Entwickelungsweise von der
Veränderung des Lebenselements beeinflußt.
Es ist nämlich an die Stelle der Entwickelung aus frei lebenden Larven der Salz- und Brackwasserform eine
direktere Entwickelung aus Eiern bei der Süßwasserform getreten, so daß mehrere der ersten Larvenformen übersprungen werden
und die Larven erst auf einer höhern Entwickelungsstufe aus dem Ei
[* 20] kommen, weshalb dieses ein größeres Nährmaterial enthält
und das achtfache Volumen des Eies der Salzwasserform einschließt. Die ausschlüpfende Larve ist größer,
aber eigentlich plumper gebaut als die der Salzwasserform und auch weniger geschickt, sich selbst zu ernähren, was bei dem
aufgespeicherten Nährmaterial auch nicht nötig ist. Es scheint dies fast ein allgemeines Gesetz zu sein, denn auch unser
Flußkrebs zeigt nicht die komplizierte Metamorphose der Meerkrebse, und dasselbe bemerkt man bei einer
Vergleichung der Strudel- und Ringelwürmer (Turbellarien und Anneliden), die nur im Meere als selbständig schwärmende Larven
auftreten, im Süßwasser dagegen erst in einem fertigern Zustand ans Licht
[* 21] treten.
Der Grund mag darin liegen, daß das Süßwasser gewöhnlich nicht so reich an der für die winzigen Larven geeigneten
Nahrung ist, weshalb dort nur solche Formen überleben, deren Eier
[* 22] mit einem reichern Dottermaterial ausgestattet wurden, was
wiederum kaum ohne Abänderung der mütterlichen Eileiter geschehen kann. Das Interessante dabei ist, daß sich diese verschiedene
Ausstattung hier bei einer und derselben Art erkennen läßt, ohne daß dieselbe in ihrer Endform wesentlich
verändert wurde.
Etwas Ähnliches findet man beiden zu den niedern Krebstieren gehörigen Wasserflöhen (Daphniden), welche im Sommer bei günstigen
Lebensverhältnissen lebendige Junge gebären, im Herbst, wenn die Wassertümpel, in denen sie leben, austrocknen, dickschalige,
dotterreichere Dauereier erzeugen, die den Winter überdauern, und in manchen Fällen (namentlich bei Leptodora) eine mit
der vielen Meerkrebsen aller Klassen gemeinsamen Urlarvenform (Nauplius) ihre Entwickelung beginnen.
Allein dieses schon seit dem vorigen Jahrhundert bekannte Verhalten ist bei
weitem nicht so beweisend für die Anpassungslehre,
weil es sich hierbei um zwei verschiedene Klassen von Eiern handelt; die Sommereier, aus denen die fertigen Jungen hervorgehen,
sind nämlich unbefruchtete weibliche Eier, und erst die Dauereier entstehen aus erneuter Befruchtung und
bringen wieder Junge beiderlei Geschlechts. Ähnlicher ist das Verhalten einer Fliege (Musca corvina), die im nördlichen Rußland
nur Eier liefert, welche nach der gewöhnlichen Weise durch einen Maden- und Puppenzustand hindurchgehen, während sie im südlichen
Rußland außer solchen abgelegten Frühjahrseiern im Hochsommer lebendige Junge aus größern Eiern erzeugt.
Alles dies bezeugt die Wandelbarkeit der Organismen den äußern Bedingungen gegenüber, und daß die Lufttemperatur auch bei
der Wandlung der oben erwähnten Garneele nicht ohne Einfluß ist, beweist schon der Umstand, daß die südliche Form derselben
immer nur im Süßwasser, niemals im brackigen oder eigentlichen Seewasser gefunden wird, wie die nordische.
Die Lehre
[* 23] von der Anpassung ist neuerdings ein stark bevorzugter Gegenstand biologischer Untersuchungen geworden
und zwar von so entgegengesetzten Standpunkten aus, daß man sicherlich erwarten darf, die Wahrheit in der Mitte zu finden.
Denn während die Weismannsche Schule jeden Einfluß der äußern Lebensverhältnisse auf eine dauernde
(erbliche) Umformung der Lebensformen leugnet (vgl. Bd. 18, S. 250 ff.),
ist eine andre Schule (Neo-Lamarckismus) aufgetaucht, deren Wortführer, namentlich Henslow, wieder alle Veränderung und
Vervollkommnung der Wesen den äußern Einflüssen zuschreiben und der natürlichen Zuchtwahl keinen Einfluß zugestehen möchten.
Der mächtige Einfluß der äußern Lebensbedingungen kann sehr leicht in den gleichmäßigen Veränderungen
der Pflanzen einer und derselben biologischen Formation (Gebirgs-, Wüsten-, Steppen-, Strand-, Sumpf- und Wasserpflanzen)
[* 24] nachgewiesen
werden, und nach dieser Richtung haben unter andern die Alpenpflanzen den Gegenstand der Kontroverse gebildet. Dieselben kennzeichnen
sich besonders durch kurze Stengel,
[* 25] Polsterbildung der Grundblätter und gedrungenes, durch Kürze der
Internodien ausgezeichnetes Wachstum, so daß die Blüten verhältnismäßig größer erscheinen als bei Pflanzen der Ebene.
Dieses gedrungene Wachstum ist, wie Thiselton Dyer zeigt, eine Folge der starken Besonnung und Einwirkung der brechbareren
Strahlen, welche das Längenwachstum hemmen, aber von den Pflanzen der Ebene durch eine dicke Wasserdampfschicht abgehalten
werden. Darum wachsen die schönen rosettenartigen Polster der Alpenpflanzen sofort sparrig aus, wenn man
sie im Garten
[* 26] zieht und ihnen nicht genügend Sonne
[* 27] gibt; es findet also eine sofortige Rückanpassung statt: der von der Insolation
[* 28] erzeugte Zwergwuchs, der hier als Anpassungs-Erscheinung zu gelten hat, ist also nicht beständig geworden, während der
Gärtner durch Zuchtwahl ausdauernde Zwergformen erlangt. Dieselbe Erfahrung machte der Genannte mit der sogen. Arabis¶
mehr
anachoretica, einer Pflanze, die in Felsöffnungen und Klüften wächst, wo sie zwar genügend Licht und Feuchtigkeit findet,
aber weder von der Sonne noch vom Regen getroffen wird. Wie andre Pflanzen von ähnlichem Standort (z. B. Saxifraga
[* 30] arachnoides,
Zahlbrucknera paradoxa und Heliospermum glutinosum), zeichnet sie sich durch papierdünne Blätter aus, verwandelte sich
aber im Garten von Kew bald wieder in die gemeine Arabis alpina. Auch stellte sich dort heraus, daß die Alpenpflanzen durchaus
nicht so winterhart sind, wie man angenommen hatte; sie mußten in England teilweise sogar im Gewächshaus überwintert werden,
weil dort häufig die wärmende Schneedecke fehlt, die in den Alpen
[* 31] vom September bis zum Mai die Höhen
einzuhüllen pflegt.
Wir ersehen aus diesen Beispielen, daß unmittelbare Anpassungen von dauernden zu unterscheiden sind, wenn auch die dauernden
aus den unmittelbaren oftmals durch die Zuchtwahl ausgewählt sein werden. Es gibt unter den unmittelbaren solche, die jeden
Augenblick in Thätigkeit treten können, und andre, wie die funktionelle Anpassung, die nur
Verletzungen oder bleibenden Störungen des Organismus ihre Entstehung verdanken. Ein Beispiel dieser schnell in Wirksamkeit
tretenden Anpassung ist in jüngster Zeit durch Anpassung Müntz und Viault in der schnell eintretenden Anreicherung des Blutes an Hämoglobin
bei Tieren, die aufs Gebirge gebracht werden, geliefert worden.
Schon im Laboratorium
[* 32] kann man sich überzeugen, daß verdünnte Luft, d. h. also verminderte Sauerstoffspannung, die Atmung
beeinträchtigt, und man nahm bisher an, daß die Sauerstoffaufnahme in der dünnen Gebirgsluft durch vermehrte Schnelligkeit
oder Tiefe der Atemzüge ausgeglichen werden müsse. Viault hat nun an einigen sehr hoch gelegenen Stationen der
Andes, und zwar an der Mine von Morococha (4392 m) und in Chicla (3724 m) das Blut von Hämmeln und Hunden untersucht, und diese
später auf dem Pic du Midi (2877 m) wiederholten Analysen ergaben gleichmäßig, daß die Menge des Sauerstoffes im Blute der
Tiere (wie des Menschen), welche in der verdünnten Luft der Hochgebirge leben, ob sie nun dort geboren
oder bloß akklimatisiert sind, ziemlich ebenso groß ist wie im Blute der Tiere (und Menschen), welche in der Tiefebene leben,
so daß ein Sauerstoffhunger als bleibender physiologischer Zustand nicht nachzuweisen war.
Die Erklärung dieser physiologisch sehr wichtigen Thatsache fand Anpassung Müntz in einer verhältnismäßig
schnell eintretenden Vermehrung des Hämoglobins, als desjenigen Blutbestandteils, dessen Thätigkeit in der Bindung des Luftsauerstoffes
besteht. Er hatte eine Anzahl von Kaninchen
[* 33] auf den Gipfel des Pic du Midi, wo der Luftdruck nur noch 540 mm beträgt, gebracht
und das Blut der Tiere, die sich daselbst schnell eingewöhnten und vermehrten, nach Jahresfrist (August
1890) untersucht.
Bei der Vergleichung mit den Kaninchen der Ebene ergab sich, daß die Blutdichte von 1046,2 auf 1060,1,
die Menge der festen Bestandteile von 15,75 Proz. auf 21,88
Proz., die Eisenmenge (auf 100 g Blut berechnet) von 40,3 auf 70,2 mg und die Menge des von 100 g Blut absorbierten
Sauerstoffs von 9,56 auf 17,28 ccm gestiegen war. Eine ähnlich starke Anreicherung des Blutes an Hämoglobin und mithin an Fähigkeit,
Sauerstoff zu absorbieren, beobachtete Müntz an Schafen, die, in der Ebene geboren, an Gehängen des Pic du Midi in Höhen von
2300-2700 m auf die Weide
[* 34] gebracht worden waren, schon nach Verlauf von 6 Wochen. Daraus lassen sich leicht Schlüsse auf
den
Nutzen des Bergaufenthalts für Personen mit gewissen Lungenleiden ziehen, anderseits kann nicht leicht ein überzeugenderes
Beispiel von unmittelbarer Anpassung des Organismus an das Mittel und die äußern Lebensbedingungen gefunden werden.
Ebenso deutliche und unmittelbare Einwirkungen wie die starke Erhebung über die Ebene übt, freilich in andrer Richtung, die
Meeresnähe, was sich besonders in der Gleichmäßigkeit des Aussehens, des Zellenbaues und der gesamten Organisation derStrandpflanzen ausprägt. Um die Veränderungen in der Struktur der Blätter zu studieren, hat PierreLesage
kürzlich mit 85 Pflanzenarten aus 32 verschiedenen FamilienVersuche angestellt, teils indem er dem Boden Kochsalzlösung oder
Meerwasser zuführte, teils indem er die Salzlösung direkt auf die Blätter wirken ließ, wie dies ja auch in der Natur durch
Brandungsnebel und Winde
[* 35] geschieht. In fast allen Fällen wurde eine Verdickung der Blätter erzielt, die
namentlich von einer starken Entwickelung des Palissadengewebes begleitet wird, die aber bei den einzelnen Arten in verschiedenartiger
Weise vor sich geht.
Bei manchen Arten, wie bei Mercurialis annua, zeigte sich nur Vergrößerung, keine Vermehrung der Palissadenzellen, bei andern
aber, z.B. bei Lychnis dioica, auch Vermehrung der Palissadenschichten, bei noch andern, z. B. Tussilago
Farfara, und Aster Tripolium, trat beides ein. Dagegen vermindern sich die Lücken und Zwischenzellgänge bei den Strandpflanzen,
ebenso tritt eine Verminderung des Chlorophylls, sei es durch Volum- oder Zahlreduktion der Körnchen, ein. Auch Pisum maritimum
und Lilium grandiflorum, besonders aber Lepidium sativum zeigten unter dem Einfluß des dem Boden zugeführten
oder auf die Blätter gebrachten Salzes dieselben Veränderungen.
Die tiefgehenden Veränderungen, welche das Leben am Strande bei Tropenpflanzen erzeugt, sind neuerdings von F. W. Schimper
genau studiert und in seinem Buch über »Die indomalaiische Strandflora« (Jena 1891) beschrieben worden. Er teilt dieselbe
in drei Formationen (Mangrove-, Barringtonia-und Pes caprae-Formation) und zeigt, daß sich Pflanzen, der
verschiedensten Familien in gleichmäßiger Weise entweder für das Gedeihen im Uferschlamm oder im Flugsand verändert und
angepaßt haben, in dem Grade, daß sie manchmal eine ganz ähnliche Organisation erlangt haben und nirgends sonst mehr als
am Strande gedeihen könnten.
Die Anpassung beginnt schon an den Samen,
[* 36] die bei den Angehörigen der Mangrove-Formation so organisiert sind, daß sie bereits auf
der Mutterpflanze auskeimen, einen oft mehrere Zentimeter langen, unten verdickten, bolzenartigen Keimblätterträger (Hypokotyl)
entwickeln, der dann (namentlich bei Rhizophora- und Ceriops-Arten) sich tief senkrecht in den Schlamm einbohrt, wenn der
Keimling zur Ebbezeit herunterschießt. Durch wagerecht ausstrahlende Wurzelhaare oder lange Seitenwurzeln gewinnen sie bald
im Schlamme Halt und steigen später wie ein auf vielen Stelzen ruhender Pfahlbau als Uferwald empor.
und bilden die Schwimmfähigkeit ans, die den Strandpflanzen bessere Lebensbedingungen bietet. Ebenso bilden sich bei den
Pflanzen der nach Ipomoea Pes caprae benannten Pes caprae-Formation, ähnlich wie bei unsern Sandseggen, lange Stolonen aus,
die im Flugsand haften. Das sind nun natürlich keine direkten, sondern erst durch den Einfluß der natürlichen
Zuchtwahl vollendete Anpassungen, aber dennoch kann man hier besonders gut sehen, wie die äußern Bedingungen neue Sippen und
Arten geschaffen haben.
Denn die in der Mangrove lebenden Rhizophoreen unterscheiden sich von denen des Binnenlandes hauptsächlich durch ihre Strandanpassungen.
Die Gattung Aegiceras weicht von den übrigen Myrsineen, die GattungAvicennia von den Verbenaceen, zu denen
sie gehört, anscheinend weit ab, aber hauptsächlich doch nur durch Veränderungen, welche die Lebensweise im Uferwald an
Frucht und Samen hervorgerufen hat. Auch bei den Gattungen Tournefortia, Carapa, Cerbera, bei Terminalia Katappa, Guettardia speciosa,
Cordia subcordata, Clerodendron inerme, Morinda citrifolia, Calophyllum inophyllum, Barringtonia speciosa und racemosa,
etc. gehören die Strandanpassungen von Frucht oder Samen zu den diagnostischen Kennzeichen der Gattungen und Arten, die vor
dem Studium der biologischen Verhältnisse vielfach unverständlich waren. Vor der Gleichmäßigkeit der betreffenden Umwandlungen
muß jeder Zweifel an der Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl auf die Anpassungen sowohl als auf die Bildung neuer
Arten und Gattungen schwinden.
Ein sehr merkwürdiges Beispiel funktioneller Anpassung bei Tieren hat D. Barfurth kürzlich an den Larven des braunen Grasfrosches
(Rana fusca) studiert. Er hatte bei einer größern Stückanzahl die Schwanzspitze ungefähr im letzten Drittel mit scharfer
Schere
[* 41] weggeschnitten und fand, daß die meisten nach etwa 14 Tagen den Schwanz wiedererzeugt hatten, aber
bei vielen stand der neue Schwanz schief nach einer Seite, nach oben oder nach unten. Als Ursache ergab sich, daß die Achse
des regenerierten Stückes stets senkrecht auf der Schnittfläche stand, so daß jeder nach oben, unten oder nach der Seite
schiefe Schnitt eine schiefe Fortsetzung ergab, wie ein Backsteinbau, dessen Grundfläche nicht gehörig
nivelliert ist.
Nach 3-4 Wochen aber wurden allemal die Schwänze wieder gerade, und zwar infolge der funkionellen Anpassung an die Wirkung der Schwerkraft
und der Schwimmbewegungen. Daher trat auch die Wirkung nur im tiefern Wasser ein, nicht aber, oder wenigstens viel
unvollkommener, bei Larven, die in so seichtem Wasser gehalten wurden, daß sie nicht frei schwimmen konnten. Eine gewisse
Besserung, die der Wirkung der Schwerkraft zugeschrieben werden kann, trat indessen auch dort ein.
Adaptation, Bezeichnung für die Gesamtheit der Vorgänge, wodurch der Organismus sich innerhalb veränderter
Wechselbeziehungen zur Außenwelt erhält. Jeder Organismus steht einerseits unter der Einwirkung aller
nur möglichen Einflüsse der Außenwelt, während er andererseits gegen dieselben durch seine Thätigkeit reagiert; er ist,
abgesehen von seiner ursprünglichen Zusammensetzung, die Resultante dieses Gegenspiels von Ursachen und Wirkungen und demnach
auch auf eine gewisse Summe von solchen Einflüssen eingerichtet.
Andern sich diese Einflüsse in irgend einer Weise oder nach bestimmten Richtungen hin, so muß sich auch
die Gegenwirkung von seiten des Organismus ändern; er muß sich diesen Veränderungen anpassen, will er nicht zu Grunde gehen.
Es ist klar, daß diese Anpassung, wenn
sie innerhalb gewisser Grenzen
[* 43] der Einflüsse und der Zeit sich hält,
rein funktionell bleiben kann; daß aber, da die Ausübung der Funktionen auf die Organe selbst eine Rückwirkung äußert,
diese selbst schließlich verändert werden und durch diese Veränderung auch andere Organe in Mitleidenschaft ziehen. So
steht die in nächster Beziehung zu der Veränderlichkeit der Organismen und wird großenteils zur bedingenden
Ursache derselben.
Sobald aber durch eine solche Anpassung eine Veränderung erzeugt ist, so kann dieselbe auch auf die Nachkommen durch Vererbung übertragen
werden, und sobald dieselben Einflüsse auf die Nachkommen fortwirken, werden auch die entsprechenden Anpassung stets
umfangreichere Veränderungen nach sich ziehen. So bildet denn die Anpassung einerseits den direkten Gegensatz
zur Vererbung, welche die Nachkommen den Eltern ähnlich erhält, andererseits aber auch den Grund der stufenweise erfolgenden
Umwandlungen, die durch die Vererbung eine dauernde Abänderung der Charaktere herstellten.
Bei den durch geschlechtliche Zeugung fortgepflanzten Organismen, wo die Grundlage des Sprößlings aus dem materiellen
Zusammenwirken zweier, einander zwar ähnlichen, aber niemals gleichen Individuen hergestellt wird, muß
auch die Einwirkung der Außenwelt auf die Sprößlinge in ihrem Resultat eine verschiedene sein, um so verschiedener, je
größer die ursprüngliche Verschiedenheit derselben ist. Die Anpassung verhält sich zum physiol.
Vorgange der Ernährung wie die Erblichkeit (s. d.) zu dem der Fortpflanzung, und wenn sie
ausschließlich Geltung hätte, so würden alle Organismen unähnlich oder nur durch Konvergenz der Charaktere ähnlich sein
(s. Ähnlichkeit). So sind aber und Vererbung in einem Organismus gleichsam auch in fortdauerndem Kampfe begriffen: die Vererbung,
konservativ wirkend, ist bestrebt, die ererbten Eigenschaften in gleicher Weise auf die Nachkommen zu übertragen,
die von progressiver Thätigkeit, modelt dieselben um, und von Generation zu Generation nehmen die Kraft
[* 44] und Wirksamkeit
jener ab und die dieser zu. Je länger ein Organismus selbst oder die Reihe seiner aufeinanderfolgenden Generationen genötigt
ist, sich bestimmten Lebensbedingungen anzupassen, desto beträchtlicher wird der Grad der Umbildung gewisser Eigenschaften.
Sodann kann die Anpassung anfangs rein funktionell sein. Ein sehendes Tier, das für einige Stunden oder Tage im Dunkeln verharrt,
wird durch Erweiterung seiner Pupillen zu sehen versuchen, ohne daß die Struktur des Auges dadurch beeinträchtigt würde,
und zugleich durch Tasten sich zu orientieren suchen; dauert aber der Aufenthalt im Dunkeln durch das
ganze Leben und die nachfolgenden Generationen an, so wird nach und nach, wie bei dem Olm (Proteus) der Höhlen von Krain,
[* 45] das
Tier sich dadurch anpassen, daß seine ungebrauchten Augen verkümmern, der Tastsinn dagegen höher entwickelt wird.
AlleMoleküle, welche die Zellen, alle Zellen, welche die Gewebe,
[* 46] alle Gewebe, welche die Organe bilden,
und ganze Organgruppen, ja endlich der Gesamtorganismus werden auf diese Weise durch Anpassung verändert, und da die vorteilhaften
Änderungen vererbt werden, so wird es schließlich unmöglich, von vornherein die ursprünglichen und die durch Vererbung
festgestellten, aber anfänglich durch Anpassung erworbenen Eigenschaften Zu scheiden. (Vgl. W.
Roux, Der Kampf der Teile im Organismus, Lpz. 1881.) In welcher Weise die innern, zur Anpassung führenden Vorgänge sich abspielen,
ist noch wenig erforscht. Jedenfalls spielt
¶
mehr
dabei auch der Funktionswechsel (s. d.) eine große Rolle, durch den an Stelle der ursprünglichen Hauptfunktion eines Organs
eine Nebenfunktion sich ausbildet und zuletzt Hauptfunktion wird, ein Fuß z. B. Freßorgan
oder Respirationsorgan u. s. w. Daß die Anpassung nach verschiedenen Richtungen hin thätig sein kann, ergiebt sich von selbst, sie
kann ebenso zu harmonischer Ausbildung und Vervollkommnung des Organismus führen wie zu einseitiger
Entwicklung und zur Verkümmerung und Rückbildung.
Letzteres läßt sich namentlich bei festsitzenden und schmarotzenden Tieren beobachten; die Anpassung an die sitzende Lebensart
führt zu einseitiger Rückbildung der Bewegungs- und Sinnesorgane und zur Ausbildung von Schutzorganen, das Schmarotzertum
schließlich zur Rückbildung fast aller Organe mit Ausnahme der Fortpflanzungsorgane, die fast einzig
übrigbleiben (s. Schmarotzertum). Die Grenzen, bis zu welchen einerseits die fortschreitende Entwicklung durch Anpassung, andererseits
die Rückbildung sich ausdehnen kann, sind noch nicht festgestellt; ebensowenig sind die Beziehungen der einzelnen Organe
zu einander erforscht, infolge deren gewisse Organe sich nicht ändern können, ohne daß andere in Mitleidenschaft
gezogen werden. Auf der und der durch Vererbung erfolgenden Fixierung der erworbenen Charaktere beruht die natürliche und
künstliche Züchtung (s. d.). (S. auch Chromatische Anpassung.)