Anpassung
,
Adaptation, Bezeichnung für die Gesamtheit der Vorgänge, wodurch der Organismus sich innerhalb veränderter Wechselbeziehungen zur Außenwelt erhält. Jeder Organismus steht einerseits unter der Einwirkung aller nur möglichen Einflüsse der Außenwelt, während er andererseits gegen dieselben durch seine Thätigkeit reagiert; er ist, abgesehen von seiner ursprünglichen Zusammensetzung, die Resultante dieses Gegenspiels von Ursachen und Wirkungen und demnach auch auf eine gewisse Summe von solchen Einflüssen eingerichtet.
Andern sich diese Einflüsse in irgend einer
Weise oder nach bestimmten
Richtungen hin, so muß sich auch
die Gegenwirkung von seiten des Organismus ändern; er muß sich diesen
Veränderungen anpassen, will er nicht zu
Grunde gehen.
Es ist klar, daß diese Anpassung
, wenn
sie innerhalb gewisser Grenzen
[* 3] der Einflüsse und der Zeit sich hält,
rein funktionell bleiben kann; daß aber, da die Ausübung der Funktionen auf die Organe selbst eine Rückwirkung äußert,
diese selbst schließlich verändert werden und durch diese
Veränderung auch andere Organe in Mitleidenschaft ziehen. So
steht die in nächster
Beziehung zu der Veränderlichkeit der Organismen und wird großenteils zur bedingenden
Ursache derselben.
Sobald aber durch eine solche Anpassung
eine
Veränderung erzeugt ist, so kann dieselbe auch auf die Nachkommen durch
Vererbung übertragen
werden, und sobald dieselben Einflüsse auf die Nachkommen fortwirken, werden auch die entsprechenden Anpassung
stets
umfangreichere
Veränderungen nach sich ziehen. So bildet denn die Anpassung
einerseits den direkten Gegensatz
zur
Vererbung, welche die Nachkommen den Eltern ähnlich erhält, andererseits aber auch den
Grund der stufenweise erfolgenden
Umwandlungen, die durch die
Vererbung eine dauernde Abänderung der Charaktere herstellten.
Bei den durch geschlechtliche Zeugung fortgepflanzten Organismen, wo die Grundlage des Sprößlings aus dem materiellen
Zusammenwirken zweier, einander zwar ähnlichen, aber niemals gleichen Individuen hergestellt wird, muß
auch die Einwirkung der Außenwelt auf die Sprößlinge in ihrem Resultat eine verschiedene sein, um so verschiedener, je
größer die ursprüngliche Verschiedenheit derselben ist. Die Anpassung
verhält sich zum physiol.
Vorgange der
Ernährung wie die
Erblichkeit (s. d.) zu dem der Fortpflanzung, und wenn sie
ausschließlich Geltung hätte, so würden alle Organismen unähnlich oder nur durch Konvergenz der Charaktere ähnlich sein
(s.
Ähnlichkeit).
[* 4] So sind aber und
Vererbung in einem Organismus gleichsam auch in fortdauerndem Kampfe begriffen: die
Vererbung,
konservativ wirkend, ist bestrebt, die ererbten Eigenschaften in gleicher
Weise auf die Nachkommen zu übertragen,
die von progressiver Thätigkeit, modelt dieselben um, und von Generation zu Generation nehmen die Kraft
[* 5] und Wirksamkeit
jener ab und die dieser zu. Je länger ein Organismus selbst oder die Reihe seiner aufeinanderfolgenden Generationen genötigt
ist, sich bestimmten Lebensbedingungen anzupassen, desto beträchtlicher wird der
Grad der Umbildung gewisser Eigenschaften.
Sodann kann die Anpassung
anfangs rein funktionell sein. Ein sehendes
Tier, das für einige
Stunden oder
Tage im Dunkeln verharrt,
wird durch Erweiterung seiner
Pupillen zu sehen versuchen, ohne daß die
Struktur des
Auges dadurch beeinträchtigt würde,
und zugleich durch
Tasten sich zu orientieren suchen; dauert aber der Aufenthalt im Dunkeln durch das
ganze Leben und die nachfolgenden Generationen an, so wird nach und nach, wie bei dem
Olm
(Proteus) der
Höhlen von Krain,
[* 6] das
Tier sich dadurch anpassen, daß seine ungebrauchten
Augen verkümmern, der
Tastsinn dagegen höher entwickelt wird.
Alle
Moleküle, welche die Zellen, alle Zellen, welche die Gewebe,
[* 7] alle Gewebe, welche die Organe bilden,
und ganze Organgruppen, ja endlich der Gesamtorganismus werden auf diese
Weise durch Anpassung
verändert, und da die vorteilhaften
Änderungen vererbt werden, so wird es schließlich unmöglich, von vornherein die ursprünglichen und die durch
Vererbung
festgestellten, aber anfänglich durch Anpassung
erworbenen Eigenschaften Zu scheiden. (Vgl. W.
Roux, Der Kampf der
Teile im Organismus, Lpz. 1881.) In welcher
Weise die innern, zur Anpassung
führenden Vorgänge sich abspielen,
ist noch wenig erforscht. Jedenfalls spielt
¶
mehr
dabei auch der Funktionswechsel (s. d.) eine große Rolle, durch den an Stelle der ursprünglichen Hauptfunktion eines Organs
eine Nebenfunktion sich ausbildet und zuletzt Hauptfunktion wird, ein Fuß z. B. Freßorgan
oder Respirationsorgan u. s. w. Daß die Anpassung
nach verschiedenen Richtungen hin thätig sein kann, ergiebt sich von selbst, sie
kann ebenso zu harmonischer Ausbildung und Vervollkommnung des Organismus führen wie zu einseitiger
Entwicklung und zur Verkümmerung und Rückbildung.
Letzteres läßt sich namentlich bei festsitzenden und schmarotzenden Tieren beobachten; die Anpassung
an die sitzende Lebensart
führt zu einseitiger Rückbildung der Bewegungs- und Sinnesorgane und zur Ausbildung von Schutzorganen, das Schmarotzertum
schließlich zur Rückbildung fast aller Organe mit Ausnahme der Fortpflanzungsorgane, die fast einzig
übrigbleiben (s. Schmarotzertum). Die Grenzen, bis zu welchen einerseits die fortschreitende Entwicklung durch Anpassung
, andererseits
die Rückbildung sich ausdehnen kann, sind noch nicht festgestellt; ebensowenig sind die Beziehungen der einzelnen Organe
zu einander erforscht, infolge deren gewisse Organe sich nicht ändern können, ohne daß andere in Mitleidenschaft
gezogen werden. Auf der und der durch Vererbung erfolgenden Fixierung der erworbenen Charaktere beruht die natürliche und
künstliche Züchtung (s. d.). (S. auch Chromatische Anpassung.)