Annam
,
Kaiserreich, s. Anam. ^[= (Ngannam, "beruhigter Süden"), ein unter franz. Protektorat stehendes Kaiserreich ...]
Annam
3 Seiten, 2'041 Wörter, 14'063 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Annam,
Kaiserreich, s. Anam. ^[= (Ngannam, "beruhigter Süden"), ein unter franz. Protektorat stehendes Kaiserreich ...]
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Annam
(Anam) oder (chines.) An-Nam («Beruhigter Süden»),
auch Nam-Viet, Viet-Nam (d. h. Süden von Viet oder chines. Yüe), Nhat-Nam (Sonne [* 3] des Südens), Giao-Nam (Süden von Giao), Nam-Giao genannt, Königreich unter franz. Protektorat an der Ostküste der indo-chines. Halbinsel, ein schmaler Streifen zwischen 10° 30' und 18° nördl. Br., 106 und 109° östl. L. von Greenwich, mit einer mittlern Breite [* 4] von 150 km. Es grenzt im N. an Tongking, [* 5] im O. an das Südchinesische Meer, im S. an das franz. Cochinchina, im W. an Kambodscha und den Me-kong, der von Siam trennt.
Der Flächeninhalt beträgt etwa 230000 qkm, die Küstenausdehnung 1200 km. Die Küsten sind sehr zerklüftet, begrenzt von hohen Bergen [* 6] und haben zahlreiche Inseln, Spitzen, Kaps, Baien, Bänke und Riffe, aber nur wenige Häfen. (S. Karte: Ostindien [* 7] II: Hinterindien.) [* 8] Bodengestaltung. Eine lange Bergkette von 600 bis 700 m mittlerer Höhe, aber mit Gipfeln, die sich im Pu-san bis 2760 m, im Pu-atuat zu 2500 m erheben, erstreckt sich von N. nach S. und bedeckt fast das ganze Land. Zahlreiche Bergzüge zweigen sich ab und wenden sich dem Meere zu, wo sie in Piks bis über 2000 m Höhe auslaufen.
Zwischen diesen bewaldeten, zuweilen aber auch vollständig kahlen Bergen erstrecken sich kleine Thäler, längs der Küste jedoch ebene Flächen und niedrige Dünen. – Eine große Zahl Flüsse [* 9] von geringer Ausdehnung [* 10] und Tiefe fließen von den Bergen ins Meer. Die hauptsächlichsten sind der aus dem Zusammenfluß des Song-nam und des Song-naï gebildete Song-giang; der aus dem Song-ka und dem Song-sao gebildete Song-hoï; sie kommen aus dem Gebiet der Schan und Lao. Der Song-ma ist nur wenig schiffbar.
Klima. [* 11] Der Winter oder die nasse Jahreszeit dauert vom November bis April, der Sommer oder die trockne Jahreszeit vom April bis November. Die höchste Temperatur im Juni, Juli und August beträgt 36–37°, im Dezember und Januar 11–12°. Die gewöhnlich im September beginnenden Regen treten zunächst als Gewitterstürme auf, die sich Ende November in feine Regenschauer umwandeln. Die Hitze wird durch die Meeresluft gemäßigt.
Pflanzen- und Mineralreich. Wichtig sind Reis und besonders Zimmet, ferner Zuckerrohr, Thee (von mittelmäßiger Güte), Tabak, [* 12] Yamswurzel, Sesam, Ricinus, verschiedene Südfrüchte, Kokosnüsse, weiße Bohnen, Kaffee, Maulbeerbäume und Luxushölzer (s. Cochinchina). Von Mineralien [* 13] kommen vor Gold, [* 14] Silber, Kupfer, [* 15] Zink, Eisen [* 16] und Kohlen, deren Abbau aber größtenteils aufgegeben ist, da die Gesetzgebung ihn wenig begünstigt.
Die Tierwelt ist sehr reich: Elefanten, Tiger, Rhinocerosse, Bisamtiere und Büffel, Pferde [* 17] von kleiner Rasse, zahlreiche Affen, [* 18] Hirsche, [* 19] Wildschweine, Pfauen, Papageien, prachtvolle Hühner [* 20] und viele ¶
andere Vögel, [* 22] Alligatoren, giftige Schlangen [* 23] und unzählige Fische. [* 24] Der Büffel wird gezähmt und zum Bestellen der Acker, was den Frauen obliegt, gebraucht. Kleine Rinder, [* 25] Ziegen und Schafe [* 26] werden gehalten; am meisten aber das chines. Schwein. [* 27]
Bevölkerung.
[* 28] Dieselbe wird von einigen auf 2, von andern auf 6 Millionen geschätzt. Wirklich annamit.
Abstammung sind die Bewohner der Küste, während die Berge im Westen von den Moï, unabhängigen Völkerschaften verschiedener
Abkunft, den Resten der Ureinwohner des Landes, eingenommen werden, im Süden Überbleibsel der Tjam, der alten Herren des
Landes, angesiedelt sind. Erstere haben eine sehr helle Farbe, kleine Gestalt, hübsche Formen und runde
Köpfe, letztere sind groß, kräftig und von dunklerer Farbe.
Die Moï leben in den Wäldern, die eigentlichen Annamiten
sind Ackerbauer und Fischer. Die letztern sind zuvorkommend, wohlwollend
und heiter, klug, mißtrauisch und furchtsam, leichtsinnig und eitel. Spiele und Theater
[* 29] sind sehr beliebt. Die Gebäude sind
in der Regel aus Bambus und gestampfter Erde hergestellt und ruhen auf einem Erdaufwurf; das Dach
[* 30] besteht
aus Binsen, Blattwerk oder Stroh. Die Häuser der Begüterten haben schöne Holzsäulen und einen Säulengang. Die Sprache
[* 31] ist
im ganzen Reich das Annam
itische, von dem es jedoch verschiedene Mundarten giebt; sie ist einsilbig, die Aussprache singend,
die Schrift eine abgeänderte chinesische, doch haben die portug. Missionare das lat.
Alphabet zur Wiedergabe der Laute der annamit.
Sprache benutzt und eine Schrift aufgestellt, die Quoc-Ngü oder Cocgneu heißt.
Schulunterricht ist im Volke ziemlich verbreitet.
Religion. Die Staatsreligion beruht auf der Lehre [* 32] des Confucius (s. d.). Die eigentlich herrschende Religion ist aber eine entartete mit Götzendienst und dem Glauben an Zauberer gemischte Form des Buddhismus. Es giebt etwa 200000 (nach andern gegen 420000) Christen. Polygamie besteht, um dem Manne eine männliche Nachkommenschaft zu sichern, wird aber in Wirklichkeit meist durch Adoption ersetzt.
Industrie und Handel. Erstere ist von geringer Bedeutung, der Handel fast ganz in den Händen der Chinesen. Die Einfuhr erstreckt sich auf Baumwollgarne und Gewebe [* 33] aus Europa [* 34] und Britisch-Indien, Opium aus China, [* 35] Papier, Heilmittel und Töpferwaren aus Japan und Zündhölzchen. Die Seidenzucht und Seidenweberei steht in hoher Blüte. [* 36] Zur Ausfuhr gelangen die einheimischen Erzeugnisse.
Die Haupteinfuhr- und Ausfuhrartikel waren:
Einfuhr 1888 | Tausend Frs. | Ausfuhr 1890 | Tausend Frs. |
---|---|---|---|
Reis und Mehl | 489 | Lebende Tiere | 144 |
Thee | 384 | Seide | 1324 |
Opium | 587 | Seidengewebe | 170 |
Medikamente | 233 | Zucker | 652 |
Thonwaren | 138 | Zimmet | 163 |
Baumwollgarn | 891 | Rotang | 130 |
Webwaren | 353 | Arekanüsse | 201 |
Papier | 496 | Salz | 326 |
Andere Waren | 791 | Häute | 202 |
Zusammen | 4362 | Zusammen | 3312 |
Im J. 1891 betrug die Einfuhr aus Frankreich 309 215 Frs., aus dem Ausland 3,95 Mill., die Ausfuhr 230 210 Frs. und 8,65 Mill. Frs.
Es giebt Gold-, Silber- und Zinkmünzen in der Form von Barren, Taëls und Schnüren; das Gold in kleinen Barren von unregelmäßiger oder prismatischer Gestalt und 37 g Schwere, Silber in größern Barren im Werte von 60 bis 70 Frs. oder in Taëls von ungefähr 6 Frs., Zink in Sapekenschnüren. Jede Schnur enthält 600 mit einem viereckigen Loch durchstochene und an einer Bambusfaser aneinander gereihte Sapeken im Gesamtwerte von 70 bis 75 Cent. und 1 kg schwer.
Verfassung und Verwaltung. Der Regierungsform nach ist Annam
eine absolute und erbliche Monarchie. Der Herrscher, wie in China
«Sohn des Himmels» genannt, beauftragt mit der Verwaltung seine Minister des Innern, der Finanzen, des Krieges, der Justiz,
der öffentlichen Arbeiten und des Kultus. Jedes Ministerium bildet einen Rat, der den Titularminister zum
Vorsitzenden hat und die einschlägigen Angelegenheiten erörtert. Diese werden in zweiter Instanz von einer hohen Kommission
geprüft, die sie der königl. Entscheidung vorlegt. Ein Censorenrat überwacht die ganze Verwaltung.
Annam
ist eingeteilt in 12 Provinzen, 6 große und 6 kleinere, jede mit einem Hauptort, der gleichzeitig
eine Hauptstadt des Reichs ist; jede Provinz zerfällt in 3 Phu (Departements), jedes Phu in mehrere Hujen (Arrondissements).
Seit der Errichtung des franz. Protektorats über Annam
hat eine franz.
Generalresidentschaft ihren Sitz in Hue, und drei Residentschaften befinden sich in Qui-nhon, Thuan-khan und Than-hoa. Die
Residenten sind mit der Überwachung der einheimischen Beamten beauftragt.
Die finanziellen Mittel des Staates gehen hervor aus einer Personalsteuer (eine Schnur per Kopf, 70-75 Cent.), aus der Grundsteuer, die als Naturalleistung für die Reisfelder, in Geld für die andern Kulturen bezahlt wird; aus Zöllen, Schifffahrtsabgaben, Fischereien, Wäldern, Bergwerken u. a. Die Steuerlisten werden aller fünf Jahre aufgestellt, zu derselben Zeit, wenn die Zahl der Mannschaft für den Fron- und Militärdienst festgesetzt wird. Über das Budget für und Tongking s. Tongking. Die Armee umfaßt die mit der Verteidigung von Hue betrauten Garderegimenter, die aus Nachbarprovinzen der Hauptstadt, und die Provinzialregimenter, die in den Provinzen ausgehoben werden, endlich die Leibwache jedes Beamten. Die Zahl der eingeborenen Truppen beträgt 11 833 Mann. Näheres s. Tongking.
Geschichte. Cochinchina und Tongking wurden 234 v. Chr. von dem chines. Kaiser Tschin-tschi-Hwang-ti erobert und waren dann abwechselnd den Chinesen unterworfen oder unabhängig, bis sie 1428 das chines. Joch abwarfen und seitdem ein einheitliches Reich unter dem Hause Leh bildeten. Die Herrscher aus demselben wurden jedoch bald durch ihre Minister in Schatten [* 37] gestellt, so daß neben dem eigentlichen Herrscher in Tongking noch die Dynastie der Trinh (seit 1545) und in Cochinchina die der Nguyen (seit 1600) regierten.
Bei Gelegenheit eines Aufstandes in Cochinchina erhob sich 1737 eine neue Dynastie, die Tai-song, die nicht nur die alte Dynastie der Leh, sondern auch die der Trinh in Tongking und die der Nguyen in Cochinchina vernichtete. Von letzterer blieb nur ein einziger Sprößling, Nguyen-anh, übrig, der von Pigneaux de Béhaine, Bischof von Adran und apostolischem Vikar für Cochinchina, eine christl. Erziehung erhielt. Nguyen-anh sandte 1782 seinen Sohn mit jenem Bischöfe nach Paris, [* 38] unter dessen Vermittelung zu Versailles [* 39] ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen ¶
Frankreich und Nguyen-anh zu stande kam. Ludwig XVI. sagte Nguyen-anh 20 Schiffe,
[* 41] 5 Regimenter, ½ Mill. span. Thlr.,
Kriegsbedarf u. s. w. zu, wofür dieser die Bucht und die Halbinsel Turan an Frankreich abtrat, und 1789 erschien der Bischof
von Adran als Bevollmächtigter Ludwigs XVI. mit einem franz. Geschwader in Cochinchina. Die Franzosen disciplinierten
die Truppen von Nguyen-anh und entwarfen für ihn den Plan zu dem beginnenden Kriege (1792-99). Nguyen-anh vereinigte 1802 Tongking
mit seinem Reiche, rottete die Dynastie Tai-song völlig aus und ließ sich unter dem Namen Ghia-long zum Kaiser von Annam
ausrufen.
Er starb worauf sein natürlicher Sohn Minh-mang den Thron
[* 42] bestieg.
Dieser, durch die polit. Umtriebe der zahlreichen franz. und span. Missionare argwöhnisch gemacht, begann 1833 eine blutige Christenverfolgung. Minh-mang starb und ihm folgte sein Sohn Thieu-tri, welcher die Missionare zwar nicht mehr hinrichten, aber einkerkern ließ. Im April 1847 erschien der franz. Kommodore Lapierre zu Turan und forderte im Namen der franz. Regierung Zusicherung völliger Glaubensfreiheit. Da Thieu-tri Widerstand leistete, wurde seine Flotte von den Franzosen fast gänzlich vernichtet; er starb Ihm folgte sein zweiter Sohn Hoang-nam unter dem Namen Tu-duk, mit Ausschluß seines ältern Bruders Hoang-bao.
Tu-duk zeigte sich anfangs gegen die Christen wohlwollend, veränderte aber seine Haltung, als sein enterbter
Bruder den franz. Bischof Lefèvre und die Christen für sich zu gewinnen trachtete. 1848 begannen die Verfolgungen von neuem.
Nach der Ermordung des span. Bischofs Diaz im Juli 1857, sandte die franz. Regierung unter dem Befehl des
Admirals Rigault de Genouilly eine Expedition aus, die, durch span. Truppen verstärkt, Turan Sept. 1858 zerstörte; doch veranlaßten
die Kriege in Italien
[* 43] und China die Einstellung der Unternehmungen und namentlich 1860 die Räumung von Turan; Febr. 1861 begann
der Krieg von neuem und endigte mit der Eroberung von Cochinchina (s. d.).
Um die 1873 entstandenen Streitigkeiten zu ordnen, ließ der Gouverneur von Cochinchina die Citadelle von Ha-noi und der Nachbarorte
besetzen, bis der Hof
[* 44] in Hue seine Einwilligung zu einem Vertrage gab, der freie Schifffahrt auf dem Roten Fluß,
Öffnung der Häfen Qui-nhon (in Annam
), Haï-phong und Ha-noi (in Tongking) gewährte.
Die damit nicht beendeten Streitigkeiten führten dann zu der franz. Expedition nach Tongking (s. d.) und dessen Erwerbung
durch Frankreich. Tu-duk starb Unter seinem Nachfolger Hiep-hoa kam ein Vertrag zu stande, nach welchem
Annam
die Schutzherrschaft Frankreichs anerkannte. Am wurde der Versuch gemacht, die franz.
Truppen unter General de Courcy in der Citadelle von Hue durch Überraschung zu vernichten, aber der Angriff mißlang; die Anstifter
flohen mit dem jungen König Ham-nghi, dem Nachfolger Hiep-hoas.
Die Regierung wurde mit Hilfe der Königin-Mutter und der Prinzen aus der königl. Familie wiederhergestellt und Prinz Chong-mong, Bruder Ham-nghis, unter dem Namen Dong-khanh auf den Thron berufen. Bevor Ruhe im Lande eintrat, wurde de Courcy Anfang 1886 abberufen und Paul Bert zum Generalresidenten ernannt. Dieser bemühte sich, durch geschickte Maßnahmen in der Civilverwaltung die Mandarinen zu gewinnen, starb jedoch 11. Nov., ohne seine Aufgabe beendigt zu haben. Ein neuer Aufstand wurde unterdrückt, Ham-nghi gefangen genommen und nach Algier geschickt; fast gleichzeitig starb der franzosenfreundliche Dong-khanh, und sein Nachfolger, der junge Prinz Bun-lan, wurde 31. Jan. 1889 als Than-thaï auf den Thron erhoben.
Litteratur. Aubaret, Code anamite, lois et règlements du pays d'A. (Par. 1865);
Bouillevaux, L'A. et la Cambodge (ebd. 1874);
Luro, Le [* 45] pays d'A. (ebd. 1878);
Dutreuil de Rhins, Le royaume d'A. (ebd. 1879);
Lemire, Exposé chronologique des relations de Cambodge avec Siam, l'A. et la France (ebd. 1879);
Devéria, Historie des relations de la Chine avec l'A. du 16e au 19e siècle (ebd. 1880);
Notices coloniales, publiées à l'occasion d'Exposition d'Anvers (3 Bde., ebd. 1885);
Indo-Chine, Cochinchine, Cambodge, Annam
et Tonkin (ebd. 1888);
Launay, Historie ancienne et moderne de l'A. (ebd. 1888);
Lanessan, L'Indo-Chine française (ebd. 1888-89);
Les colonies françaises illustrées (ebd. 1889);
Sylvestre,
L'empire d'A. et le peuple annamite
(ebd. 1889);
Baille, Souveniers d'A. 1886-90 (ebd. 1890);
Meyniard, Le second empire en Indo-Chine (ebd. 1891);
Die Küste von Annam
(aus dem franz. Segelhandbuch übersetzt von Wislicenus, Berl.
1894);
Journal officiel de l'Indo-Chine française (Saigon und Ha-noi);
Aubaret, Grammaire de la langue annamite
(Par. 1867);
Dirr, Theoretisch-praktische Grammatik der annamit.