Anmut
,
Grazie,
Charis, die Schönheit in der
Bewegung, worauf vorzüglich
Schiller hingewiesen hat
(«Über und Würde»).
Sieht man ganz davon ab, wie sich das Seelenleben des
Menschen äußerlich kundgiebt, so bleibt die rein
äußerliche Gestalt übrig; diese bloß äußere Schönheit nennt
Schiller «architektonische Schönheit». Auch in ihr offenbart
sich der
Geist, aber nicht der individuelle, sondern die menschliche Intelligenz überhaupt. Der individuelle
Geist eines
Menschen,
seine Gefühle, sein
Wollen und
Denken giebt sich auch äußerlich in Mienen und
Gebärden, überhaupt in
seinen
Bewegungen kund, und deren Schönheit ist Anmut.
Sie ist aber nicht bloß Schönheit wirklicher
Bewegungen, denn häufige
Bewegungen derselben Art (Mienen,
Gebärden) lassen äußere Eindrücke zurück, die als ruhender anmutiger
Ausdruck erscheinen.
Auch sind nur die willkürlichen
Bewegungen des
Menschen der Anmut
fähig, nicht die notwendigen, wie z. B.
das Atemholen. Aber auch die willkürlichen
Bewegungen werden erst anmutig
, nachdem sie unwillkürliche geworden sind, denn
erst dann ist volle Übereinstimmung
¶
mehr
zwischen dem Innern und dem Äußern des Menschen vorhanden. Allerdings genügt, wie bei jeder Schönheit, der Schein der
Unwillkürlichkeit der Bewegung, aber die Anmut
verschwindet, sobald man die Willkürlichkeit der Bewegung entdeckt hat, und es
entsteht Affektation (s. d.). Zwar sind willkürliche und unwillkürliche Bewegungen stets zu einem Ganzen vereinigt, das
anmutig
genannt wird, aber das, was an diesem Ganzen die Anmut ausmacht, sind die unwillkürlichen. So ist der Tanz
eine willkürliche Bewegung, aber die Art und Weise, wie er vollzogen wird, ist zum Teil unwillkürlich, oder muß unwillkürlich
werden, um anmutig
heißen zu können.
Der Begriff der Anmut
kann auch auf die tierische und leblose Natur ausgedehnt werden, insofern
ihre Bewegungen Ähnlichkeit
[* 4] mit den menschlichen zeigen. Auch Linien, die das Auge
[* 5] durch ihren Schwung zu Bewegungen zwingen,
können anmutig
genannt werden; dann zerfällt aber das ganze Gebiet des Schönen überhaupt in das der und des Erhabenen.
In einem Gegensatz, der aber kein ausschließender ist, steht die Würde zur Anmut;
denn die Würde
ist eine Beherrschung der willkürlichen Bewegungen, die keinen notwendigen Gegensatz zu den unwillkürlichen bilden. Im gewöhnlichen
Sprachgebrauch wird Anmut
nicht allein vom Schönen, sondern auch vom Angenehmen (s. d.), doch nie vom roh-sinnlichen Genuß
gesagt.