Anmut
,
Schönheit der Bewegung (Lessing) und daher nur dem Beweglichen oder doch beweglich Scheinenden eigen (im Gegensatz zur Würde [s. d.], d. h. derjenigen Schönheit, welche dem Unbeweglichen oder doch unbeweglich Scheinenden, z. B. der Charakterfestigkeit, zukommt). Ihr Erscheinungsgebiet ist die Zeit (wie jenes der Würde der Raum), weil jede (sei es geistige, sei es körperliche oder Orts-) Bewegung Zeit erfordert. Sie äußert sich an Naturvorgängen (Rauschen der Blätter im Wind, Murmeln und Plätschern des Gewässers, Flackern und Knistern der Flamme) [* 3] oder menschlichen Handlungen (Sich gebärden, Gehen, Tanzen, Sprechen, Singen, Musizieren), die sich durch mehrere aufeinander folgende Zeitmomente ausdehnen, also eine Bewegung darstellen.
Das Bewegte selbst braucht darum nichts weniger als schön zu sein, wie denn unschöne Gesichtszüge
und Körperformen durch gefälliges
Mienen- und Gliederspiel anmutig
erscheinen können. Der
Grund aber, daß uns
Bewegung »anmutet«
,
liegt darin, weil wir uns selbst nicht nur als körperlicher, sondern auch geistiger
Bewegung
(Gemüt) Fähiges kennen und
daher überall, wo wir
Bewegung wahrnehmen, nicht nur ein uns Verwandtes, d. h. gleich uns Beseeltes
und Belebtes, ein
»Gemüt«, sondern auch, je wohlgefälliger uns die
Bewegung anspricht, eine desto vollkommnere
»Seele« als
Urheberin der »seelenvollen«
Bewegung vermuten.
Die seelenlose, nur durch mechanische
Gesetze bewegte
Natur (z. B. die auf und ab wogende Meeresfläche) kann daher durch die
Anmut
ihrer
Bewegungen beseelt, umgekehrt wird die
»schöne Seele« durch den rhythmischen
Fluß ihrer äußern
Erscheinung als
Spiegel
[* 4] ihrer innern
Harmonie anmutig
erscheinen. Das weibliche
Geschlecht, dessen organischer Körperbau zu
schöner (wie jener des männlichen zu kraftvoller)
Bewegung vor dem andern geeignet ist, gilt daher vorzugsweise als
Träger
[* 5] der Anmut.