Anklage,
s. Anklageprozeß und Klage.
2 Seiten, 1'050 Wörter, 7'766 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
s. Anklageprozeß und Klage.
Im Biblische Real- und Verbal-Handkonkordanz, 1890
Wenn einer vor Gericht gefordert und eines Verbrechens beschuldigt wird. A.G. 23, 29.
Du sollst nicht falscher Anklage glauben, 2 Mos. 23, 1. (vielmehr: du sollst kein falsches Geschrei oder böses Gerücht ausbringen.)
Dabei mußte der Verklagte den Kläger gegenwärtig haben, A.G. 25, 16.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Im Gegensatz zur Civilklage, durch die die Entscheidung des Richters über privatrechtliche Streitfälle angerufen wird, bezeichnet Anklage (accusatio) die bei Gericht angebrachte Anschuldigung einer bestimmten Person wegen einer bestimmten Strafthat unter Verbindlichkeit des Anklägers, die Anschuldigung zu beweisen. Im Gegensatz zum Inquisitionsprincip (s. d.) wird das Strafverfahren vom Anklageprincip beherrscht, wenn die Strafverfolgung denselben Grundsätzen wie der Civilprozeß unterliegt, wenn also in Anwendung der Verhandlungs - oder Dispositionsmaxime Ankläger und Angeklagter als gleichberechtigte Prozeßparteien gelten, der Richter nur über ihre Anträge und ihr Vorbringen zu entscheiden hat.
Im Gegensatz zum Inquisitionsprozeß (s. d.) wird der Anklageprozeß in seinem Gange und seinen Formen diesen Grundsätzen entsprechend dem Civilprozeß nachgebildet. Während indes die gegensätzlichen Principien sich scharf auseinanderhalten lassen, zeigt die geschichtliche Entwicklung des Strafprozesses (s. d.) in seinen wechselnden Formen bald eine Verdrängung des einen Princips durch das andere, bald auch wieder eine Ausgleichung, eine gegenseitige Durchdringung. In seiner reinsten Gestalt erscheint der Anklageprozeß im röm. und im german. Altertum.
Im ältern röm. Recht gab es wegen unerlaubter Handlungen privatrechtliche Klagen. Das waren die Privatklagen (s. d.), zum Teil auch die Popularklagen (s. d.). Sie wurden im Civilprozeß verhandelt. Daneben bildete die Verfolgung und Bestrafung der gegen den Staat unmittelbar sich richtenden Strafthaten ein Recht des Staatsoberhaupts, ursprünglich der Könige, später der Konsuln und Prätoren. Von diesen ging die Strafgewalt zunächst auf die Komitien über, bis sie allmählich für einzelne Strafthaten auf besondere Kollegien, die questiones perpetuae, übertragen wurde. Wenn nun auch gewissen Magistratspersonen die Verfolgung bestimmter Verbrechen oblag, so war doch andererseits im allgemeinen jeder Bürger zur Erhebung der Anklage berechtigt. Der Ankläger mußte seine Absicht dem Prätor oder sonstigen Vorstand der questio anzeigen (populare), sodann, falls er zugelassen wurde, den Namen des Beschuldigten angeben (nomen deferre), das Verbrechen, welches er demselben zur Last legte, genau bezeichnen (crimen profiteri). War der Beschuldigte ebenfalls erschienen, so fand eine Befragung desselben über die der Anklage zu Grunde liegenden Thatsachen (interrogatio) durch den Ankläger statt, um auf diese Weise den Gegenstand des Verfahrens zu bestimmen (crimen contestari). Die hiernach formulierte Anklage wurde protokolliert und vom Ankläger unterschrieben und bildete nun im Interesse des Beschuldigten die Grenze des Verfahrens. Von dem Augenblick der Entgegennahme dieser Anklage durch den Richter (receptum nomen) galt der Beschuldigte als Angeklagter (reus). Der Richter bestimmte nun den Verhandlungstermin, dessen Vorbereitung, insbesondere durch Herbeischaffung der Beweismittel, Sache der Parteien war. An dem Tage der Verhandlung wurde zunächst aus der von Jahr zu Jahr bezeichneten und öffentlich bekannt gemachten großen Anzahl von Richtern durch Auslosung und Verwerfung das Gericht für den betreffenden Prozeß gebildet. Vor den ausgewählten und beeideten Richtern (judices selecti, jurati) hielten die Parteien, zuerst der Ankläger, dann der Angeklagte, ihre Reden; dann folgte die Beweisaufnahme, bei welcher die Zeugen von den Parteien, nicht von den Richtern vernommen wurden. Hierauf gaben diese ihre Entscheidung durch Stimmtäfelchen ab, deren Ergebnis der Vorstand der questio, dem die äußere Leitung der Verhandlung oblag, verkündete.
Nach dem Spruche «Wo kein Kläger ist, ist kein Richter» wurde auch im deutschen Recht des Mittelalters der Strafprozeß durch die Parteien betrieben. Der Ankläger erschien vor dem Richter, dem mit der Leitung des Gerichts betrauten, aber nicht zur Urteilsfindung berufenen Träger der Gerichtsgewalt; dieser wählte aus der Versammlung sämtlicher Freien die Urteiler, an deren Stelle seit Karl d. Gr. Schöffen (scabini) traten, die für längere Zeit, später auf Lebenszeit und erblich bestellt wurden. Sobald das Gericht gehörig versammelt und gehegt war, erhob der Ankläger selbst oder durch den ihm bestellten Fürsprech in feierlichen Worten die Anklage. Wenn die Urteiler sein Begehren als rechtmäßig anerkannten, ward der Angeklagte geladen. Erschien er und gestand, so wurde auf Anfrage des Richters das Urteil sofort gefällt. Leugnete er, so hatte er das Recht und die Pflicht, sich von der Anklage zu reinigen. Dazu genügte im allgemeinen der Eid, wenn nötig unterstützt durch Eideshelfer (s. d.). Angeklagte, welche die erforderlichen Eideshelfer nicht finden konnten, die bereits als Diebe oder Räuber verurteilt oder sonst übel beleumundet waren, mußten sich durch Gottesurteil (s. d.) reinigen. Als solches ist auch der Zweikampf anzusehen, in welchem als Stellvertreter von Frauen und Gebrechlichen
ein Kämpe eintreten konnte. Bei «handhafter That» wurde nicht der auf frischer That ergriffene und vor Gericht geführte Angeklagte, sondern der Ankläger - ebenfalls mit Eideshelfern - zum Eide verstattet. Hier konnte ein eigentlicher Zeugenbeweis darüber, ob handhafte That vorliege, vorangehen. Die Urteiler oder Schöffen hatten nur darüber, welches Beweisverfahren zuzulassen, und nach dessen Ausgang darüber, ob der Angeklagte sich gereinigt habe oder zu bestrafen sei, zu entscheiden.
Wenn auch die peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 (s. Carolina) den Anklageprozeß gewissermaßen noch als die Regel darstellt, so hatte doch thatsächlich der Inquisitionsprozeß inzwischen die Herrschaft gewonnen und behielt - durch Wissenschaft, Gerichtsgebrauch und Partikulargesetzgebung weiter entwickelt - dieselbe bis zur Mitte des 19. Jahrh. Nur in England blieb, wenn auch der Ankläger im Namen der Krone auftritt, die Form des Anklageprozesses vorherrschend. Nach der Französischen Revolution fand derselbe in Frankreich wieder Eingang und 1808 durch den Code d'instruction criminelle eine dauernde Gestaltung. Mit dem franz. Recht blieb auch der franz. Prozeß nach dem Sturz der Napoleonischen Herrschaft in den für Deutschland wiedergewonnenen Rheinlanden in Kraft. Die polit. Umwälzungen des J. 1848 führten auch im übrigen Deutschland und in Österreich zu Nachbildungen des franz. Verfahrens. Während die Gesetzgebung der folgenden Jahre einige vielleicht übereilte Schritte rückgängig machte, manche Formen den heimischen Einrichtungen besser anpaßte, während die Wissenschaft die Aufmerksamkeit mehr auf das engl. Vorbild lenkte, brachten in Deutschland die Ereignisse von 1870/71 nach Einführung eines einheitlichen Strafrechts auch die Forderung nach Einheit des Verfahrens wieder auf die Tagesordnung. Sie fand ihre Erfüllung in der Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich vom 1. Febr. 1877, in welcher das Anklageprincip wenn auch nicht für das Vorverfahren, so doch für die Hauptverhandlung im wesentlichen zur Herrschaft gelangt ist. Noch strenger war dasselbe in der inzwischen eingeführten Österr. Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 durchgeführt. (S. auch Strafprozeß.) - Vgl. von Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafprozeßrechts (2 Bde., Berl. 1877-79); von Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts (Freib. i. Br. 1892); Glaser, Handbuch des Strafprozesses (2 Bde., ebd. 1883, 1885).