Angelsachsen
,
Name des aus
Angeln,
Sachsen
[* 3] und
Jüten gemischten
Volks, das um die Mitte des 5. Jahrh. die
Eroberung des
romanisierten, aber etwa seit 410 von den römischen
Legionen verlassenen
Britannien begann. Der
Sage nach
landeten die von den Briten gegen die
Pikten und
Skoten zu
Hilfe gerufen, um 449 unter
Hengist und
Horsa in
Britannien und verbreiteten
sich von der ihnen zuerst eingeräumten
Insel
Thanet aus weiter über das Land. In Wirklichkeit fehlt es an allen
zuverlässigen Nachrichten über die sich über einen Zeitraum von etwa 150
Jahren erstreckenden blutigen
Kämpfe, durch welche
der
Süden und
Osten
Britanniens in den
Besitz der Angelsachsen
kam und die keltisch-britische
Bevölkerung
[* 4] auf
Irland,
Wales und die schottischen
Hochlande beschränkt wurde.
Von den zahlreichen kleinen
Königreichen, in welche die Angelsachsen
nach der
Eroberung zerfielen, blieben in der
nächsten Zeit sieben oder acht größere bestehen, welche die andern absorbierten:
Essex,
Wessex,
Sussex,
Kent
(Ost- und Westkent),
Mercia,
Northumberland,
Ostangeln. Diese bezeichnet man als die angelsächsische
Heptarchie, obwohl, von vorübergehenden
Verbindungen
abgesehen, eine dauernde staatsrechtliche Vereinigung zwischen ihnen nicht bestand.
Die waren zur Zeit der
Eroberung
Heiden. Zur
Verkündigung des
Christentums sandte
Papst
Gregor I. um 590 den
Mönch
Augustinus mit mehreren
Gehilfen, und seit der
Bekehrung
Ethelberts,
Königs von
Kent (597), verbreitete sich das
Christentum
schnell über alle
Reiche der Angelsachsen
An der
Spitze der angelsächsischen
Kirche stand das Erzbistum
Canterbury,
dessen
Erzbischof
Theodor seit 668 die kirchliche
Organisation der
Insel unter seiner Oberleitung durchführte.
Mit
Rom
[* 5] blieb diese von dort aus gegründete
Kirche dauernd in enger
Verbindung, die unter anderm in der
Zahlung des Romschosses
oder
Peterspfennigs, einer etwa 790 von König Offa von
Mercien zuerst eingeführten, jährlich an den
Papst zu entrichtenden
Abgabe von einem
Penny für jede Feuerstelle, sowie in der Errichtung einer
Schule in
Rom zur
Ausbildung
junger Angelsachsen
ihren
Ausdruck fand. Nach 800 vereinigte König
Egbert von
Wessex die sieben
Reiche der Angelsachsen
zu einem Ganzen, das er
Anglien
(England) genannt haben soll.
Seine Nachfolger hatten mit den
Normannen
(Dänen) zu kämpfen, deren Einfälle in
England seit der Mitte
des
Jahrhunderts immer gefahrdrohender wurden. Erst
Alfred d. Gr. (s. d.), der 871 den
Thron
[* 6] bestieg, drängte sie zurück,
nachdem
sie den größten Teil
Englands bereits erobert hatten. Unter seinem Sohn
Eduard I. erhoben sie sich aufs neue,
erlitten aber 938 von König
Athelstan eine entscheidende
Niederlage bei Brunanburg in
Northumberland. Unter dem schwachen
Ethelred
II. wiederholten sich seit 991 die Einfälle der
Dänen, welche einen
Tribut erzwangen und 1016 nach dem
Tod seines
Sohns
Edmund
Eisenseite das Land eroberten. Erst 1042 kam mit
Eduard III., dem
Bekenner, wieder ein angelsächsischer
Fürst auf den
Thron; als aber mit ihm 1066 der sächsische Königsstamm erlosch, bestieg nach dem
Willen der Edlen der mächtige
Graf
Harald den angelsächsischen
Thron. Nach dessen
Fall in der
Schlacht bei
Hastings und der
Eroberung des
Landes
durch
Herzog
Wilhelm von der
Normandie verschwand das
Reich der Angelsachsen
, während noch
Jahrhunderte vergingen,
bis die Angelsachsen
mit ihren Besiegern, den
Normannen, zu einem Ganzen verschmolzen und der Nationalcharakter selbst das
Fremde und
Ausländische zu Zugeständnissen zwang, die noch heute in den Zuständen
Englands, besonders in seiner
Sprache
[* 7] und
Verfassung,
nicht zu verkennen sind.
Seinen gesellschaftlichen Zuständen nach zerfiel das Volk der in zwei Klassen: Freie (Ceorls) und Unfreie (Theows), zu denen auch die im angelsächsischen Gebiet gebliebenen unterworfenen Briten zählten. Aus der Zahl der Freien hob sich der alte Geburtsadel der Eorlas (Earls, nordisch Jarls) und Äthelinge heraus. Zu ihm gehörten später auch die Mitglieder der Gefolgschaft (Gesith) des Königs, die, soweit sie Kriegsdienste leisteten, als Thans (Thegns) bezeichnet werden, und zur Würde eines Thans stiegen alle diejenigen empor, die wenigstens fünf Heiden Land besaßen und davon Kriegsdienste leisteten.
An der Spitze der Regierung stand der König als oberster Heerführer und Richter, welcher die einzelnen Grafschaften durch von ihm ernannte Grafen oder Herzöge (Ealdorman, Heretoga, später Eorl genannt) und Sheriffs verwalten ließ. Der König wurde gewählt, doch so, daß die Wahl in der Regel auf die Mitglieder des regierenden Hauses beschränkt war, und daß also, von Ausnahmefällen abgesehen, die Königswürde in der Praxis erblich war. Dem König zur Seite stand der Witenagemot, die Versammlung der Witan (Weisen), an der die Bischöfe, die Ealdormen der Grafschaften und eine Anzahl der königlichen Thans teilnahmen.
Sie wählte die
Könige, bewilligte
Steuern und Landverleihungen, gab
Gesetze und entschied in allen wichtigen Angelegenheiten
des
Staats und der
Kirche sowie in
Rechtssachen der
Großen. Das Land zerfiel in
Gaue (shires, sciras) oder
Grafschaften,
Hundreds oder
Cents und in Tithings oder Zehntschaften. Auch Stadtbezirke (townships) und befestigte Stadtbezirke
(Burgen,
[* 8] burhs) wurden unterschieden. Für die
Hunderte
gab es eine monatlich zusammentretende Gerichtsversammlung (Hundredgemot);
die Versammlung der
Grafschaft unter dem
Sheriff (Sciregemot) fand zweimal im Jahr statt und hatte ebenfalls
wesentlich gerichtliche
Funktionen. Die ältesten Gesetzesaufzeichnungen der Angelsachsen
sind die von
Kent, die aus dem 7., und die
von
Wessex und
Mercia, die aus dem
¶
mehr
8. Jahrh. stammen. Der eigentliche Gesetzgeber der Nation aber war Alfred d. Gr. Seine noch vorhandenen Gesetze, die sich an jene ältern Sammlungen anschlossen, gelten für die Grundlage des sogen. gemeinen Rechts (common law). Unter den Nachfolgern Alfreds zeichnete sich Athelstan (gest. 941) als Gesetzgeber aus. Nach ihm wurde wenig mehr für die Gesetzgebung gethan, und in den folgenden Kämpfen ging die bestehende Ordnung größtenteils zu Grunde. Erst Knut stellte die Einrichtungen Alfreds wieder her, und später wird unter dem Namen Eduards des Bekenners gewöhnlich die Gesamtheit der angelsächsischen Gesetze zusammengefaßt.
Sitten und Lebensart der Angelsachsen
bewahrten den rein germanischen Charakter. Kriegerischer Sinn, Liebe zur Freiheit,
Achtung vor den Frauen und Gastfreundschaft waren ihre Haupttugenden, die jedoch durch die zahlreichen Fehler roher, ungebändigter
Kraft
[* 10] verdunkelt wurden. Krieg, Jagd, Gelage und Würfelspiel waren die Lieblingsbeschäftigungen; die Hauptnahrungszweige waren
Ackerbau, Viehzucht und
[* 11] Fischerei.
[* 12] Städte gab es nur wenige und von geringer Größe.
Einen Fortschritt bewirkte das Christentum. Die Missionäre (meist italienische Benediktiner) leiteten das Volk auch zu einer edlern Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse an. Sie lehrten die den Gebrauch des Pflugs, vervollkommten die Kunst des Fischfanges, ermunterten durch ihr Beispiel zur Urbarmachung der Sümpfe und Wälder etc. Auch zur Veredelung der Sitten trug die christliche Kirche viel bei. Als ein vorzüglicher Wohlthäter seiner Nation auch in dieser Hinsicht steht Alfred da, unter dem die allgemeine Gesittung sich bedeutend hob.
Auch Künste und Wissenschaften entwickelten sich bei den Angelsachsen
mit dem Christentum. Der Bau und die Ausschmückung der Kirchen weckten
und beförderten die Baukunst,
[* 13] Malerei, Bildhauerei und andre Künste, worin sich selbst mehrere Geistliche
auszeichneten. Die Arbeiten in Metall, vorzüglich in Gold
[* 14] und Silber, waren später sogar im Ausland berühmt. Unter Alfred blühte
die Kirchenbaukunst. Besonders wurde die Musik ausgebildet. Der Handel war unbedeutend und entwickelte sich erst seit Alfreds
Zeit.
Die wissenschaftliche Bildung beschränkte sich auf die Geistlichen, welche in der von Augustin zu Canterbury
gestifteten und vom Erzbischof Theodor verbesserten Schule, ferner in den Schulen von York, Weremouth, Westminster, St. Albans,
Worcester, vielfach auch im Ausland, namentlich in Italien,
[* 15] ihre Bildung erhielten. Die berühmtesten Gelehrten und Glaubenslehrer
der Angelsachsen
sind: Aldhelm, Abt zu Malmesbury und Bischof von Sherburn, Beda der Ehrwürdige, Willibrord, Winfried
oder Bonifacius und Alkuin.
Zur Zeit der Däneneinfälle sank das geistige Leben tief. Erst Alfred richtete die Unterrichtsanstalten neu ein, zog ausgezeichnete
Gelehrte, einheimische und fremde, an seinen Hof
[* 16] und an die alten und neuen Schulen, besonders nach Oxford.
[* 17] Unter diesen waren sein Biograph, der Mönch Asser, Plegmund, Erzbischof von Canterbury, Grunbald, ein Mönch aus Frankreich, Johannes
aus Korvei in Sachsen. So entstand bei den Angelsachsen
bald eine reichhaltigere Litteratur als bei den übrigen germanischen
Nationen (s. Angelsächsische Sprache und Litteratur).
Von den Monumenten der angelsächsischen Baukunst hat sich wenig erhalten. Die Bildhauerkunst
[* 18] stand auf
niedriger Stufe; dagegen überrascht der Stil und die Ausführung der Malereien, welche viele der berühmtesten angelsächsischen
Manuskripte in der Cottonschen Bibliothek etc. schmücken. Auch die Schreibkunst
[* 19] zeigt
sich hier in großer Vollendung, und
die Initialen sind in Gold und Farben ausgeführt. Die Musik beschränkte sich auf den Gebrauch von Leier,
Harfe, Flöte, Waldhorn und Tuba
[* 20] oder Trompete. Die Geschichte der Angelsachsen
schrieben Turner (6. Aufl., Lond. 1852), Kemble (deutsch von
Brandes, Leipz. 1852-54, 2 Bde.),
Palgrave (1872), Winkelmann (Berl. 1884).
Vgl. die Litteratur bei Großbritannien [* 21] (Geschichte).