Anerbe
,
Vorzugserbe. Die gesetzlichen Vorschriften über die Erbfolge in
Bauerngüter haben von
jeher die
Tendenz gehabt, die Zersplitterung des Grundbesitzes im Wege der Erbteilung zu verhüten und den ungeteilten bäuerlichen
Grundbesitz in die
Hände eines vor den übrigen begünstigten
Erben, des Anerbe
, gelangen zu lassen. Diesem Zwecke wird auf verschiedenen
Wegen nachgestrebt. Das ältere
Anerbenrecht gab nur der als Anerbe
durch Gesetz (Majorat, Minorat) oder
Verfügung von Todes wegen
bezeichneten
Person ein wirkliches
Recht am
Hof,
[* 3] den
Geschwistern dagegen entweder bloß ein
Erbrecht an dem übrigen Nachlasse
oder ein
Recht auf
Abfindung aus dem
Hofe.
Die Trennung des Hofes vom sonstigen Nachlasse führt zu Schwierigkeiten. Es ist deshalb neben das Anerbenrecht im vorstehenden engern Sinne insbesondere nach den seit 1870 in verschiedenen Staaten erlassenen Gesetzen ein Recht des Bevorzugten getreten, das ungeteilte Gut unter besonders günstigen, das gute Fortkommen des Hofwirtes sichernden Bedingungen aus der Erbteilung zu erhalten: Kürrecht des sächs. Rechts, nach welchem der Älteste taxiert und der jüngste über die Annahme zur Taxe sich entscheidet; Bruder- und Schwestertaxe in Schleswig-Holstein; [* 4] Vorteilsgerechtigkeit oder Vorzug in Baden, [* 5] Bayern. [* 6]
Der Anerbe
erhält der Regel nach das Gut nicht erst beim
Tode des Besitzers, sondern, wenn dieser sich zur Bewirtschaftung zu
schwach fühlt, durch die Gutsübergabe:
Auszugs-, Altenteilsverträge.
Die neueste Erweiterung hat das Anerbenrecht (auch Grunderbrecht genannt) durch das Institut der Höferolle erhalten, welches in den preuß., oldenburg., bremischen Höfegesetzen und Landgüterordnungen eingeführt ist: Gesetz für Hannover [* 7] vom nebst Novelle vom und Gesetz für das Herzogtum Lauenburg [* 8] vom Landgüterordnung für die Provinz Westfalen [* 9] und die Kreise [* 10] Rees, Essen, [* 11] Duisburg [* 12] und Mülheim [* 13] a. d. Ruhr vom für die Provinz Brandenburg [* 14] vom für die Provinz Schlesien [* 15] vom für die Provinz Schleswig-Holstein (mit Ausschluß von Lauenburg) vom für den Reg.-Bez. Cassel (mit Ausschluß des Kreises Rinteln) vom Gesetze für das Großherzogtum Oldenburg [* 16] vom das Fürstentum Lübeck [* 17] vom Gesetze für das Landgebiet von Bremen [* 18] vom Die Eintragung in die Höferolle, welche jederzeit wieder gelöscht werden kann, aber, solange sie besteht, auch für die Rechtsnachfolger wirkt, ist eine erleichterte Form der testamentarischen Verfügung, also der rechtsgeschäftlichen Herbeiführung des Anerbenrechts. Man hat diese Begünstigung des Zusammenhaltens des Grundbesitzes nicht auf den bisher nach Anerbenrecht vererbten Besitz beschränkt, sondern auf weitern Grundbesitz, in Oldenburg, Schlesien u. s. w. jede behausete Besitzung ausgedehnt.
Die ungünstige Lage der Landwirtschaft und socialpolit. Erwägungen hatten dahin geführt, in der Neuregelung des Anerbenrechts ein Mittel der Erhaltung eines gesicherten Bauernstandes zu suchen. Man ist jedoch in den neuern Gesetzen nicht so weit gegangen, den Besitzer in der Verfügung über das Gut zu beschränken. Es wird hiernach das Anerbenrecht lediglich in der Weise begünstigt, daß dasselbe im Falle des Unthätigbleibens eintritt. In Österreich [* 19] wird dasselbe Ziel verfolgt (Gesetz vom Außer den genannten Gesetzen sind anzuführen: das bad. Gesetz vom und Verordnung vom die Verordnung für Mecklenburg-Schwerin vom und Gesetz für Lippe-Schaumburg vom Gesetz für Braunschweig [* 20] vom -
Vgl. Stengele, Die Bedeutung des Anerbenrechts für Süddeutschland (Stuttg. 1894)