Titel
Andrássy
(spr. ánndrāschi), ungar. Grafengeschlecht mit
dem
Prädikat von
Szent-Király und
Kraszna-Horka, stammt aus
Siebenbürgen, wo 1548 ein
Martin Andrássy
als
Rat der
Szekler erscheint,
und wo die Andrássy
1550 das Domanialgut
Szent-Király erhielten, siedelte dann nach
Ungarn
[* 2] über, wo es 1585
Kraszna-Horka
erwarb, erhielt 1790 den Grafentitel und teilt sich in zwei
Linien, zählt aber nur noch wenige
Familien. Merkwürdig sind:
1) Karl, Graf, der ältern Linie angehörig, geb. zu Rosenau im Komitat Gömör, war eifriger Patriot und Mitglied der Opposition, in deren Reihen er auf den Reichstagen 1839 und 1844 sich als schlagfertiger und gedankenreicher Redner auszeichnete. Auch war er als Vorsitzender der Theißregulierungsgesellschaft sowie als Mitglied des Bergwerk- und Fabrikvereins mit Erfolg thätig. Außer zahlreichen Beiträgen in ungarische Journale veröffentlichte er in deutscher Sprache [* 3] »Umrisse einer möglichen Reform in Ungarn«. Er starb 1845 in Brüssel. [* 4]
2) Emanuel, Graf, ältester Sohn des vorigen, geb. war auf dem Reichstag von 1847 Mitglied der Opposition, 1848 Obergespan des Komitats Torna, unternahm nach der Katastrophe von Világos eine Reise nach Ostindien [* 5] und China, [* 6] die er in einem von ihm selbst illustrierten Prachtwerk beschrieb. Im J. 1860 wurde er Obergespan des Komitats Zemplin.
3) Gyula (Julius), Graf, Bruder des vorigen, geb. zu Zemplin, zeichnete sich auf dem Reichstag von 1847 bis 1848 als glänzender Redner aus und erwarb sich auch als Schriftsteller Ruf. Doch zeigte sich das Talent für äußerliche Effekte stets bedeutender als der Ideengehalt, vor allem die Gabe, die Dinge praktisch zu fassen und sich ohne tiefere Detailkenntnisse in jeder Frage rasch zurechtzufinden. Er war 1848 unter dem Aprilministerium Obergespan von Zemplin und Führer des Zempliner Landsturms bei Schwechat.
Später ging er als Gesandter der
Debrecziner
Regierung nach
Konstantinopel,
[* 7] wo er bedeutende Thätigkeit
entwickelte und auch noch später auf die Behandlung der ungarischen Emigration von seiten der türkischen
Regierung bestimmenden
Einfluß ausübte. Im
Januar 1850 ward Andrássy
kriegsrechtlich zum
Tode durch den
Strang verurteilt und im
Bild gehenkt.
Andrássy
lebte damals in
Paris.
[* 8] Im J. 1856 auf seine Bitte amnestiert, kehrte er 1860 in sein Vaterland zurück
und wurde wieder
Obergespan von
Zemplin.
In das
Unterhaus gewählt, vertrat er entschieden das
Deák-Programm und ward 1866 zweiter
Präsident des
Unterhauses. Nach dem
Zustandekommen des
Ausgleichs wurde Andrássy
im
Februar 1867 an die
Spitze des ungarischen
Ministeriums berufen, in welcher
Stellung er sich nicht bloß um die staatsrechtliche
Ausbildung der neuen Verhältnisse zwischen
Ungarn und
Österreich
[* 9] im Anschluß
an das treu festgehaltene
Deák-Programm ein hohes
Verdienst erwarb, sondern auch auf die zeitgemäße
Entwickelung der innern
Verhältnisse
Ungarns im freiheitlichen
Sinn den bedeutendsten Einfluß übte, trotz mancher
Angriffe von seiten der
extremen
Parteien verehrt und gefeiert.
Seinem nüchternen, verständigen
Urteil war es ebenso wie seiner
Haltung
Deutsch-Österreichs zuzuschreiben, daß
Österreich 1870 neutral
blieb, weshalb nach dem
Fall des cisleithanischen
Ministeriums
Hohenwart und nach dem dadurch veranlaßten
Sturz
Beusts im
November 1871 Andrássy
als
Ministerpräsident des letztern Nachfolger und damit
Leiter der gemeinsamen und auswärtigen Angelegenheiten
der
österreichisch-ungarischen
Monarchie wurde. Andrássy
wußte sich namentlich das Vertrauen der fremden
Regierungen zu gewinnen,
und auf diesem fußend suchte er
Österreich wieder eine feste
Stellung in
Europa
[* 10] zu verschaffen.
Namentlich mit
Bismarck verband ihn bald ein engeres, auf gegenseitigem Vertrauen beruhendes
Verhältnis, und Andrássy
ging
daher auch 1872 bereitwillig auf dessen
Plan ein, die völlige Aussöhnung zwischen
Österreich und Rußland herbeizuführen
und das Dreikaiserbündnis zur Grundlage eines neuen, den
Frieden
Europas verbürgenden
Systems zu nehmen. Dadurch, daß die
gemeinschaftliche Erledigung aller politischen
Fragen ausgemacht wurde, glaubte Andrássy
Österreich gegen jede einseitige
Lösung
der orientalischen
Frage zu sichern und beobachtete daher während des russisch-türkischen
Kriegs Zurückhaltung.
Erst als die maßlose Ausbeutung der russischen Siege im Frieden von San Stefano Österreichs Interessen zu gefährden drohte, forderte und erhielt von den Delegationen 60 Mill. Fl. für etwa erforderliche Rüstungen [* 11] und sprach seine Zuversicht auf völlige Wahrung der österreichischen Interessen aus; er betrieb auch die Berufung eines Kongresses, um den Frieden von San Stefano zu beraten und mit den europäischen Interessen in Einklang zu bringen.
Auf dem
Berliner Kongreß
[* 12] vertrat er
Österreich als erster
Bevollmächtigter und erlangte von den Mächten die Zustimmung zu
dem Einmarsch der
Österreicher in
Bosnien
[* 13] und die
Herzegowina, um die
Ruhe und
Ordnung in diesen
Provinzen
herzustellen und diesen
Herd slawischer
Agitationen unter österreichische Botmäßigkeit zu bringen. Die
Opfer an
Menschen und
Geld, welche die
Okkupation forderte, erregten wieder allgemeine
Opposition gegen der indes schließlich von der
Majorität der
Delegationen die Zustimmung zu seiner
Politik erlangte. In allen seinen
Reden ein gewandter, scharfblickender
Fechter, der persönlichen Huld seines Monarchen sicher, der ihm die höchste Auszeichnung, den
Orden
[* 14] des
Goldenen
Vlieses, verlieh,
konnte dennoch Andrássy
die wachsenden
Angriffe auf seine Orientpolitik seit dem Bekanntwerden der
Konvention mit der
Pforte vom nur
immer mühsamer, insbesondere in
Ungarn, abwehren, und die Gestaltung des Ausgleichsministeriums
Taaffe in
Cisleithanien bestärkte
den für die öffentliche Meinung feinfühligen
Premier, an den
Rückzug zu denken; er nahm seine Entlassung.
Vgl.
»Graf Andrássy
und seine
Politik«
(Wien
[* 15] 1871);
Kakay
(Abrányi),
Graf
Julius Andrássy
(Pest 1879).
4) Georg, Graf, Haupt der jüngern Linie, geb. zeigte sich auf dem Landtag stets entschieden konservativ, ließ sich aber dabei die Förderung des materiellen und geistigen Wohls seiner Landsleute sehr angelegen sein. Auch stand er als Direktor an der Spitze der ungarischen Akademie. Nach Apponyis Rücktritt im April 1862 zum Judex Curiae, zum obersten Landesrichter Ungarns, ernannt, bemühte er sich, einen Ausgleich anzubahnen, und stellte an der Spitze der Altkonservativen im September 1864 eine Art Programm zur Lösung der ungarischen Frage auf, fand sich aber veranlaßt, noch in demselben Monat seine Entlassung als Judex Curiae einzureichen. Er starb in Wien.