Anarchismus
(von
Anarchie), diejenige
Richtung innerhalb des öffentlichen Lebens, welche die Beseitigung jeder Herrschaft
des einen
Menschen über den andern und die Einführung unbeschränkter Selbständigkeit der Individuen in rechtlicher, socialer
und wirtschaftlicher
Beziehung erstrebt. In der Vernichtung des
Staates und des Lohnsystems erblickt der
Anarchismus
die notwendige Vorbedingung einer befriedigenden Ordnung der gesellschaftlichen Zustände. Wenn auch bereits
William Godwin in seinem 1793 erschienenen Werke «Enquiry concerning political
justice» erklärt hat, daß jede obrigkeitliche Gewalt als ein
Eingriff in die private Urteilskraft anzusehen sei, und der
Einfluß der Regierung aus
Gründen der
Vernunft und der Menschlichkeit möglichst beseitigt werden müsse,
so blieb doch diese erste Regung anarchistischer
Tendenzen ohne irgendwelche praktische Bedeutung.
Die eigentliche Geschichte des Anarchismus
beginnt mit P. J. Proudhon (s. d.).
Die erste
Darstellung seiner
Anschauungen findet sich in dem 1840 u. d. T. Qu'est-ce que la propriété? ou
recherches sur le principe du droit et du gouvernement" veröffentlichten Werke, in welchem Proudhon davon ausgeht, daß
nur derjenige wirtschaftliche Verkehr als gerecht zu bezeichnen sei, in welchem ausschließlich gleichwertige, d. h.
durch denselben Arbeitsaufwand hergestellte
Güter miteinander ausgetauscht werden.
Mit diesem Grundsätze stehe aber das herrschende Wirtschaftssystem in schroffem Widerspruch, indem der Unternehmer kraft der ihm durch das Kapitaleigentum gewährleisteten Übermacht dem Arbeiter nicht den vollen Ertrag seiner Leistungen zukommen lasse und damit zum Diebe werde. Die Antwort auf die obige Frage lautet deshalb nach Proudhon: «La propriété c'est le vol», Eigentum ist Diebstahl. Da jede bisherige sociale Organisation nur dazu gedient hat, diesen ungerechten Zustand zu erhalten und zu befestigen, so fordert Proudhon die Beseitigung jeder gesellschaftlichen über- und Unterordnung, die Abschaffung des Eigentums, den Zustand der Anarchie.
Dann handelt jedes Individuum ganz nach freiem Ermessen und darf des seinen freiwilligen Leistungen vollauf entsprechenden Lohnes sicher sein. Die Unruhen der Februarrevolution (1848) bewogen Proudhon, eine praktische Anweisung zur Verwirklichung seiner Gedanken zu geben. Er entwickelte den Plan einer «Tauschbank», welche einem jeden die zur Eröffnung eines gewerblichen Betriebes erforderlichen Mittel in Gestalt von Tauschanweisungen (bons d'échange) so lange vorstrecken sollte, bis die eigene Produktion die (zinsfreie) Rückzahlung ermöglichen würde.
Dieser Vorschlag fand keinen Anklang, desto mehr aber sein weiteres Projekt zur Gründung einer «Volksbank», welche sich indessen, da Proudhon gerade damals (März 1849) zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, kurz nach ihrer Begründung wieder auflösen mußte. Bald darauf lieferte Proudhon in einer Schrift vom Jahre 1851: «Idée générale de la Révolution au XIXe siècle», eine eingehende Darstellung der von ihm erstrebten gesellschaftlichen Ordnung.
Auf Grund freien Vertrages sollen zum Zweck der gewerblichen Produktion Associationen gebildet werden, welche das jedem Menschen eigentümliche Gerechtigkeitsgefühl zusammenhält. Die Verwirklichung seiner Bestrebungen erwartet Proudhon nicht vom allgemeinen Stimmrecht, sondern von der überzeugenden Macht seiner Ideen und der Gewalt der Agitation. Die anarchistischen Lehren [* 2] Proudhons blieben jedoch zunächst ohne irgendwelchen Einfluß auf die breitern Schichten des franz. Volks, zumal Proudhon selbst in seinen spätern Lebensjahren wesentlich gemäßigtere Anschauungen vertrat, die Anarchie für ein Ideal erklärte, das nie verwirklicht werden könne, und in dem Princip des «Föderalismus» (s. d.) eine zweckmäßigere Organisationsform der Gesellschaft gefunden zu haben glaubte.
Bedeutender war der Einfluß, welchen der Proudhonsche Anarchismus
während der vierziger Jahre in
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Deutschland
[* 4] ausübte, wo Moses Heß (1812-72) und Karl Grün (1817-87) nicht nur in mehrern Schriften die Gedanken Proudhons selbständig
fortbildeten, sondern auch als Führer der damaligen socialistischen Partei eine wirksame agitatorische Thätigkeit entfalteten.
In der deutschen Schweiz
[* 5] griff Wilhelm Marr vorübergehend (1812-45) in die dortige Arbeiterbewegung ein. Gleichzeitig suchte
Max Stirner (Pseudonym für Kaspar Schmidt, 1806-56) in seinem Werke «Der Einzige und
sein Eigentum» (1815), wie der Socialist Karl Marx von der Hegelschen Schule ausgehend, die unbedingte Berechtigung des einzelnen
Individuums gegenüber jeder Art von Gemeinschaft nachzuweisen, wodurch er der Idee des Anarchismus
eine philos. Stütze
gab.
Alle diese anarchistischen Tendenzen waren jedoch ohne nachhaltige Wirkung. Auch sie schwanden mit der
Unterdrückung der revolutionären polit. Bewegungen jener Zeit. Erst zu Beginn der sechziger Jahre schuf die wieder lebhafter
werdende und einen internationalen Charakter annehmende Arbeiterbewegung einen günstigen Nährboden für den Anarchismus
Derselbe
trat damals in eine neue Phase, deren Beginn durch die Thätigkeit des Russen Michael Bakunin (s. d.) bezeichnet
wird.
Von den Werken Proudhons angezogen, verstand er es, dieselben in geschickter Weise seiner agitatorischen Thätigkeit dienstbar
zu machen. Bakunin ging namentlich insofern über seinen Meister hinaus, als er nur durch eine, den gewaltsamen Umsturz aller
bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse herbeiführende Revolution die Ziele des Anarchismus
erreichen
zu können glaubt. Seine Lehren fanden nicht nur in den westeurop. Staaten, sondern auch in Rußland Anklang, wo Bakunin vor
allem unter den Studenten einen starken Anhang hatte, welche seine Ideen für ihre nihilistischen Umtriebe zu verwerten suchten.
Die dem Nihilismus (s. Nihilisten) durch den Anarchismus
zu teil gewordene
Unterstützung äußerte sich vornehmlich in der Agitation, welche Sergei Netschajew auf Bakunins Veranlassung in Rußland
betrieb. Während Bakunin sich stets als Gegner des Mordes bekannte, hielt Netschajew jedes Mittel, die heutige Gesellschaftsordnung
und ihre Träger
[* 6] zu vernichten, für berechtigt. Ja, er ging sogar so weit, Raubmorde und Attentate, auch
ohne daß sie direkt zu irgend einem anarchistischen Ziele führten, allein aus dem Grunde für nützlich zu erklären, weil
dadurch der Idee des Anarchismus
neue Nahrung gegeben werde. Er stellte in der «Propaganda
der That» zum erstenmal einen Grundsatz auf, welcher den ganzen neuern Anarchismus
charakterisiert.
Wirklich gelang es Netschajew, 1869 eine über einen großen Teil Rußlands verbreitete Verschwörung anzustiften.
Dieselbe wurde jedoch bald unterdrückt, Netschajew selbst ergriffen und vermutlich hingerichtet. Im Laufe der spätern Jahre
ist der Anarchismus
zu keiner erheblichen Bedeutung gelangt. Die in Rußland unter dem Namen des Nihilismus hervorgetretenen revolutionären
Tendenzen richten sich nicht nur gegen die socialen und wirtschaftlichen Zustände, sondern berühren
auch das politische, religiöse und philos. Gebiet.
Anders in den westeuropäischen Ländern. Hier hat der Anarchismus
seit den siebziger Jahren wiederholt einen mächtigen Aufschwung
genommen. Zunächst wurde noch ein vergeblicher Versuch gemacht, mit der von Karl Marx geleiteten Socialdemokratie eine
dauernde Vereinigung herzustellen. 1868 nämlich hatte Bakunin eine internationale «Alliance de la démocratie socialiste» mit
anarchistisch-nihilistischem Programm gegründet, welche viele Mitglieder zählte. Bereits im folgenden Jahre erfolgte auf
den Vorschlag Bakunins die Aufnahme der Allianz in die Marxsche «Internationale Arbeiterassociation». Es kam jedoch sehr bald
zu einem Gegensatz zwischen Marx und Bakunin, indem der letztere nicht nur gegen die straffe Organisation
des Verbandes Widerspruch erhob, sondern auch jede Beteiligung am polit. Leben verpönte. Der 1872 nach dem Haag
[* 7] zusammenberufene
Kongreß brachte die Entscheidung. Bakunin wurde mit seinem Anhang von der Partei ausgeschlossen. Er gründete darauf eine neue
internationale Vereinigung, die es aber zu keiner Bedeutung bringen konnte.
Nachdem Bakunin (1873) vom Schauplatz abgetreten war, schien die anarchistische Bewegung einige Jahre zu stocken. Zwar entfaltete
Paul Brousse, einer der Führer der «Fédération jurassienne», welche in der
franz. Schweiz die Ideen des fortgeschrittenen Anarchismus
vertrat, vorübergehend eine eifrige publizistische und agitatorische
Wirksamkeit, welche auch nach Deutschland übergriff. Hier hatte kurz vorher Mühlberger namentlich in
seiner Schrift über die Wohnungsfrage (1872) den Anarchismus
litterarisch vertreten, allerdings
in wesentlich gemilderter Form, indem er wieder auf Proudhon zurückging.
Von den Schweizern angeregt suchte Reinsdorf die «Propaganda der That» in Deutschland zu verbreiten. Doch erst in
Johann Most, wegen seiner allzu radikalen revolutionären Bestrebungen aus der socialdemokratischen Partei ausgestoßen, erstand
wieder ein Agitator, der den Anarchismus
zu neuem Leben zu entfachen vermochte. Seine seit 1878 von London,
[* 8] seit 1882 von Amerika
[* 9] aus
verbreitete «Freiheit» predigte offen die Raubmorde und Attentate, ganz im Sinne Netschajews. Abschaffung des
Grund- und Kapitaleigentums, Bildung freier Produktionsgruppen, Feststellung der Warenpreise durch Sachverständigenbureaus,
vollkommene Gleichberechtigung von Mann und Frau, freie Eheschließung und -Lösung, Abschaffung aller Gesetze gehörten zu
den Einzelheiten seines socialen Zukunftsprogramms. Zu welcher unmittelbaren Gefahr die anarchistischen Aufreizungen führten,
zeigte u.a. der Plan Reinsdorfs, die deutschen Fürsten am Niederwalddenkmal zu ermorden (1883),
sowie die Ermordung des Polizeirats Rumpff in Frankfurt
[* 10] a. M. durch Lieske (1885). Wenn trotzdem die Mostsche
Agitation in Deutschland nur geringe praktische Erfolge innerhalb der Arbeiterwelt zu verzeichnen hatte, so lag dies vor allem
an der Entschiedenheit, mit welcher die deutsche socialdemokratische Partei den anarchistischen Bestrebungen entgegentrat.
Doch näherten sich die sog. unabhängigen Socialisten, die sich seit dem Erfurter Parteitag 1891 von der «fraktionellen» Socialdemokratie abgetrennt hatten, in ihren Anschauungen allmählich immer mehr den Anarchisten, die seit 1892 in Berlin [* 11] auch öffentlich aufzutreten anfingen, und 1893 erklärte der «Socialist», das Organ der Unabhängigen, offen, daß nur der Name die beiden Parteien scheide. Im Juni 1893 wurden vom Reichsgericht mehrere Anarchisten, welche als Agenten des Londoner Anarchistenklubs Autonomie thätig gewesen waren, zu Freiheitsstrafen verurteilt. Der immer zügelloser auftretende «Socialist» wurde 1895 unterdrückt. In Österreich [* 12] wandte sich umgekehrt gleich anfangs ein großer Teil der Arbeiter, unter denen die «Freiheit» weite Verbreitung gefunden hatte, ¶
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dem Anarchismus
zu, während die Socialdemokratie mehr und mehr an Anhang verlor. Unter der geschickten Führung Joseph Peukerts trat
zu Anfang der achtziger Jahre die Propaganda auch in mehrern blutigen Attentaten hervor, bei denen namentlich die später
hingerichteten Anarchisten Kammerer und Stellmacher eine Rolle spielten. Durch energische Verwaltungsmaßnahmen aber und
strenge Bestrafung der Schuldigen vermochte die Regierung die Bewegungen zu unterdrücken. Sie trat erst 1893 wieder hervor,
wo eine anarchistische Druckerei und Bombenfabrik in Wien
[* 14] entdeckt und die Beteiligten Febr. 1891 zu schwerer Kerkerstrafe
verurteilt wurden. In Frankreich fand der Anarchismus
erst durch den Fürsten Peter Krapotkin Eingang, welcher als
russ. Flüchtling seit Ende der siebziger Jahre in der «Fédération
jurassienne» agitatorisch auftrat.
Diese Bewegung wurde jedoch dadurch sehr bald gelähmt, daß Krapotkin mit einer großen Zahl seiner Genossen vom Lyoner Gericht wegen angeblicher Gründung und Teilnahme an einer internationalen Arbeiterassoziation zu mehrjähriger Gefängnisstrafe verurteilt wurde. In Paris, [* 15] wo sich zahlreiche anarchistische Gruppen gebildet hatten, entstand März 1892 infolge einer Reihe von zum Teil verheerenden Explosionen eine völlige Panik in der Bevölkerung. [* 16] Auch nachdem der Haupturheber Ravachol verhaftet und hingerichtet, andere zu langen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, setzten sich die Explosionen fort und kosteten einer Anzahl von Personen das Leben.
Erst April 1893 gelang es, einigen der an den letzten Attentaten Beteiligten den Prozeß zu machen. Ein Bombenattentat, das sich diesmal gegen die Deputiertenkammer selbst richtete, war die Antwort. Am schleuderte Vaillant ein Sprenggeschoß von der Zuhörergalerie mitten unter die Deputierten, tötete jedoch niemand. Vaillant wurde festgenommen und hingerichtet. Trotzdem hörten auch 1894 die Attentate in Paris nicht auf. Am 12. Febr. warf Henry eine Bombe in das Terminushotel, und 4. April wurde ein Attentat im Restaurant Foyot gegenüber dem Senatsgebäude verübt.
Ihren Gipfel erreichten diese anarchistischen Verbrechen jedoch in der Ermordung des Präsidenten Carnot,
der in Lyon
[* 17] von dem Italiener Caserio erdolcht wurde. Seitdem haben die Attentate aufgehört. Auch in Belgien,
[* 18] wo
namentlich Lüttich
[* 19] ein Herd anarchistischer Umtriebe war, fanden 1891 und 1892 unter der Leitung Moincaus Diebstähle von
Sprengstoffen und Sprengungen statt. Obwohl im Juli 1892 in einem großen Prozeß von 16 Angeklagten
neun zu verschiedenen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, war die Propaganda nicht vernichtet, die besonders von dem Russen
Jagolkowski, der unter dem Namen Baron Ungern-Sternberg auftrat, betrieben wurde. Im April und Mai 1894 fanden weitere Dynamitanschläge
in Lüttich statt, und 14. Jan. bis wurden in einem neuen Prozeß mehrere Anarchisten zu lebenslänglicher,
andere zu zeitweiliger Zwangsarbeit verurteilt. In Spanien
[* 20] war es schon während des Revolutionsjahres 1873 zu einer gewaltsamen
Erhebung des Anarchismus
gekommen.
Die Anarchisten hatten bereits mehrere Städte im Süden des Landes in ihre Gewalt gebracht, als der Aufstand durch Castelar niedergeworfen wurde. Cartagena ergab sich erst nach längerer Belagerung Auch später fehlte es nicht an anarchistischen Verschwörungen («die schwarze Hand»), [* 21]
April 1892 wurde ein gegen die Deputiertenkammer gerichtetes Attentat noch rechtzeitig verhindert. Besonders in Catalonien breitete sich die Bewegung aus. In Barcelona [* 22] verübte der Anarchist Pallas ein Bombenattentat auf Martinez Campos, wobei mehrere Personen getötet und verwundet wurden. Um seine Hinrichtung zu rächen, wurden darauf 7. Nov. im dortigen Liceotheater zwei Bomben geworfen, durch die 22 Personen getötet und mehr als 50 verletzt wurden. Auch Anfang 1894 fanden noch verschiedene anarchistische Anschläge in andern Städten Spaniens statt.
Von den ergriffenen Anarchisten wurden sechs hingerichtet. In Italien,
[* 23] wo der Anarchismus
schon während der siebziger Jahre
einige Lebenszeichen von sich gab, sind in neuerer Zeit auch vereinzelte anarchistische Anschläge vorgekommen. In England
ist der Anarchismus zwar ohne Bedeutung geblieben, jedoch haben in London, besonders in dem Klub «Autonomie», die
deutschen und österr. Anarchisten ihren Sammelpunkt gefunden, von dem aus sie ihre Druckschriften über den Kontinent zu
verbreiten suchen.
Von außereuropäischen Ländern verdienen lediglich die Vereinigten Staaten [* 24] von Amerika Erwähnung. Der dortige Anarchismus verdankt seine weite Verbreitung hauptsächlich der rührigen Agitation Mosts, der 1883 Europa [* 25] verlassen hatte. Die frühern anarchistischen Bestrebungen wurden vom Volke um so weniger beachtet, als der bedeutendste ältere Vertreter des Anarchismus, Benjamin R. Tucker, welcher seit 1880 in Boston [* 26] die Lehren Proudhons vertrat, auf dem Boden der Theorie stehen blieb.
Most predigte auf seinen verschiedenen Rundreisen durch das Land mit solchem Erfolge den unerbittlichen Kampf gegen die besitzenden Klassen, daß sich in den meisten größern Orten, namentlich in Chicago, anarchistische Gruppen zusammenfanden. Chicago wurde der Schauplatz blutiger Zusammenstöße mit der Polizei, bei denen es auf beiden Seiten zahlreiche Tote und Verwundete gab. Da griff die Regierung energisch ein. Die Rädelsführer wurden verhaftet und vier von ihnen in Chicago hingerichtet. Damit war dem Anarchismus ein empfindlicher Schlag versetzt, und die Arbeiterkreise sagten sich zum großen Teil von ihm los.
Eine kritische Beurteilung des Anarchismus wird zweckmäßig an die verwandten Anschauungen der Socialdemokratie (s. d.) anknüpfen. Beide stimmen darin überein, daß sie die heutige Gesellschaftsordnung als die besitzenden Klassen einseitig begünstigend und zur Ausbeutung des Arbeiters führend bekämpfen. Namentlich gehen beide Richtungen in der Beurteilung des Grund- und Kapitaleigentums sowie der Wertlehre Hand in Hand. So hat die Proudhonsche Kritik der bestehenden Volkswirtschaft auch dem Socialismus die erfolgreichsten Waffen [* 27] in die Hände geliefert.
Dagegen weichen beide Parteien in den zu erstrebenden Zielen erheblich voneinander ab. Während die Socialdemokratie in dem genossenschaftlichen Zusammenschluß der Produzenten und der zwangsweisen Leitung der Gütererzeugung und -Verteilung ihr Zukunftsideal erblickt, welches insofern einen wesentlich kommunistischen Charakter trägt, macht sich im A. der extremste Individualismus geltend. Jeder einzelne soll völlig nach eigenem Belieben seine Bedürfnisse befriedigen. Auch in der Taktik gehen und Socialdemokratie auseinander. Während der Anarchismus die Attentate nicht ¶