Analphabeten
(grch.),
Menschen, die des
Lesens und Schreibens unkundig sind.
Statist.
Erhebungen über die Zahl der Analphabeten
sind
von hervorragender Bedeutung für die Beurteilung des Bildungszustandes eines
Volks und werden in den meisten Kulturstaaten
veranstaltet. Auf
Grund ihrer bisherigen Ergebnisse läßt sich die größere oder geringere
Verbreitung der elementaren
Kenntnisse des
Lesens und Schreibens in den einzelnen
Ländern mit einiger Sicherheit beurteilen. Schwierigkeiten verursacht
die
Begriffsbestimmung insofern, als die Anforderungen an diejenigen, welche nicht unter die
Klasse der Analphabeten
zu rechnen sind,
örtlich verschieden bemessen werden. Zur Feststellung der Zahl der Analphabeten
hat man drei Methoden eingeschlagen,
die direkte Zählung, die Ermittelung gelegentlich der Rekrutenaushebungen und die gelegentlich der
Eheschließungen.
Analyse

* 3
Seite 51.574. analphabeten.
Die Ergebnisse der
Volkszählungen leiden hinsichtlich der Analphabeten
ganz besonders unter dem
Mangel an Einheitlichkeit und Genauigkeit
des Erhebungsverfahrens, weshalb die folgenden
Zahlen mit Vorsicht aufzunehmen sind. Es gestaltete sich das Prozentverhältnis
der Analphabeten
im
Alter von über 6 und 10 Jahren für die gleichalterige männliche und weibliche
Bevölkerung:
[* 2]
¶
mehr
Länder | Zählungsjahr | Alter über | Prozent männl. Geschlecht | Prozent weibl. Geschlecht | Prozent männl. und weibl. Geschl. |
---|---|---|---|---|---|
Belgien | 1880 | 6 Jahr | 31,38 | 37,18 | 34,28 |
Irland | 1881 | " | 22,20 | 25,20 | 23,70 |
Italien | 1881 | " | 54,56 | 69,32 | 61,94 |
Österreich | 1890 | " | 38,96 | 41,38 | 40,19 |
Ungarn-Siebenbürgen | 1880 | " | 44,45 | 52,88 | 48,75 |
Kroatien, Slawonien und Fiume | 1880 | " | 67,62 | 79,63 | 73,65 |
Finland | 1880 | 10 J. | 2,13 | 1,68 | 1,90 |
Frankreich | 1872 | " | 28,08 | 34,66 | 31,39 |
Preußen | 1871 | " | 9,50 | 14,73 | 12,17 |
Vereinigte Staaten von Amerika weiße Bevölkerung | 1880 | 8,59 | 10,22 | 9,39 | |
Vereinigte Staaten von Amerika schwarze Bevölkerung | 1880 | 67,32 | 72,70 | 70,00 |
b. Das Prozentverhältnis der Analphabeten
bei Rekrutenaushebungen war 1881:
Serbien [* 4] 79,31, Rußland 79,04, Ungarn [* 5] 50,80, Italien [* 6] 47,74, Österreich [* 7] 38,90, Belgien [* 8] 15,99, Frankreich 14,91, Holland 10,4, Schweiz [* 9] 2,50, Deutsches Reich 1,59, Schweden [* 10] 0,39, Dänemark [* 11] 0,36.
Für einige deutsche Staaten brachten die jüngsten Jahrgänge folgendes Ergebnis:
1888/89 | 1889/90 | 1890/91 | 1891/92 | 1892/93 | 1893/94 | |
---|---|---|---|---|---|---|
Preußen | 0,94 | 0,78 | 0,82 | 0,69 | 0,59 | 0,37 |
Bayern | 0,03 | 0,05 | 0,03 | 0,01 | 0,03 | 0,03 |
Sachsen | 0,01 | 0,01 | 0,07 | 0,01 | 0,01 | 0,04 |
Württemb. | 0,03 | 0,01 | 0,04 | 0,03 | 0,04 | 0,01 |
Elsaß-Lothr. | 0,26 | 0,33 | 0,23 | 0,35 | 0,30 | 0,14 |
Für das ganze Deutsche Reich
[* 12] gestaltete sich das Prozentverhältnis: 0,60, 0,51, 0,54, 0,45, 0,38, 0,24, wonach also die
Zahl der Analphabeten
im Heere immer mehr zurückgeht.
Preußen

* 13
Preußen. In Preußen
[* 13] zeichnen sich aus durch eine hohe Analphabeten
ziffer die stark poln. Provinzen Ostpreußen,
[* 14] Westpreußen und Posen,
[* 15] doch hat sich die Zahl der Analphabeten
auch hier neuerdings stark vermindert, und zwar 1883/84 bis 1893/84 in Ostpreußen
von 6,58 auf 0,76, in Westpreußen von 7,38 auf 2,25 und in Posen von 8,89 auf 1,26 Proz. Auch in den
obengenannten fremden Staaten ist die Zahl der Analphabeten
unter den Rekruten im Laufe der Jahre ununterbrochen weiter zurückgegangen.
c. Bei Eheschließungen ermittelt man die Zahl derer, die die Heiratsurkunde nicht unterzeichnen können. Unter 100 Eheschließenden waren in:
England | Schottland | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
überhaupt | männl. | weibl. | überhaupt | männl. | weibl. | |
1852 | 37,6 | 30,5 | 44,6 | - | - | - |
1862 | 28,5 | 23,7 | 33,2 | 15,18 | 10,01 | 20,55 |
1872 | 22,9 | 19,4 | 26,3 | 15,48 | 10,44 | 20,52 |
1882 | 15,2 | 13,2 | 17,1 | 10,00 | 6,85 | 13,16 |
1890 | 7,0 | 7,2 | 8,3 | 5,2 | 3,9 | 6,4 |
Frankreich | Rumänien | |||||
überhaupt | männl. | weibl. | überhaupt | männl. | weibl. | |
1862 | 35,90 | 28,54 | 43,26 | - | - | - |
1872 | 28,69 | 22,64 | 34,75 | 87,9 | 82,7 | 93,1 |
1882 | 18,50 | 14,39 | 22,62 | 86,3 | 79,6 | 93,0 |
Irland | Italien | |||||
überhaupt | männl. | weibl. | überhaupt | männl. | weibl. | |
1872 | 38,20 | 34,6 | 41,8 | 65,75 | 56,22 | 75,28 |
1882 | 27,65 | 25,6 | 29,7 | 57,45 | 46,68 | 68,90 |
Vereinigte Staaten von

* 16
Vereinigten.Soweit die vorstehenden Zahlen einen Schluß auf den Bildungsgrad der Völker zulassen, ist derselbe am geringsten in den slaw. Bändern und bei den Schwarzen der Vereinigten Staaten [* 16] von Amerika. [* 17] Die roman. und magyar. Länder sowie Österreich, Holland und Großbritannien [* 18] nehmen eine Mittelstellung ein. Auf der höchsten Stufe stehen die übrigen german. Länder, die Weißen der Vereinigten Staaten von Amerika und der finn. Stamm.
Vgl. neben den statist.
Veröffentlichungen der Staaten, besonders Italiens, [* 19] Mischler, über in der «Statistischen Monatsschrift», 12. Jahrg. (Wien [* 20] 1886).
Die Notariatsordnungen, sowie die Gesetze über die Aufnahme von Verhandlungen, welche der nicht streitigen
Rechtspflege angehören, enthalten zumeist besondere Vorschriften darüber, wie zu verfahren sei, wenn Analphabeten
eine
Urkunde ausstellen wollen. Nach dem Preuß. Allg. Landr. I, 5, §§. 171 fg. und Anhang §. 5 müssen Analphabeten
ihre Verträge, welche
der schriftlichen Form bedürfen, gerichtlich aufnehmen lassen. Fast alle geltenden Rechte enthalten ferner
besondere Vorschriften über die Errichtung letztwilliger Verfügungen seitens der Analphabeten.
Im Gemeinen Rechte wird die Zuziehung
eines Unterschriftszeugen bei Errichtung der Verfügung vor sieben Zeugen (sog. octavus subscriptor) verlangt; ähnlich bestimmt
der Code civil Art. 977, 978 (den Analphabeten
ist das sog. mystische
Testament versagt) und das Sächs.
Bürgerl. Gesetzb. §. 204 (für die Errichtung vor fünf Zeugen); das Preuß. Allg. Landr. 1,12, §§. 113 fg. verlangt sogar die Zuziehung von zwei glaubwürdigen Männern mit näher bezeichneten Eigenschaften. Das Österr. Bürgerl. Gesetzb. §§. 580, 581 bestimmt, daß derjenige, welcher nicht schreiben kann, in Gegenwart der drei Zeugen das Handzeichen beisetzen müsse, und daß dem, welcher nicht lesen kann, der Aufsatz von einem der Zeugen in Gegenwart der beiden andern vorzulesen sei.
Nach der Civilprozeßordn. §. 381 machen Privaturkunden vollen Beweis dafür, daß die in denselben enthaltenen Erklärungen
von den Ausstellern abgegeben sind, sofern sie unterschrieben oder mittels gerichtlich oder notariell
beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sind. Eine der letztern gleiche Vorschrift enthält die Deutsche Wechselordnung Art. 94. Die
Vollmacht muß nach §. 76 der Civilprozeßordnuug auf Verlangen des Gegners gerichtlich oder notariell beglaubigt werden;
dies genügt also auch für die Vollmacht seitens eines Analphabeten.