Amtsgerichte,
in der Gerichtsorganisation des Deutschen Reichs die mit Einzelrichtern (Amtsrichtern) besetzten Untergerichte. Sind mehrere Amtsrichter bei einem Amtsgericht angestellt, so findet eine Geschäftsverteilung, sei es mit Rücksicht auf die zum Amtsgerichtsbezirk gehörigen Orte, sei es mit Rücksicht auf die Gegenstände der amtsrichterlichen Thätigkeit, statt, während einem von diesen Amtsrichtern die allgemeine Dienstaufsicht von der Landesjustizverwaltung übertragen wird. Aber wenn auch mehrere Amtsrichter bei einem Amtsgericht angestellt sind, so fungiert doch jeder von ihnen als Einzelrichter. Nur für diejenigen Fälle, in welchen die Amtsgerichte als Strafgerichte zu urteilen haben, ist das einzelrichterliche Prinzip aufgegeben, und die Schöffengerichte (s. d.), bestehend aus dem Amtsrichter als Vorsitzendem und zwei aus dem Volk gewählten Schöffen, treten in Funktion. Vor die Amtsgerichte gehören
1) auf dem Gebiet der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten diejenigen minder wichtigen vermögensrechtlichen Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 300 Mk. nicht übersteigt, sowie ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gewisse andre Rechtssachen, deren Wesen ein besonders schleuniges Verfahren erheischt oder eine besondere Vertrautheit mit den dabei in Frage kommenden Lokalverhältnissen voraussetzt, wie Hausmietstreitigkeiten, Gesindestreitsachen, Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern hinsichtlich des Dienst- und Arbeitsverhältnisses, Streitigkeiten zwischen Reisenden und Wirten, Fuhrleuten, Schiffern, Flößern oder Auswanderungsexpedienten in den Einschiffungshäfen, welche über Wirtszechen, Fuhrlohn, Überfahrtsgelder, Beförderung der Reisenden und ihrer Habe und über Verlust und Beschädigung der letztern, sowie Streitigkeiten zwischen Reisenden und Handwerkern, welche aus Anlaß der Reise entstanden sind; ebenso Ansprüche aus einem außerehelichen Beischlaf und Streitigkeiten wegen Viehmängel oder wegen Wildschadens. Die Amtsgerichte sind ferner allgemein für das Konkursverfahren und für das Aufgebotsverfahren, d. h. für die öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung von Ansprüchen oder Rechten, zuständig, welche mit der Wirkung ergeht, daß die Unterlassung der Anmeldung einen Rechtsnachteil und zwar regelmäßig den Ausschluß des betreffenden Rechts oder Anspruchs zur Folge hat. Ebenso sind die Amtsgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Anspruchs für das Mahnverfahren zuständig, d. h. für den Erlaß eines Zahlungsbefehls an den Schuldner, wenn es sich um die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder um die Leistung einer bestimmten Quantität andrer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere handelt, unbeschadet des Einspruchsrechts des Schuldners. Erfolgt ein rechtzeitiger Widerspruch, so ist die Sache im geordneten Prozeßverfahren vor dem zuständigen Gericht zu verhandeln und zu entscheiden. Der Amtsrichter kann ferner ohne Rücksicht auf den Wert des Streitobjekts als Vergleichsrichter thätig sein, wie er denn auch als Vollstreckungsrichter fungiert, insoweit eine richterliche Mitwirkung bei Zwangsvollstreckungen überhaupt stattfindet. Insbesondere sind die Amtsgerichte für die Hilfsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, in Forderungen und ähnliche Vermögensrechte, ebenso für die Erzwingung einer Handlung oder Unterlassung zuständig, während die Mobiliarexekution im wesentlichen Sache des Gerichtsvollziehers ist. Auch die Entmündigung, d. h. die Bevormundung einer
mehr
großjährigen Person wegen Geisteskrankheit oder Verschwendungssucht, gehört in den Kompetenzkreis der Amtsgerichte. Endlich haben die in Fällen dringender Gefahr des Verlustes der betreffenden Beweismittel zur Sicherung des Beweises die Einnahme des Augenscheins und die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen vorzunehmen. Die zweite Instanz für die in erster vor die Amtsgerichte gehörigen Zivilsachen sind die Zivilkammern der Landgerichte.
2) In Strafsachen erstreckt sich die Gerichtsbarkeit der Schöffengerichte unter dem Vorsitz des Amtsrichters und unter Mitwirkung des mit den Funktionen der Staatsanwaltschaft betrauten Amtsanwalts auf die Übertretungen und auf diejenigen Vergehen, welche nur mit Geldstrafe bis zu 600 Mk. oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bedroht sind. Auch ist es den Strafkammern der Landgerichte nachgelassen, gewisse leichtere Vergehen auf Antrag der Staatsanwaltschaft an die Schöffengerichte zu verweisen, wenn im gegebenen Fall voraussichtlich jenes Strafmaximum nicht überschritten werden wird. Außerdem gehören Beleidigungen und Körperverletzungen, welche im Weg der Privatklage verfolgt werden, desgleichen einfacher Diebstahl und Betrug, einfache Unterschlagung und Sachbeschädigung gleichfalls vor die Schöffengerichte, wofern der Wertbetrag des Verbrechensgegenstandes die Summe von 25 Mk. nicht übersteigt. Dasselbe gilt endlich auch von der Begünstigung und von der Hehlerei, vorausgesetzt, daß die verbrecherischen Handlungen, auf welche sich jene beziehen, ebenfalls in die Kompetenz der Schöffengerichte fallen. Handelt es sich jedoch nur um eine Übertretung, so kann der Amtsrichter in dem Fall der Vorführung des Beschuldigten, welcher die ihm zur Last gelegte That eingesteht, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ohne Zuziehung von Schöffen verhandeln und entscheiden. Es kann auch der Amtsrichter bei Übertretungen und bei Vergehen, welche nur mit Gefängnis von höchstens drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 600 Mk., allein oder neben Haft oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Einziehung, bedroht sind, ohne Zuziehung der Schöffen und ohne vorgängige Verhandlung einen Strafbefehl (Strafmandat) erlassen, wenn die Staatsanwaltschaft schriftlich darauf anträgt. Durch einen Strafbefehl darf jedoch keine andre Strafe als Geldstrafe von höchstens 150 Mk. oder Freiheitsstrafe von höchstens sechs Wochen sowie eine etwa verwirkte Einziehung ausgesprochen werden. Ein Strafbefehl, wegen welchen der Beschuldigte nicht binnen einer Woche Einspruch erhebt, erlangt die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils. Es können ferner Forst- und Feldrügesachen nach Landesgesetz durch die Amtsgerichte ohne Zuziehung von Schöffen verhandelt und entschieden werden. Ebenso findet die strafrichterliche Thätigkeit des Amtsrichters in dem einzelrichterlichen Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung ohne die Zuziehung von Schöffen statt; dies gilt namentlich von den Erhebungen, welche der Amtsrichter vor der Hauptverhandlung eintreten lassen kann, und von der Urteilsvollstreckung. Wegen der Heranziehung der Schöffen hat der Amtsrichter das Nötige wahrzunehmen (s. Schöffengerichte). Endlich sind die zur Entgegennahme von Anzeigen und zur Vornahme von Untersuchungshandlungen überhaupt auf Veranlassung des Staatsanwalts oder es Untersuchungsrichters und in eiligen Fällen selbst von Amts wegen befugt und verpflichtet, auch in solchen Fällen, in welchen die endliche Entscheidung dem Amtsrichter oder dem Schöffengericht nicht zusteht, wie denn auch durch Beschluß des Landgerichts auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Führung einer ganzen Voruntersuchung einem Amtsrichter übertragen werden kann. Gegen die Urteile der Schöffengerichte ist das Rechtsmittel der Berufung an die Strafkammer des Landgerichts gegeben, welche zu gleich die Beschwerdeinstanz bildet, insofern es sich am Beschwerden über Anordnungen und Entscheidungen der Amtsgerichte und der Schöffengerichte handelt.
3) Außerdem sind die Amtsgerichte regelmäßig mit der freiwilligen Gerichtsbarkeit betraut, also insbesondere mit der durch die Landesgesetzgebung normierten Handhabung des Hypotheken- und Grundbuchwesens, der Vormundschaftssachen und der gerichtlichen Mitwirkung bei der Aufnahme von Rechtsakten, soweit eine solche erforderlich ist. Auch haben die Amtsgerichte vielfach die Aufsicht über die Standesbeamten zu führen. Vgl. Deutsches Gerichtsverfassungsgesetz, § 22-57, 71, 76; Deutsche Konkursordnung, § 64 ff.; Strafprozeßordnung, § 31, 176, 183 f., 197 f., 211, 447 ff., 453 ff.; Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung, § 3; Zivilprozeßordnung, § 447 ff., 471, 593 ff., 684, 729 ff., 823 ff. Litteraturnachweise s. Gericht.