Amtsgerichte
,
nach der
Deutschen Gerichtsverfassung Gerichte erster Instanz, mit einem oder mehrern
Amtsrichtern (s. d.)
besetzt, die als Einzelrichter ihre Funktionen ausüben; bei den Amtsgerichte
mit mehrern
Richtern hat einer derselben die allgemeine
Dienstaufsicht, worunter eine
Aufsicht über die übrigen
Richter nicht zu verstehen ist (ausgenommen
Berlin
[* 3] I, wo seit 1892 ein
Amtsgerichtspräsident die Leitung des gesamten Amtsgerichts
einschließlich der Dienstaufsicht auch über die
Richter hat,
die ihm für den Landgerichtspräsidenten nach dem Gesetz vom obliegt); im übrigen werden die
Geschäfte unter
ihnen entweder nach
Bezirken oder (namentlich bei den größern Amtsgerichte
) nach Gattungen verteilt. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten
bestimmt sich die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte
zum
Teil nach dem Wert der Streitsachen, indem ihnen alle Rechtsstreitigkeiten
über
Ansprüche zugewiesen sind, deren Gegenstand an
Geld oder Geldeswert die
Summe von 300 M. nicht übersteigt, sofern nicht
die Landgerichte (s. d.) ohne Rücksicht auf den Wert der Sache zuständig sind;
ohne Rücksicht auf diesen sind die Amtsgerichte
zuständig für Rechtsstreitigkeiten, welche
aus Mietsverhältnissen wegen Überlassung, Benutzung und Räumung der vermieteten Räume, sowie wegen Zurückhaltung der
von Mietern in dieselben eingebrachten Sachen, aus
Arbeits- und Dienstverhältnissen während der
Dauer derselben, aus den
Verhältnissen von Reisenden zu Wirten, Fuhrleuten, Schiffern, Flößern, Auswanderungsexpedienten in
den Einschiffungshäfen, aus
Anlaß der
Reise zwischen Reisenden und Handwerkern entstehen, für Streitigkeiten wegen Viehmängel,
Wildschadens, über
Ansprüche aus außerehelichem Beischlaf.
Ferner sind die Amtsgerichte
zuständig für das Mahnverfahren, für den Sühneversuch in Ehesachen, das
Aufgebotsverfahren, die Beweisaufnahme
zur Sicherung des
Beweises, sofern der Rechtsstreit nicht anhängig oder Gefahr im Verzuge ist, das
Verfahren
zur Entmündigung; sie sind Konkursgerichte, Vollstreckungsgerichte, zuständig auch für
Arreste und einstweilige
Verfügungen
neben den Landgerichten; endlich kann auch, wer eine Klage zu erheben beabsichtigt, zum Zwecke eine Vergleichsversuchs unter
Angabe des Streitgegenstandes den Gegner vor das Amtsgerichte
laden (Gerichtsverfassungsgesetz §§. 22-24; Civilprozeßordn.
§§. 448, 471, 571, 629, 684, 799, 820; Konkursordn. §. 64).
Amtsgerichtspräsident

* 4
Seite 51.562. In Strafsachen sind die Amtsgerichte
für die im Vorbereitungsverfahren, vor
Erhebung der öffentlichen Klage erforderlichen gerichtlichen
Untersuchung Handlungen zuständig, insbesondere aber zur Erteilung der Beerdigungserlaubnis in Fällen nicht natürlichen
Todes oder bezüglich der
Leichname von
Unbekannten, zur
Entscheidung über
Beschlagnahme und Durchsuchungen
(s. d.), zu den richterlichen Handlungen nach erfolgter Festnahme eines Angeschuldigten,
zum
Erlaß von Haftbefehlen (Strafprozeßordn. §§. 160, 163, 164, 157, 98, 100, 105, 128, 129, 152, 125, 126). Es kann
ihnen die
Führung einer
Voruntersuchung (s. d.) sowie die Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen
übertragen werden (Strafprozeßordn. §§. 183, 184). Der
Amtsrichter ist
Vorsitzender des Schöffengerichts
(s. d.) und erläßt an
Stelle desselben die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen
Entscheidungen (Gerichtsverfassungsgesetz
§§.26,30;
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mehr
Strafprozeßordn. §§. 197, 200, 463, 494, 501); er kann in gewissen einfachen Fällen (wegen Übertretungen, wenn der vorgeführte
Beschuldigte die That eingesteht, ferner in Forst- und Feldrügesachen) auch ohne Zuziehung von Schöffen verhandeln und
erkennen (Strafprozeßordn. §. 211; Einführungsgesetz §. 3). Die Amtsgerichte
sind ferner zuständig für den Erlaß von
Strafbefehlen (s. d.) und in schöffengerichtlichen Sachen für die Strafvollstreckung,
sofern ihnen dieselbe durch Anordnung der Landesjustizverwaltung übertragen ist (Strafprozeßordn. §§. 447, 483).
Neben dieser durch die Reichsgesetze begründeten Zuständigkeit für die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit kann den Amtsgerichte
durch
die Landesgesetzgebung jede andere Art der Gerichtsbarkeit übertragen werden. So sind in Preußen
[* 5] durch
das Ausführungsgesetz vom den Amtsgerichte
überwiesen die Führung der Handelsregister, der Genossenschaftsregister, der
Musterregister, der Schiffsregister, ferner alle Angelegenheiten, welche nach der frühern Gesetzgebung durch Einzelrichter
zu erledigen waren, insbesondere aber das Verlassenschaftswesen, die Vollziehung, Beurkundung und Bestätigung von Handlungen
der nicht streitigen Gerichtsbarkeit, die Verwaltung und Beaufsichtigung von Stiftungen, die Geschäfte des
Grundbuchrichters und des Vormundschaftsrichters.
Endlich sind die Amtsgerichte
verpflichtet, dem Ersuchen anderer Gerichte in Sachen der streitigen Gerichtsbarkeit
um Rechtshilfe (s. d.) zu entsprechen (Gerichtsverfassungsgesetz §. 158), in
Preußen auch in Angelegenheiten, welche zu der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit nicht gehören (§. 87 des Preuß.
Ausführungsgesetzes). Im Deutschen Reiche bestanden 1890 bei einer Zahl von 49 421 259 Gerichtseingesessenen 1915 Amtsgerichte
, so daß
durchschnittlich auf 25 808 E. ein Amtsgericht kommt. Von diesen sind 817 mit nur einem, 216 mit mehr als drei Richtern besetzt.
Die Zahl der Amtsrichter beträgt 4329, so daß auf einen Amtsrichter durchschnittlich 11 417 E. kommen.
-
Vgl. Pfafferoth, Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung (Berl. 1880-86).