Amphioxus
lanceolatus
Yarr. (Branchiostoma lubricum
Costa,
Lanzettfisch), das niederste bis jetzt bekannt gewordene
Wirbeltier, von so eigentümlichem Äußern, daß es von seinem Entdecker
Pallas als eine Nacktschnecke
beschrieben wurde. Der Amphioxus
wird bis 5
cm lang, ist weiß und vorn und hinten zugespitzt (daher der
Name Amphioxus
) und mit lanzettförmiger
Schwanzflosse versehen. Eine echte
Wirbelsäule fehlt und wird durch einen Knorpelstrang, die
Rückensaite (chorda dorsalis),
ersetzt, welche sich bei den höhern
Wirbeltieren nur noch im Embryonalleben vorfindet.
Oberhalb derselben verläuft das Rückenmark, welches vorn mit einer geringen Anschwellung endet. Ein eigentliches Gehirn [* 2] und die Schädelkapsel, auch ein Gehörorgan fehlen; dagegen sind ein Geruchsorgan und auch eine Art Auge [* 3] (ein unpaarer, dunkler Fleck unmittelbar auf dem vordern Ende des Rückenmarks) vorhanden. Der auf der Bauchseite gelegene Mund, eine einfache Spalte, führt nicht direkt in den Magen, [* 4] sondern erst in eine weite Kiemenhöhle, in welcher die Atmung vor sich geht.
Ein eigentliches Herz fehlt, dafür pulsieren aber die größern Adern; auch besitzt jede zu den Kiemen führende Arterie [* 5] eine kleine, herzartige Anschwellung. Ein Lymphgefäßsystem fehlt gänzlich. Die Blutkörperchen [* 6] sind farblos. Am Hinterende des Kiemensacks beginnt der eigentliche Darmkanal, in welchem sich die Nahrungsteilchen aus dem Atemwasser ansammeln. Er erstreckt sich ohne jegliche Biegung nach hinten bis zum After und hat vorn einen kurzen Blindsack, den man als Leber bezeichnet.
Die Nieren finden sich im Kiemensack vor und sind von einfachem Bau. Auch die Geschlechtsorgane befinden sich auf einer niedern Entwickelungsstufe, da sie nur aus den Hoden, resp. Eierstöcken bestehen. Diese entleeren Samen, [* 7] bez. Eier [* 8] durch Platzen der Wandungen direkt in die Kiemenhöhle, aus welcher sie durch den Mund ins Freie gelangen. Die Entwickelung des Embryos zeigt in vielen Punkten die größte Übereinstimmung mit derjenigen der Ascidien, einer Klasse der Tunikaten [* 9] (Manteltiere). Es bildet sich nämlich aus dem Ei [* 10] nach Ablauf [* 11] der Furchung eine regelmäßige Gastrula, d. h. ein Wesen, das von allen Organen nur einen Magen in Form eines einfachen Sackes besitzt, mit Hilfe von Wimpern im Meer umherschwimmt und allmählich die übrigen Organe erhält.
Die nahe
Verwandtschaft zwischen
dem
Wirbeltier Amphioxus
und den wirbellosen
Tunikaten (s. d.), wie sie aus der
Entwickelung erhellt,
wird von keinem
Forscher bestritten; die einen aber konstruieren sich die aufsteigende
Linie:
Tunikaten, Amphioxus
,
Fische
[* 12] etc., während
die andern mit mehr
Recht sie in umgekehrter Reihenfolge gruppieren. Für die erstern ist also der Stammvater aller
Wirbeltiere,
für die letztern gilt er als ein rückgebildeter
Fisch, den an
Degeneration nur noch die
Ascidien übertreffen, in welchen
ein gänzlich herabgekommener Seitenzweig der
Fische vermutet wird (s.
Wirbeltiere).
Der Amphioxus
lebt in geringen Tiefen am Meeresstrand und gräbt sich meist bis an den
Mund in den
Sand ein. Er
ist sehr lebenszäh. Man findet ihn in allen
Meeren, unterscheidet jedoch wohl neben dem Amphioxus
noch zwei leichte
Abarten (s.
Leptokardier).
Vgl. Costa, Storia del Branchiostoma lubricum (Neap. 1843);
Müller, Über den Bau und die Lebenserscheinungen des Branchiostoma lubricum (Berl. 1844);
Kowalewski,
Entwickelungsgeschichte
[* 13] von Amphioxus
(Petersb. 1867);
Rolph,
Bau des Amphioxus
(Leipz.
1876);
Hatschek,
Studien über die
Entwickelung des Amphioxus
(Wien
[* 14] 1881).