Selbständigkeit der altamerika
nischen Kulturentwicklung. Die Entdeckung Amerikas
hat auch manche
unbequeme Folge gehabt, beispielsweise wurde den Verfechtern des einheitlichen Ursprungs des Menschengeschlechts ihre Sache
recht erschwert. Schade ist, daß die Entdecker nicht schon das «wissenschaftliche
Rüstzeug» des 19. Jahrhunderts hatten, um den Erscheinungen einer thatsächlich «zweiten
Welt» völlig gerecht zu werden. Daß
man es mit einer besonderen amerika
nischen Rasse und mit einer völlig
selbständigen, von der alten Welt niemals beeinflußten Kultur zu thun habe, gilt heute als ausgemacht. Der neueren Forschung
ist es auch gelungen, von der früheren Geschichte Amerikas
ein wenigstens annähernd richtiges Bild aufzustellen.
Zur Zeit der Entdeckung fanden sich auf Amerikas
Boden die Stufen der Kultur von der allereinfachsten
der
Stein- und Bronzezeit bis eben zu jener hinauf, auf welcher im 8. bis 7. Jahrhundert v. Chr.
Mittelasien stand. Daß die amerika
nischen Naturvölker nach dem Eindringen der Europäer überhaupt zu keiner weiteren eigenartigen
Kulturausbildung mehr gelangen konnten, ist ebenso begreiflich, wie daß die selbständige amerika
nische
Kultur vernichtet wurde und jetzt die europäische herrscht.
Man hat zwei Kulturgebiete zu unterscheiden: das nördliche, zwischen dem 10. bis 22. nördl.
Breitegrad (Mittelamerika
, Mexiko), und das südliche, bis etwa zum 25. südl. Breitegrad reichende
an dem Westrande Südamerikas
(Peru und Nachbarn). In jedem derselben läßt sich beobachten, daß der
Kulturstand mehrfach wechselte, bedingt durch die Völkerwanderungen, die auch in Amerika
stattgefunden haben. Das Eindringen
neuer
Völker hatte immer einen Rückschlag zur Folge, erst nach einiger Zeit trat wieder ein Aufschwung ein.
Amerika
nische Kunst. Die Stellung, Bedeutung und Geschichte der eigenamerikanischen Kunst ergiebt sich
aus den vorstehenden Sätzen. Sie ist selbständig, d. h. wurde von der Rasse aus Eigenem von
den einfachsten Anfängen heraus entwickelt; sie hat nicht den geringsten Einfluß auf die allgemeine Entwicklung der Kunst
- die Weltkunst - und sie hat nach mehrfachen Schwankungen vorzeitig ein jähes Ende gefunden.
^[Abb.: Fig. 70. Aus einer Handschrift der Maya.
(Nach Helmolt, Weltgeschichte.)] ¶
Mittelamerika.
Bauten der Maya. In dem mittelamerika
nischen Kulturgetriebe treten die Mayavölker
- deren Reste noch in Yukatan sich finden - zuerst mit einer fortgeschrittenen Kunstfertigkeit hervor. Sie waren die einzigen
in Amerika
, welche auch eine eigene Schrift erfunden hatten und somit auch ein Schrifttum besaßen. Die erhaltenen Handschriften
sind mit Zeichnungen geschmückt, deren Art die Probe zeigt (Fig. 70).
Zahlreich sind ihre Baudenkmale, deren Entstehen sich jedenfalls auf einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten verteilt. Am meisten bemerkenswert sind jene von Copàn und des Bezirkes Chiapas. Sozusagen selbstverständlich ist es, daß diese Denkmale religiöser Art sind: also Tempelanlagen. Die Bauten erhoben sich auf einer Erdanschüttung - manchmal natürlichen Hügeln -, deren Seiten mit Steinfliesen verkleidet wurden. Auf diesem Unterbau stand der Tempel, der lang, schmal und mit einem außerordentlich massigen Dache gekrönt war.
Bis zur Kenntnis der Gewölbe- und Bogenherstellung waren die Mayas nicht vorgeschritten, sie behalfen sich also mit dem Auswege, daß sie die einzelnen Steinschichten überkragen ließen, bis oben die Dachöffnung mit einer Platte geschlossen werden konnte. Dies bedingte die Massigkeit des Daches, das ein Drittel der ganzen Höhe des Baues einnahm und dessen Vorderwand mit ausgemeißelten Verzierungen und Flachbildwerken reich geschmückt wurde. Anlagen von mehreren Stockwerken wurden in der Weise hergestellt, daß an der Rückseite des ersten Gebäudes wieder ein Erdhügel bis zur Dachhöhe aufgeschüttet wurde, auf welchem dann das zweite Stockwerk stand. Das Ganze sah dann wie eine Stufenpyramide aus, da jedes obere Stockwerk hinter dem unteren zurücksprang. Durch die reiche Verzierung der breiten Flächen wurde der Eindruck des Wuchtigen einigermaßen gemildert.
Bildnerei der Maya. Die Flachbildwerke sind teils in Thon oder einer Art Stuck, teils in Stein ausgeführt; letztere stammen aus der jüngeren Zeit. Von einer naturwahren Wiedergabe der ganzen Körperformen ist natürlich keine Rede, nur in Einzelheiten giebt sich eine gute Beobachtung und Auffassung kund, mit großer Sorgfalt ist dagegen aller Zierat der Gewandung behandelt. Auch Stelen - Säulen mit Menschenformen - finden sich vor, die wenigstens erkennen lassen, daß die Maya auf dem Wege zur freien Gestaltung des Körpers als Standbild sich befanden.
Azteken. Die weitere Entwicklung wurde durch den Einbruch der Nahuavölker gestört, welche teils die Maya unterwarfen, teils in entlegene Gebiete zurückdrängten, im übrigen, aber
^[Abb.: Fig. 71. Ein Opfer vor dem Gotte Kukulkan. Flachbild der Maya.
London, Brit. Museum. (Nach Photographie.)] ¶
deren Kultur allmählich sich zu eigen machten. Unter diesen Nahuavölkern waren es vornehmlich die Zapoteken, bei welchen auch die ältere Kunst wieder erweckt wurde, und später die Azteken, die sie zu einer gewissen Blüte brachten, ohne dabei wesentlich über die bereits von den Mayas erreichte Stufe hinaus zu gelangen. Ihre Hauptstadt Tenochtitlan-Mexico hatte im ganzen dieselbe Eigenart, wie die Maya- und die älteren Nahuastädte, unter denen Xochicalco bemerkenswert war, wie die erhaltenen Reste beweisen. Wie weit es die Azteken im Zeichnen gebracht haben, läßt sich aus der Probe (Fig. 73 c) ersehen.
Die Zerstörung des Aztekenreiches durch die Spanier machte auch der Selbständigkeit der Kultur in Mittelamerika ein Ende.
Peru. Im zweiten südlichen Kulturgebiet gelangte die Kunst nicht einmal zu der gleichen Entwicklung wie im Norden. Es ist ja schon bezeichnend, daß in dem jüngsten und mächtigsten Reiche des Gebiets, in dem peruanischen Inkareiche, die Schrift unbekannt war. Noch aus der Zeit vor den Inkas stammen die Denkmale von San Agustin und Tiahuanaco. Die Baukunst erscheint ziemlich einfach, ja es scheint, daß man es bis zur Herstellung von größeren geschlossenen Gebäuden gar nicht gebracht hatte; bemerkenswert sind nur die Steinthore.
Peruanische Bildnerei. Eine größere Vervollkommnung zeigt dagegen die Bildnerei: Pfeiler mit Menschenformen und Götterbilder, welche ziemlich sorgfältig ausgeführt sind und das Streben nach Naturtreue erkennen lassen. Da in der Religion der Inka die Verehrung der Sonne und des Mondes die Hauptrolle hatte, welche durch große goldene und silberne Scheiben mit menschlichen Gesichtszügen dargestellt wurden, ferner die Schutzgeister des Feldes und Hauses blos in eigentümlich geformten Steinen oder Fetischen versinnlicht waren, so erfuhr die ältere Bildnereikunst keine weitere Ausbildung. (Die kleinen Götzenbilder aus Peru gehören sicher den unterworfenen Stämmen an.)
Peruanische Bauten. Im Bauwesen erreichten die Inka-Peruaner wohl eine große Fertigkeit im Bearbeiten und sorgfältigen Zusammenfügen ungewöhnlich großer Steine, aber zu irgend welcher Gliederung oder Anwendung gefälliger Bauformen kamen sie nicht. Ihre Bauten bestanden aus ungemein langen, massigen Mauern von geringer Höhe, nur selten mit Fenstern versehen; Thüren sind immer trapezförmig gestaltet, das Dach wurde aus Rohr und Stroh hergestellt, und der äußere Schmuck beschränkte sich darauf, daß die Wände mit Platten aus Gold und Silber behängt wurden.
Kunstgewerbe. In den Erzeugnissen der Töpferei - Gefäße und Thonfiguren -, der Metallarbeit und der Weberei giebt sich eine größere Fertigkeit kund. Erstere sind vielfach bemalt und mit Zeichnungen versehen, welche auch Vorgänge des Lebens darstellen.
Ende der amerikanischen Kunstentwicklung. Das war der Stand der «Kunst» auf amerikanischem Boden um die Zeit von 1520-30 n. Chr. Es ist wohl eine müßige Frage, ob die amerikanische Rasse, wenn sie nicht «entdeckt» worden wäre, aus Eigenem auch eine so hohe Stufe wie die antike «alte Welt» erreicht hätte. Der Kreis der
^[Abb.: Fig. 72. Mexikanische Steinfigur.
Die sog. Maisgöttin.] ¶