Amberley
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Amberley
(spr. rössel. Russel), englische Adelsfamilie, deren erster nachweisbarer Ahnherr, John Russell, im 13. Jahrh. als Constable von Corse Castle in Dorset erscheint. 1539 wurde die Familie zur Peerswürde erhoben, und 1550 erlangte sie den Titel der Grafen von Bedford. Ihre namhaftesten Sprößlinge sind:
1) William, Sohn Williams, des fünften Grafen von Bedford, geb. trat in seinem 22. Jahr ins Unterhaus, wo er zu den vornehmsten Führern der Opposition gehörte, und ward wegen angeblicher Teilnahme an dem gegen Karl II. angestifteten Ryehouse-plot hingerichtet. Nach Wilhelms III. Thronbesteigung 1689 ward das Urteil widerrufen und der Vater des Hingerichteten 1694 zum Marquis von Tavistock und Herzog von Bedford ernannt.
Vgl. Lord John Russell, Life of William Lord Russell (4. Aufl., Lond. 1853).
2) Lord Edward, Vetter des vorigen, geb. 1651, ward nach seinem Seesieg über die französische Flotte bei La Hogue zum Grafen von Oxford [* 3] ernannt und starb
3) John, vierter Herzog von Bedford, geb. unterhandelte im Februar 1763 als Botschafter in Paris [* 4] den Frieden, bekleidete dann noch mehrere wichtige Posten und starb Seine »Correspondence« gab Lord John Russell (Lond. 1842-46, 3 Bde.) heraus.
4) Francis, siebenter Herzog von Bedford, geb. war bis zum Tod seines Vaters (1839) unter dem Namen Marquis von Tavistock als eifriger Whig für die Interessen seiner Partei thätig und starb ihm folgte als achter Herzog von Bedford sein einziger Sohn, William, geb. der gemütskrank und unverheiratet starb. Titel und Güter des Hauses gingen nun über auf seinen Vetter Francis Charles Hastings Russell, neunten Herzog von Bedford, geb. ältesten Sohn des 1846 als General verstorbenen Lord William Russell.
5) Lord John Russell, einer der ausgezeichnetsten brit. Staatsmänner, geb. als dritter Sohn des sechsten Herzogs von Bedford, studierte zu Edinburg [* 5] Philosophie, Geschichte und Staatswissenschaften, trat schon im Juli 1813 für einen Wahlflecken, über den sein Vater verfügte, ins Unterhaus und war hier seit 1819 unablässig für eine Reform der Parlamentswahlen thätig. Seine Vorschläge wurden anfangs schon in den ersten Stadien der Beratung zurückgewiesen; dagegen kam eine neue Bill, welche er 1826 einbrachte, und in welcher er das Wahlrecht einer Anzahl von verfallenen und unbedeutenden Wahlflecken auf große und volkreiche, bis dahin von der Vertretung im Parlament ausgeschlossene Fabrikstädte zu übertragen vorschlug, wenigstens zur zweiten Lesung. In diesen Kämpfen hatte er sich bereits eine hervorragende Stellung innerhalb der Whigpartei erworben, die noch befestigt wurde, als er 1828 aufs kräftigste und mit Erfolg für die Aufhebung der Testakte und 1829 für die daraus folgende Emanzipation der Katholiken wirkte. 1830 nahm er den Kampf für die Reform von neuem auf, indem er eine Bill einbrachte, welche den Städten Leeds, [* 6] Manchester [* 7] und Birmingham [* 8] eine Vertretung im Parlament verleihen sollte. Auch diesmal trug er zwar den Sieg nicht davon; doch wurde er im liberalen Kabinett Grey Generalzahlmeister und hatte im Juni 1832 die Genugthuung, seine langjährigen Bemühungen durch die Annahme der Reformbill (s. Großbritannien, [* 9] S. 811) gekrönt zu sehen.
Mit dem Rücktritt der Whigs (November 1834) legte auch er sein Amt nieder, um bei der Wiedereröffnung des Parlaments im Februar 1835 die Führung der Opposition zu übernehmen. Seiner geschickten Taktik gelang die Durchführung der Appropriationsklausel, wodurch die Tories zum Rücktritt bewogen wurden. Im Ministerium Melbourne [* 10] (April 1835) übernahm Russell das Staatssekretariat des Innern, das er 1839 mit dem Kolonialministerium vertauschte. Die wichtigsten gesetzgeberischen Maßregeln dieser Regierung, die neue Städteordnung, die irische Zehntbill, die neue Armengesetzgebung, die Organisation des öffentlichen Unterrichts und die Verbesserung der Rechtspflege, sind zum wesentlichen Teil das Verdienst Russells, der gleichzeitig als Haupt der innern ¶
Verwaltung die Bestrebungen der Chartisten und Radikalen niederhielt. Nachdem das Ministerium im August 1841 zurückgetreten war, übernahm Russell wieder die Führung der Opposition, unterstützte aber das Ministerium Peel in allen die Freiheit des Handels, die Verbesserung des Loses der arbeitenden Klassen und die Aufrechthaltung der Ruhe in Irland betreffenden Fragen. Nach Peels Rücktritt wurde Russell im Juli 1846 als das anerkannte Haupt der Whigs mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt, in welchem er selbst den Posten eines Premiers und ersten Lords des Schatzes übernahm.
Als Russell sich aber im Dezember 1851 Palmerstons auf wenig rücksichtsvolle Weise entledigt hatte, ward die
Stellung des Kabinetts von Tag zu Tag unhaltbarer, und Ende Februar 1852 trat die Whigverwaltung ab. Nach einer kurzen Regierung
Lord Derbys trat er in Lord Aberdeens Koalitionsministerium (17. Dez.) zwar ohne Portefeuille, aber als ministerieller Leiter des Unterhauses
ein. Am übergab er das von ihm provisorisch verwaltete Portefeuille des Auswärtigen an den
Grafen von Clarendon und übernahm nach dem Ausbruch des Kriegs mit Rußland das Präsidium des Geheimen Rats, schied aber
einige Tage vor dem Sturz der Koalitionsregierung, aus derselben. In dem neu eintretenden Ministerium Palmerston übernahm Russell die
Kolonialverwaltung und vertrat England im Februar auf den Wiener Friedenskonferenzen: Infolge der Angriffe,
welche sein Verhalten hierbei erfuhr, trat er 13. Juli aus dem Ministerium aus. In dem am eingesetzten neuen Ministerium
Palmerston übernahm er das Departement des Äußern und wurde als Graf Russell zum Peer erhoben. Seine
auswärtige Politik bewegte sich im ganzen in den Wegen Palmerstons: während des italienischen Kriegs begünstigte er die nationale
Erhebung, ließ aber die Annexion Savoyens an Frankreich zu. Bei Gelegenheit des polnischen Aufstandes von 1863 erlitt er eine
entschiedene Niederlage, indem die russische Regierung seine Noten, in denen er sich für Polen verwendete,
einfach unberücksichtigt ließ; auch in dem amerikanischen Sezessionskrieg bot er seine Vermittelung an und ergriff 1864 in
dem deutsch-dänischen Krieg entschieden für Dänemark
[* 12] Partei. Als Palmerston starb, übernahm Russell den Posten eines
Premiers und überließ die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten dem Grafen Clarendon. In der nächsten
Session legte Gladstone die neue Reformbill vor; allein dieselbe befriedigte nach keiner Richtung hin und stieß auf
so heftigen Widerstand, daß Russell 26. Juni d. J. seine Entlassung einreichte. Seitdem bekleidete
Russell kein Staatsamt mehr. Wie früher für die Reform des Unterhauses, so war er nun für die des Oberhauses
thätig und brachte im April 1869 eine Bill ein, durch welche die Ernennung einer Anzahl von Peers auf Lebenszeit verfügt
wurde; doch wurde dieselbe abgelehnt und nicht wieder erneuert. Er starb sein Erbe war sein Enkel John Francis Stanley,
zweiter Earl Russell, geb. Sohn des Viscount Amberley
(geb. 1842, gest. Russell war
bis in seine letzten Jahre einer der wenigen Whigs im alten Sinn, ein geistvoller, ehrlicher, offenherziger, für das Wohl seines
Vaterlandes aufrichtig begeisterter Politiker; aber alle diese hervorragenden Eigenschaften konnten ihm, nachdem neue Parteibildungen
der Politik der alten Whigaristokratie den Boden unter den Füßen weggezogen hatten, den frühern Einfluß
nicht erhalten.
Als Redner war Russell weniger durch oratorischen Schwung als durch Klarheit der Gedankenentwickelung und gewandte Dialektik ausgezeichnet. Eine Auswahl seiner Reden erschien 1870 in 2 Bänden. Von Russells Schriften sind hervorzuheben: »Essay on the history of the English government and constitution« (Lond. 1821, neue Ausg. 1873; deutsch von Kritz, Leipz. 1825);
»Memoirs of the affairs of Europe, from the peace of Utrecht [* 13] to the present time« (Lond. 1824-29, 2 Bde.);
»Essay on causes of the French revolution« (1832);
die Biographie des Lord John (s. oben);
sowie »Life and times of C. J. Fox« (das. 1859-67, 3 Bde.);
besonders bedeutend ist seine letzte große Schrift »Recollections and suggestions« (1873, 2. Aufl. 1875; deutsch, Halle [* 14] 1876),
welche gleichsam als das politische Testament des greisen Staatsmanns gelten kann.
Auch verfaßte er ein Trauerspiel: »Don Carlos« (1823), und gab Thomas Moores Briefe und Tagebücher (1852-56, 8 Bde.; kleinere Ausg. 1860), den Briefwechsel etc. von Fox (1853-57, 4 Bde.) heraus.
Vgl. Wissens, Historical memoirs of the house of Russell (Lond. 1833).
1) John Scott, schott. Techniker, geb. 1808 als Sohn eines Geistlichen im Vale of Clyde, wurde auf den Universitäten von Edinburg, St. Andrews und Glasgow [* 15] ausgebildet, arbeitete dann als praktischer Ingenieur, ging 1832 als Professor der Experimentalphysik nach Edinburg, erbaute dort mehrere kleine Dampfboote und übernahm darauf die Leitung eines großen Schiffbauetablissements in Greenock, von wo er 1844 nach London [* 16] berufen wurde. Hier baute er nach neuen Prinzipien eine Anzahl großer Dampfer, mit Brunel den Great Eastern.
Von Russell rührt auch das für den Transport auf dem Bodensee adoptierte System von Trajektbooten und die großartige Rotunde des Wiener Ausstellungspalastes her. Er starb in London. Russell schrieb: »Treatise on the steam engine« (Lond. 1841, neue Aufl. 1846);
»The modern system of naval architecture for commerce and war« (das. 1865);
»Systematic technical education« (das. 1869).
2) William Howard, engl. Journalist, geb. zu Lilyvale in der Grafschaft Dublin [* 17] von englischen Eltern, studierte 1838-42 zu Dublin und erregte schon damals durch einige lebendig und humoristisch geschriebene Skizzen aus den stürmischen Wahlszenen von 1841 die Aufmerksamkeit der »Times«, die ihn 1843 zu ihrem Reporter für die Parlamentssitzungen ernannte. 1854 bei Ausbruch des Krimkriegs ward er Spezialkorrespondent im englischen Hauptquartier. Er wohnte den Schlachten [* 18] an der Alma, bei Balaklawa und bei Inkerman sowie der Belagerung Sebastopols bis zum Schluß bei, und seine Briefe an die »Times« (deutsch, Leipz. 1855) deckten schonungslos vielfache Übelstände in der englischen Armee auf.
Eine Bearbeitung derselben erschien als »History of the Crimean war« (1855-57, 2 Bde.),
dann vermehrt unter dem Titel: »The British expedition to the Crimea« (1857, neue Ausg. 1877). In gleicher Eigenschaft war er thätig bei der Krönung des Kaisers Alexander II. in Moskau, [* 19] während des Aufstandes in Indien, 1866 im österreichischen, 1870-1871 im deutschen Hauptquartier und begleitete den Prinzen von Wales auf seinen Reisen nach dem Orient und nach Indien, während er von Amerika [* 20] bald zurückkehrte, da er sich durch die Beschreibung der unglücklichen Schlacht von Bull-Run den Unwillen des Nordens zugezogen hatte. 1858 gründete er in London die »Army and Navy Gazette«, deren ¶
Eigentümer und Herausgeber er ist. Russells übrige Schriften sind: »Diary in India 1858-59« (neue Ausg. 1875);
»My diary in North and South« (1862, seine Erlebnisse während des amerikanischen Kriegs enthaltend; deutsch, Leipz. 1862) nebst einer Fortsetzung: »Canada, its defences, condition and resources« (1865);
»My diary in the East« (1869);
»My diary during the last great war« (1873; deutsch, Leipz. 1874);
»The Prince's of Wales tour in India« (1877);
»Indian mutiny« (neue Ausg. 1884);
»Hesperothen. Notes from the U. St., Canada and Far West« (1882, 2 Bde.).
Auch veröffentlichte er einen Roman: »The adventures of Dr. Brady« (1868).