Amazōnen,
nach der griech. Sage ein nur aus Frauen bestehendes Volk, das keine Männer unter sich duldete und unter einer Königin einen kriegerischen Staat bildete. Mit den Männern benachbarter Völkerschaften pflogen sie Gemeinschaft bloß der Fortpflanzung wegen. Diesen sandten sie auch die neugeborenen Knaben zu, wenn sie sie nicht töteten. Die Mädchen aber erzogen sie zum Kriege und brannten ihnen (nach späterer etymologisierender Sage) die rechte Brust aus, damit sie ihnen beim Spannen des Bogens nicht hinderlich sei.
Davon sollen sie den
Namen
d. i. Brustlose, erhalten haben. Ihrem Wesen nach gehörten die Amazonen
zu dem
Kreise
[* 2] der großen Göttin
Kleinasiens, welche die Griechen mit ihrer
Artemis
[* 3] identifizierten. Die Amazonen
wohnten nach der verbreitetsten
Auffassung an den
Küsten des
Schwarzen
Meers, an dem
Flusse Thermodon und unfern von dem
Flusse
Iris, dem heutigen Jeschil-Irmak.
Von hier aus sollen sie ganz
Asien
[* 4] mit
Krieg überzogen und Smyrna, Ephesus und andere
Städte erbaut haben.
Schon
Homer weiß von Kämpfen des
Bellerophon
[* 5] (s. d.) und der Phrygier gegen die Amazonen.
Ihre Königin Hippolyte,
nach andern
Antiope, ward von Herakles
[* 6] getötet, unter dessen ihm von Eurystheus auferlegten
Arbeiten eine darin bestand, jener
Königin das Wehrgehänge, das sie von
Ares
[* 7] erhalten hatte, abzunehmen. Auf diesem oder einem eigenen Zuge gewann
Theseus die
Antiope, infolgedessen die Amazonen
einen
Einfall in
Attika machten. Auch zogen sie unter ihrer Königin Penthesileia gegen
die Griechen dem Priamos zu Hilfe. Selbst zur Zeit
Alexanders d. Gr. treten sie noch in Sagen auf; ihre Königin Thalestris
soll
¶
mehr
den Alexander besucht haben und durch ihn Mutter geworden sein. Als die Griechen die Südküste des Schwarzen Meers näher kennen
lernten und dort keine Amazonen
fanden, verlegte man sie in das Land nördlich vom Schwarzen Meere. Mit dem Amazonen
mythus hat sich
die epische Poesie (z. B. die «Äthiopis»
des Arctinus), wie die bildende Kunst der Griechen mit Vorliebe beschäftigt; Bildhauer wie Phidias, Polyklet
(vgl. beistehende
[* 8]
Figur der Amazone
[* 9] des Polyklet nach dem 1868 in Rom
[* 10] gefundenen, jetzt im Berliner
[* 11] Museum befindlichen Originale)
u. a., Maler wie Mikon, haben die Amazonen
(Amazonenschlachten, die Abenteuer des Theseus mit den u. ä.) dargestellt. Es
giebt noch antike Nachbildungen von Statuen großer Meister, ganze Reihen Reliefs wie von Bassä
[* 12] (s. d.), Halikarnassos (s. d.)
und Magnesia, besonders viele Vasenbilder u. s. w. Die Amazonen
erscheinen da in
ideal schönen Formen, keineswegs bloß mit einer Brust.
Selbst im Mittelalter verschwinden die Amazonen
nicht vollständig aus den Sagen. Mit dem Wiederaufleben
der klassischen Studien tauchte die Sage wieder auf; man glaubte auch, daß ein solches Volk wirklich existiere und suchte
es nun namentlich in Afrika
[* 13] und Amerika,
[* 14] wie denn auch der Amazonenstrom
[* 15] seinen Namen davon erhalten hat. Auch neuere Künstler
haben Amazonen
dargestellt: Amazonen
schlacht von Rubens (s. die Tafel beim Artikel Rubens), von Feuerbach (Nürnberg,
[* 16] städtische Galerie);
Amazone zu Pferde [* 17] einen Tiger bekämpfend, Bronzegruppe von Kiß, am Berliner Museum. -
Vgl. O. Jahn in den «Berichten» der Königl.
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (Lpz. 1850);
Steiner, Über den Amazonen
mythus in der
antiken Plastik (ebd. 1857);
Mordtmann, Die Amazonen
(Hannov. 1862);
Stricker, Die in Sage und Geschichte (Berl. 1873);
Klügmann, Die in der attischen Litteratur und Kunst (Stuttg. 1875);
Michaelis im «Jahrbuch des Kaiserl. Deutschen Archäologischen Instituts» (Berl. 1886);
Krause, Die Amazonensage
(ebd. 1893).