Amadis
von Gaula (Gallien oder Wales), der Held des für das 16. Jahrh. tonangebenden Ritterromans. Dieser wird zuerst 1379 als vielgelesenes Buch in Spanien [* 2] genannt, wo damals ziemlich sicher die jetzt verlorene Urform entstand. Die höfischen Ritter des franz. Kunstepos waren in den Prosaauflösungen der Gralsage im 13. bis 14. Jahrh. religiös geworden; in Spanien zeigen sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. Nachahmungen, in denen sie moralisch werden, unter Aufgabe des in Frankreich festgehaltenen Rahmens der Tafelrunde (s. d.). Im A. trat ein sentimentaler Zug hinzu, der ebenfalls wohl schon der Urform eigen war. Aus dieser floß früh eine portug. Bearbeitung, die, nur in Spuren nachweisbar, zu der Behauptung portug. Ursprungs Anlaß gab. Ein Adliger aus Medina del Campo, ¶
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Garcia Ordoñez de Montalvo, bearbeitete drei vorhandene Bücher kurz vor und nach Granadas Eroberung (1492), strich den Tod
des Amadis
, fügte ein viertes und als «Las sergas de Esplandian, hijo
de de Gaula» ein fünftes Buch hinzu. Der erste bekannte Druck datiert von 1508; die letzte Neuausgabe bildet Bd. 40 der
«Biblioteca de autores españoles» (von Pascual de Gayangos, Madr.
1857). Es schlossen sich bald Fortsetzungen mit den Thaten der Nachkommen des Amadis
an. Buch 6-14 enthalten die Abenteuer Florisandos
(von Paez de Ribera; 1510), Lisuartes von Griechenland
[* 4] und Perions von Gallien (von Juan Diaz), des von Griechenland,
Florisels von Nicäa und des Anaxartes (von Feliciano de Silva), Rogers von Griechenland und Silves' de la Selva (von demselben,
und [1546] von Pedro de Lujan), Sphäramunds von Griechenland (von unbekanntem Verfasser) und endlich Penalvas (verloren).
Bernardo Tasso verpflanzte Montalvos Amadis
durch eine Nachdichtung in Stanzen («Amaldigi di Francia», 1560)
nach Italien.
[* 5] Die franz. Übersetzer und Fortsetzer erweiterten, seit Nicolas de Herberay,
Sieur des Essarts, der 1540-48, durch Franz I. nach dessen span. Gefangenschaft veranlaßt, Buch 1-8 herausgab, die Romanreihe
bis auf 24 Bücher. Von diesen umfassen das 16. bis 21. die Thaten Sphäramunds und des Amadis
vom Gestirn, das 22. bis 24. die
Abenteuer der übrigen Nachkommenschaft des gallischen Amadis
, mit Einschluß des von Trapezunt.
Unter diesen Bearbeitern sind zu nennen: Gilles Boileau (10. bis 12. Buch, 1552), Gohory und Aubert de Poitiers;
Gilbert Saunier, Sieur du Verdier, dichtete einen Schluß aller in dem ganzen Sagenkreis begonnenen Abenteuer («Le [* 6] roman des romans, ou la conclusion de l'A.») in sieben starken Bänden hinzu.
Auszüge aus Buch 1-21 giebt ein «Thresor de tous les
livres d'A. de Gaule», Bd. 2 (Lyon
[* 7] 1582, 1606). Wie verbreitet diese Romane waren, beweisen, außer den vielen Auflagen der einzelnen,
die Citate bei du Bellay, Mad. de Sévigné, Lafontaine u. a., die Übertragungen ins Italienische, Englische
[* 8] (zuerst nach Herberay, 1619; zuletzt R. Southeys Prosabearbeitung nach dem Spanischen, 4 Bde., Lond. 1803),
Deutsche,
[* 9] Holländische
[* 10] und selbst ins Hebräische (durch Ben Mose Algabbi) und die vielen Nachbildungen in Spanien, Italien,
Frankreich und Deutschland.
[* 11] Am längsten erhielt sich in der Gunst des Publikums von
Gallien», bis in die neuere Zeit bearbeitet. Mlle. de Lubert (1750) und Graf Tressan (1770) erneuerten ihn in zeitgemäß umgebildeten
Auszügen, poetisch wurde er bearbeitet von Creuzé de Lesser de Gaule, poëme faisant suite aux chevaliers de la table-ronde»,
Par. 1813) und Steward Rose de Gaul, a poem in three books», nach Herberay, Lond. 1803). In Deutschland ward
der Roman seit 1569 (1. Buch, Frankf. a. M.; Neudruck von Keller, Stuttg. 1857) als «Hystorien von Amadis
auß
Frankreich» in einzelnen Büchern viel übersetzt (bis 1617) und war bis um 1640 sehr beliebt (vgl. Bobertag,
Geschichte des Romans, I, 1876). Wielands «Neuer Amadis»
hat mit jenen ältern Amadis
nur die Fülle der Abenteuer des Helden gemein.
Der Amadis
-Roman beruht nicht auf nationaler Grundlage, wurde auch in einer Zeit verfaßt, wo die epische Richtung des Heldenromans
durch andere Elemente, besonders das allegorisch didaktische, verdunkelt und das Rittertum schon im Verfall
war. Der Verfasser hat vielfach Romane
der ältern Sagenkreise, besonders des bretonischen, nachgeahmt; doch schlägt er eine
ganz neue Bahn ein, die seine weniger begabten Nachtreter zum Affektierten und Übertriebenen verleitete, wodurch der Gegensatz
zum Zeitbewußtsein immer größer und die durch Cervantes' Don Quixote bewirkte Vernichtung des mittelalterlichen
Heldenromans durch die Ironie unausbleiblich wurde.
Der Schauplatz der Erzählung ist noch wesentlich der übliche der franz. Romane: sie berichtet von dem ausgesetzten Sohne
der Elisena von Bretagne und König Perions von Gallien, Amadis
, genannt der Löwenritter und Veltenebros («Dunkelschön»,
da in der Einöde lebend), seiner Liebe zu Oriona, der Tochter Königs Lisuarte von England, wie er nach
vielen wunderbaren Abenteuern in treuer, tugendhafter und empfindsamer Ritterlichkeit die Hand
[* 12] der Geliebten erwirbt. Die endlosen
Thaten und Wunder sind zum Teil nicht ohne Anmut erzählt, die Verkettung ist weniger lose als in den Nachahmungen, die Ansätze
zu psychol. Charakteristik besser eingehalten, die Sprache
[* 13] gut.
Vgl. über die vielumstrittenen litterargeschichtlichen und bibliogr.
Fragen: Baret, De l'A. de Gaule et de son influence sur
les mœurs et la littérature au XVIe et XVIIe siècle (Par. 1853; 2. Ausg.
1873); Pagès, de Gaule (ebd. 1868); Braga, Sobra a origens portugueza de de Gaula (Oporto
[* 14] 1873) und besonders
Braunfels, Kritischer Versuch über Amadis
(Lpz. 1876).