Althochdeutsch
,
s. Deutsche Sprache. ^[= Die Bezeichnung d. S. ist in verschiedenen Bedeutungen gebraucht worden. Manche, wie Jakob Grimm ...] [* 3]
Althochdeutsch
8 Wörter, 74 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Althochdeutsch,
s. Deutsche Sprache. ^[= Die Bezeichnung d. S. ist in verschiedenen Bedeutungen gebraucht worden. Manche, wie Jakob Grimm ...] [* 3]
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Althochdeutsch,
s. Deutsche Sprache. ^[= Die D. S. gehört der german. Sprachfamilie an (s. Germanische Sprachen), ist also eine Schwesterspr ...]
[* 3] Sprache. [* 5] Die Bezeichnung deutsche Sprache ist in verschiedenen Bedeutungen gebraucht worden. Manche, wie Jakob Grimm in seiner »Deutschen Grammatik«, bezeichnen damit die ganze Familie, die wir besser germanische Sprachen nennen; andre sprechen wieder von deutschen Sprachen im Gegensatz zu den skandinavischen und meinen damit den auch Westgermanisch genannten Zweig der germanischen Sprachen (s. d.), begreifen also darunter außer Hoch- und Niederdeutsch auch das Holländische, [* 6] Friesische und Angelsächsische (Englische). [* 7] Am gewöhnlichsten bezeichnet man damit die im eigentlichen Deutschland [* 8] oder vielmehr in dem Gebiet, in welchem man sich des Hochdeutschen als Litteratursprache bedient, herrschenden Sprachen und Mundarten (natürlich die Schriftsprache inbegriffen). Es ist sonach die deutsche Sprache nur ein Teil des Westgermanischen.
Das Westgermanische in seiner ältesten uns vorliegenden Gestalt zerfällt in die Mundarten der Friesen, Angelsachsen, Sachsen, [* 9] Franken und der oberdeutschen Stämme (Bayern [* 10] und Alemannen). Durch die Auswanderung der Angelsachsen nach Britannien (5. Jahrh.) trat die Sprache derselben aus der engen Verbindung mit den übrigen Sachsen heraus und entwickelte sich selbständig weiter. Sehr nahe verwandt und in der Zeit nach der Völkerwanderung wohl nur durch geringe dialektische Abweichungen verschieden waren die Mundarten der Oberdeutschen, Franken und Sachsen. Da trat in Oberdeutschland eine Lautbewegung ein, die sogen. zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung, wodurch (seit dem 7. Jahrh.) Hochdeutsch und Niederdeutsch geschieden wurden; der Zustand der oberdeutschen Sprache, welcher nach dieser Lautwandlung eintrat, wird Althochdeutsch genannt (über die vorangegangene erste Lautverschiebung s. Germanische Sprachen). Am meisten betroffen waren die germanischen Tenues (t, p, k), die im Inlaut (d. h. im Innern der Wörter) zu Spiranten wurden: t zu z (dasjenige z, welchem heute ß oder ss entspricht), p zu f und k zu hh oder ch. Es ward also z. B. got. wato (angelsächs. väter, engl. water) zu althochd. wazzar, neuhochd. wasser;
got. slêpan (niedersächs. slapen, engl. sleep) zu althochd. slâfan, neuhochd. schlafen;
altsächs. makôn (engl. make) zu althochd. machôn, neuhochd. machen.
Standen dagegen die germanischen Tenues im Anlaut oder im Inlaut nach Konsonanten, resp. in Verschärfungen, so wurde t zu z (= ts), p zu pf (ph), k zu kch, doch dieses letztere nur im Alemannischen und im Bayrischen, während in den nördlichern Teilen des hochdeutschen Gebiets das ursprüngliche k bestehen blieb. So wurde got. tiuhan zu althochd. ziohan, neuhochd. ziehen;
got. swarts (altsächs. swart) zu althochd. swarz, neuhochd. schwarz;
altsächs. plegan zu althochd. pflegan, neuhochd. pflegen;
altsächs. skeppian zu althochd. scephan, neuhochd. schöpfen;
got. kaurn (sächs. korn) zu alemann. kchorn (geschrieben meist chorn), aber gemeinhochd. korn;
got. vakjan zu alemann. wekchan (wecchan), gemeinhochd. wecken.
Diese altoberdeutsche Wandlung des k ist noch heute in Süddeutschland in Kraft; [* 11]
in der Schweiz [* 12] z. B. ist aus dem alten kch jetzt ein vollständiges ch geworden, man sagt dort chind, chorn etc. Außer diesen Wandlungen der germanischen Tenues im Althochdeutschen wurde besonders noch die germanische Media d verändert, welche in t überging;
so wurde z. B. got. dags zu althochd. tac;
altsächs. dôn zu althochd. tuon, neuhochd. thun;
angelsächs. fader zu hochd. vater.
Die germanischen Mediä b und g dagegen blieben als solche bestehen. Eine weitere Erscheinung, daß nämlich das germanische th überall in d übergeht, ist nicht dem Hochdeutschen allein eigen, sondern erstreckt sich auch auf das Sächsische und Fränkische. Nur das Angelsächsische (Englische) und einige friesische Dialekte haben das alte th noch ungeschwächt erhalten. Es heißt also got. thu, engl. thou, im ältesten Althochdeutschen thu, aber bald du; got. threis, engl. three, althochd. und sächs. drî, neuhochd. drei. Durch diese Lautverschiebung wurde dann das Hochdeutsche den übrigen Mundarten des westgermanischen Zweigs äußerlich so unähnlich, daß man die letztern, namentlich das Sächsische und (Nieder-) Fränkische, im Gegensatz zu Hochdeutsch unter dem Namen niederdeutsche Sprachen zusammenfaßt.
Der große fränkische Stamm zog sich von der Pfalz und den Mainländern den Rhein entlang bis in die Niederlande;
[* 13] daher betraf
die hochdeutsche Lautverschiebung nur seine südliche Hälfte, die nördliche blieb davon gänzlich unberührt.
Die südliche Hälfte, das jetzt allein so genannte Franken nebst der Pfalz und dem Rheingau,
[* 14] rechnet man danach ohne weiteres
zum Hochdeutschen; die ältesten südfränkischen Quellen (z. B. Otfried) werden althochdeu
tsche genannt.
Man teilt daher gewöhnlich das Althochdeutsche in den fränkischen, bayrischen und alemannisch-schwäbischen Dialekt. Nördlich an diese oberfränkische Mundart schließt sich (von Trier, [* 15] Koblenz [* 16] bis gegen Aachen [* 17] und Düsseldorf) [* 18] eine Mundart an, die ebenfalls noch vieles Hochdeutsche in sich schließt, aber doch in manchen Punkten den ursprünglichen niederdeutschen Lautstand bewahrt. Wir kennen diese Mundart, welche man die niederrheinische oder die mittelfränkische genannt hat, aus ziemlich zahlreichen, namentlich kölnischen, Quellen des 13.-15. Jahrh. Diejenigen Franken aber, welche nördlich von Düsseldorf und westlich von Aachen saßen, blieben von aller Einwirkung der hochdeutschen Lautverschiebung verschont; ihre Sprache nennt man Niederfränkisch.
Das Altniederfränkische kennen wir nur aus dem Fragment einer Psalmenübersetzung des 9. Jahrh.; im 13. Jahrh. dagegen entwickelte sich unter dem Namen Mittelniederländisch eine reiche niederfränkische Litteratur, und heute ist die holländische (und vlämische) Schriftsprache daraus entstanden. Östlich an das Nieder- und Mittelfränkische grenzt nun das Sächsische. In seiner ältesten Form (Altsächsisch) kennen wir es hauptsächlich aus dem in Westfalen [* 19] entstandenen »Heliand«. Vom 13. Jahrh. an wird dann die sächsische Sprache häufig in Schriftwerken gebraucht; man nennt sie in dieser Form gewöhnlich Mittelniederdeutsch. Eine so reiche poetische Litteratur allerdings ¶
wie das Hochdeutsche derselben Zeit hat das Mittelniederdeutsche nicht entwickelt, doch ist es die in der Schrift der betreffenden Gegenden herrschende Sprache. Das bedeutendste hierher gehörige Gedicht ist der »Reineke Vos« (ca. 1490), der aber auch nur Übersetzung aus dem Niederländischen ist. Noch im 16. Jahrh. wurden in niederdeutscher Sprache Bücher gedruckt, im 17. verdrängte dann die neuhochdeutsche Schriftsprache dieselbe endgültig aus der Litteratur. Die letzte niederdeutsche Bibel [* 21] erschien 1621.
Die Geschichte der hochdeutschen Sprache beginnt mit dem Althochdeutschen. Man rechnet diese Periode von der Zeit der ältesten Denkmäler (8. Jahrh.) bis ungefähr in den Anfang des 12. Jahrh. Charakteristisch für das Althochdeutsche, im Vergleich zur folgenden mittelhochdeutschen Periode, sind die noch unversehrten vollen Vokale in den Flexionsendungen. So lautet z. B. das Präsens des Verbs althochd. gibu, gibis, gibit. Plur. gebamês, gebat, gebant, dagegen mittelhochd. gibe, gibest, gibet, geben, gebet, gebent; das Substantiv hano (Hahn) [* 22] flektiert: Gen. hanin, Dat. hanin, Akk. hanun, Plur. hanun, hanôno, hanôm, hanun, mittelhochd. hane, hanen, hanen, hanen, Plur. hanen, hanen, hanen, hanen.
Man unterscheidet, wie schon oben bemerkt, im Althochdeutschen drei Mundarten: die bayrische, alemannische und (ober-) fränkische.
Die beiden erstern, welche unter sich damals noch sehr wenig verschieden waren, nennt man auch Strengalthochdeu
tsch. Das
Althochdeutsche ist uns aus zahlreichen sprachlichen Denkmälern bekannt. Vor allem war St. Gallen ein Hauptsitz althochdeu
tschen
Schrifttums, und zwar ist hier das Alemannische zu Hause. Doch ist die althochdeu
tsche Litteratur größtenteils keine Nationallitteratur,
da sie meist in oft bis zur Sprachwidrigkeit treuen Übersetzungen lateinischer Schriften ins Deutsche und in Wortsammlungen
besteht und Bekehrung zum Christentum oder Unterricht der Kleriker bezweckt.
Die nationale Götter- und Heldendichtung in der allgemein deutschen allitterierenden (stabreimenden) Form ist bis auf wenige
Fragmente untergegangen. Auch gibt die uns noch vorliegende althochdeu
tsche Litteratur nicht sowohl Kunde von einer eigentlichen
Litteraturperiode als vielmehr nur von einer Zeit des Überganges. Erst als sich nationaldeutsches Wesen
mit dem Christentum innig verschmolzen hatte, beginnt eine neue Periode der deutschen Nationallitteratur, die mittelhochdeutsche.
Der Übergang der althochdeu
tschen Sprache in die mittelhochdeutsche vollzieht sich durch die durchgreifende Abschwächung
der auf die Stammsilbe folgenden Vokale in ein unterschiedloses e. Die Vokale der Stammsilbe bleiben hierbei
im wesentlichen dieselben wie im Althochdeutschen, und dasselbe gilt von den Konsonanten. Die mittelhochdeutsche Periode der
hochdeutschen Sprache rechnen wir bis zu der Zeit, wo, von dem Kanzleischreibgebrauch ausgehend, sich eine allgemeine deutsche
Schriftsprache zu bilden begann.
Wir können dafür ungefähr die zweite Hälfte des 15. Jahrh. ansetzen. Auch in der mittelhochdeutschen Zeit müssen wir mehrere Mundarten unterscheiden, nämlich (ganz wie in der frühern Periode) die oberdeutschen (Alemannisch, Schwäbisch, Bayrisch) und die mitteldeutschen. Die letztern entsprechen im ganzen dem Oberfränkischen der althochdeutschen Zeit; doch kommen noch die sprachlich diesem naheliegenden hessischen, thüringischen und rheinischen Dialekte hinzu, welche aus der mittelhochdeutschen Zeit uns durch zahlreiche Denkmäler bekannt sind, während hierher gehörige althochdeutsche Denkmäler mangeln; endlich das Schlesische und die Sprache des Deutschordenslandes.
Die in den mitteldeutschen Dialekten vom 12. bis 15. Jahrh. geschriebenen Litteraturwerke sind sehr zahlreich; doch hat man sich erst neuerdings (ein Hauptverdienst Franz Pfeiffers) dem grammatischen Studium derselben gewidmet. Bei weitem zahlreicher aber und zugleich dem Inhalt nach wichtiger sind die in den oberdeutschen Mundarten verfaßten Dichtungen; die hervorragendsten Meisterwerke der höfischen Poesie, die Dichtungen eines Wolfram, Gottfried von Straßburg, Hartmann v. Aue, sowie die in den »Nibelungen« und der »Gudrun« so herrlich erblühte epische Volkspoesie gehören Oberdeutschland an. Man nimmt nun gewöhnlich an, daß eine der oberdeutschen Mundarten, die schwäbische, als Sprache der Litteratur und des Umganges in den höfischen Kreisen allgemeinere Geltung erhalten und sich demzufolge zu einer höfischen Sprache ausgebildet habe, die nach und nach auch da Eingang gefunden, wo ursprünglich eine andre Mundart herrschend war. In dieser höfischen Sprache sollen denn auch alle Hauptwerke der mittelhochdeutschen Poesie verfaßt worden sein. Gegen diese Annahme hat sich jedoch in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten Widerspruch erhoben, und es kann dieselbe wenigstens bis jetzt noch nicht als erwiesene Wahrheit gelten.
Der wesentlichste formale Unterschied des Neuhochdeutschen und des Mittelhochdeutschen besteht darin, daß im Neuhochdeutschen eine sehr große Zahl von langen Silben vorhanden ist, die im Mittelhochdeutschen kurz waren, z. B. neuhochdeutsch: Weg, Grab, mittelhochdeutsch: wĕc, grăp (wie noch jetzt manche niederdeutsche Dialekte sprechen). Ein weiterer die neuhochdeutsche Sprache charakterisierender Zug ist aber der, daß, während in der alt- und mittelhochdeutschen Zeit die Mundarten vorherrschten und an sie sich die litterarische Thätigkeit anknüpfte, das Neuhochdeutsche gar keine Mundart ist, insofern kein deutscher Stamm dasselbe spricht und unsre Schriftsprache nirgends Sprache des Volkes ist.
Diese ist »kein am lebendigen Baum der deutschen Sprache unbewußt und naturgemäß hervorgesproßtes Reis, sondern vielmehr etwas in vielen Stücken durch Einfluß des menschlichen Willens absichtlich Gebildetes und Zusammengewürfeltes«. Aber eben, weil das Neuhochdeutsche keine Mundart eines einzelnen Stammes ist, ist es geeignet, als gemeinsames Band [* 23] alle deutschen Stämme, hochdeutsche wie niederdeutsche, zu umschlingen. Die Mundart eines einzelnen Stammes würde schwerlich ein solches Übergewicht über die übrigen Mundarten erhalten haben, wie es die deutsche Schriftsprache jetzt hat, und es wäre die politische Zersplitterung der deutschen Stämme wahrscheinlich auch eine sprachliche geworden.
Dem ist aber dadurch vorgebeugt worden, daß die keinem Stamm ausschließlich angehörige Schriftsprache Eigentum aller deutschen Stämme und, wenn auch mehr oder weniger mundartlich nüanciert; Sprache des höhern geselligen Umganges aller Orten in Deutschland, Österreich, [* 24] der deutschen Schweiz, kurz überall, wo man die deutsche Sprache spricht, mit Ausschluß nur des holländischen und vlämischen Sprachgebiets, geworden ist. Während wir demnach für die neuhochdeutsche Schriftsprache erst einen Ausgangspunkt zu suchen haben, geben sich die neuhochdeutschen, neben der Schriftsprache bestehenden Volksmundarten als direkte Fortsetzungen der ältern Schwestern zu erkennen.
Unsre Schriftsprache, deren Entwickelungsgeschichte [* 25] bis auf Luther zurück ohne Unterbrechung vorliegt, hat sich zwar auch im Lauf der Zeit verändert, Altes fallen lassen und Neues angenommen; doch ist ¶
sie noch im wesentlichen dieselbe, in der Luther schrieb. Luther ist aber nicht Schöpfer dieser Sprache, welcher er durch seine Schriften, namentlich die Bibelübersetzung, eine immer allgemeinere Geltung verschafft hat, und die sogar in das Gebiet des Niederdeutschen eingedrungen ist; er sagt selbst ausdrücklich, daß er sich nicht einer »gewissen sonderlichen, eignen Sprache im Deutschen«, also nicht einer speziellen Mundart, sondern der Sprache der »sächsischen Kanzlei« bediene, »welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland«, und welche als »die gemeine deutsche Sprache« geeignet sei, »von Ober- und Niederländern« verstanden zu werden.
Entstanden ist aber diese Sprache »auf dem Papier«, d. h. nach und nach durch den schriftlichen Gebrauch selbst, welcher einer Sprache stets einen gewissen Typus zu verleihen pflegt, und durch Vermischung von Mundarten, unter denen selbst das Niederdeutsche nicht ganz unvertreten ist, das Österreichische aber, das schon in frühern Jahrhunderten durch die Diphthongierung des î und û zu ei und au diese Laute den ganz verschiedenen alten ei und ou näher gerückt hatte, eine Hauptrolle spielt.
Aus dieser Vermischung von Mundarten, die besonders in der kaiserlichen Kanzlei stattfand, ging die deutsche Reichssprache hervor, die dann, durch den offiziellen Gebrauch bevorzugt und durch Luthers reformatorische Wirksamkeit gehoben, nach und nach die oberdeutschen Mundarten sowie das Plattdeutsche als Schriftsprache verdrängte und in Kirche, Schule und Gerichtsstube eindrang, sich als allein berechtigte in die höhern Gesellschaftskreise und von da in Familie und Haus verbreitete und ihr Gebiet von Tag zu Tag so gewaltig erweitert, daß vor ihrer Alleinherrschaft die Dialekte in den Städten bereits zu verschwinden beginnen und hier nur noch in den untersten Schichten der Gesellschaft sowie vornehmlich bei der ländlichen Bevölkerung [* 27] in ungetrübter Reinheit zu finden sind.
Diese Mundarten sind aber die »natürlichen, nach den Gesetzen der sprachgeschichtlichen Veränderungen gewordenen Formen der deutschen Sprache im Gegensatz zu der mehr oder minder gemachten und schulmeisterlich geregelten und zugestutzten Sprache der Schrift«. Schon hieraus ergibt sich der hohe Wert der Mundarten für die wissenschaftliche Erforschung unsrer Sprache. Sie enthalten eine reiche Fülle von Worten und Formen, die trotz ihres echt deutschen Ursprungs und Charakters von der Schriftsprache zurückgewiesen wurden, und bieten manches dar, was sich zur Erklärung der ältern Sprachdenkmale verwerten läßt und für die Entwickelungsgeschichte unsrer Schriftsprache von Bedeutung ist.
Die sämtlichen eigentlich deutschen Volksmundarten lassen sich in zwei Hauptgruppen teilen: niederdeutsche (plattdeutsche) und hochdeutsche;
die letztern aber zerfallen wiederum in die oberdeutschen und mitteldeutschen Mundarten.
Jeder dieser drei Hauptdialekte begreift nun unzählige mehr oder weniger charakteristisch verschiedene Provinzial- und Lokaldialekte in sich. Nach Schmeller beginnt die Sprachgrenze der oberdeutschen Mundart am slawischen Sprachgebiet, unweit der Quelle [* 28] des Regen, nähert sich bei Regensburg [* 29] der Donau, geht dreimal über die Altmühl, überschreitet nicht weit von Donauwörth die Wernitz und folgt dem rechten Ufer derselben bis über Öttingen, wendet sich dann westwärts, geht nördlich von Schwäbisch-Hall über den Kocher, südlich von Heilbronn [* 30] über den Neckar, im Süden von Rastatt [* 31] über den Rhein und trifft nicht weit von den Saarquellen auf das französische Sprachgebiet.
Was das Oberdeutsche am meisten charakterisiert, ist die Aussprache der Gaumenbuchstaben und die der Vorsilben be und ge. Die im Mitteldeutschen noch erhaltene Tenuis geht am Ende der Stammsilbe nach l, n, r im Oberdeutschen in die Spirans über, z. B. Kalk, oberdeutsch Kalch; Mark, oberdeutsch March. Am Oberrhein und westlich vom Lech lautet k auch im Anfang und in der Mitte der Wörter aspiriert, z. B. kalt wie kchalt, Acker wie Ackcher, Rock wie Rockch; ch wird im Donaugebiet am Ende gar nicht ausgesprochen, z. B. euch = eu', ich - i', lich = li'.
Das e der Vorsilbe be wird im Oberdeutschen nur in gewissen Fällen, besonders vor den Schlaglauten (b, p, g, k, d, t, z), und zwar wie ê, é oder i ausgesprochen, in andern ganz übergangen;
das e der Vorsilbe ge wird in Substantiven und Adjektiven oder Adverbien vor den Schlaglauten ebenfalls wie ê;
é oder i ausgesprochen, außerdem aber gar nicht gehört;
bleibt das e vor den Schlaglauten unausgesprochen, so fällt auch das g weg, z. B. 'Biet für Gebiet.
Nach der Aussprache dieser Vorsilben und des Wörtleins »ich« würde nun aber auch noch das Nabgebiet zum Oberdeutschen gehören, und da die Mundart des Riesengebirges große Ähnlichkeit [* 32] mit dem Österreichischen hat, so dürfte vielleicht die Grenze zwischen dem Ober- und Mitteldeutschen von der Wernitz nach dem Fichtelgebirge und dann längs des Erzgebirges und des Riesengebirges nach der Oder zu ziehen sein, so daß Oberschlesien noch zum oberdeutschen Sprachgebiet zu rechnen wäre.
Indes ist es nicht so ganz selten, daß in einem Bezirk sich Spracheigentümlichkeiten finden, die einem ganz andern fernen Gebiet angehören; so wiederholt sich der in Koburg [* 33] gesprochene nordfränkische Dialekt teilweise wie durch ein Wunder im Großherzogtum Posen, [* 34] und die Mundart des thüringischen Fleckens Ruhla offenbart eine merkwürdige Ähnlichkeit mit den Dialekten Tirols. Genaueres läßt sich über die Grenze zwischen dem Mitteldeutschen und Niederdeutschen beibringen.
Als Schibboleth für diese Grenzbestimmung dienen die Erscheinungen der hochdeutschen Lautverschiebung, wonach das Hochdeutsche die Tenues des Niederdeutschen in Spiranten verwandelt (s. oben). Im allgemeinen bildet der Habichtswald, die natürliche Grenze zwischen Franken und Sachsen, noch heute die Sprachgrenze zwischen dem Mittel- und Niederdeutschen. Während aber die Stadt Münden und die hannöverschen Dörfer zwischen Fulda [* 35] und Werra sowie weiter östlich Hedemünden an der Werra, Friedland, Duderstadt und Lauterberg noch dem niederdeutschen Sprachgebiet angehören, fallen Gerlenbach, Witzenhausen, Ahrendshausen, Heiligenstadt, Stadt Worbis und Sachsa dem mitteldeutschen Sprachgebiet zu. Östlich von Sachsa sind die nördlichsten mitteldeutschen Ortschaften: Ellrich, Sulzhain, Hasselfelde, Bernrode, Mägdesprung, Ballenstedt, Hoymb, Meysdorf, Harkrode, Sandersleben, Güsten, Staßfurt, [* 36] Kalbe und Barby.
Vom Einfluß der Saale an aufwärts bildet die Elbe bis gegen Wittenberg [* 37] hin, namentlich bei Dessau, [* 38] eine scharfe Sprachgrenze; weiter östlich erscheinen Luckau, Lübben, [* 39] Guben [* 40] und Züllichau jenseit der Oder als die südlichsten niederdeutschen Ortschaften. Eine oberdeutsche Sprachinsel im niederdeutschen Gebiet findet sich auf dem Harz, die Ortschaften Klausthal, Zellerfeld, Wildemann und Lauterthal auf der nördlichen und Andreasberg auf der südlichen Abdachung umfassend, wahrscheinlich Niederlassungen von oberdeutschen Bergleuten. Westlich vom Habichtswald folgt die Sprachgrenze der Wasserscheide zwischen dem ¶